Nr. 134.
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Vorwärts
10. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Sonnabend, den 10. Juni 1893.
Die Domänenpächter. graufiger als es ein Höllenbreughel malen könnte, bringt
Auch ein Wort zum 15. Juni.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Der Bächter gerieth infolge wiederholter Mißernten in finanzielle Schwierigkeiten und gewann schließlich die Ueberzeugung, daß er sich in der Pachtung nicht behaupten könne. Er beantragte deshalb Ende 1889, ihn aus der Pachtung zu ent lassen, welchem Antrage, da der Pächter nicht mehr im stande war, seine Pachtverbindlichkeiten zu erfüllen, im eigenen Interesse des Fistus in der Art entsprochen wurde, daß die Auflösung des Pachtverhältnisses zu Johannis 1891 stattfand." Bericht S. 3. Wenn ein armer Teufel mit Steuerbeträgen im
der idyllisch- patriarchalische Sinn unserer Regierung eine anmuthende Abwechslung. Während jährlich Tausende kleiner Geschäftsleute, Handwerker, Kleinbauern, Krämer wirthschaftHerr von Heyden, unser preußischer Landwirthschafts- lich verfallen, ein Opfer der Gerichtsvollzieher, der Konkurs Minister, hat im vorigen Jahre den Muth gehabt, das verwalter, der Hypothekengläubiger, der Banken, ohne daß offen herauszusagen, was bisher in aller Gemüthsruhe ber Staat etwas anderes thut, als die Diener der Rechtsschweigend praktizirt worden ist. Dieser agrarische Sozialpflege gegen die Verschuldeten und zu Grunde Gerichteten politiker, der freilich trotz seines heißen Bemühens den Sippen und Magen der stamm und berufsverwandten 3 bewaffnen und fich für sein bestempeltes Papier, für Junkerschaft noch immer nicht ganz zu Paß fommt, weil Sporteln und Abgaben den letzten Groschen zu holen, Rückstande ist, wenn er eine Schuld nicht rechtzeitig enter angeblich nicht thatkräftig genug gegen die Handels- schmilzt unserem Landwirthschafts- Minister das gute Herz, richten kann, verfällt er unweigerlich der harten Zwangsverträge Front gemacht hat, Herr von Heyden alfo erklärte bald ein Domänenpächter vor dem Bankerott steht. Hier vollstreckung, und sein Bischen Fahrhabe wandert auf die ist im Frühjahr 1892 in der Landrathskammer, daß er die die Roſe, hier tanze, denkt er, und zierlich bewegt der Pfandkammer. Doch wir kommen nun zu den PachtPolitik verfolge, abgehausten Domänenpächtern stets ein gnadenreiche Genosse der Agrarier das seidenbestrümpfte gelderlassen. Fackeltanzbein, um mit den Domänen- Bächtern ein PachtExistenzminimum zu sichern. An Pachtgelbrückständen sind erlassen nachlaß- Tänzchen zu tanzen. Wem hier nicht der worden: a) 11 000 Mark der früheren Pächterin der zottige Mannesbusen vor Dankbarkeit über die Sozialreform Domäne Gauleden im Kreise Wehlau , Regierungsbezirk unserer Gewaltigen überquillt, ist ein Barbar, er sei auch Königsberg , b) 8000 Mart dem früheren Pächter der wer er sei". Domäne Hallberg im Kreise Obornik , Regierungsbezirk Posen , c) 7500 Mark dem früheren Bächter der Domäne schütz im Kreise Wongrowis, Regierungsbezirk Bromberg , d) 4600 Mark dem früheren Pächter der Domäne Blankenau im Kreise Fulda , Regierungsbezirk Raffel.
