|t. 50. 28. Jahrgang. i SnlU des Jirniärts" Kttlim NalksdlM Aiellstag. 28. lewtar Mt. l�eickstag. tss. Sitzung. Montag, den 27. Februar 1911, nachmittags 2 Uhr. Am Bundesratstisch: v. Heeringen. Der Gesetzentwurf über die weitere Zulassung von Hilfsmitglieder« im Kaiserlichen Patentamt bis zum 31. März 1914 wird nach kurzen Bemerkungen des Abg. Kirsch(Z.) in dritter Beratung angenommen. Dann wird die zweite Beratung des Militär-Etats beim Titel„Gehalt des Kriegsministers 50 909 M." fortgesetzt. Abg. Gröber<Z.): Die Sozialdemokraten machen den bürger- lichen Parteien den Vorwurf, sie hätten die Löhnung der Soldaten nicht erhöht: dabei lehnen die Sozialdemokraten alle Steuern ab. (Sehr wahr l im Zentrum.) Auch wird den Soldaten jetzt das Putzzeug von der Verwalwng geliefert, was auch eine Ausgabe von 5 Millionen Mark ausmacht und für den einzelnen Mann mehr ist als ein paar Pfennige Solderhöhung.— Der Redner verbreitet sich dann mit leiser, aus der Tribüne nicht verständlicher Stimme über die Ehrengerichte.— Das ehrengerichtliche Ver- fahren entbehrt aller Garantien, die die bürgerliche Rechtspflege gewährt. Im Grunde ist das ganze Ehrengerichtsverfahren nichts als ein in unsere Zeit hineinreichendes Stück Kabinettsjustiz— es ist in Wirklichkeit gar kein gerichtliches Verfahren, entbehrt aller Kennzeichen und Garantien eines solchen.— Die Rede des Abg. Raab am Sonnabend mit ihren guten und schlechten Witzen war in keiner Weise geeignet, die ernste Frage zu klären, die in der fortschrittlichen Resolution an- geschnitten ist. In der österreichisch-ungarischen Armee sind die Juden längst zu Offtzierstellen zugelassen, ebenso in Frankreich , Italien , England. Wie kann man angesichts der Tatsache, daß in den Freiheitskriegen 373 jüdische Soldaten das eiserne Kreuz er- halten haben, behaupten wollen, daß den Juden die militärische Tüchtigkeit fehlt?(Lebhafte Zustimmung links.) Es ist natürlich nicht im einzelnen nachzuprüfen, aus welchen Ursachen die Zurückweisung jüdischer Aspiranten iin Einzelfalle er- folge: aber die Tatsache, daß seit Jahrzehnten un- getaufte Juden nicht zu Offizieren zugelassen worden sind, ist bezeichnend genug.(Lebhafte Zustimmung links.) Wir Katholiken haben allen Grund, gegen die Zurücksetzung eines Teiles der Nation aufzutreten. Was heute den Juden passiert, kann morgen uns ge- schehen. Die Gehässigkeit, die manche Juden gegen die katholische Kirche an den Tag legen, kann und wird uns nicht verhindern, für die verfassungsmäßige Gleichberechtigung der jüdischen Mitbürger einzutreten.(Lebhafter anhaltender Beifall im Zentrum und links.) Abg. Osann(natl.): Auch wir protestieren auf das schärfste gegen dle verletzende Rede des Abg. Raab. Gleich dem Vorredner treten auch wir unbedingt für die verfassungsmäßige Gleichderechti- gung aller Staatsbürger ein und mißbilligen jede Zurücksetzung aus Gründen der Religion oder der Abstammung. Freilich mufien sich die Juden durch feste Staatsgesinnung der Zulassung zu allen mili- tärischen und zivilen Aemtern würdig zeigen.— Der Redner pole- misiert darauf gegen die Sozialdemokratie, der er öde Negation vorwirft. Abg. Schöpflin(Soz.): Die eben gehörte Rede sollte wohl beweisen, daß die National- liberalen der Regierung alle Militärfordcrungen bewilligen. In der Budgetkommission wollten sie zwei Militärinspekteure streichen; aber eS kostete den Kriegsminister ein Wort— und die Nationalliberalen klappten um wie ein Taschenmesser und lagen alle aus dem Bauch.