nehmern und ihren kapitalkräftigen Hintermännern auf derandern Seite entgegengingen, war das Unbehagen allgemein.Man wußte, daß namentlich von der Seite der Unter-nehmcr seit Jahr und Tag gewaltige Anstrengungen gemacht»vnrden, um einen glücklichen Ausgang des Kampfes für sieherbeizuführen. Man sah also allerseits einem Kampentgegen, wie er bisher in Deutschland noch nie geführtworden war. Und zwar nicht bloß in Rücksicht auf die Zahlder Beteiligten auf beiden Seiten und der in Frage kommen-den Interessen, auch das Kampfgebiet mußte das denkbargrößte werden. Ganz Deutschland war das Schlachtfeld, aufdem gleichzeitig gekämpft wurde. Die zwei sich gegenüber-stehenden Heere waren ungleich an Zahl der Köpfe, aber auchungleich an materiellen Mitteln. Die Minderheit, die Unter-nehmer und ihre Hintermänner, hatten zweifellos die größerenmateriellen Mittel zur Verfügung, aber die Arbeiter hatten indiesem Kampfe fast die gesamte öffentliche Meinung auf ihrerSeite, ein Faktor der in wirtschaftlichen Kämpfen von großerBedeutung ist, wie der Ausgang dieses Kampfes wieder be-wiesen hat.Sieben Wochen lang waren Hunderttausende von Arbeiternausgesperrt gewesen, mußten Millionen Mark Arbeitergroschenfür die zum Kampf gezwungenen Arbeiter geopfert werden,deren Haltung eine in jeder Beziehung bewundernswerte war.Not und Sorge waren in zahlreichen Familien die Folge.Doch siehe, rascher als die größten Optimisten gehofft, gingangesichts der geschlossenen Haltung der Arbeiter der Kampfzu Ende und statt einer von vielen Seiten befürchteten Nieder-läge brachte er den kämpfenden Arbeitern den Sieg.Ja, ein Sieg ist das Resultat dieses Kampfes für dieArbeiter, so viele auch unter den beteiligten Arbeiternes geben mag, die das nicht im vollen Sinne gelten lassenwollen.Einen Sieg bedeutet es, wenn die Forderungen derUnternehmer auf der ganzen Linie zurückgewiesen wurden, einnoch größerer Sieg ist es, daß das bisher Besessenenicht nur erhalten, sondern die Unternehmer-klasse auch noch zu Konzessionen gezwungenwurde.Wie der Kampf in seiner äußeren Erscheinung ein bishereinzig dagewesener war, so ist auch der Erfolg ein bishereinzig dagewesener. Der Sieg ist für die beteiligtenArbeiterkreise ganz Deutschlands errungenworden. Die Arbeiter in den kleineren und kleinsten Orten,die bisher kaum je in der Lage waren, einen Kampf umbessere Arbeitsbedingungen führen zu können, sie nehmen mitTeil an diesem Siege und haben Vorteil von diesem Kampfe.ja, sie haben sogar den Hauptvorteil davon. DieserVorteil kommt aber auch wieder den gesamten beteiligtenArbeiterorganisationen zugute, und zwar mit den Jahren indauernd höherem Maße.Indem den Fachgenossen in den verlorensten WinkelnDeutschlands die Vorteile des Sieges mit in den Schoß fielen,ist ihnen sinnenfällig der ungeheure Vorteil einer geschlossenen,über ganz Deutschland verbreiteten Berufsorganisation zumBewußtsein gekommen. Sie haben jetzt zum ersten Male ingreifbarster Form kennen gelernt, was es heißt, organisiert,diszipliniert, solidarisch mit allen Berufsgenossen Schulter anSchulter zu stehen und zu kämpfen. Der Gedanke derOrganisation, das Bewußtsein von der Not-wendigkeit der Disziplin und Solidaritäthat dadurch mächtig an Boden gewonnen, dieR e kr u ti e r u n g s g e b i e t e für Streikbrecherwurden für künftig bedeutend eingeengt.Das