Die Großpächter gehören durchgängig zu den lautesten Rufern im Streit für Brot- und Viehzölle, für Liebesgaben und Viehsperren, für junkerfreundliche Klanseln in Handelsverträgen und für Differentialtarife, für Einschränkung der Bricht ein Bäuerlein oder sonst ein unglückseliger Freizügigkeit und für Mehrbelastung der Armen, für Ver- Vertreter des Kleinbesizes im Wettbewerb mit dem über ewigung der thatsächlichen Hörigkeit unserer Landarbeiter durch mächtigen Großkapital zusammen, so mag er den weißen die Gesinde- Ordnung und das Koalitionsverbot. War es nicht Stab in die Hand nehmen und sich durchschlagen, wie er's der allerdings städtische Bächter Herr Ruprecht auf Ransen, eben vermag. Er mag fich trösten mit den zahllosen der in der„ Landwirthschaftlichen Thierzucht" zuerst den Rufer Arbeitern, die nicht eigene Schuld, sondern die wahllos Wittwe bewirthschaftet, die von 1883 an 6000 Mart Bacht hob: Schreien wir, schreien wir, schreien wir!", der die blinde Tücke der Krisis, das Dhngefähr unserer zügellofen Agrarier auf den Kriegspfad und nach Tivoli führte und Wirthschaftsweise schaarenweise außer Brot wirft und auf die zu zahlen hatte. Nach dem Bericht war diese Pacht zu den Fachverein der Brotvertheurer, den Bund der Land- Landstraße treibt. Arbeitshaus und Gefängniß, Polizei- boch, dazu kamen Mißernten und andauernde Krankheiten in der Familie. wirthe", stiften half?
chikanen und Armenkost stehen dem Arbeitslosen, dem
Hat also solch ein Großpächter abgewirthschaftet, so Glenden zu Gebote, und fällt er hungrig her über die beginnt auch geradezu selbstthätig das für die Junker- ungeschmälzte breite Bettelsuppe der öffentlichen Armenintereffen eingestellte Uhrwerk preußischer Sozialpolitik von pflege, so äßt ihm die christliche Liebe das Brandmal Oben zu wirken, und mit Wehmuthsthränen im Auge politischer Rechtlosigkeit auf die sorgenschwere sieht Herr von Heyden, Gemüthsmensch vom Wirbel Stirn, fie raubt ihm das einzige Recht, daß er besitzt, das bis zur Zehe, den bankrotten Pilger von dannen ziehen, Wahlrecht. Kein Minister steht ihm hilfreich zur Seite, nicht ohne ihm den Rucksack mit der landesüblichen Beh- und wenn er feinen Mieths, zins" nicht entrichtet, wird er rung und den Beutel mit reichlichem Viatikum gefüllt zu ohne Gnade ermittirt. Gehörte er nicht zum gemeinen haben. Keine andere Klasse der preußischen Staatsbürger Böbelvolt, das für die Besitzenden den Reichthum fann sich rühmen, daß der Staat in ihrer Bedrängniß ihr schafft, um felbst in der Misère zu verenden, auf diese Weise zu Hilfe komme. Kein anderer Steuer- träte er in wohlgeschmierten Thranstiefeln als Domänen zahler, sei auch bei ihm die Noth der stete Tischgenoß pächter staatlichen Grund, wie anders wirkte dies Zeichen und der Hunger der treueste Kamerad, wird von den auf ihn, den Minister für agrarische Sozialpolitik, ein! weichen Händen dieser christlich borussischen Nächstenliebe Soeben ist der Bericht der Rechnungszum sicheren Port geführt, wie gerade die außerlesenen Glieder Rommission über die Uebersicht von den der preußischen Staatsgemeinschaft, die auf Staatsdomänen Staatseinnahmen
T
Die Domäne Gauleden wurde von einer alten
Der Bericht sagt nun:
Die Wittwe gerieth in Schulben und allmälig in eine fo bedrängte Lage, daß sie sich außer stande sah, ihren vertragsmäßigen Verpflichtungen zu genügen, und die Auflösung des Pachtverhältnisses zu Johannis 1891 unvermeidlich war. Die Bächterin, die sich jederzeit und unter Auferlegung persön licher Entbehrungen die sorgsame... Bewirthschaftung der Domäne hatte angelegen sein lassen, war bei ihrem Ausscheiden aus dem Pachtvertrag bereits 66 Jahre alt und völlig erwerbsunfähig. Sie hätte, wenn seitens des Fistus die volle Deckung der Bachtrückstände verlangt wäre, die Domäne nahezu gänzlich( welches Deutsch!) mittels Ios verlassen und wäre dem Elende preisgegeben, da ihre Kinder in bescheiden en Verhältnissen leben und nicht im stande sind, ihr die zum Lebensunterhalt erforderlichen Mittel zu gewähren."( Bericht, S. 5.) Hier also springt der Staat hilfreich ein, während die Staatsausgaben greife Proletarierin im besten Falle der Armenfaßen. Durchgängig ist allerdings das Domänenpachten für das Jahr vom 1. April 1891/ 92- Nr. 21 pflege verfällt oder darauf hingewiesen wird, daß sie ja in ein sehr einträgliches Geschäft, wie die Statistik der Ver- der Drucksachen dem preußischen Abgeordneten vier Jahren die Altersvente oder sofort gar unter Umpachtungen, der Bacht- Binse" u. dergl. ergiebt. Wie oft hause zugegangen. Und gar erbaulich ist's darin zu ständen die Invaliditätsrente beziehen könne. Was aus bringt die Presse Nachrichten über die Angebote bei Ver- blättern. Auf der zweiten Seite schon hebt das Hauptstück: den alten Leuten der besizlosen Klasse wird, kümmert die pachtungen, aus denen Eines erhellt, daß der Durchschnitts- Domänen an, und dort erfahren wir Allerlei über borussische Sozialpolitik nicht. Die„ Kinder", die Domänenpächter gut gebettet, das heißt ein unterm den Ertrag von Domänenvorwerten. Höret! in" bescheidenen" Verhältnissen leben, sollten feine alte Strohdach" vegetirender Junker ist, der elf Monate Die Domäne Tornow im Kreise Landsberg a./W., Frau mit durchschleppen können, da doch die Regierung " barben" muß, um im zwölften das Gläschen Sett des Regierungsbezirk Frankfurt a./D., umfaßte rund 658 Heftar. den Armen die Fürsorge für ihre Alten aufhalft, in nothleidenden Landwirths trinken zu können! Sie war zuletzt auf die Zeit von Johannis 1883 bis dahin ihrer Freizügigkeits- Novelle die Unterstützungspflicht bis 1901 für einen jährlichen Pachtzins von 9301 M.( ein zum Aeußersten steigert und auf ihre Unterlassung harte schließlich 31 M. Jagdpachtgeld) verpachtet worden. Strafen fett!
In das Düster des gesellschaftlichen Elends, das unser Gegenwartsstaat vor dem Auge des Beobachters aufrollt,
Feuilleton.
Na brud verboten.)
Vom Stamm gerissen.
Von Elise Schweichel.
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Das Mahl verlief in der heitersten Stimmung, dant dem ungenirten naiven Geplauder von Frau Malm, die in ihrem wirklichen oder eingebildeten Triumph über jene Engländerinnen schwelgte und mit Dettinger so vertraut that, als hätte sie ihn von Kindheit an gekannt. Am Schluß machte sie den Vorschlag, morgen zusammen nach Genf zu gehen. Sie kenne das waadtländische Ufer nun schon ausund inwendig und hätte eine Abwechselung dringend nöthig.
Dettinger bedauerte indessen, die Damen nicht begleiten zu können, da seine Pflichten ihn in Lausanne festhielten.
Die veränderungssüchtige schöne Frau war zwar untröstlich darüber, meinte aber doch, die Fahrt nicht aufschieben zu können; übermorgen sei ja Sonnabend, da rechne sie bestimmt darauf, daß er am Nachmittag nachkäme und den Sonntag mit ihnen in Genf zubrächte. Ihr Bleiben hinge ganz davon ab, wie es ihr in Genf gefiele.