(Gr. Heiterkeit.) Dr. Osann wirft uns vor, uns sei die Kritik Selbstzweck. Wie kommt er dazu? Wir wollen unser ganzes un- geheures Agitationsmaterial preisgeben, wenn Sie die von uns gerügten Mißstände abstellen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.)— Der KriegSministcr sagt, waS würde uns eine Niederlage kosten I Nun, eS ist noch fraglich, ob mehr als der be- waffnete Friede. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)— Ich wende mich zur„Judenfrage'. Was da von der Militärver- waltung für das Nichtbefördern der Juden angeführt wird, ist nur ein unwürdiges Herumreden um die Sache.(Zustimmung links.) Ich habe weder Neigung noch Auftrag, für den jüdischen Teil der Bourgeoisie zu reden, die ihre Söhne gern als Reserve- offiziere sehen möchten; von dieser Epidemie sind auch die jüdischen Bourgeois befallen. Aber wir nehmen Stellung dazu wegen der Ge fetze sverletzung, die gegenüber den jüdischen Aspiranten von den Reserveoffizieren, also meist Richtern und Staatsanwälten geübt wird.(Sehr richtig I bei den Sozialdemo- Kleines feuilleton. Bekenntnisse SpielhagenS. Der letzte große liberale Zeitdichter, dem die Kunst nicht bloß eine Formsache, sondern ein heiliger Kampfesberuf war. hat sich über die Beziehungen seines Schaffens zu seiner Zeit in seiner autobiographischen Schrift„Finder und Er- finde r" ausgelassen. In einer Zeit, da Sozialisten die alte ästhetische Spießbürgerweisheit neu zu galvanisieren versuchen, daß„der Dichter' ein über den Klassen stehendes, fleisch- und blutloses Ge- bilde sei. mag eS besonders angemessen sein, die Meinung eines ganzen ManneS und Künstlers darüber zu hören. Spielhagen faßt den Inhalt seines Lebenszieles dahin zusammen: „Wenn meinem Streben irgendein Verdienst beiwohnen sollte, so kann es, deucht mir, nur nach dieser Seite liegen(d. h. den Menschen ganz und gar in den Dienst einer Sache zu stellen, die recht betrachtet und recht geübt, eine höchste der Menschheit ist): und ich meine, daß«S sich da mit dem Streben gerade der heutigen Menschheit berührt. Denn, trügen nicht alle Zeichen, so nähern wir uns immer mehr einer Zeit— und stehen vielleicht schon mit einem Fuße in ihr— welche ihre Ziele nur erreichen kann dadurch, daß sie das Individuelle dem Generellen opfert oder es doch nur soweit gelten läßt, als eS sich tauglich erweist, dem letzteren zu dienen.' Sein politisches Glaubensbekenntnis, wie es in seinen Romanen lebt, hat Spielhagen selbst einmal in folgenden knappen Worten formuliert:„Er war ein geborener Tyrannenhasser. Haffer alles defsen, was nach Autokratie schmeckt. So war nicht der einzelne Adelige, der vielleicht sein lieber Freund war, wohl aber die Adels- institurion als solche ihm gründlich widerwärtig. Daß die Republik der Panacs für alle sozialen Schäden sei, glaubte er keinen Augen- blick, dennoch sah er in ihr die einzige, eines mündigen Volkes würdige StaatSform. Religion war für ihn Privatsache, wie für die ersten Christen, lieber die seelisch-sittlichen Qualitäten, die den Menschen zum Christen machen, hatte er seine besonderen Ansichten, die von denen der Kirche gerade in den entscheidenden Punkten be- trächtlich