dieses Gefühl der Unsicherheit Wurzel fassen. Die landläufigenVorstellungen der Franzosen von Deutschland zählen das deutscheVoll gar nicht als einen mit Willen begabten Faktor, sondern nurals gefügiges Instrument der Regierung. In den letzten Tagenist nun allerdings eine gewisse Wandlung in dieser Meinung ein-getreten, aber immerhin hielt man einen VcrzweiflungSstreichBülows und des Kaisers in allen Kreisen für möglich.Es ist bemerkenswert, daß eine Zlnzahl auch bürgerlicherBlätter bemüht ist, eine ruhigere Auffassung zu verbreiten. Zu-gleich erhebt sich aber die Forderung immer stärker, daß auch diefranzösische Diplomatie von ihrer Geheimtuerei ablasse unddie Aufregung dcS Publikums nicht durch hartnäckige Vcr-schwcigungen und plötzlich nachfolgende halbe Enthüllungen steigere.Was man hier bisher von dem ganzen diplomatischen Mcinungs-austausch über die Affäre von Casablanca erfahren hat, schließtjedes sichere Urteil auS und im Lichte der Berichte über diestrittigen BewciSformeln erscheint der ganze Handel als ein fürbeide Teile kompromittierendes Chinesentum. Im„Siecle"schreibt der ehemalige Minister Lanessan:„Zurückgeblieben(von der Unruhe) ist nur ein unzweifelhaftes Mißvergnügen überdas Verfahren der Diplomatie. Und diese Verstimmung hat sichnoch verschärft, als man die Diplomaten ganze Tage über die DiS-kussion von Formeln verlieren sah, deren Lächerlichkeit um so beut-licher hervortrat, je mehr man ihnen Feierlichkeit verleihen wollte.Das große Publikum, die Leute, die arbeiten und nicht auf derBörse spekulieren, finden diese Manieren recht sonderbar. Siebeginnen, sich zu sagen, daß in Europa zuviel Platz für dieDiplomaten und zu wenig für die- Völker da ist."Ueber dasselbe Thema spricht sich auch Ja u res in der heutigen„Humanitö" aus. Er legt dar, daß es im Augenblick nicht klugwäre, die Frage auf der Kammertribüne zur Sprache zu bringenund unvorsichtige Manifestationen eines schlecht unterrichteten, auf-geregten Parlaments hervorzurufen— worauf übrigens jetzt ebendie nach einer inneren Krise ausschauenden Reaktionäre zuspekulieren scheinen.„Wir werden indes darüber wachen," fährtJcnires fort,„daß sich die(auswärtige) Krise nicht bis zuräußersten Gefahr entwickelt. Aber sobald sie gelöst sein wird, mutzeine neue Politik, eine neue Diplomatie eingesetztwerden. Die wirkliche Kontrolle der Nation mußorganisiert werden. Wir, die wir(zum Unterschied vonDeutschland) die Form der nationalen Souveränität besitzen,müssen diese Form mit einer Substanz erfüllen, aus diesemSchein eine Wahrheit machen."Man sieht hier von unserem Genossen die Aktion vorgezeichnet,die den nationalen Sektionen der Internationale in ihren Ländernobliegt. Sie haben ihre Regierungen mit sozialistischenArgumenten, nicht mit Anleihen beim Ratio-nalismuS des Auslandes, zu kritisieren und die Kon-trolle der Demokratie über die auswärtige Politik zu erobern.welche heute überall Interessen dient, die nicht die der arbeiten-den Klassen sind. Diese klar durchgeführte Taktik, bei der diefranzösischen Genossen mit Zuversicht auf die entsprechendeenergische Parallelaktion der deutschen Sozial-d e m o k r a t i e rechnen, schließt eS aus. daß die Kritik derausländischen Sozialisten von der Bourgeoisie und derRegierung gegen die deö Inlandes ausgespieltwerden kann,_Die Lehre» von Ceubus.Ein Volljähriger, der nicht unter Vormundschaftsieht, kann einen Pfleger für seine Person und seinVermögen erhalten, wenn