erleichtert aber künftige Kämpfe der gesamten BauarbeiterDeutschlands in einem ganz eminenten Maße. Von diesemGesichtspunkt betrachtet, ist also der Bauarbeitersicg ein weitgrößerer, namentlich in seinen künftigen Folgen,als dieses aus den ersten Augenblick der Fall zu sein scheint.Ferner ist das Selbstbewußtsein aller Beteiligten und darüberhinaus der gesamten Arbeiterklasse Deutschlands mächtig durchdiesen Sieg gehoben worden. Die Arbeiter begreifen inhöherem Maße, was sie leisten und erreichen können, stehensie fest, opferwillig und unentwegt zusammen.Endlich ist zu beachten, daß dieser Kampf von der ganzenUnternehmerschaft mit größtem Interesse verfolgt wurde. DerKampf auf nationaler Stufenleiter innerhalb eines Gewerbeswar in ihren Augen ein Versuchsobjekt, das, wenn es gelang,zur Nachfolge reizte; das aber, wenn es mißlang, eineWarnung bedeutete. Nun, der Versuch ist mißlungen unddadurch zweifellos auf absehbare Zeit hinaus der Unter«nehmerschaft ein zweiter Versuch zur Nachahmung verleidet.So haben nicht nur die Bauarbeiter, sondern es hat die ge-samte deutsche Arbeiterklasse ebenfalls einen Vorteil aus diesemSiege geschöpft.Sind nun die Fachgenossen in der einen oder anderenStadt unzufrieden mit dem nach ihrer Meinung zu geringenmateriellen Erfolg, so mögen sie die großen ideellen Er-folge ins Auge fassen, die ihnen dieser Kampf gebracht hat.Ideelle Erfolge, die notwendig im Laufeder Jahre ihnen höhere materielle Erfolgesichern werden, als sie ohne diese ideellenErfolge erreichen könnten. Die Zahl derKämpfe ivird eine weit größere und die Zahl der hemmendenKräfte eine weit kleinere. Das ist besonders ins Auge zufassen, soll der Sieg richtig gewürdigt werden. DaS ist abereine schwere Schädigung, um nicht zu sagen Infragestellungdes Erreichten, wenn hier und da die Fachgenossen Mienemachen, sich den zwischen ihren erwählten Vertrauensleutenund den gegnerischen Vertretern vereinbarten Bedingungennicht zu fügen. Voraussetzung jedes Vertrages ist, daß beideTeile, die den Vertrag abschließen, denselben auch loyalerfüllen. Verlangen wir von den Unternehmern, daß sie dievereinbarten Bedingungen respektieren— und es sind vieleunter ihnen, denen der Vertrag für die Arbeiterzu g ü n st i g erscheint dann erfordert die Loyalität,daß die Arbeiter ebenfalls einhalten, was ihre Vertrauens-Männer im Interesse der Gesamtheit vereinbarten.Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auchkeinem andern zu I Wie du mir, so ich dir IAbgesehen aber von dieser selbstverständlichen Pflicht derLoyalität gegen den Gegner, erfordert die Rücksicht auf diegewählten Vertrauensleute, daß man sie nicht bloß-st e l l t, daß man, wenn auch widerwillig, erfüllt, was sieim Gesamtinteresse vereinbarten und unter der Voraussetzung,daß nian billige, was sie getan.Auch hat eine Organisation nicht nur gegen sich selbstund gegen den anderen vertragschließenden Teil, sondern auchgegen die Allgemeinheit moralische Verpflichtungen. DieSympathien, die die Allgemeinheit im vorliegenden Fall demKampf der Bauarbeiter entgegenbrachte, würden in das Gegen-teil verkehrt, zeigten die Arbeiter, daß sie getroffenen Ver-einbarungen ihrer Vertrauensmänner die Erfüllung versagten.Ferner ist es verdammte Pflicht und Schul di'g-keit der einzelnen, und feien es noch so viele,sich der Entscheidung der großen