abwichen. Alles in allem war sein politisch-religiöses Pro- gramm das des linkesten Flügels der Radikalen der Paulskirche von 1848, modifiziert durch die Erfahrungen eines halben Jahr- hundertS, die ihn aber nicht weiter nach rechts, sondern nach links gedrängt hatten, so weit, daß er mit den Sozialdemokraten die bestehende� staatliche und wirtschaftliche Ordnung ohne die ein- schneidendsten Veränderungen auf die Dauer für unhaltbar ansah.' Man hätte von Spielhagen erwarten können, daß er auch im Drama. daS ja noch unmittelbarer und kräftiger wirkt als der Roman und leichter in die Massen dringt, zu feinen Zeitgenossen ge- fprochen hätte. Indes hat er es bei einigen Kleinigkeiten bewenden lassen. Ueber die Gründe, die ihn von einer regeren dramatischen Produktion abhielten, hat er Felix Philippi in einem Briefe laus kraten.) Der Kriegsminister sagt, wenn die Regimenter nicht wollen, kann die Verwaltung nichts machen. Das glaubt niemand. Die Verwaltung will eben nicht. Nicht kriegerisch sollen die Juden, wohl aber der Adel sein— als ob noch nie ein A d e l s s p r o ß e i n Rebekkchen nach Hause führte(Große Heiterkeit), um sein verrostetes Wappenschild zu vergolden. UebrigenS könnte dem preußischen Adel und seiner geistigen Befähigung nur von Nutzen sein, wenn jüdisches Blut in ihn hineinkäme.(Heiterkeit und Sehr gut I bei den Sozialdemo- kraten.) Daß Herr Raab am Sonnabend den Reichstag mit einer antisemitischen Kneipe verwechselte, ist nur bezeichnend für ihn. Herr Raab klagte über den Geschäftssinn der Juden— ausgerechnet Herr Raab.(Heiter- keit.) Wenn eine Partei, so hat die antisemitische Geschäftssinn be- wiesen, sie, die alle drei Jahre ihre politische Firma wechselte, weil die alte Bankrott gemacht hatte; schlimmer kann eS kein Ramschbazar treiben.(Heiterkeit.) Und was für Leistungen hat der preußische Adel im Jahre 1806 vollbracht! So weit würden es die Juden noch immer bringen.(Sehr gut! links.) Damit lasse ich Herrn Raab schwimmen.(Heilerkeit.) Ueber das badische Flugblatt hat der Kriegsminister uns gesagt, auch er sei überzeugt, es sei das Produkt eines Wahnwitzigen. Die der Negierung nahe stehende Presse hat es anfangs ,ehr ernst genommen. Aber er hat uns eine merkwürdig e Geschichte von einem Manne erzählt, der in einen dunklen Wald geflohen ist, und dem man die Flugblätter geben wollte. Warum nennt man den Mann nicht?(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Wahrscheinlich ist es ein S p i tz e 1 1) In welchem Wald ist denn die beinahe ge- schehene große Moritat passiert.(Heiterkeit.) Die Geheimniskrämerei verstärkt den Verdacht, daß es sich um Polizeispitzeleien handelt.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Aber der Sozialdemokratie schaden sie damit nicht, die Niedergerittenen von 1807 reiten. Zum Fall B i s s i n g sagte der Kriegsminister. der Erlaß richte sich nicht gegen die Sozialdemokratie, sondern gegen jeden Ruhestörer. Es ist also eine Mobilmachung gegen„unbekannt".(Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Die Verhaftung von Abgeordneten, ohne Rücksicht auf ihre Immunität, hat er ja preisgegeben, und er sagt, der Absatz ist gestrichen. Der springende Punkt ist aber, daß ein preußischer General derartiges niederschreiben kann, daß er offen sagt, er würde aus Recht und die Verfassung nicht achten.