er infolge körperlicher Ge-brechen, insbesondere weil er taub, blind oderstumm ist, seine Angelegenheiten nicht zu besorgenvermag.Vermag ein Volljähriger, der nicht unter Vor-mundschaft steht, infolge geistiger oder törpcrlicherGebrechen einzelne seiner Angelegenheiten oder einenbestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondereseine VermögenSangelegenheiten nicht zu besorgen.so kann er für diese Angelegenheiten einen Pflegererhalten.Die Pflegschaft darf nur mit Einwilligung desGebrechlichen angeordnet werden, eS fei denn, daßeine Verständigung mit ihm nicht möglich ist.Die borstehenden drei Absätze, die wir— gleichsam als Mottoan die Spitze unseres Epilogs zum Schneidt-Prozeßstellen, bilden den tz 1910 des Bürgerlichen Gesetzbuches.das bekanntlich fürö ganze Deutsche Reich gilt, oder richtiger: geltensoll. In seinem interessanten Plaidoyer hat Dr. Halpert, SchneidtsVerteidiger, bewiesen, daß man in Beuthen, in Leubus. inSchlesien die Schutzbestimmungen des Z 1Ö10 nicht zu beachten fürnötig hält, ja mehr noch: er hat glaubhaft gemacht, daß man inDeutschland überhaupt die Rcchtswohltaten. die jener Gesetzes.Paragraph den Pslegschaftskandidaten angedechen lassen will, bisherin der Jrrenpraxis wenig oder gar nicht beachtete.Der Staatsanwalt, der alle Angriffe, die Schncidt erhobenhatte, für abgeschlagen hält, der Staatsanwalt, der kein Fehl ander schlesischen Provinzialverwaltung, an irgendeinen derbeamteten Beuthener oder Leubufer Aerzte zu entdecken vermochte.der Staatsanwalt, dem die Beachtung von Ministerialerlassen.Reglements und derlei Krimslramses wichtiger zu seinscheint als die Beachtung des Gesetzes, er mußte doch zugeben, daßbei der Einleitung der Pflegschaft wider Lubecki in der Tat diegesetzlichen Bestimmungen nicht beachtet worden sind, ja—- derHerr Staatsanwalt ging soweit, anzudeuten, daß der BeuthenerAmtsrichter, dem der grobe Verstoß gegen den§ 1910 de? Bürger-lichen Gesetzbuches zu Lasten fällt, unter Umständen gar Haft-pflichtig gemacht werden könnte! Und da wir gerade beim Staats-anmalt sind: er sprach über die P r i v a t- Irrenanstalten ungefährin derselben Weise, in der Kreisphhsikus Medizinalrat La Rocheaus Beuthen diese Institute— wir haben darauf mit Nachdruckhingewiesen— bewertet hatte!Wie die Behörden sich übrigens einen.guten Prozeß" zu sichernwissen, das legte der Angeklagte deutlich dar: Es treten nicht diebeleidigten Aerzte der Leubufer Anstalt als Kläger oder Nebenklägerauf, sondern ihr Vorgesetzter, der Landeshauptmann von Schlesien.stellt den Strafantrag. Welchen Effekt erzielt er damit? Die beleidigten,die interessierten Beamten, sie können urplötzlich eidlich aus-sahen, sie befinden sich also in einer dermaßen günstigen Position.daß schon Zeichen und Wunder geschehen müßten, wenn der Preß-sünder durch die Wucht dieser Scbwüre nicht erdrückt werden sollte.Daß die Verteidigung sich kein psychiatrische? Sachverständnisanmaßte, das versteht sich von selbst. Es hätte ihr auch wenig ge«nutzt. Aber nicht übel war die witzige und doch auch ernste Be-merkung des Dr. Halpert: daß die vielbesprochenen halbtägigen undlängeren Dauerbäder allerdings eine„wohltuende", eine„be-ruhigendc" Wirkung haben dürften: wenn nicht auf die Geisteskrankenoder nicht auf alle Geisteskranken, so doch auf alle Irrenärzteund alle Jrrenpfleger. die sich auf die einfachste Manier von derWelt die Last mit einem Schock unruhiger Geisteskranker vom Halsezu