Mehrheitihrer Kollegen zu fügen.llnd wer gar mit Organisationsbruchdroht oder ihn vollzieht, begeht Verrat anden Berufs- und a n den allgemeinen Ar-b e i t e r i n t e r e s s e n. Er ist ein Fahnenflüchtiger, der demFeinde Waffen liefert.Und noch eine andere Gefahr droht. Verweigern nam-hafte Teile der beteiligten Arbeiterschaft ihren Vertrauens-leuten die Gefolgschaft, so begehen sie Vertragsbruch. Werwird sich wundern, wenn alsdann auch die Unternehmer denSpieß umkehren und erklären, daß sie sich nunmehr ebenfallsaller Verpflichtungen entbunden erachten und der alte Kampf-zustand wieder hergestellt sei?Wie würde aber die Allgemeinheit es auffassen, wenndurch Verschulden eines Teils der beteiligten Arbeiter alleswieder in Frage gestellt würde? Und wie würden ins-besondere die deutschen Gewerkschaften einen Schritt auf-nehmen, der aufs neue einen Kampf von unübersehbarerDauer und von nicht zu übersehenden Folgen hervorriefe?Diese Fragen sollten sich diejenigen vorlegen, die glauben,den getroffenen Vereinbarungen opponieren und wider siehandeln zu müssen. Bei einer gewissenhaften Prüfung kanndie Antwort nicht zweifelhaft sein.Der Sieg ist vorhanden, ein weit größerer Sieg, als eranfangs von irgendeiner Seite erwartet werden konnte. Esist aber schon mancher Sieg nachher durch taktische Fehler ineine Niederlage verwandelt worden.Sorgt, Arbeiter, auf allen Seiten, daßSieg Sieg bleibt!_ A. Bebel.politifcbc CUbcrlicbt.Berlin, den 1. Juli 1910.Konzentrierung aller Reaktionäre.Will man bei Herrn v. Bethmann mit aller Gewalt so etwaswie einen leitenden politischen Gedanken entdecken, so könnte eS nurder sein, seine reaktionäre Majorität durch Spaltung derNationalliberalen und Hinttberziehung ihres rechten Flügelsins Regierungslager zu verstärken. In diesem Ideal vereinigtsich Herr v. Bethmann mit den freikonservativen Scharfmachernund den rheinisch- westfälischen Geldgebern der nationalliberalenPartei. Diesem Ideal dient die jetzt mit allen Kräften einsetzendeoffiziöse Pretzkampagne. an deren Spitze Herr Steinvon der„Frankfurter Zeitung" steht, die für offiziöseNachrichten zu jedem noch so schmählichen Dienst sich fähig erwiesenhat. Diese Politik wird heute in der steikonservativen„Post"folgendermaßen gekennzeichnet. Das Blatt sieht in demMinisterwechsel den Beginn einer neuen mittelpartei»lichen Politik. Der Ministerpräsident beabsichtige allenationalen mittelparteilichen Elemente zu sammeln. Die rechts-stehenden Nationalliberalen seien mit der Haltung ihrer Partei längstunzustieden. Sie müßten die Schwärmer für einen nationalliberal-sozialdemokratischen Block in ihre Bedeutungslosigkeitzurückweisen und dafür sorgen, daß die Partei wieder wie frühervon nüchternen, weitblickenden norddeutschen Politikerngeführt wird. Herr v. Schorlemer scheine zur Ler«tretung dieser Politik besonders berufen, die auch diejenigenKatholiken gewinnen würde, die von dem demagogischen Treibendes linken Zentrumsflügels abgestoßen würden. Der Grund für dieseSammlungspolitik sei klar: es sind die sozialdemokratischenSiege.Soweit das Organ des Herrn v. Zedlitz. Daß er die Ab-sichten Bethmann» richtig wiedergibt, ist mit Ausnahme derzentrumsfeindlichen Auslastung, vor der der heilige Theobaldzurückschaudern würde, nicht unwahrscheinlich. Daß die National«liberalen zum allergrößten Teil lieber heute