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sondem sich auch auf den Turnunterricht Kezieht, der an Schuler  höherer Lehranstalten gegeben wird. Um solche handelt es sich aber hier nicht. Soweit der Turnunterricht zum Schul- Unterricht gehört, untersteht er der staatlichen Aufsicht und also der Kabinettsordre vom 10. Juni 1831 in Verbindung mit der Ministerial- instrultion vom 31. Dezember 1830, soweit er aber nicht zum Schulunterricht gehört, kommt die Bestimmung der Gewerbeordnung auf ihn zur Anwendung. Es fehlt an gesetzlichen Bestimmungen, welche die Schulverwaltung er- »nächtigen, die Erteilung von Turnunterricht in Turnvereinen an nicht mehr schulpflichtige Per- sonen von einem Erlaubnisschein abhängig zu machen. Die dahin gehenden Anordnungen sind von der Schulbehörde nicht iirnerhalb ihrer Zu« ständigkeit getroffen. Die Aufforderung zum Ungehorsam gegen sie ist deshalb nicht nach§ 110 strafbar. Wird nunmehr die Staatsanwaltschaft den zweiten Teil unserer Aufforderung vom 22. März 1009 befolgen und gegen die Behörden, die solche rechtswidrigen Anordnungen erlassen haben, strafrechtlich einschreiten? Wir bezweifeln das. Die Staatsanwaltschaft wird annehmen, den Beamten habe der Dolus gefehlt, auf deutsch  : sie haben die Tragweite ihrer Handlungen zu übersehen nicht vermocht. Uns liegt auch an Bestrafung des Beamtenhaufens nichts. Aber wir dürfen und müssen verlangen, daß die Behörden der Kultusminister an der Spitze-- nun ihre rechtswidrigen Anordnungen aufheben und die rechtswidrig fe st gesetztenGeldstrafen" zurückzahlen. Auch der Berliner Magistrat und die Stadtverordneten hätten nun schleunigst ihr dem Arbeiter-Turnverein auf Veranlassung des Provinzialfchulkollegiums zugefügtes Unrecht wieder weit zu machen. DerVorwärts" ist auch in diesem Fall wie die Sozial- demokratie stets genötigt, die Behörden, die zur Einhaltung der Gesetze besonders verpflichtet wären, zum Verständnis und zur Ein- Haltung der Gesetze zu erziehen. Hoffentlich werden die Schulbehörden mit dem Kultusminister an der Spitze s ch l e u n i g st durch die Be- folgung unserer Mahnung beweisen, daß sie eine Gesetzlichkeit gelernt haben._ flußcrordcntliclKr Kongreß der belgischen Sozialdemohratie. Brüssel  , 27. Juni.  (Clg. Bei.) Kurz nach den Wahlen vom 22. Mai hat sich der Generalrat der belgischen Partei mit der außerordentlichen politischen Situation besaht, die durch den Ausgang der Wahlen beziehungsweise durch die amtliche Feststellung der Wählerziffern geschaffen wurde, au» der hervorgeht, daß die klerikale Regierungspartei die Minderheit der Wählerschaft vertritt. Der Generalrat hatte sich für die Einberufung eine« auher« ordentlichen Kongresses entschieden, damit die Vertreter der Partei auf diesem über die Aufgabe der Sozialdemokratie dieserrevolutio- nären" Situation gegenüber, wie über die Methoden in dem Kampfe gegen die Regierung beraten. Der Kongreß fand am 26. und 27. Juni im BrüsselerMaison du Peuple' statt. ES waren 388 Gruppen mit b04 Delegierten oertreten. Den außerordentlich bewegten Debatten des ersten Ver- Handlungstages, denen eine dramatisch gesteigerte namentliche Ab- stimmung über die entscheidende Resolution folgte, wohnten viele Zuhörer bei. Von der Bewegtheit der Diskussion über den Punkt .Polnische Situation" oder genauer: die Frage des allgemeinen Wavlrechts und Revision des Gesetzes über den Proporz, mag schon die Tatsache eine Vorstellung geben, daß acht Tagesordnungen vor« lagen, darunter als meist umstrittene die von den Deputierten D e st r s e und H u b i n vertretene der Föderation von C h a r l e r o i. die den Kampf umS Wahlrecht vorläufig ausscheidet und den um die Revision des Gesetze» über den Proporz ins erste Treffen