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würbe die 15jährige Johanna Naivakolvska aus Rußland  , die bei ihrem Onkel, dem Stadtverordneten Smigielski in Dölzig zu Be- such weilte, ohne Angabe von Gründen plötzlich nach der Grenze abgeschoben. Das ISjährige Mädchen wurde am 19. September, nachmittags 4 Uhr, auf die dortige Polizei geladen, woselbst der völlig Ahnungslosen mitgeteilt wurde, daß sie sofort ausgewiesen würde und nicht mehr zu den Verwandten zurück dürfe! Alles Weinen und Bitten des Madchens  , doch wenigstens von den Verwandten Abschied nehmen und sich andere Kleider Hillen zu dürfen, wurde abgeschlagen. Das Kind wurde in die Arrestzelle gebracht und am anderen Morgen früh 4 Uhr nach der Grenze transportiert. Die Polizei verweigert jede Angabe ihrer Gründe für die Ur- fache der Festnahme und Ausweisung. Tie militaristische Verseuchung des Zivillebens ist in keinem Lande der Welt soweit vorgeschritten als in Deutsch  - land. Nicht allein, daß zahlreiche Kategorien der Staatsbeamten durch das System der Militäranwärter fast ausschließlich aus Leuten bestehen, die ihren Befähigungsnachweis in der Kaserne erworben haben, auch die Kommunen sind gezwungen, einen großen Prozentsatz ihrer Beamten dem Unteroffizierkorps zu entnehmen. Daneben wird aber auch eine große Anzahl inaktiver Offiziere in den staatlichen und städtischen Beamtenkörpern untergebracht. Daß dem preußischen Staate die Militarisierung der Kommunen ganz besonders am Herzen liegt, beweist folgende Mitteilung in der neuesten Nummer desM i l i t ä r- W o ch e n° Mattes"; (Amtsvorsteher- und Bürgermeisterkurse.) Für alle Offiziere, die die Absicht haben, sich nach erfolgter Pensionierung um Amtsvorsteher- und Bürgermeisterstellen zu bewerben, um sich dadurch einen angenehmen und ge- eigneten Beruf zu schaffen, dürfte der Hinweis darauf großen Wert haben, daß ihnen Gelegenheit geboten wird, sich die für ein derartiges Amt unerläßlichen Vorkenntnisse zu er- werben. Etwa Mitte Oktober 1911 und Mitte Januar 1912 beginnt nämlich an der Deutschen   Staatsbürger- und Beamten- schule, Berlin   W. 35, je ein Lehrkursus, der den aktiven und inaktiven Offizieren gleicherweise offensteht, und in denen die Teilnehmer mit den dienstlichen Obliegenheiten eines Amts- Vorstehers und Bürgermeisters möglichst eingehend vertraut ge- macht werden sollen. Der Herr Minister des Innern hat die A in tsvorste Herkurse usw. empfohlen. Da die fraglichen Stellen besonders für inaktive Offiziere sehr geeignet siitd und ihnen aus naheliegenden Gründen gern übertragen werden, so bietet sich hier den Offizieren eine sehr günstige Gelegenheit, sich die notwendige Vorbildung für diesen Beruf zu verschaffen. Nicht selten haben es inaktive Offiziere, die Amtsvorstcher oder Bürgermeister wurden, empfunden, daß sie .auf ihr Amt nur sehr ungenügend vorbereitet und mit Einzel- hciten der Stellung wenig vertraut waren. Diesem Mangel soll durch die Lehrkurse abgeholfen werden. Herren, die an einem der Kurse teilzunehmen beabsichtigen, wollen sich alsbald mit der Staatsbürger- und Beamtenschule, Berlin   W. 35, Flottwellstr. 