it. 92. 27. Jahrgang.1. Deilagk des Jorniöttf SttlinctDonnerstag. 21. April(910.ReichstagSS. Sitzung Vom Mittwoch, den 20. April,mittags 12 Uhr.Am BundeSratStisch: Kommissare.Aus der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Beratungdes Entwurfs einerReichsverflcherungSordnung.Abg. Enders(Forlschr. Vp.): Es mehren sich die pessimistischenStimmen, daß das Gesetz scheitern werde. Wir würden das sehrbedauern; wir wünschen, dast es zustande kommt und daß mit ihmzugleich noch in dieser Session ein Heimarbeitergesetz in Kraft tritt;das geplante bringt freilich den Heimarbeitern wenig Hilfe,desto mehr Plackerei und Belästigung. Etwas Hilfe da-gegen bringt ihnen die Einbeziehung in die Krankenversicherungdurch diese Vorlage; auch die Halbierung der Beiträge fürdie Heimarbeiter zu den Krankenkassen findet unfern Beifall. Abernicht die Löhne, sondern der Umsatz in den Heimarbeitsartikeln mußzum Maßstab der Bcitragspflicht gemacht werden; sonst gibt dasunendliche Plackereien für die Industrie und ihre Bereitwilligkeit zuneuen Lasten wird schwinden. Dafi die Heimarbeiter in den Landkrankenkassen versichert werden sollen, ist UNS unverständlich; wirlehnen die Landkrankenkassen, wie schon der Abgeordnete Mugdanhervorhob, überhaupt ab. Aus Einzelheiten gehe ich nicht ein;ich bcrone nur noch zum Schlufi, daß wir für einen der wichtigstenPunkte die Familienvers icheruug der Hausarbeiterhalten.(Bravo I bei der Fortschrittlichen Volkspartei.)Abg. Schmidt-Berlin(Soz.):In dem Entwurf ist der Kritik der Arbeitgeber an dem früherenEntwürfe vollständig Rechnung getragen, nicht aber der der Arbeit-nehmer. So hatten die Berufsgenossenschaften verlangt, datz dasVersicherungsamt keine Befugnis bekommen soll, bei den Ermitte-lungen der Unfälle und der Festsetzung der Renten mitzuwirken.Die Vorlage kommt diesem Wunsche nach. Ferner wünschten sie,daß die Versicherungsämter die Unfallverhütungsvorschriften über-wachen sollten. Auch hier ist der Bundesrat ihrem Wunsche gefolgt.Ebenso ist der Bundesrat in einer Reihe von untergeordneten Fragenden Wünschen der Interessenten entgegengekommen, so das; sie auf demDeutschen Handelstage und aus der Versammlung des Bundes deutscherIndustrieller im allgemeinen ihr Einverständnis mit der Vorlage auS«drückten. Bedenken erhoben sie nur gegen die Regelung der Aerzte-frage und gegen die Einbeziehung der Heimarbeiter in die Kranken-Versicherung. Auch der Zentralverband Deutscher Industrieller hatausdrücklich die Halbierung der Beiträge für die Krankenkasse gut»geheißen. Interessant war. daß aus seiner Versammlung auch Ver»treter der konservativen Parteien teilnahmen,und gleichfalls die Tendenz zur Beeinträchtigung der Selbst-Verwaltung der Arbeiter billigten. Diese Sitzung des Zentralverbandeszeigte zum ersten Male die enge politische Verbindung derAgrarier mit dem Bunde deutscher Industrieller. Diese Freundschaftwird wohl durch die Aussicht auf den Zeatralwahlfoubs des Bundesgestützt, auf welchen die Herren von der agrarischen Mehrheit nichtden Nationalliberalen die einzige Anwartschast einräumen wollen.sondern zu dem sie sich auch als Gäste einstellen.(Heiterkeit undSehr gut I links.) Es macht sich das eigenartig in der Zeit desHansabundes, welcher die Industrie gegen die agrarischen Ansprüchevereinigen will. Aber wir wissen ja, daß ein gewisser Gleichklangin der Wirtschaftspolitik für Agrarier und Groß-Jndustrielle besteht,die in der Schutzzollpolitik ihre Interessen vertreten.