Champuis tommend, in Beau Rivage nachfragte, erfuhr er, daß die Damen wirklich fort seien, die Zimmer aber noch belegt hätten. Erleichtert athmete er auf, indessen wich die Betlommenheit nur halb, denn was konnte bei der Ruhe losigkeit und dem Wankelmuth der schönen Frau nicht alles geschehen? Sein Ballon, sein Paradies, das nun täglich schöner fich entfaltete, wollte ihm teine Freude mehr machen. Die Einsamkeit drückte und beängstigte ihn. Schon sann er ernstlich darüber nach, ob er nicht nach Genf fahren sollte, als er einen Brief von dort erhielt. Er war von Frau Malm:
" Liebster bester Herr Dettinger!
Es ist schauderhaft hier. Ich halte es teine Stunde länger aus. Wir kommen. Aber in das Hotel will ich nicht zurück. Ich habe das Parliren um mich satt. Er barmen Sie sich und sehen Sie sich nach einer Villa für uns um. Aber machen Sie nur auf einen Monat ab, man fann nicht wiffen, ob man länger bleibt. Alles Uebrige lege ich in Ihre Hände. Auf Wiedersehen morgen Abend. Viele schöne Grüße von der Kleinen.
Ganz die Ihrige
Adeline Malm."
das sein Eigen zu nennen nur einem Sonntagskinde bescheert sein tönnte. Sogleich ging er zu dem Notar, der Villa und Weinberg verwaltete, und brachte die Sache mit ihm ins Reine. Am nächsten Abend konnte er der reizenden Villa ihre neuen Bewohnerinnen zuführen.
Frau Malm war natürlich von allem entzückt, am meisten von der Stille. Ach, wie himmlisch still und ruhig es hier war! Sie sei der Ruhe so sehr bedürftig. Nur nicht dieses lärmende Genf ! Sie möchte sich am liebsten ganz von der Welt zurückziehen, nur still für sich und dem Andenken ihres lieben thörichten Alten leben! Indessen sollte Herr Dettinger dies nur ja nicht so wörtlich nehmen, sondern sie fleißig besuchen. Alle Tage wünschte sie ihn zu sehen. Das sollte ein reizendes Leben zu dreien werden.
Und das wurde es denn auch. Fast jeden Abend stellte fich Dettinger ein und bot seine ganze Unterhaltungskunst auf, Frau Adeline zu zerstreuen und von Aufbruchsgedanken fern zu halten.
Die Vorstellung, daß sie fortgehen und Tussy entführen tönnte, war ihm unerträglich.
Inzwischen war es Ende Mai geworden. Der Wein blühte, Jasmin und Rosen rankten sich bis unter das Dach Herr Gott, war er diesmal glücklich über den Wankel - der Billa und lugten in Tussy's Mansardenfenster hinein, muth und die Rathlosigkeit Frau Adelinens! Er lachte laut an dem sie, wenn Dettinger sich entfernt und Frau Malm für sich ganz allein. Eine Villa brauchte er nicht erst zu fie entlassen hatte, sehr oft, die Hände auf die Brust gepreßt, Dettinger war plöglich alle Freude vergällt. Er hatte suchen. Er wußte von einer, die, obgleich ganz eingerichtet, stand und auf den im Mondlicht glitzernden See und die darauf gerechnet, Tussy längere Zeit in der Nähe zu be- verlaffen stand. Sie gehörte einem jungen Gelehrten, dessen dämmernden Alpen schaute. Was war es, das die Seele halten. So sehr ihm auch Frau Malm gefallen hatte, fie Bekanntschaft er in den ersten Tagen seines Hierseins gemacht des Mädchens in Träumerei und Sinnen versenkte? War erschien ihm jetzt als schlimmste Egoistin. Er gab kein be- und der gleich darauf nach Paris übergesiedelt war. Das es die Vergangenheit, war es die Zukunft? stimmtes Versprechen, und traurig nahm er vorläufig Ab- Häuschen mit der fonvolvulus, jasmin- und rosenüber- An einem wunderschönen Sonntagmorgen, wo die ganze schied, um den Heimweg anzutreten. sponnenen Veranda, von der sich Weingelände bis ans Seeufer Natur im Festgemande strahlte, die Berghäupter wie Edelhinabsentten, war ihm immer wie ein kleines Eden erschienen, gesteine funfelten und blizten, während der See noch in
Als er am folgenden Vormittage, aus der Pension