schaffen wiffen.Man sieht nach allem: die Forderung, die Schneidt, die Forde-rung, die SchneidtS Verteidiger, die Forderung, die bei gegebenerGelegenheit in den Parlamenten schon früher sozialdemokratischeAbgeordnete deS öfteren gestellt haben, sie trägt ihre Vollberechti-gilng in sich selbst: dem berühmten„diskretionären Ermeffen"(dasDr. Halpert mit dem Worte Willkür übersetzte), dem diskretionärenErmessen irgendwelcher Reichs-, Staats- oder Kommunalbeamlenmuß auch auf dem Gebiete der Jrreupflege sobald wie nur irgendmöglich daö Totenglöcklein geläutet werde».Schneidt ist zu seckS Woche» Gefängnis verurteilt worden---eine Strafe, die der scherzhafte Vorsitzende als milde bezeichnete.Wir wollen mit ihm hierüber und über dies und jenes andere nichtrechten. Muß dem Herrn Landgerichtsrat Spletistößer doch ein nichtgeringer Teil des Verdienstes zugesprochen werden dafür, daß esgelungen ist, in den vier Tagen des Prozeffe« eine Reihe von Fest-stellungen zu machen, deren Bedeutsamkeit im Kampfe um die Reformdes Jrrenivesens sich über kurz oder lang mit genügender Deutlich-keit ergeben wird._politifcbe(leberNcbt.Berlin, den 11. November 1903.Was Bülow„glaubt�!Die„Kreuz-Zeitung" beruft sich heute auf die AeußerungenBülows über den kaiserlichen Buren kriegsplan zumBeweise dafür, daß die Darstellung deS im„Daily Telegraph'veröffentlichten Interviews eine völlig irreleitende gewesen sei. DieLesart von dem Kriegsplan falle„in daS Kapitel der Miß-Verständnisse". Wir müssen dieser bewußten oder unbewußtenTäuschung der Oeffentlichkeit denn doch energisch ent-gegentreten!Bülows Erklärung lautete nach der„Kreuz-Ztg.", die offenbarden stenographischen Bericht zitiert, folgendermaßen:„Es handelt sich nicht um einen ausgearbeiteten, detailliertenFeldzngsplan, sondern um rein akademische Gedanken; sie warenan-idrücklich. wie ich glaube, als Aphorismen bezeichnet überdie Kriegführung im allgemeinen, die Te. Majestät der Kaiser inden, Briefwechsel mit der verewigten Königin Viktoria an«-gesprochen hat. ES waren theoretische Betrachtungen ohne jedepraktische Bedeutung für den Gang der Operationen und für denAusgang des Krieges."Weiter erklärte Bülow, daß sowohl der Chef des GeneralstavS,General v. M o l t k e, wie fein Vorgänger, Graf Schlieffen,erklärt hätten, daß der Generalstab niemals einen Feldzugsplan odereine ähnliche auf den Burcnkrieg bezügliche Arbeit dcS Kaisers ge-prüft oder nach England weitergegeben habe.Diese letztere Feststellung dcS Fürsten Bülow war nicht neu.Bereits die„Mit. Pol. Korr." hatte erklärt, daß die Leiter desGeneralstabs mit einem Kriegsplan gegen die Buren nichts zu tungehabt hätten. Dagegen, so versicherte die.Mil. Pol. Korr.", halteman es„in militärisch gut uuterrichteten Kreisen' für sehrmöglich, daß der General v. Mackensen oder der Generalv. B eseler, der zu jener Zeit Oberquartiermeister im General-stabe war und oft zum Kaiser befohlen wurde, einen solchen kaiscr«lichen Entwurf begutachtet habe. Die betreffende Korrespondenzfügte noch folgende positive Mitteilung hinzu:„Genera! v. B e s e l e r. jetzt Generaliuspelteur deZ Ingenieur-und PionierkorpS und der Festungen, hat auch in jenem Winterdes Jahres 1900 mehrfaw Kriegsspiele geleitet, die aufdem damals allerdings noch ziemlich primitiven südafrikanische»Wege- und Geländekartenmaterial gespielt winden und tat-sächliche kriegsmäßige Annahmen aus demenglischen Feldzug gegen die beiden Buren-republiken zur