(Zurnf bei den Sozialdemokraten: Was ist ihm geschehen?) Ach, ein General, der solchen Erlaß herausgibt, wird vielleicht noch befördert. Aber die proletarische Bewegung können Sie auf solche Weise nicht hindern; eine Armee kommt vielleicht in Veplegenheit, wenn man ihr die Führer nimmt, nicht aber die proletarische Bewegung. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)— Ich wende mich nun zu den Soldatenmißhandlungen. Der Minister sagt, wir sollen nicht verallgemeiner». Er selbst aber behauptet, jeder Offizier verurteilt die Soldarenmißhandlungen. Wenn das wahr wäre, wären sie längst beseitigt. Ein Unteroffizier Reiter von der 5. Kompagnie des Garde-Fuß-Artillerie-Regiments ließ die Leute in aller Frühe, bei der größten Kälte aufstehen und malträtierte sie in der gemeinsten Weise. Einen Mann ließ er mit dem Kopf nach unten an einem Gerüst aufhänge», bis der Mann erschöpft herunterfiel. Der Vertreter der Anklage beantragte drei Monate Gefängnis. Das Gericht aber meinte. Rekruten sind keine jungen Mädchen, Kanoniere könne man etwas derber anfassen und erkannte auf z w e i W o ch e n M i t t e l a r r e st. Wenn ein Gericht sich derartig ausdrückt, so muß das geradezu wie eine Anreizung zu den Soldatenmißhandlungen wirken.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)— Ein anderer Unteroffizier befahl einem Mann, der den Namen des komman- dierenden Generals nicht wußte, unter das Bett zu kriechen und von dort zu singen:„Aus tiefster Not schrei' ich zu dir'. Nachher mußte er auf das Spind klettern und singen:„Vom Himmel hoch da komm' ich her'. Dieser Soldatenschinder erhielt drei Jahre Gefängnis. Bei einem Leutnant, der mit Säbelhieben und Ohrfeigen fast alle feine Leute traktiert hatte, griff das Gericht einmal schärfer zu. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis und Dienstentlassung verurteilt.(Hört! hört! rechts.) Ja, wenn einmal ordent- lich bestraft wird, muß es auch erwähnt werden; selten genug ist eS.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ein Soldat wurde wegen Mißhandlungen fahnenflüchtig. Er kam dann wieder zurück und gab an, daß er wegen der Miß- Handlungen desertiert sei. Der mißhandelnde Unteroffizier erhielt zehn Tage Mittelarrest, aber der Soldat sieben dem Jahre 1884) aufgeklärt. Er wird soeben im„Berliner Tagebl.' veröffentlicht. Eine Stelle verdient hier um so eher wiedergegeben zu werden, als sie von Heinz Sperber hier entwickelte An- sichten vollauf bestätigt. Spielhagen schreibt u. a.: „Ja, wenn ich dürfte, wie ich möchte, ich hätte schon ganz andere Streifzüge in dies(dramatische) Gebiet unternommen, ich meine: mit mehr Nachdruck, mit größerer Konsequenz und Energie aus- geführte, und es würde mir an Erfolg vielleicht nicht gefehlt haben. Aber darf ich denn, wie ich möchte? D a r f i ch, darf irgendwer die großen Zeitfragen, wie ich sie in meinen Romane» aufzufassen versucht habe. auch nur versuchen, auf die Bühne zu bringen? Wo ist das Publikum, das dergleichen sehen und anhören möchte? Wo sind die Schauspieler. die solchen Aufgaben gewachsen wären? Sagen Sie nicht: Bietet uns nur Dramen, in denen das Herz unserer Zeit mächtig klopft, in denen wir das Ringen, Streben, Irren des jetzt atmenden Geschlechts wahrhaft verkörpert sehen—, das andere würde sich finden. Sämtliche Hostheater