als morgen zurückkehrenwürden, ist ebenfalls unzweifelhaft. So wäre alles in schönsterOrdnung, wenn nur nicht die vertrackten Wähler wären. Und diewerden dem Herrn v. Bethmann und allen Stützen des reaktionärenSystems schon den Strich durch die Rechnung machen, mögen sich dieSchuldigen nun„sammeln" oder nicht.Der fchwarzblaue Block und die Reichsversicherungs-ordnung.Die„Kreuz-Zeitung" erklärt heute die Meldung, daß einKompromiß über die Reichsversicherungs-ordnung zwischen Konservativen und Zen-t r u m abgeschlossen, für u n w a h r. Es mag richtig sein, daßoas Abkommen noch nicht abgeschlossen ist. Aber sicher richtigist, daß auf den Abschluß hingesteuert wird. Das geht mitaller Deutlichkeit aus der Notiz der„Kreuz-Zeitung" selberhervor. Der Schluß lautet nämlich:„... So ist in der letzten Kommisfionsfitzung die in der Re-gierungSvorlage vorgesehene Halbierung der Beiträge und desStimmrechts im Borstande und Ausschuß der Krankenkasten gegendie Stimmen der Konservativen und der Nationalliberalen vonentrum. Fortschritt. Polen, Christlich-sozialen und Sozialdemo-aten abgelehnt und die bisherige Drittelung, also die grundsätz-liche Begünstigung der Arbeiter beibehalten worden...Es ist klar, daß die Kommissionsmehrheit, die bei diesemunleugbar wichtigen Punkte der Reichsversicherungsordnung in Er-scheinung getreten ist, unmöglich als geeignet angesehen werdenkann, dieses große und vielseitige Werk einem positiven Abschlüssezuzuführen. Ein Zusammenwirken zwischen Konservativen, National-liberalen und Zentrum wird dazu unter allen Umständen erforder-lich sein. Gerade bei diesem Werk ist der Unfug, der noch immermit der Legende vom schwarzblauen Block getrieben wird, erficht-lich. Und gerade hierbei werden die Nationalliberalen— wofernsie nicht etwa grundsätzliche Tendenzpolitik machen wollen— Ge-legenheit haben zu der Erkenntnis, daß ihre Anschauungen sieviel eher zum Anschluß nach rechts hinführen als zum Anschlußan die Fortschrittspartei, die nichts weiter mehr ist als eine sozial-demokratische Hilfstruppe."Die„Kreuz-Zeitung" erklärt also ein Zusammenwirkenvon Konservativen. Zentrum und Nattonalliberalen für nötig,um die Reichsversicherungsordnung so zu gestalten, daß sieden Wünschen der Junker im wesentlichen entspricht. Der-selben Ansicht wie die„Kreuz-Zeitung" ist die Zentrumspresse.wie wir seinerzeit an dem Arttkel der„Germania" nach-gewiesen haben, der da ankündigte, daß das Zentrum, da sichmit Freisinn und Sozialdemokratie nicht arbeiten lasse, dasGesetz niit Konservativen und Nationalliberalen machenmüsse. Beide Kontrahenten des schwarz- blauen Blockssind also damit einverstanden. daß in diesem Falledie Nationalliberalen als dritte Partei zur Fersig-stellung des Werkes herangezogen werden. Das bietetin diesem Falle auch gar keine Schwierigkeiten, dabei diesem Gesetz der Gegensatz zwischen mobilem und immo-bilem Kapital nicht vorhanden ist. Die Nationalliberalennehmen hier genau dieselbe Haltung ein. wie die Konser-vasiven, d. h. sie wollen der Arbesterschaft ihre bisherigenRechte in den Krankenkassen nehmen und ihr keine Verbesse-rungen der Versicherung zugestehen. Die einzige Schwierig-keit, die dem Zusammenwirken der drei Parteien noch ent-gegensteht, ist das Bedürfnis des Zentrums, den Schein derArbeiterfreundlichkeit wenigstens etwas noch zu wahren. Des-halb