3. in Verbindung setzen. Die preußische Regierung schlägt mit einer solchen Maßnahme zwei Fliegen mit einer Klappe. Einmal wird sie dadurch den ewigen Klagen der inaktiven Offiziere über schlechte Versorgung und angeblich ungenügende Pensionen gerecht und verbessert in- direkt den Vcrjüngungsprozeß" im Offizierkorps. Zum zweiten aber bekommt sie eine starke Waffe gegen da? Selbstverwaltungs- recht der Gemeinden in die Hand. Denn die ehemaligen Offiziere. die alle noch den militärischen Ehrengerichten unterstehen, werden sich meistens hüten, gegen den staatlichen Stachel zu löken. Und daß Offiziere a. D. als Bürgermeister absolut zuverlässige Kämpen gegen dieMächte des Umsturzes" sind, versteht sich am Rande. Ter verbotene Maiaufzug. Die Arbeiterschaft von Altona   und Ottensen   plante für den i. Mai 1910 einen Festzug, der sich von der Fritz-Reuterstraße durch Altona   nach Bahrenfeld   bewegen sollte. Die Parteisekretäre Sicbert und Kürbis beantragten die Genehmigung bei der Polizei- Verwaltung in Altona  . Diese versagte die Genehmigung mit der Begründung, daß mit dem Aufzuge Gefahren für die öffentliche Sicherheit   verbunden sein würden. Voraussichtlich würden viele tausend Personen teilnehmen. Gerade aber Sonntagsnachmittag sei der Verkehr zwischen der Stadt und dem Vororte Bahrenfeld   ein außerordentlich großer. Bei dem gegen die heutige Staatsordnung gerichteten demonstrativen Charakter des Maiauszugs der Sozial- demokraten und der mit ihnen haltenden Gewerkschaften würden weite Bevölkerungskreise beunruhigt werden und eS könnte zu Störungen kommen. Beschwerden� beim Regierungspräsidenten und beim Ober- Präsidenten in Schleswig   hatten keinen Erfolg. Darauf klagten die Genossen Siebert und Kürbis beim Ober- vcrwaltungsgericht. Sie bestritten, daß irgendwelche konkrete Tat- fachen vorlägen, die die Befürchtung der Störung der öffentlichen Sicherheit begründen könnten. Ohne Rücksicht auf solche Tatsachen sei denn auch das Verbot lediglich die Folge einer Anordnung des Ministers. Der Obcrpräsident erwiderte nichts, sondern reichte nur die sogenannten polizeilichen Vorgänge ein, die zumeist aus Polizei- berichten zu bestehen pflegen. Hier handelte es sich auch nur um einen solchen, der Ausschluß geben sollte über die Motive der Polizei. In dem Bericht wird nun als entscheidend hervorgehoben, daß am Sonntag, den 1. Mai 1910, auf dem bekannten Bahrenfelder Renn- platz großes Pferderennen stattfinden sollte. Dazu pilgerten, so wurde ausgeführt, mindestens 10 000 Personen nach Bahrenfcld hinaus, die ungefähr dieselben Wege gingen, die der Zug der Ge- nossen genommen haben würde. Nicht nur Fußgänger besuchten das Rennen, es führen auch sehr viel Leute nnt Automobilen hin- aus und andere ritten. Wenn nun noch 10 000 Sozialdemokraten und Gewerkschafter sich dahin bewegten, dann seien sehr leicht Störungen möglich. Diese Darlegung genügte dem Oberverwaltungsgcricht denn doch nicht, um darauf ein Urteil stützen zu können. Es beschloß des- halb in der Sitzung am 19. September, noch weitere Ermittelungen anzustellen und die Sache zu diesem Zwecke zu vertagen. Zwei Militärgerichtsurteile. Kürzlich tagte in Kiel   das Kriegsgericht der 18. Division in Flensburg  , um über die Straftaten zweier Offiziere, des Ober- leutnants Er itropel und des Leutnants Sutorf, beide vom Infanterieregiments Nr. 85, abzuurteilen. Welcher Straftat die Offiziere beschuldigt, ob sie schuldig befunden und wie hoch sie ver- urteilt wurden, hat kein Unberufener erfahren. Sofort nach Er- öffnung der Verhandlung wurde die Oeffentlichkeit aus- geschlossen, und sie wurde nicht einmal zur Ver- lündung de« Urteils wieder hergestellt, trotzdem es gesetzliche Vorschrift ist, daß die Urteilsverkündung öffentlich zu ge- fcbehcn hat. wenn auch die Begründung des Urteils in nichtöffcnt- licher Sitzung erfolgen kann. An-demselben Tage verhandelte das Kriegsgericht der Auf- klärungSfchisfe über eine Anklage gegen zwei Matrosen deS Panzer- treuzersv. d. Tann". Die Matrosen Tschaun