Grundlage hatten."Fürst Bülow hätte also auch die Mitteilungen über die Mit-Wirkung der Generale von Mackensen und von Beselerdesavouieren müssen, wenn er den Eindruck der Wahrscheinlichkeitkür seine Behauptung erwecken wollte, daß es sich um keinenKriegsplan, sondern nur um„rein akademische Gedanken", um„allgemeine Aphorismen" gehandelt habe. Im übrigen war ja derReichskanzler selbst so vorsichtig, dieser Darstellung der Dingeein„wie ich glaube" hinzuzufügen! Der Reichskanzler hat eSalso nicht für notwendig erachtet, sich eine genaue KennMiSder Vorgänge zu verschaffen. Offenbar nur. um eine so Harm-lose Darstellung geben zu können lDaß der Glaube deS Reichskanzlers ein gutgläubiger Wahn ist,ergibt sich ja zu alledem aus den Aklenstücken selbst. DaS InterviewdeS„Daily Telegraph" sprach nicht nur von einem Kriegs»plan, der mit Hilfe der deutschen Generalität ausgearbeitetworden sei, sondern auch davon, daß dieser Plan einegroße Aehnlichkeit mit dem gehabt habe, nachdem Fe l d mars ch a l l R o b e r t s bald darauf in Süd-afrika seine Altionen eingerichtet habe! Und derWortlaut dieses Interviews hat doch dem Kaiser selbst, alsodem sachkundig st en Beurteiler selbst vorgelegen l Denn nachder Erklärung der„Norddeutschen Allgem. Zeitung"war eS ja der Kaiser selbst, der den Wortlaut des im„DailyTelegraph" veröffentlichten Interviews dem Fürsten Bülow zurPrüfung übersendete. Natürlich nur zu einer Prüfung der polt-tischen Gefährlichkeit oder Ungesährlichkeit. Denn den tat-sächlichen Inhalt konnte ja nur Wilhelm II. auf seineRichtigkeit hin kontrollieren, wie er ihn ja zweifellos auchgeprüft und für richtig befunden hat I Dieser kaiserlichenAttestierung der R i ch t i g k e i t der Darstellung des Interviews gegen-überhat also das„Wie ich glaube"-Demc»ti BülowS auch nicht einmaldas Gewicht einer Flaumfeder! Alle Versuche deS Leugnens derwirklichen, wenn auch noch so peinlichen Tatsachen beweisen also nurdas eine, daß man die Politik der plumpen Täuschung auch nach derletzten diplomatischen Katastrophe ungeniert fortzusetzen wagt!—Stadtverorduetcnwahlen in Frankfurt a. M.Frankfurt, den 10. November.Am Donnerstag, den IS. November, finden in Frankfurt a. M.die Wahlen zum Stadlparlament statt. Ein Drittel der Stadträtescheidet alle zwei Jahre aus der Stadtverordnetenversammlung aus.Bon den 22 Mandaten, die diesmal neu zu besetzen sind, hatten dieDemokraten 13, die Freisinnigen 2. die Nationalliberalen S unddas Zentrum einen Sitz inne. Drei größere Parteigruppen stehen sichgegenüber und kämpfen um die Mandate: die Sozialdemokratie, dieLiberalen und die Mittelständler.Auf der Kandidatenliste der Mittelständler stehen auch die Namenvon zwei Demokraten, zwei Nationalliberalen und vier Zentrumsleuten.Die Demokraten, Freisinnigen und Nationalliberalen bilden, wiebei den letzten Wahlen, wieder ein bürgerlich-liberales Kartell. IhreListe enthält: 12 Demokraten, S Nationalliberale und 4 Freisinnige.Die Nationalsozialen, die den Demokraten bei der Reichstags- undLandtagSwahl treue Wahlhilse leisteten und denen ursprünglich zweiMandate zugebilligt wurden, sind auf der Liste leer anSaegangen.Sie faßten deshalb eine Resolution, in der sie„aufs schärfste miß-billigen, daß der nationalsoziale Wahlverein trotz uneigennütziger undaufopferungsvoller Mitarbeit bei allen Reichstags-, Landtags- undStadwerordnetenivahlen von linksltberaler Seite bei der Auf-stellung der Kandidaten nicht zugezogen worden