würden ihre Türen gegen den Friedensstörer und Hochverräter dreifach verriegeln, er würde zu den kleineren Theatern flüchten müssen, die ihm sagen würden: Lieber Freund, wozu der Lärm? Du kennst unser Publikum nicht. Das will sich amüsieren nach des Tages Last und Mühe, will lachen, wenn es menschenmöglich ist... Und deine Menschen! Ja, lieber Himmel, was soll der Schau- spieler mit denen anfangen? Die paffen ja in keine unserer Rollen- fächer... Das sind ja vcritable Menschen, ganz umwittert von einem penetranten Hauch des Lebens da draußen, der in unserer Schmink- und Puderatmosphäre ganz ungehörig und unerträglich ist l Nein, lieber Freund, du kennst das Theater und seine Bedürfnisse nicht. Bleibe auf deinem Felde, wo dir ja, wie ich höre,„üppige Saaten' wachsen; hier findest du einen Boden, der für dich und Deinesgleichen.unfruchtbar' ist und immer so bleiben wird.' Theater. Lessingtheater:„Die Kinder'", Komödie von Hermann Bahr . Mit seinem glanzvollen Worgängefi, dem „Konzert', kann sich das neue, inzwischen schon auf einer ganzen Reihe von Provinzbühnen aufgeführte Bahrsche Lustspiel künst- lcrisch nicht messen. Ihm fehlt die Nundung, der Autor hat es sorg- los zu früh in die Kulissenwelt hinausgesandt. Schade drum! Die Einfälle, auf denen die Komödie sich aufbaut, wären einer psychologisch vertiefenden Konzentration und feilender AuLgestal- tung in hohem Maße wert gewesen. Es steckt in ihnen unjz der skeptisch ironischen Beleuchtung des Ganzen ein gut Teil des spezi- fisch Bahrschen Geistes. Die Spannung im„Meister", die Komik im„Konzert" fließt vornehmlich auch aus der originellen Art, wie er die Reflexionen und das Handeln eines rein verstandcsmäßig philosophierenden Individuums mit den hergebrachten Anschauungen über Liebe und Liebcsleben kontrastiert. S>ie Dinge, derentwegen Monate Gefängnis und Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes.(Hört! hört l bei den Sozialdemokraten.) Ein Unteroffizier, der Unterschlagungen und Erpressungen be- gangen hatte und dem 200 Fälle von Mißhandlnngcn nachgewiesen waren, wurde allerdings stark bestraft— mit 3 Jahren Gefängnis, aber ein Sergeant, der sich in 292 Fällen Mißhandlungen von Sol- baten hatte zuschulden kommen lassen, wurde nur, weil das Kriegs- gericht minder schwere Fälle annahm, zu sechs Wochen Mittelarrest verurteilt. In Sachsen war nach dem bekannten Erlaß des Prinzen Georg, des späteren Königs, eine Zeitlang Ruhe mit den Soldaten- Mißhandlungen. Sie hatten unstreitig stark abgenommen. Neuer- dings sind aber wieder sehr arge Fälle vorgekommen. ES ist auch zu Kriegsgerichtsverhandlungen gekommen, in denen geradezu schauerliche Einzelheiten enthüllt wurden. Einem Sergeanten eines Ulanen- Regimentes wurde nachgewiesen, daß er gewohnheitsmäßig die Soldaten mit der Lanze schlug.(Hört! hört l) Die Urteile fielen natürlich wieder sehr milde auS. Wenn es gegen Unteroffiziere wenigstens noch Gefängnisstrafen gab, so gingen die Offiziere, die mindestens arger Versäumung ihrer Aufsichtspflichten fchuldig waren, so gut wie straffrei aus. Wir müssen aber mit allem Nachdruck erklären: wo solche Fälle vorkommen, da trifft im allgemeinen die Regiments- kommandeure die Schuld.