weigert es sich— vorläufig noch— die Bestimmung derRegierungsvorlage zu akzeptieren, die das Selbstverwaltungs-recht der Arbeiter in den Krankenkassen vernichten will,indem die Beiträge und die Stimmen in Vorstand undAusschuß zwischen Unternehmern und Arbeitern gleich-geteilt werden. Aber wenn das Zentrum hier auchnoch nicht ja gesagt hat. so hat es dochden Wünschen der konservativen und nationalliberalenArbeiterfeinde und der Regierung schon erhebliche Zugeständ-nisse gemacht. Während es die Selbstverwaltung der Arbeiter-schaft angeblich erhalten will, stimmte es zu, daß sie auf Um-wegen abgewürgt wird, indem die Wahl des Kassenvorsitzendenund der wichtigeren Angestellten der Kassen den Arbeiterngenommen wird! Bei so viel gutem Willen des Zentrums,den konservattvcn und nationalliberalen Arbeiterfeinden ent-gegenzukommen, wird schließlich auch eine Einigung über dieanderen noch strittigen Punkte erzielt werden. Das Kom-promiß zwischen Konservativen und Nationalliberalen einer-feits und dem Zentrum andererseits kommt zustande, wennnicht die deutsche Arbeiterschaft energisch protestiert, daß auchdie katholischen Arbeiter aufgerüttelt werden und dem Zentrumdeutlich ihre Meinung sagen. Sonst wird das Zentrum auchin derArbeiterversichernng das Proletariat verraten und damit denersten Schritt tun, seine bisherige schwächliche Sozialpolittkdem Bündnis mit den Junkern zu opfern. Denn allein dieRücksicht auf seine konservativen Verbündeten, auf die Er-Haltung seiner Regierungsfähigkeit bestimmt hier die Haltungdes Zentrums. Deshalb ist denn auch der bisherige Verlaufder Kommissionsverhandlungen durchaus nicht geeignet, die„Legende vom schwarz-blauen Block" zu zerstören. Ganz imGegenteil I Und wenn er in diesem Falle durch die National-liberalen komplettiert wird, so ist das auch nichts, was gegenseine Existenz spricht, denn die Nationalliberalen bilden in derFrage der Arbeiterversichernng mit den Konservattven die einegroße Partei der Arbeiterfeinde, der sich das Zentrum akkom-modieren will._AUerhöchste Zufriedenheit.Wir lesen in der„Rhein.-Westf. Zeitung":„Man sagt, daß der Kaiser in Kiel Gelegenheit genommenhat, Herrn von Bethmann sein besonderes Ver»trauen zum Ausdruck zu bringen, und nach dem Scheiden deSKanzlers und seiner Rückkehr nach Berlin soll der StimmungS»Himmel zwischen beiden wolkenlos sein. Wie fernerverlautet, habe allerdings der Kaiser schon vor etwa zweiMonaten seinem lebhaften Unwillen darüber Aus»druck verliehen, wie die Wahlrechtsvorlage im Ab»geordnetenhouse behandelt worden ist. Aber den Haupt»teil der Schuld an der ganzen Verworrenheit habe er demParlamente zugeschoben und nicht dem Ministerpräfidenten, wennauch gegen diesen eine leichte Verstimmung zu verspürengewesen sei. Durch die glatte Erledigung der Dotationsfrage jedochhat Herr v. Bethmann einen besonderen Stein im Brett be-kommen, denn die Krone, die nur mit Besorgnis die unaufschieb-bare Angelegenheit in kritischer Zeit vor die Volksvertretungbrachte, hat sich auf unerquickliche Debatten gefaßt ge-macht. Daß diese Sorge gegenstandslos geblieben ist, hat mandem preußischen Ministerpräsidenten hoch angeschrieben und �al»ein Resultat seines Taktes betrachtet.Man sieht, die Erhöhung der ZivMste ist ein teurerSpaß. Dem Volke kostet sie 3'/» Millionen Mark jährlichmehr und Herrn v. Bethmann trägt sie noch dazu diebesondere Zufriedenheit Wilhelms IL ein. Interessant ist,daß selbst Wilhelm II. die Liberalen höher eingeschätzt hatund sich auf„unerquickliche Debatten" gefaßt gemacht hatte.Die liberale Knechtsscligkeit hat also als unmittelbare Folgedie Stärkung der Position des Ministerpräsidenten bewirkt.Der„liberale Finanzminister.Köln, 1. Juli.