stellt und als alleiniges Ziel aufstellt; und die des Genossen Vinck, die durch eine Obstruktionmit bestimmtem Datum", wie Vandervelde  sagte, die Auflösung der Kammer herbeiführen will. Ange« n o m m e n wurde, wie wir bereits telegraphisch meldeten, fast ein- stimmig die Resolution M e h s m a n S, die. wie ihr Verfasser meinte, zwischen den anderen Resolutionen den richtigen Ausgleich treffe. Die Resolution stellt fest. daß die Regierung nicht mehr die durch daS Pluralvotum ausge- drückte Mehrheit repräsentiert, und daß diese Situation mit Recht alsrevolutionär" bezeichnet werden kann, da sie den parlamen- tarischen Mechanismus fälscht und einer Minorität gestattet, über eine gesetzliche Majorität zu herrschen, was den reak« tionären Höchsteffekt des Pluralsystems darstellt. Es heißt dann weiter: Der Kongreß erklärt: daß einerseits die sozialistischen Man- datare beim Kamnierzusammentritt die Fragenach derGe- seylichkeit der A u fr e ch t e r h a l t u n g der klerikalen Regierung zu stellen, eine Revision des Gesetzes über das Pro- porttonalshstem zu fordern und alle Kraft aufzuwenden haben, um eine Anslösung der Kammer herbeizuführen; und an- dererseits, daß eine Bewegung organisiert werden solle, ähnlich jener, die der Hinwegräumung des Z e n s u s w a h l- rechts vorangegangen war und alle Mittel ins Werk gesetzt werden, um diese Agitation zum Triumph zu führen. Die Resolution fordert ferner von den sozialistischen   Mandataren, daß sie sich mit Energie für die Diskussion und Votierung der sozialen Gesetze einsetzen, insbesonderS für die Arbeiterpensionen, die gesetzliche Regelung der Arbeit der Erwachsenen, die Koalitions- sreiheit für die Staatsarbeiter und die Abschaffung des Z 310 des Strafgesetzes.(Die Beratung dieser Gegenstände wurde für den zweiten Verhandlungstag angesetzt.) Der letzte Absatz der Resolution betont endlich, daß die auf Grund dieser Platform geführte Propaganda daS Ziel haben muß, die Klassenpolitik der Arbeiterpartei klar heraus- zuarbeiten und deutlich aufzuzeigen, was sie von dem Ziele und der Tätigkeit aller Bourgeoisparteien unterscheidet und trennt. Als erster Redner spricht Genosse Hins(JxelleS), der meint, daß man mit einem bloßen Kampf für die Revision des Proporz nicht eine Volksbewegung entzünden kann. Er fordert einen energischen Kampf für das allgemeine Wahlrecht, durch eine Volks- bewegung großen Stils und parlamentarische Obstruktion. In diesem Kampf müsse man mit den Liberalen marschieren, ohne daß aber die sozialistische Autonomie Einbuße erleide. V o l k a e r t glaubt nicht an denTriumph einer Bewegung für das allgemeine Wahlrecht" und die Auflösung der Kaminer. Man müsse trachten, der Kammer die notwendigen sozialen Reformen zu entreißen.Arbeiten wir aus wirtschaftlichem Gebiet, aus dem wir augenblicklich allein Erfolge erringen können und bleiben wir auf dem Gebiete des Klaffenkanrpfes." Vinck hält den Zeitpunkt des Zusammentrittes der Kammer für günstig, um mit einer Volksbewegung für die Auflösung einzu« treten.Wollen wir praktische Politik machen, dann müssen wir die Klerikalen verhindern, zu regieren." Niemals würde diese Kammer ernste soziale Gesetze votieren. Vinck beklagt, daß einige sozialistische Deputierte die Obstruktionsidee mit geringem Enthusiasmus aufgenommen hätten. Der Regierung mutz am ersten Tage klargemacht werden, daß fie zu gehen hat, und man darf ihr keine Ruhe gönnen, bis sie den Platz verlätzt. Destree. der Befürworter der Resolution der Föderation von Eharleroi, erklärt, daß mit dem gegenwärtigen schwindelhaften Wahl- system nichts zu machen sei. Um aber zu einem gerechten Wahl- �strument zu gelangen, muß eine Konzentration auf diese eine Frage erfolgen. DestrSe macht dann