und sein Anspruchauf Ueberlaffung eines aussichtsreichen Stadtverordnetenmandatsvon linksliberaler Seite abgelehnt worden ist". Trotzdem bittetder Nationalsoziale Verein seine Mitglieder, sich bei Abgabe ihrerStimmen bei den Dahlen nicht von persönlicher Verstimmung.sondern ausschließlich von sachlichen Erwägungen leiten zu lassen.Er fordert sie deshalb auf,„für die linleliberalen Kandidaten, alsdie politisch nächststehenden zu stimmen".Die Sozialdemokratie zieht mit guten Hoffnungen in denWahlkampf. Sie hat dieses Mal keine Sitze zu verteidigen,sondern nur zu erobern. Am anssichtSrcichsten für die fozialdemo-kratifche Partei sind die Wahlen in Bornheim und Bocken-heim. In beiden Bezirken siegten bei der letzten Wahl vorzwei Jahren unsere Kandidaten. In Bockenheim schon bei der Haupt-mahl, in Bornheim bei der Stichwahl. In letzterem Bezirk scheiden3 Stadtverordnete aus— zwei Demokraten und ein NationaMberaler,in Bockenheim ein Demokrat und ein Freisinniger. Der Kampfist in beiden Bezirken ein sehr hartnäckiger und heißer;doch ist zu hoffen, daß die sozialdemokratischen Kandidaten schon inder Hauptwahl die Mandate erobern. Sehr günstig ist die Situationfür unsere Partei auch in Niederrad. Es ist demnach wahrschein-likh, daß die sechs Mann starke sozialdemokratische Stadlverordnetenfraktion durch die Wahlen nicht unwesentlich verstärkt wird.—Wahlrechtsänderung in Oldenbirrg.Dem Oldenburger Landtage ist wieder der Wahlgesetzenttvurfzugegangen. Das betreffende Gesetz, daS eine Aenderung des Staats-grundgesetzes bedingt, muß nämlich von zwei aufeinander folgendenLandtagen beschloffen werden. Den letzte» Landtag hat eS bereits bc-schäfligt. In der bei Eröffnung des gegenwärtige» LandlageS verlesenenThronrede bedielt sich die Regierung einige„durch die früheren Vcr-Handlungen notwendig gewordene Aenderungen" vor. Nach deinvorliegenden Entwürfe sollen statt der bisherigen zehn insgesamt22 Wahlkreis« gebildet werden. Die WahUreisgeometrie soll sichan die bestehenden Aemter anlehnen, nur die beiden zum Groß-Herzogtum gehörigen Fürstentümer Lübeck und Birkenseld sowie dieAemter Rüstringen und Vechta sollen geteilt werden. Die mit derEinwohnerzahl steigende Abgeordneteitzahl. wie sie im jetzigen Gesetzans der Grundlage von 10 000 Einwohnern für jeden Abgeordnetenbesteht, soll dauernd festgelegt werden, und zwar beabsichtigt der Ent-.warf, ein für allemal die Bevölkerungsziffer der Volkszählung von1903 zugrunde zu legen. Jnfolgedesicn tvürde die Zahl der Abgeord-neten stets 43 betragen. Alle zwanzig Jahre soll eine Neueinteilunader Wahlkreise vorgenommen werden. Im übrigen sieht der Ent-wurf, wie auch der vorjährige, eine dreijährige Karenzzeit für dieWahlberechtigung und eine jünsjährige Legislaturperiode vor. Da-gegen soll die Ausübung dcS Wahlrechts nicht mehr an dieStaatsangehörigkeit geknüpft werden; auch ist derKreis der Wahlberechtigten nicht unerheblich erweitert. Die voneinem Teil des Landtages im Vorjahre geforderte Wahlpflichtlehnt der Entwurf ab. Das Wahlrecht selbst soll direktanstatt wie bisher indirekt ausgeübt werden.Auslandsstimmen über die Bülowrede.Der„Daily Telegraph" weist heute aus das energischste der.Versuch Bülows, die richtige Wiebergabe der kaiserlichen Aeußerungenin Zweifel zu ziehen, zurück. DaS Blatt erklärt, eS hätte dafürgesorgt, daß ein so wichtiges Dokuntent nicht in die Welt hinaus-geschickt werde ohne die strengsten Bürgschaften dafür, daß