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Die Ulanen-, die Husarenuniformen sehen ja recht gut aus und der Kriegsminister erzählte uns neulich von der Freude an der schönen Uniform. Die Freude wird stark herabgedrückt, wenn der schmucke bunte Rock grüne oder blaue oder gelbe Flecken deckt, die von Mißhandlungen herrühren, die die Soldaten wider- standslos zu erdulden haben. Ja wohl, widerstandslos! Denn in demselben Oschatzer Ulanenregiment, in welchem die ärgsten Miß- handlungskälle vorgekommen sind, wurde ein Soldat schwer bestraft, weil er bei einem Befehl eines Unteroffiziers etwas vor sich hingemurmelt haben sollte.(Hört! hört!)— Der Kriegsminister sagt uns, er mißbillige die Soldaten- Mißhandlungen. Daran zweifeln wir nicht. Wohl aber werden seine Ausführungen im Lande und in den Kasernen— denn auch in Kasernen dringen Zeitungen, wenn auch keine sozialdemo- kratischen(Heiterkeit)— so verstanden werden, daß er die Soldaten- Mißhandlungen nicht so scharf mißbilligt, wie sei» Vorgänger. Gerade im Interesse des deutschen Heeres, dessen Ansehen im Auslande durch die ungenügend bestraften Soldatenmißhandlungen sicher nicht ge- winnt, sollte der Kriegsminister darauf bedacht sein, das Heer von den Leuten zu befreien, die so bestialische Untaten begehe».(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Kopsch(Vp.): Der Abg. Raab hat hier borgestem eine Rede gehalten, die den Antisemitismus in Reinkultur zeigt. Der Kriegsminister möge daraus feine Lehre ziehen, der nicht mit der- selben erfreulichen Entschiedenheit, wie sein Vorgänger v. Einem, dem Antisemitismus gegenüber den Grundsatz staatsbürgerlicher Gleichberechtigung vertreten hat.— Im übrigen tut man eigentlich dem Abg. Raab zuviel Ehre an, Ivenn man ihm mit Gründen antwortet.(Lebhafte Zustimmung links). Von ihm gilt dasselbe, was Eugen Richter von Raabs Parteigenossen Liebermann v. Sonnen- berg sagte: Er belustigt die Rechte mit den Witzen, die die Herren selbst zu machen zu vornehm sind.(Sehr gut! links.) Der Ab- geordnete Raab leistete sich den Satz:„Wir wollen unsere Söhne nicht in Gefahr bringen, sich gegenüber jüdischen Vorgesetzten strafbar zu»lachen." Hätte da§ ein sozialistischer Redner gesagt, aber statt„jüdische'.adelige' Offiziere gefetzt, so hätte diese Auf- reizung zur Gehorsamsverweigerung einen Sturm der Entrüstung im ganzen Hanse hervorgerufen.(Sehr richtig 1 links.)— Redner tritt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen für größtmögliche Sparsamkeit ein und verlangt Streichung der Gouverneursposten, der fürstlichen Adjutanturen und des Feldjäger- korps, und wendet sich dann gegen den M i I i t ä r b o y k o t t, der kleinlich, gehässig und parteiisch gehandhabt werde.— Mit der Er- höhung der MannschastSlöhne will nian warten, bis Deckung da ist; man sollte die Liebesgabe dazu benutzen.— Der Redner wendet sich sodann gegen die Schwierigkeiten, die man— in Gegensatz zu �Sachsen usw.— in manchen Gegenden den Volksschullehrern bei der militärischen Beförderung mache.— Der Kriegsmmister hat auf die Ausführungen der sozialdemokratischen Redner über Soldatenmißhandlungen mit dem Ausdruck seiner entschiedensten Mißbilligung der Soldaten- Mißhandlungen geantwortet. Mit der Mißbilligung allein aber ist es nicht getan. Die Mißhandlungen müssen aus der Arinee ver- schwinden. Es ist bedauerlich, daß die Rechte bielfach die Aufzählung der Mißhandlungsfälle mit Heiterkeit begleitete.