dem Proportionalshstem dm Prozeß, dessen Gegner er ist. Es habe statt, wie man hoffte, zur Befreiung von Bündnissen, fast überall zur Kartellie- rung geführt und unter Umständen beklagenswerte Verwirrung mit sich gebracht. Auch in bezug aus die Eroberung Flanderns  durch den Sozialismus habe das Proportionalwahlrecht enttäuscht. (Diese Meinung wird später von Debünne und Dernblon mit Berufung ans die Mandate von Courtrai  , Gent   und Ant- Iverpen widerlegt.) Eine zielbeivußte Opposition könnte innerhalb dreier Monate die Auflösung herbeiführen. Und die Liberalen würden mitmarschieren! Aber keinen leeren RevolutionarismuS der Worte! Vandervelde will vor allem sagen,was wir nicht tun dürfen".... Wir"dürfen nicht bestimmen, wie Vinck will, daß die Obstruktion im November unter allen Umständen einzusetzen hat! Ferner dürfen wir nicht sagen, daß ein Kampf für das allgemeine Wahlrecht unvermeidlich zum General- streik und zu Stratzenrevolten führt. Vandervelde verweist auf die klerikale Presse, die schon jetzt von Meuterei und Revolution redet. Vandervelde   erinnert an die Haltung der Liberalen im Jahre 1002, wo dieliberale" Bürgergarde zur Verteidigung der klerikalen Regierung auf die Arbeiter geschossen hat.Wenn die Liberalen wollen, daß man auf die Straße steige, dann mögen sie gefälligst als erste den Anfang machen." Vandervelde verteidigt dann eine Resolution der Brüsseler Föderation, die von MehSmans zum größten Teil in seiner TageSordnuitg aufgenommen wurde. Bandervelde polemisiert gegen Deströe: Wir find nicht nur bestohle» durch den Proporz, wir sind auch bestohlen durch das Pluralwahl- recht, durch das Datum der Wahlen und durch die Zahl der De- putierten. Und wir sollen nur für eine Revision des Proporz eintreten I Vanderwelde wendet sich hierauf gegen die Kartellpolitik, die nunmehr vielleicht auch in Charleroi   und dann in Möns und Lüttich   praktiziert werden wird und so allmählich den unabhängigen Charakter der Arbeiterbewegung verschlingen würde.(In NivelleS  ist auf skandalöse Weise mit dem Gelde eines Fabrikanten die Kartellwahl des Liberalen gemacht worden und in Charleroi   würde daS Kartell mit den Großindustriellen geschloffen werden.) Auf VanderveldeS Frage, ob es wahr sei, daß man in Charleroi   derartige Pläne habe, antworten Anseele und Deströe, daß dies Sache der Föderation fei.(Widerspruch beim Parteitag.) Vandervelde schließt mit den Worten: die Frucht dieses Kongresses muß ein sozialistisches Arbeitsprogramm für das Parla­ment und das Land sein! Stärken wir die sozialistische Presse und die gewerkschaftliche Bewegung, die in Belgien   durch die Krise so arg zurückgeschlagen wurde, damit wir in einer Eni- scheidungSschlacht gegen die Regierung die Arbeitermassen hinter uns haben.(Beifall.) D e l s i n e bemerkt, daß man hier gesprochen habe, als ob es sich in Belgien   nur um Klerikale und Antiklerikale handele. Vom Arbeiterstandpunkt haben diese Fragen nicht diese große Bedeutung, die man ihnen hier beimißt. Es ist gewiß wichtig, daß die klerikale Regierung verschwinde, aber eine revolutionäre Bewegung ist das nicht wert. In allen wirtschaftlichen Fragen wird sich zeigen, daß die Liberalen und Klerikalen einen Block gegen uns bilden. Eine neue Majorität würde ebenso gegen die Interessen der Arbeiter vorgehen. Gehen wir auch in der Wahlrechtsfrage allein I Man spricht von Recht und Gerechtigkeit I... Es gibt nur Arbeiterinteressen gegen die wirtschaftliche Macht d er Bourg e oisie! In der Nachmittagssitzung erhält daS Wort der vlämische Deputierte von Courtroi Debunne, dessen Wiederwahl ein markanter Erfolg der letzten Wahlen war. Der junge Deputierte, ein ehemaliger Sesselarbeiter, wird mit anhaltendem Applaus be- grüßt. Er