(Sehrwahr l bei den Sozialdemokraten.)In der Vorlage vermissen wir die einheitliche Gestaltung derganzen Organisation. Noch im Jahre 1903 hat der Reichstag ein»stimmig eine Resolution angenommen, in welcher er wünschte, diedrei Versicherungsarten zum Zwecke der Vereinfachung und Ver»billigung in eine organische Verbindung durch ein Gesetz zubringen. Auch Graf Posadowsky hat sich dieser Resolutionsympathisch gegenübergestellt. Später aber hat man sich daraus be»schränkt. zunächst nur einen einheitlichen Unterbau für dieArbeiterversicherung zu finden. Aber auch diese Aufgabe istnur unvollkommen gelöst und der Entwurf ist gegenüber demstüheren verschlechtert. Der einheitliche Unterbau ist jetztinsofern ausgeschaltet, als die Berufsgenossenschaften für ihn nichtmehr in Frage kommen. Und dem Träger des Unterbaues, denBerstcherungsämlern, werden Aufgaben zugewiesen, die keineswegseinheitlich sind. Auch die Vertretung der Arbeiter an diesen Ver-flcherungsämtern ist ganz unbefriedigend gelöst, wir haben für siedas indirekte Wahlsystem, während wir ein direktes Proportional-Wahlrecht fordern. Bei den L a n d k r a n k e n k a s s e n, denenjede Selbstverwaltung genommen ist, soll die Gemeindebehördedie Wahl der Arbeitervertreter vornehmen. Hier ist also vonKleines feuilleron.Alkoholismus im klassischen Altert««. Es ist alle? schon da-gewesen, und eine neue, moderne Völkergeißel ist nicht einmal derAlkoHolismuS. In einem Artikel, den sie den antialkoholischenKongressen der jüngsten Zeit widmet, erinnert eine französische Zeit-schritt an die im übrigen nicht ganz unbekannte Tatsache, daß Plato,Aristoteles. Plutarch und sogar der freundliche Anakreon sich inihren Schriften mit dem Alkoholismus beschäftigen. Plutarch spricht.wie ein mit allen Gesetzen der Vererbung vertrauter gerichtlicherSachverständiger aus unseren Tagen, von der Degeneration der Kinderunverbesserlicher Alkoholisten. Drako, der bekanntlich ein sehr strengerHerr war, bestrafte Trunkenheit mit dem Tode. Wenn die moderneGesellschaft auch so streng wäre, würde jedes Volk Tausende vonScharfrichtern anstellen müssen. Colon war nicht ganz so hartherzigwie sein Kollege Drako: er ließ die Trunkenbolde nicht bald umeinen Kopf kürzer machen, bestrafte aber im übrigen sinnloseTrunkei<.nt, besonders wenn sie bei staatlichen Beamten vorkam,auch sehr hart. Nach einem seiner Gesetze war es verboten, beiöffentlichen Gastereien ungeinischten Kein zu trinken, man mußtedamals viel Wasser in seinen Wein tun. Weinhändler, die ungewäsiertenWein in den Handel brachten, wurden den Gerichten übergeben; dieWeinpanscher unserer Tage werden, wenn sie solches lesen, sichervoll Entzücken ausrufen:.Ein weiser Richter, ein gerechter Richter!"Interessant ist auch die Tatsache, daß Solan Leuten, die in derTrunkenheit ein Verbrechen begingen, keine„mildernden Umstände"zuteil werden ließ. Aristoteles ging später sogar noch einen Schrittweiter: er erklärte, daß der Trunkenbold, der ein Verbrechen begehe,doppelt schuldig sei, erstens darum, weil er sich leichtsinnig in denZustand der Trunkenheit versetzt, und zweitens darum, weil er dasVerbrechen begangen habe. Wie Lykurg es machte, um seinenSpartanern das Trinken zu verekeln, weiß man: er zeigte ihnen,wie widerlich sich die Heloten im Rausch benahmen, und flößteihnen auf diese Weise Abscheu vor dem Dämon Alkohol ein.Eisenhaltige Begetabilien. Die Ansicht, daß der Spinat daseisenreichste Gemüse sei, ist nicht nur in Laien», sondern auch inAerztekreisen weit perbreitet, aber wie die Untersuchungen vonHaensel ergeben haben, irrig, denn nach diesen Untersuchungen hatvon allen Begetabilien, die zur Nahrung verwendet werden, derKopfsalat den größten und der Spinat den geringsten Gehalt anEisen. Wenig bekannt ist die Tatsache, daß auch die Kartoffel(m-lAuum Kern um) eisenhaltig ist. Nächst dem Kopfsalat besitzen dieBlätter des Kohlrabi den größten Eisengehalt. Es folgen dannin absteigender Reihenfolge: Winterkohl, Endivien, Kartoffel undSpinat. Bei der Bedeutung der Mineralstoffe für die Ernährungeiner wirklichen Vertretung der Arbeiter gar keine Rede. Bedenkenerregt ferner, daß das Vcrsichcrungsamt eine gutachtlicheInstanz, ferner eine entscheidende Instanz und dannwieder eine Aufsichtsinstanz sein soll. Im allgemeinen stehenwir der Einrichtung eines allgemeinen Unterbaus für die Versicherungnicht ablehnend gegenüber. Denn eine solche einheitliche Organi-salion kann sehr viel Nutzen herbeiführen, vor allem, weil wirdann eine Behörde hätten, die dauernd mit der Arbeiterversicherungzu wn hat.Außerordentlich bedauern wir, daß das Reichsversicherungsamtals Revisionsinstanz bei Unfällen fast ganz ausgeschaltet.werden soll. Zu dem schiedsgerichtlichen Verfahren können wirVertrauen auf eine eingehende Behandlung nicht haben. Ich erinneredaran, daß oft in einer Sitzung, also in 3—4 Stunden 45 Sachenerledigt werden. Unmöglich können dieselben gründlich verhandeltund der Rentenanspruch sachgemäß ermittelt sein. Deshalb muß denVersicherten ein Rekurs möglich sein. Weiter kommt hinzu, daß dieSchiedsgerichte zum großen Teil vorgedruckte Formulare haben, dienur ausgefüllt werden, damit die Ablehnung fertig ist. Gegensolch summarisches und flüchtiges Verfahren bestehen doch dieschwersten Bedenken und gar, wenn das ganze Verfahrendamit als obgeichlosien gelten soll. Kaum 10— 15 Proz. dergegenwärtigen Rekursfälle würden nach dem Entwurf dem Reichs-versicherungsamt bleiben. Für eine deranig weitgehende Ent-lastung liegt gar kein Anlaß vor, zumal die Versicherten keineswegsdas Reichsversicherungsamt übermäßig in Anspruch nehmen, seineUeberlastung hat lediglich darin seine Ursache, daß unsere ganzeArbeiterversicherung inimer mehr ausgedehnt wird, noch keineswegsden Beharrungszustand erreicht hat und bei dem Wachsen derBevölkerung naturgemäß die Tätigkeit des Reicbsversicherungs-amts wächst. Der Entwurf aber will die Entlastung auf Koste»der Versicherten, auf Kosten einer gewissenhaften Unter-suchung der Rentenansprüche herbeiführen. Die Ausschaltungdes Reichsversicherungsamtes niuß auch zu einer sehr bedauerlichenUngleichheit führen. Freilich setzt das Reichsversicherungsamt auchheute kein bestimmtes Schema fiir Renten fest, aber es hat sich docheine gleichartige Festsetzung für gleichartige Fälle herausgebildet;künstig aber würden, wenn der Entwurf Gewtz wird, die Ober-schiedsgerichte diese Renten sehr verschieden festsetzen und revisions-pflichlig wären diese Festsetzungen nicht, und wenn für den Verlusteines Äuges z. B. in einem Falle entschieden würde, daß einDrittel, in einem anderen, daß nur ein F ü n f t e l der Er»werbStätigkeit verloren ist, so werden die Berufsgenossenschaftendarauf dringen, den Anspruch deS Geschädigten so niedrig wiemöglich zu halten. Es muß das zu einer außerordentlich ungleichenund ungerechten Behandlung der Verletzten führen.Nun einige Bemerkungen zur Krankenversicherungund zurBeeinträchtigung der Selbstverwaltnngder Arbeiter. ES ist eigenartig, daß die Regierimg bei einer solchenVorlage, bei der sie doch bedacht sein müßte, eine gewisse Zustimmungin Arbeiterkreisen auszulösen, versucht, an einem alten, seit dreißigJahren bestehenden Recht der Arbeiter zu rütteln, und zwar ohnejeden zwingenden Grund und ohne ausreichende Begründung.(Lebh.Zust. b. d. Soz.) In der Begründung steht vielmehr, daß in der vomReichSamt des Innern einberufenen Konferenz von Arbeitgebernund Arbeitnehmern übereinstmimend gesagt ist, eS liege kein Anlaßvor,«m dem bestehenden Zustande zu rütteln.