derKaiser die Veröffentlichung wünschte und daßder Inhalt den Ansichten deS Kaisers ent-sprach. Als Fürst Bülow gestern im Reichstag erklärte. iu>Bericht deS„Daity Telegraph' kämen Ungenauigkeiten vor. Hab« erwohl vergessen, daß das Dokument den amtlichen Er-laubniSstempel trug, als eS von Deutschland in die RedaktiondcS„Daily Telegraph' zurückkam. Merkwürdig sei auch die Be-hauptung deS Fürsten Bülolv. daß der Kaiser keinen Feld-zugsplan gegen die Buren ausgearbeitet habe, sondern mir«Aphorismen". Das Blatt fragt:„Wie stinunt diese Angabemit der Erklärung überein, daß die Beatnten des AuswärtigenAmtes den Bericht aus seine hi st ortsche Richtigkeit ge-prüft haben?"Die Rede Bülows findet im Auslände überwiegend ungünstigeKritik. Der„Standard" meim, daß alles beim alten bleibe.Die Ohnmacht des Parlaments sei offenkundiggeworden gegenüber einem energischen Kaiser und einem Kanzler.der entschlossen ist. den Kaiser zu unterstützen. Etwa« oplimistischcrurteilen die französischen Blätter. So sagt der„Figaro":„ES wäre verfrüht, zu behmipten, daß sich etwas geändert habe, aberoffenbar ist etwas im Begriff, sich zu ändern. Die öffentlicheMeinung und der Reichstag Übernehmen eine Rolle, die sie bishernicht gespielt haben. Jene, die bisher schwiegen, reden heute undwagen zu verlangen, daß diejenigen, die bisher allein und gar zuoft sprachen, schweigen mögen. DaS ist eine beachtenswerte undtiefgehende Neubildung, die nicht mehr aufzuhalten sein wird."Die„Hnmanitü" sagt:„Die letzten, zugleich tragischen undgrotesken Tage find geschichtliche Tage. Sie bedeuten den Bank-rott der Diplomaten und Negierenden und eröffneneine neue Aera der Völkerbeziehungen. ES hat den Anschein, alswollte die europäische Menschheit ihre Angelegenheitenin die eigene Hand nehmen, eS bedeutet vielleicht denRegierungsantritt der Regierten."Mehrere Blätter geben der Ueberzengung Ausdruck, daß dieStellung Bülows doch auf die Dauer unhaltbar fei und er sichnach Schluß der parlamentarischen Session wird zurückziehe ttmüssen.'Freist«««nd Wahlreform.In der„ N a t i o n a l- Z e i t u n g" lesen wir:„Wie Ivir von ptitnnterrichieter Seile hören, wetden die Vorarbeiten für die preußische Wahtrcform im landesstatistischen Amtt u n l i ch st b e s ch! e u u i g t. Die Gruppierung der Wahlziffernnach den vom Minister deö Innern angeordneten Gesichtspituktendürste demttiichp beendet sein. Es wird allgemein angenommen.daß das Gesetz über die Abänderung dcS preußischen Wahlrechtsim Herb st 1910 vor den Landtag gelangt."Nach dieser Beruhigungspillc der„National- Zeitung"sollen wir also auf den preußischen Wahlreformgesetzentwuri„nur" noch zwei Jahre zu warten haben! Da die„National-Zeitung" diese Meldung ohne jeden Koiumentaidurch Sperrdruck wiedergibt. scheinen sich die HerrenNationalliberalen mit dieser Verschleppung derWahlreform bereits vollständig abgefunden zuhaben. Man hofft offenbar, daß nun auch der Freisinninfolge der„tunlichsten Beschleunigung" der Vorarbeiten undder für 1910 in Aussicht gestellten Vorlage alle F o r-dcrungen zurück st cllen und der verheißenen Wahl-reform geduldig entgcgenharren wird.Sache der entrechtete» Massen ist es, dem Freisinn mitdem denkbar größten Nachdruck klarzumachen, daßdie preußischen Heloten gar nicht daran denken, auch„nur"zwei Jahre zu harren, bevor ihnen in Gestalt eines offiziellenWahlgesetzentivurfes die abermalige Bestätigungdessen zuteil wird, daß die Negiernng gar nicht au eine