spricht erst in vlämischer und dann in französischer Sprache, die er erst vor wenigen Jahren erlernt hat und ganz respektabel beherrscht. Debunne setzt sich lebhaft flir eine Bewegung sür da» allgemeine Wahlrecht ein, das der Schlüssel zu allen großen Arbeiterreformen sei. Deklarieren wir aber keine Straßen- demonstrationen, warten wir die Ereignisse ab I Wenn die Liberalen nicht mit uns marschieren, so haben wir doch alle demokratisch Denkenden des Landes für uns. Es sprechen dann noch Abg. MehSmanS, der die Situation im Sinne seiner Resolution auseinandersetzt und Abg. Hubin, der für die Deströesche Resolution eintritt. Auf zeitweilig heftigen Widerspruch stößt die Rede A n s e e l e S. der die Entladung einer Volksbewegung eventuell auf 1012, bis zu den nächsten Wahlen hinausschieben will. Im übrigen spricht er für die Resolution Meysmans. Er sagt unter anderem über die Obstruktion und eine eventuelle Kammerauflösung olgendes: Eine Obstruktion, die nur auf die sozialistische Gruppe zu rechnen hätte, würde keinen Erfolg bringen. Daher müßten die Chancen genau ertoogen werde», die sich aber nicht sechs Monate im vorhinein berechnen lassen. Eine Taktik den Liberalen ausdiktieren, die diese nicht wollen, hieße eine Uneinigkeit herbeiführen, die auch den Erfolg bei anderen Fragen schädigen würde. Die ganzeOpposition müsse über den geeignet st en Zeitpunkt bezüglich einer Auflösung einig sein! Es ist wahrscheinlich, daß diese Auflösung erst 1012 erfolgt. (Heftiger Widerspruch beim Parteitag.) Eine Auflösung innerhalb einiger Mvnate könnte der Opposition nicht jene Erfolge bringen, wie eine Auflösung in zwei Jahren, auch darum, weil dann die Zahl der Abgeordnetenmandate vermehrt werden wird. Eine Obstruktion 'ür eine geringfügige Reform wie die Revision deS Proporz würde keine Popularität und keinen Enthusiasmus erwerben und keinen Erfolg bringen, wie etwa eine Obstruktion für eine große soziale Sache. Anseele bezeichnet da? Datum dieses Kongresses al» das Eröffnungsdatum für eine großangelegte Kampagne 'ür daS allgemeine Wahlrecht. Die Zeit, die wir warten, ist nicht verloren. Alle gewonnene seit wird dem Kampf fürs Wahlrecht zugute kommen. ES hat nur vier Jahre bedurft, um die e r st e g r o ß e B e w e g u n g von 1803 vorzubereiten; es werden nur zwei Jahre notwendig sein, um die Einigkeit der Arbeiterpartei herzustellen und die klerikale Regierung, das Pluralvotum und das verstümmelte Proportionalsystem niederzuringen und daS Wahlrecht zum Sieg zu ftihren. Anseele schlägt zum Schluß vor, daß, wie vor 20 Jahren Wallonen nach Flandern   kamen, um dort den Generalstreit zu verteidigen, so mögen auch beute wieder Wallonen nach Flandern   und Vlämen nach den wallonischen Teilen kommen und die Propaganda hintragen; dies würde mehr als alle Ungeduld den Sieg vorbereiten. Die Rednerliste ist erschöpft und der Vorsitzende Terwagne chreitet zur Abstimmung, vor der noch eine heftige Debatte darüber geführt wird, welcher Tagesordnung, als der radi- kalsten, der Vorrang gebührt. Terwagne will über die Vincks zuerst abstimmen lassen, Vandervelde   gleichfalls, da- mit er sich der Verantwortung entschlagen und gegen die Resolution stimmen kann, die eine Obstrnklion mit bestimmtem Termine vorschreibt. De Brouckere(für die Resolution Meysmans) will erst die Abstimmung über die Resolution Charleroi  , als die der gemäßigtesten. Ueber sie wird denn auch und zwar namentlich abgestimmt. Sie wird mit 202 gegen 01 Stimmen verworfen. Die Resolution Vinck wird mit 160 gegen 110 Stimmen verworfen, worauf der Resolution MeysnianS die Priorität zugesprochen wird. Vinck zieht seine Tagesordnung unter einem Protest gegen dieKonfusion" der Abstimmung zurück. V a n d e r- Velde