(Hört! hört! bei denSozialdemokraten.)Ohne Ausnahme haben auch die Unternehmer bekundet, siehätten kein Jnteresie an einer Aenderung des bestehenden ZustandeSund sie hätten sich über Uebelstände irgendwelcher Art nicht zu be-klagen. Auf Uebelstände kölinten wir sehr leicht auch bei denBerufsgenossenschaften und den LandeSverficherungsanstalten hin-weisen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ein Redner hatja schon auf die verschiedenen Verwaltungskosten der Berufs-genossenschaften hingewiesen, wie eine mit 20 Pfennig pro Kopfdes Arbeiters auskommt, während andere fünf bis sechs Markpro Kopf des Arbeiters brauchen. Nicht uninteressant ist auch, wiedie„Deutsche Arbeitgeberzeitung" sich zur Halbierung der Beiträgeäußert. Dieses Organ, welches Arbeiterforderungcn nicht freundlichgegenübersteht, sondern jede gewerkschaftliche Organisation und vorallem die Sozialdemokratte entschieden bekämpft, hat in der Nummervom 3. April in dieser Frag« eine Stellung eingenommen, die sehrsympathisch berührt; sie betont die Berechtigung des Versicherungs-trägerS, die Selbstverwaltung auftecht zu erhalten, sie betont, daß dieUnfälle die Arbeitgeber, die Krankheitsfälle die Krankenkassen derArbeiter zu tragen haben, tatsächlich leisten aber auch heute bei denUnfällen die Krankenkassen sehr Erhebliches, und als Ersatz für dieseUnkosten sollten die Unternehmer ein Drittel der Beiträge der Kranken-kasien zu ttagen haben; und tatsächlich wäre hiermit auch alles gutein Drittel derive Benach-abgelaufen, wenn nicht die Unternehmer dafür auchStimmen erhalten hätten, worin eine objektisind diese Tatsachen nicht ohne Bedeutung, wird doch der Eisenbedarf des Menschen auf täglich etwa dreiviertel Milligrammgeschätzt.Mufit.Wiener Oper(Hofoper):„Der Musikant." Zwei Aktevon Julius Bittner.— Wolfgang Schönbichler. der fahrendeMusikus, ist einer, der alleweile tief in der Kreide ist. aber hoch inder Kunst. Bon Dorf zu Dorf zieht er mit seinen Leuten, darunterauch Moletta, die Sängerin, und Friederika, die Geigerin, sind.Die Italienische hat eS dem Wolfgang angetan. Einmal kommensie in die Musizisten-Laetiz zu Salburg, wo der Spielgraf Lamprechtalsbald um die Gunst der Südländerin wirbt. Er will sie singenhören. Wolfgang reicht ihr sein jüngstes und bestes Lied; es hatdeutschen Text und deutschen Klang. Violetta staunt nicht wenig.Immer war sie der Meinung, die Kunst sei italienisch..Wird jetztanders" bedeutet ihr der Künstler. Sie singt das Lied,aber auf ihre Art, gedehnt, bravourös, mit tausend Trillern,dem Grafen natürlich zu Gefallen. Nur Wolsgang undnoch eine spüren das Falsche heraus. Aber Liebe ist mächtig.Nächtens kommt der Gras, Violetta zu holen. Der Musikant trittihm mit der Waffe entgegen, wird freilich vom Trosse des Grafengesaßt, gebunden und gefesselt. Aber hat nicht Friederike ein Ahnengeweckt? Sie kommt hinab und nimmt von ihm Band und Fessel.Sie wird ihm auch sein Lied singen, so süß, wie er eS fühlt. Die-weil die Sonne aufsteigt über das Rot der Dächer, geht der Wächterheim und fingt: Die Finsternis ist vorbei. Und sie ist vorbei. ZweiHerzen haben einander gewonnen und die deutsche Kunst hat zu sichheimgefunden.— Julius Bittner, der schon mit seiner ersten Oper(Die rote Gred) sich Freunde und Schätzer erworben hat, erweist sichnun wieder als einen starken Künstler, der in bodenständiger Volks-art zu schaffen weiß und in dem der tiefste Sinn der Musik lebendig,wenn auch noch nicht ganz selig tönt: der Humor._ J. L. S.Spitzkugel«.Zeitdistichen von Hoffmann v. Fallersleben 184S(nicht 1910).Unter preußisch versteht man: bureaukratisch verwaltet,Militärisch geschult und polizeilich bewacht.Mancherlei Osten gibtS, auch einen Osten in Preußen,Aber in diesem geht unsere Sonne nicht auf.Macht dich der Zufall arm, sind hin die politischen Rechte.Nicht waS du bist, was du hast, macht dich zum Menschen im Staat.Zauberisch wirkt noch der bunte Rock für den Absolutismus,Aber im Kittel siegt dennoch die Freiheit dereinst.teiligung der Arbeiter zu erblicken sei.