und Saupe standen unter der schweren Anklage des Aufruhrs. Beide waren am 2. Juli in einem Vergnügungslokal in angeheiterter Stimmung. Bei der Gelegenheit soll Tschann einige Damen bc- lästigt haben, die in Begleitung von zwei Maaten gekommen waren. Der BootSinamiSmaat Willbrand wollte TschaunS Namen feststellen und nahm ihm deshalb die Mütze vom Kopf. DaS war im Saal des Etablissements. Der Vorgang rief viele Neugierige, alle Angehörige der Marine, herbei. Die Angeklagten sollen nun bei der Gelegenheit den Bootsmanns- j maaten bor   die Brust gestoßen und zum Ausgang gedrängt haben, s wobei er hingefallen sein soll. Als er hingefallen war, sollen ihn noch mehrere Matrosen geschlagen haben, so daß er im Gesicht blutete und Kragen und Hose dabei zerrissen wurden. Von den Tätern wurden nur Tschaun und Saupe abgefaßt, die anderen ent- kamen. Die beiden Angsllagten müssen ihr im Alkoholrausch be- gangeneS Vergehen schwer büßen. Tschaun erhielt wegen Belügcns eines Vorgesetzten er hatte erst einen falschen Namen genannt, Ungehorsams und militärischen Aufruhrs fünf Jahre und vierzehn Tage Zuchthaus, Saupe wegen Ungehorsams und mililärischen Auf- ruhrs fünf Jahre und drei Tage Zuchthaus. Durch solche geradezu ungeheuerlichen Strafen im Verhältnis zu dem Vergehen soll Furcht und Schrecken verbreitet und der Kadavergehorsam erzwungen werden. Aber auch dieses Schreckens- shstem wird an sich selbst zugrunde gehen. Ein Elite-Regiment. Wie wir seit Jahresfrist wiederholt berichtet haben, hat das 18. Husarenregiment(Schleswig  -Stadt) die Militärgerichte des 9. Armeekorps fortgesetzt in Bewegung gehalten. Was dort an Soldatenschindereien aller Art geleistet worden ist, dürfte kaum von einem anderen Truppenteil überboten worden sein. Einige übereifrigeMilitärpädagogen" alle wollen aus pädagogischen Gründen gehandelt haben sind zwar dauernd unschädlich ge- macht und auch nicht unerheblich verknackt worden, aber die meisten sind doch mit einem blauen Auge davongekommen. Auch Gefreite und sogenanntealte Militärs" haben sich den jüngeren Soldaten gegenüber in schmählicher Weise benommen. So auch der jetzige Gefreite der Reserve Karl Michel sen in Flensburg  . Für drei Fälle der Mißhandlung Untergebener hatte die erste Instanz ihn zu drei Wochen Mittelarrest ver- urteilt. Dieses Urteil hat er angefochten. Die Straftaten liegen schon ein bis zwei Jahre zurück und sind erst nachträglich zur An- zeige gelangt. Die Zeit lindert jeden Schmerz, denkt der An- geklagte, der die Sache so gelinde darstellt, daß nichts übrig bleibt. In allen Punkten vermag nicht volle Aufklärung geschaffen zu werden, aber der eine Husar läßt sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Er schildert, wie er von dem«hen Patron auf der Stall- wache mit der Faust und mit einem Riemen arg verdroschen worden ist. Der Ankläger betont, daß bei diesem Regiment in verhältnismäßig kurzer Zeit 250 Untersuchungen, zumeist wegen Mißhandlung Untergebener, vor- genommen worden seien, so daß wohl einige Fälle durcheinander- liefen. Unter Absetzung eines Falles könnte das Strafmaß ent- sprechend ermäßigt werden. Das Oberkriegsgericht des 9. Armeekorps(Altona  ) nimmt nur niinder schwere Fälle an, da kein gesundheitlicher Schaden entstanden sei. und setzt die Strafe auf neun Tage Mittelarrest herab. Italien   und Cnpolitalkn. ., 9! out, 21. September.  (Ei?. Ber.) �Seit längerer Zeit kann es niemand verborgen sein, daß in Italien   eine ziemlich starke Strömung zugunsten neuer afrikanischer Abenteuer besteht. Der italienische Imperialis- mus, der in Crispi seinen letzten grotesken und tragischen Aus- druck fand, hebt wieder den Kopf und richtet seine Blicke auf Tripotitanien. Die NationalistLn schreien nach einem größeren Italien  ", und das Eiscnkapital mit allem, was drum und dran hängt, schreit nach neuen Militärlieferungen. Dabei liegt auf� der Hand, daß ein kleiner Abstecher nach Tripolis   in O e st e r r e i ch ganz gern ggsehen werden würde von all denen, die ihn als Vorwand ausschlachten würden, um einen österreichischen Vorstoß im Balkan   zu rechtfertigen. DerAvanti" berichtet in seiner Nummer vom 20. September, daß das 9. und 10. Armeekorps Order hätten, sich kriegsbereit zu halten, und bringt diese Nachricht mit einer afrikanischen Expedition in Verbindung. Nach unseren In- sormationen wäre die Okkupation eines Teiles von Tripoli- tanien bereits eine diplomatisch abgemachte Sache. Es heißt nämlich, daß eine italienische Aktiengeselbschast von der türki- selten Regierung für 125 Millionen Lire Konzessionen in Tripo- litanien erworben hätte. Da aber die türkische   Regierung bisher nie von derartigen! Konzessionen etwas wissen wollte. wofür Gründe innerer und äußerer Politik ausschlaggebend waren, so sei es nötig, eine gewaltsame Okkupation wenig- stens vorzutäuschen. Deshalb dürsten demnächst i t a l i e- nische Kriegsschiffe an die t r ip o l i t a n i s ch e Küste gesandt werden, die irgend einen, Konflikt vom Zaun brechen sollen. Alles würde dann damit enden, daß die Türkei   unter dem Schein des Zwanges das gewährt, was sie schon vorher gegen klingende Münze regelrecht verkauft hat. Die Kosten trüge die Aktiengesellschaft, an der auch der Banco di Roma" mit großen Kapitalien beteiligt sein soll. Tie erwähnten Konzessionen, die in Landstrick)en, Handels- vorteilen usw. bestehen, würden dann einerfriedlichen Penc- tration" JtalientZ in Tripolitanien   den Weg ebnen. Oesterreick. Ein zweites Todesopfer. Wien  , 22. September. Wie die Blätter melden, ist der bei den Ausschreitungen am Sonntag verwundete Werkzeugschlosser Franz Joachimsthaler seiner schweren Unterlcibsverletzung erlegen. Die von Sachverständigen festgestellte Höhe des durch die Kundgebungen vom Sonntag angerichteten Schadens beträgt im Bezirk O t t a k r i n g hunderttausend, im Bezirke innere Stadt vierzigtausend, im achten Bezirk vicrzigtausend Kronen. Gegen die Lebensmittclteucrung. Budapest  , 22. September. Die gestern abend von der sozialdemokratischen Partei veranstalteten 12 Protestversamm- lungen gegen Lebensmittelteuerung und Mietswucher, die von vielen Tausenden von Arbeitern besucht waren, nahmen einen ruhigen Verlauf. Die Regierung hatte Militär in Bereitschaft gehalten, das aber nicht in Aktion trat. ftankmek. I» Einigkeit für den Frieden. . Paris  , 21'. September.(Eig. Ber.) Die Kundgebung. die die Gewerkschaften des Seinedepartements für den Sonn- tag organisieren, soll dem Protest nicht nur gegen die Kriegs- Hetzer und die Teuerung, sondern auch gegen die Reaktion im Innern gelten. Und als ob es ihre Absicht gewesen wäre, die Notwendigkeit dieses Protestes zu demonstrieren, hat die Re- gierung den Polizeipräfekteni beauftragt, keine Kundgebungen aus der Straße zu dulden. Herr L ä p i n e ist also wieder einmal Diktator von Paris  . Er wird Kavallerie und In- fanterie zu Attacken auf die Leute loslassen, die diese Ka- vallerie und Infanterie davor bewahren wollen, sich für den Profit etlicher von seinen Millionärkollegen massakrieren zu lassen. Ter Manifestation selbst freilich wird er kaum etwas anhaben könneni Die Organisationen haben die Parole