protestiert gegen die BezeichnungMarmelade", wie Binck die Tagesordnung Meysmans bezeichnet. Vandervelde verteidigt sie mit dem Hinweis, daß sie den Kampf fürs allgemeine Wahlrecht und die sozialen Reformen in den Vordergrund stellt und der alten Taktik der Arbeiterpartei entspricht. Auch Anseele erklärt sie al» die sozialistischeste" Tagesordnung. Sie wird alsdann fast einstimmig angenommen. Der Kongreß, irrtümlich nur für einen Tag an- beraumt, wird sodann zur Erledigung der übrigen Tagesordnung auf Montag vertagt. polirtfcbc Gcbcrlicbt. Berlin  , den 29. Juni 1910. Der neue Mann. Herr Lenße, der bisherige Oberbürgermeister von Magde  « bürg und neugebackene preußische Finanzminister findet in der liberalen Presse geteilte Aufnahme. Die nationalliberale Magdeburger Zeitung" singt dem scheidenden Oberhaupt ihrer Stadt ein schmalziges Loblied, in der nationalliberalen Köln  . Ztg." wird die Beurteilung im Maßstabe der Eni- fernung von Magdeburg   kühler. Die fortschrittlicheVossische Zeitung" aber gibt folgende Charakteristik: .... Daß der Oberbürgermeister Dr. Lentze für den Libe- ralismus sonderlich Zeugnis abgelegt hätte, selbst für einen ganz matzvollen, ist kaum bekannt geworden. Dafür hat er sich in manchen Kreisen Beliebtheit zu verschaffen gewußt durch eine ge- wisse zur Schau getragene Harmlosigkeit und Bonhommie, und wo es galt, besonderen Eifer an den Tag zu legen und sich bemerkbar zu machen, da begegnete man leicht Herrn Dr. Lentze. Er war immerderjenige, welcher", immer der Mann bei der Stange, der nie ein Referat, nie ein Nebenamt ausschlug. Er gehört auch der Jmmediatkommission fiir die Reform der inneren Verwaltung an. Er wurde auch als der berufene Nachfolger des Düsseldorfer Oberbürgermeisters Marcks bezeichnet. Nur daß er Finanzminister werden könne, das haben die preußischen Oberbürgermeister schwerlich erwartet. Hobrecht bei seiner ungewöhnlichen Begabung hat dieses Amt nur kurze Zeit bekleidet; Miguel, wie man auch sonst über ihn denke, war ein finanz- politisches Genie; Rheinbaben war jedenfalls sein glänzender Schüler. Und jetzt Dr. Lentze? Franz Ziegler hat einmal die preußischen Junker gerühmt. Sie hätten das Selbstvertrauen, wenn sie vom König kommandiert würden, jedes Amt zu über- nehmen, das Kommando einer Fregatte oder die Leitung einer Sternwarte oder die Intendantur der Hoftheater. Dr. Lentze hat sich jedenfalls die preußischen Junker zum Muster genommen. Personen. die ihn kennen, versichern, daß er es ihnen nicht nur an Selbst- vertrauen, sondern auch an konservativer Gesinnung gleichtue, nur daß er zugleich bureaukratische Neigungen zeige, schroffer, als sie ein preußischer Junker oder ein preußischer Ministerialrat heute vertrete."_ Beschwichtigungspulver. DieGermania  " hat es im Interesse des schwarz-blauen Blocks für notwendig gehalten, der Oeffentlichkeit zu ver- sichern, daß an eine neueFlottenvorlagegar nicht zu denken sei. Der Wunsch und die Meldung einiger Blätter, daß eine solche Vorlage in Aussicht stehe, dürfte nicht in Er- füllung gehen. Es müsse als ganz ausgeschlossen gelten, daß eine Militärvorlage und eine Flottenvorlage in einem Atem- zuge dem Reichstag unterbreitet werden könnten. Für ein neues Flottengesetz liege auch gar keine Begründung vor, zu- mal da das mehrmals verbesserte vollkommen genüge. Es sei gar nicht verständlich, wie man von einer neuen Flotten- vorläge sprechen könne. DieNorddeutsche Allgemeine" hat diese Ausführungen des Zentrumsblattes abgedruckt und bemerkt dazu:Der durchaus zutreffenden Mahnung an die deutsche Presse, die völlig aus der /Luft gegriffene Behauptung von einer neuen Flottenvorlage nicht weiter zu kolportieren, können wir uns nur anschließen." So soll die Oeffentlichkeit beschwichtigt werden. Indes, wenn dieNordd. Allg. Ztg." etwas in Abrede stellt, so pflegt es meist zuzutreffen. Immerhin mag richtig sein, daß die Re- gierung nicht so dumm sein wird, dem Reichstag neben einer Militärvorlage auch noch eine Flottenvorlage zuzumuten. Aber wenn der Kriegsminister seine Heeresvermehrung im Sacke hat. dann wird sich der Staatssekretär der Marine wieder melden dürfen. Aber das schadet nichts in der nächsten Session soll die neue Flottenvorlage noch nicht kommen, und also habenGermania  " undNordd. Allg. Ztg." recht!