(Hört I hört lbei den Sozialdemokraten.) Die Arbeitgeberzeitung stellt sich alsoauf den Standpunkt, die Arbeitgeber gehören überhaupt aus denKrankenkassen heraus, sie haben in den Berufsgenossenschaften ihreuneingeschränkte Vertretung.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.)Nun wird die Halbierung der Beiträge mit dem sozialdemo-kratischen Terrorismus in den Krankenkasien begründet. Freilichvermißte Herr von G a m p ausreichendes Material darüber inder Begründung. Aber dieses fehlt, weil eben kein Material darüberbesteht, und auch in der Kommission wird die Regierung keinMaterial beibringen können; bei der letzten Novelle zuni Krankenversicherungsgesetz waren wir in der Lage nachzuweisen, daß garkeine Rede davon sein kann. Sehr enttäuscht war Herr von G a m püber Herrn Mugdan, der seine Rede diesmal nicht dazu benutzte,um Angriffe gegen die Krankenkasse» zu schlendern; ich ver-stehe diese Enttäuschung, ich begrüße aber die bessere Einsicht beiHerrn Dr. Mugdan, die sich wohl auf die sehr spät gekommeneErkenntnis gründet, daß in dem Augenblick, wo die Unternehmerzur Hälfte an den Krankenkassen teilnehmen und der Einfluß derArbeirerschaft zurückgedrängt wird, eS mit dem Prinzip der freienArztwahl in den Krankenkassen zu Ende ist.(Sehr wahr! b. d. Soz.)Die Unternehmer haben gar kein Interesse an der fteien Arztwahlund haben sich in den Betriebskrankenkassen durchaus ablehnendzu ihr geäußert. Vielleicht darf ich hierbei auch an die Stellungder Berufsgenossenschaften zur fteien Arztwahl erinnern.Ein hervorragender Vertreter der Berufsgenossenschaften erklärte:„Wenn der Heerbann des Leipziger Verbandes gegen uns geführtwerden sollte— nun, wir stehen kampfbereit auf der Mensur".(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)— Herr v. Gamp meinte:Die Arbeiter könnten sich doch nur freuen, wenn die Unternehnwrstatt des bisherigen Drittels die Hälfte der Beiträge zu den Kranken-lassen übernehmen wollen. Gegen Geschenke von dieser Seite sindwir sehr mißtrauisch.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)Solche Geschenke werden nicht selbstlos gegeben und speziell dies„Geschenk" wäre mit dein Verlust der Selbstverwaltung der Kassengar zu teuer erkauft.— Herr Pauli hielt eS für angebracht,wieder einmal die alte Behauptung vorzubringen, die durchewige Wiederholung nicht an Wahrheit gewinnt, daß dieKassenbeamten„Agitatoren der Sozialdemokratie" seien. Die Zahlder Beamten der Kassen, die nach Erfüllung ihres Tagewerks alsPrivatleute für die Sozialdemokratie tätig sind, ist recht gering.Man könnte sogar manchen Kassenbeamten den Vorwurf machen, daßsie, nachdem sie in diese Stellungen gekommen sind, sich weitweniger als zuvor um die Partei bekümmern.Selbstredend haben wir gegen das Proportionalsystem bei denKassenwahlen nichts einzuwenden. Wir wünschen im Gegenteil,daß alle Zweige der Arbeiterbewegung in den Kassenverwaltungenvertreten sind, an der Selbstverwaltung der Krankenkassen interessiertwerden.Wenn wir un« gegen die Halbierung wenden, so geschiehtdas wahrlich nicht aus sozialdemokratischen Parteimotiven, sondernaus der festen Ueberzeugiing heraus, daß sie das Niveau und dieLeistungen der Krankenkassen herabdrücken wird. Die Aufgaben derKrankenkassen sind schwieriger, als die der Unfall- und Invaliden-Versicherung; sie erfahren durch die Borlage eine sehr bedeutendeErweiterung; ich erinnere an die Familienunterstützung, an die—wenn auch noch sehr embryonischen— Anfänge des Mutterschutzes usw. Die Tendenz der Unternehmer wird naturgemäß dahingehen, sich gegen vermehrte Auf- und Ausgaben zu wendenund so werden, wenn die Halbierung eintritt, diese neuen sobedeutsamen Gebiete der Tätigkeit der Krankenkassen vielfach un-genügende Pflege finden.