(Psivatdepesche des„Vorwärts".) Zu der Er»nemmng des bisherigen Oberbürgermeisters Dr. Lcntze- Magdeburgzum preußischen Finanzminister wird der„Rheinischen Pcovinzial-Korrespondenz" von unterrichteter Seite aus Magdeburg nochweiter gemeldet, daß man in kritischen Magdeburger Kreisen sichnicht zu der Ansicht bekennen kann, die den neuen Finanzministerkurzweg liberal oder wenigstens nationalliberal nennt. ObgleichDr. Lentze nach außen hin stets für den Schein sorgte, als liberalzu gelten, so bewies doch gerade seine Magdeburger Amtsführung,daß er es in jedem Falle aufs sorgfältigste vermeidet, irgendwiemit Interessen der Regierung in Konflikt zu geraten. Abgesehen vonFällen, welche ausschließlich die Magdeburger Kommunalverwaltungangingen, trat dieS besonders scharf in den Tagen der Reichs»f i n a n z r e f o r m und bei Beratung derpreußischenWahl»r e f o r m hervor. Dr. Lentze lehnte eS bei beiden Gelegenheitenfür seine Person grundsätzlich ab, daß die Vertretung der StadtMagdeburg in liberalem Sinne Stellung nehme. Bei der Ab»stimmung über die preußische Wahlreform imHerren»hause stellte er sich nicht aus Seite seiner Kollegen, der übrigenBürgermeister, sondern enthielt sich bezeichnenderweise der Ab»st i m m u n g. Unbeschadet seiner mehrfach gerühmten Bedeutungals Verwaltungsbeamter ist man auch nach seinem bisherigensonstigen Verhalten der Regierung gegenüber, so auch m derEingemeindungsfrage, bei Dr. Lentze danach ohneweiteres berechsigt, ihn als konservativen Mann und zwarvon ziemlich starker bureaukrati scher Färbung zubezeichnen._Das System.Unter dem Titel„Viel Lärm um einen Eierkuchen" schreibtdie„Köln. Volksztg." ziemlich respektlos über daS Durcheinanderpurzeln der Minister:„Seit etwa 20 Jahren— genauer gesagt, seit dem Znsammen-bnich des sogenannten Kartells— haben die preußischenMinister, ebenso auch die deutschen Staatssekretäre.das Regiment in so gleichartiger Weise geführt, daß manSchulz und Müller kaum unterscheiden konnte. Wohlstand der eine etwas mehr nach rechts und der andere etwa« weiterlinks, doch hat manpraktisch davon kaum Erhebliches merkenkönnen. Die alte preußische„Tradition" stand überden subjektiven Neigungen der häufig wechselnden einzelnen Ressort-chefs... Wer dieses preußische NegicrungSsqstem genauer studiert hat.der wird finden, daß die Personen der Minister dabei wenigzu bedeuten haben. Die verschiedenartigsten Minister habendoch im Grunde dieselben Entscheidungen erlassen. Freilich ist jaauch ein Minister nicht ein solcher Selbstherrscher, wie man manch-mal denkt. Die Existenz eines Ministers gleicht oft der Kometen-lausbahn, aber der Geheimrat ist der„ruhende Pol in der Er-scheinungen Flucht". In ihm verkörpert sich die preußische Traditionund wenn ein neuer Chef kommt, so dauert es meist nicht lang«.daß er tanzt, wie der Geheimrat pfeift."Das Zcntrumsblatt vergißt leider nur hinzuzufügen, daßzu den stärksten Stützen dieses schmählichen Systems eben dasZentrum gehört.