_ Das mihtrauische Zentrum. Auf dem Vertretertag der Windthor st bände zuBochum, auS dessen Verhandlungen wir gestern die für die Skrupellosigkeit der Zentrumsagitatoren bezeichnende Stelle der WahlrechtSrede des Herrn Landtagsabgeordneten Bartscher annagelten, hat der Reichs- tagsabgeordnete Fürst Löwenstein eine Rede über die politische Lage gehalten. Darin kommt der folgende bemerkenswerte PaffuS vor: Mich haben die Vorgänge der letzten Monate zu dem Gedanken gebracht, der Reichskanzler wolle jeder entschiedenen politischen Aktion ausweichen, bis die kommenden Reichstags- wählen ihm fiir die nächsten sechs Jahre eine klare politische Grundlage geschaffen haben, eine Grundlage, die eS ihm erlaubt, sich ganz rechts oder ganz links zu stellen, ohne Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Sollte diese Annahme zutreffen, sollte der Herr Reichskanzler selbst abwarten wollen, wie der Reichstag  wird, dann würde auch das Zentrum doppelt vorsichtig abwarten müssen, wie der Reichskanzler sich entwickelt. Daraus wäre aber auch zu entnehmen, daß der Reichskanzler den kommenden Reichstagswahlen eine für die ganze Gestaltung der inneren Politik entscheidende Bedeutung zumißt. Und damit hätte er zweifellos recht. Die ReichstagLwahlen im Herbst 1911 werden unS einen mindestens ebenso erbitterten Wahlkampf bringen, wie die Wahlen von 1907, ihre Bedeutung wird aber größer sein. Nehmen die Wahlen den Ausgang, den die Nachwahlen dieses Jahres erwarten lassen, schleuniges Anwachsen der sozial- demokratischen Mandate auf Kosten de« Liberalismus, so können wir damit rechnen, die stärkste Fraktion des nächsten Reichstages in der sozialdemokratischen zu finden. Also Vorherrschaft der Sozialdemokratie im Reichstag uuter treuer Gefolgschaft des Liberalismus oder Kulturkampf libe- ralen Stils auf der ganzen Linie, unterstützt durch die ge- mauserte Sozialdemokratie   das eine oder daS andere wird die Signatur des kommenden Reichstages sein, wenn die ver- einigte Linke die Mehrheit der Reichstagsmandate erobert. DaS Zentrum scheint also vorläufig bei Herrn v. Bethmann Hollweg   noch die pupillarische Sicherheit zu vermissen. Oder tut der Fürst Löwenstein nur so, als halte er eine Abwendung des Kanzlers vom s-bwarz-blauen Block für möglich, um die Zentrums«" scharen zu kräftigsten Anstrengungenfür die heilige Sache" an» zuspomen? Nötig wird's das Zentrum sicherlich haben. Das Verbrechen an de« Tabakarbeitern. Auf der Jahres-Hauptversammlung des Deutschen Tabakvereins, die dieser Tage in Aachen   tagte, be- schäftigte man sich nach Erledigung geschäftlicher Angelegen- heilen in eingehender Weise mit der Lage des Tabakgewcrbes unter der Wirkung des neuen Tabaksteuergesetzes. Reichs. tagsabgeordneter Schmidt- Altenburg wies an der Hand der Ergebnisse der der Tabak-Berufsgenossenschaft eingereich. ten Lohnnachweise nach, daß in den letzten vier Monaten des Jahres 1999, in denen sich ausweislich der Tabakarbeiter. entschädigungszahlen des Reichsschatzamtes der Rückgang in der Arbeiterbeschäftigung noch nicht einmal in dem Maße(jezeijjt habe, wie in 1910, die Herstellung in der Ztgarremndustrie um 11/6 Proz., in der Rauchtabak»