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)Es ist hier wieder das Lob der Betriebskrankenkassengesungen. Es ist durchaus nicht zu leugnen, daß manche Betriebs-lassen gute Leistungen aufweisen. Es gibt aber andererseits sehrviele Betriebskassen, die notorisch und gewohnheitsmäßig ihre altenMitglieder abschieben. Die Betriebskassen ziehen so die Beiträge ein,und die Oriskrankcnkassen tragen dir Laste».(Sehr wahr! bei denSozialdemokraten.)Entschieden müssen wir uns gegen die vorgeschlagene Organi-satton der Landkassen wenden. Es liegt kein Anlaß vor� denLandarbeitern die Selbstverwaltung vorzuenthalten und sie derpatriarchalischen Bevormundung des Gemeindevorstandes zu unter-werfen.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)Die Vorlage trägt eine große Animosität gegen diefreien Hilfskassen zur Schau. Wir haben nichts einzuwendengetzen die Aufhebung der Hilfskassen, wenn eine einheitliche Organi-sation der ganzen Krankenversicherung durchgeführt wird. Bevordies aber geschieht— und die Reichsversicherungsordnung bringtbekanntlich eine solche Vereinheitlichung in keiner Weise— haben diefreien Hilfskassen mindestens dieselbe Existenzberechtigung wie dieBetriebs- und Jnnungskassen.(Sehr wahr! bei den Sozial-demokraten.)O wie schreit ihr so laut, daß das Vaterland in Gefahr ist!Wie patriottsch! und doch— seid ja nur ihr in Gefahr.Alle meint ihr eS gut mit des Volkes Rechten und Freiheit;Aber ich fand, ihr meint'S doch noch am'besten mit euch.Vieles habt ihr studiert, doch Eins nur lerntet ihr gründlich:Systemattsch das Volk machen zum zahlenden Knecht.Langsam, wie er entstand, so wird auch der Adel verschwinden.Jeglicher Blödsinn braucht Zeit zum Entstchn und Vergehn.Lange schon habt ihr das Volk mit euren Geschichten gelangweilt.Wißt, wer Geschichte sich macht, will die Geschichten nicht mehr.Wachet I ihr könnt ja schlafen genug im Schöße des Grabes;Wachet I der Freiheit Ruf schallt für die Lebenden nur.Kopf um Kopf I so wird sich gestalten der Kanips in Europa:Freiheit oder Gewalt, eine verlieret den Kopf.Notizen.� Vorträge. Der Arbeiter-Wandcrbuuv„Die Natur»freunde" veranstaltet am Sonnabend, den 23. April, abendsK'/z Uhr, im Gewerkschoflshause einen Vortrag. Felix Linkespncht über„Unser Wissen von den Kometen". DerEintritt ist frei, auch für Nichtmitgliedei.— Der Halleyschc Komet ist vom neuen Observatoriumauf dem Monte Guajara(2800 Meter) in Teneriffa(KanarischeInseln) in den Stunden vor Sonnenaufgang wiederholt beobachtetworden. Mitglieder des Potsdamer Observatorium? haben einezweite Höbenstatton eingerichtet.— Der Unsinn des Urheberrechts. Die ZüricherHandschrift von Goethes„Wilhelm Meister' ist, wie derWeimarer Zeitung„Deutschland" mitgeteilt wird, den GoetheschenIntestaterben unter Anerkennung ihrer Urheberrechtsansprüche käuflichüberlassen worden und befindet sich bereits in den Händen desDr. Vulpius in Weimar. Später soll die Handschrift dem Goethe-Schiller-Archiv einverleibt werden.Bon dem Belieben des Herrn VulpiuS, dem unser verrücktesUrheberrecht ein Autorrecht an dem neuentdeckten Manuskript zu-spricht(obwohl Goeihe bald 80 Jahre tot ist und das Manuskriptnur eine Abschrift ist) hängt eS also ab, was mit Goethes Romanwird. Wahrscheinlich ivird er sich begnügen, den Glücksfall ge-schäftlich auszubeuten. Die Ironie des Erbrechts will eS, daß Goeihevon einem Nachkommen des traurigen SchundromanfabrikantenVulpius exploitiert wird, mit dem Goethe durch die späte Ver«heiratung mit seinem Bettschatz Christiane Vulpius verschwägertwurde.