(Höhn. Gelächter rechts.) Für die Leute, deren Söhne als einfache Soldaten zu dienen haben, ist die Sache nicht lächerlich.(Sehr im Leben und noch, mehr auf der Bühne soviel tragische Pathetik verausgabt wird, lassen sich— das ist die Bahrsche Quintessenz— auch alle mit ganz anderen Augen ansehen. Um den Reiz einer solckjen umliegenden Beleuchtung war eS Bahr ursprünglich auch in seinem neuen Lustspiele zu tun. Nur daß die Ansätze nicht frei und ruhig entfaltet, Lücken der Erfindung durch Anleihen bei einer billigen, unwahren Theatersckmblone ge- stopft wurden. Dem ersten Akt fehlt alle Farbe. Im Schloß eines alten Medizinalprofessors, der stolz auf das Bauernblut in seinen Adern ist, macht der Sohn des gräflichen Hausfreunds, ein liebens- würdig frischer Junge, dem Professorentöchterlein die Kur. Das kleine Fräulein soll wohl moderner Typ oder doch Karikatur eines modernen Typus sein. Sie stößt allerhand emanzipiert klingende Schlagworte hervor, belustigt sich über den Stammbaum ihres Liebhabers und renommiert mit ihrer geistigen Freiheit und Ueber- lcgenheit. Aber die Dummheiten, die sie zutage fördert, sind so übertrieben, so programmatisch angeschminkt, daß die Figur, auch nur als Parodie betrachtet, eine plappernde Theaterpuppe bleibt, wie ihr Gegenstück, der ganz naiv verliebte Backfisch alter Observanz. In der Verzeichnung dieses Typs liegt die Hauptschwäche des Stücks. Die Unmöglichkeit, Anna irgend ernst zu nehmen, läßt auch im zweiten Akt— da sie erfährt, daß der Geliebte ein illegitimer Sprößling ihres eigenen VaterS— ihre Auflehnung gegen das Verbot der Geschwisterehe ganz ohne Resonanz verpuffen. Immer- hin treten in dem zweiten und dritten Aufzuge allenthalben Spuren Bahrscher Eigenart hervor. Sehr echt in diesem Genre ist die Episode, in der ein unehelicher Sohn aus der Studentenzelt des Herrn Professors, von dessen Dasein dieser keine Ahnung hatte — ein rotbäckiger Rheinländer— sich auf der Fahrt dem Vater vorstellt. Kein Ton von anklägerischem Pathos, von Tragik und Sentimentalität, aber in dem Stolz, mit dem der arm aufgewach- sene Bursche jede nachträgliche Hilfe des Geheimrats abweist, zittert durch alles tolerante Philosophieren etwas von tiefer Er- bitterung, vom Schmerz der Kinderjahre nach. An diese Szene schließt sich, gleichfalls still und ohne große Worte, unmittelbar die andere, in der der Professor dem Grafen, der ihn um die Hand der Tochter bittet, das Geheimnis seiner Abstammung und damit die Unmöglichkeit einer solchen Ehe nach der geltenden Sitte auS- cinandersctzt. Annas gegen jede autoritäre Satzung revoltierender Sinn scheint auch den jungen verständigen Menschen, für den nach der Enthüllung der Bgrzicht auf seine Wünsche selbstverständlich war. mehr und mehr zur Aufsässigkeit umzustimmen. Aber eine witzige Wendung des Schlußakts hilft über das peinliche Dilemma hinweg. Wie der Professor sich als Vater des angeblichen Grafen- sohnes, entpuppt der alte Graf sich als Erzeuger des Professoren- mädels, und das Pärchen kann die Ringe ohne Skrupel tauschen. Brillant wurde der bärbeißig eigensinnige Professor von Marr, der robust gesunde uneheliche Proletariersproß von Otto Gebühr dargestellt. Fräulein Sogtgry war reizend, soweit es die Torheiten ihrer Rolle zuließen. icke.
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