aus- gegeben, jeden Konflikt mit den Wächtern der Ordnung streng zu vermeiden. Ter Versanim- lungsplatz ist im Aeropark, im Nordosten der Stadt. Die De- monstranten werden sich nach den Vormittagsversammlungen in losen Gruppen dorthin begeben, Tie Weistiffgen des Geiverkschaftsberbati�es Zeigen,? die Syndikalisten über die Gepflogenheit von ehedem, sich mehr auf die Impulse des Augenblicks als auf die ordnenden Kräfte der Disziplin zu verlassen, glücklich hinaus sind. Die Kifcid- gebung am Sonntag kann und soll nicht durch lärmende Leidenschaft, sondern durch die Masse und den entschlossenen Ernst der Teilnehmer imponieren. T-amit die Teilnehmer- zahl möglichst groß werde, war es sicher notwendig, an alle Kräfte der Arbeiterbewegung zu appellieren, deren Zersplitte- rung hier so oft die wichtigsten Bemühungen vereitelt und die zielbewußte Klassenaktion durch innere Kämpfe schwächt. Und es ist ein überaus erfreulicher, vielleicht folgenreicher Beschluß, den der Gewerkschaftsverband gefaßt hat, als er das Angebot der sozialistischen   Seineföderation, an der Manifestation mitzuwirken, annahm. In seinem Beschluß heißt es:Der Verbandsvorstand ist der Meinung, daß bei einer so ernsten und dringenden) Frage die Kund- gebung einen populären Charakter haben muß, wozu alle Organisationen zusammenwirken müssen." Das elementare Bedürfnis der Proletarischeft Klassen­bewegung selbst hat also über theoretische Schrullen, zur Ge- wohnheit geworden!» Phrasen und bornierte Vorurteile ge- siegt. Noch vor wenigen Jahren wäre ein formelles Zu- sammenwirken von Partei und Gewerkschaft der großen Mehr- heit der Gewerkschaften Revolutionärsyndikalisten und Neu­tralisten unannehmbar und gleichsam als Selbstpreisgabe erschienen. Aber auch in der geeinigten Partei war die Aengstlichkeit, dem Nurgewerkschaftlern die sozialistische Auf- fassung entgegenzustellen, so groß, daß sich auf den Kongressett von Limoges   und Nancy   eine Mehrheit für die strengste Sepa- ration beider Flügel der kämpfenden Arbeiterschaft fand. Wohl hat die Praxis diesen taktischen Grundsatz, der bei den GeWerk- schaften vielfach auch als prinzipieller erschien!, an manchen Orten, zumal in Nordfrankreich, überwunden, aber noch häu­figer verwandelte sich das Neben einander von Gewerkschaft und Partei in ein unheilvolles Gegeneinander, wie dies eben jetzt erst wieder die Bewegung gegen die Teuerung im Norden gezeigt hat.. Daß nun gerade auf dem durch alten Sektenstreit und demagogische Treibereien verwüsteten Pariser Boden ein so bedeutungsvoller Schritt zum Besseren gemacht wird, zeigt, wie stark das Gefühl der UnHaltbarkeit der bisherigen Zu- stände geworden! ist. Die Erfahrungen der letzten Monate haben manchem die Augen geöffnet. Und sicher ist auch das deutsche Beispiel nicht ohne Anteil an diesem Fort- schritt. Ganz fruchtlos ist die Berliner   Fahrt der Gewerkschaften auch für ihre klassenpolitische Erkennt- nis nicht geblieben. Bor allem aber ist es der Eindruck der Riesenkundgebungen des deutlichen Prole­tariats, der hier das Streben erweckt hat, dem Friedenswillen des arbeitenden Frankreich   in Kundgebungen von gleicher Wucht und zwingender Größe Ausdruck zu geben. Hoffentlich ist der gestrige Beschluß der Beginn eines Gesun- dungsprozesses, der auch anhält, wenn an die Stelle der augenblicklichen Sorgen des Proletariats andere treten, die ebenso die gesammelte Kraft seiner Organisationen heischen. Die Eiiibcrufung der Kammer. Paris  . 22. September. In parlamentarischen Kreisen läuft das Gerücht um, das Parlament werde zum 24. Oktober e i n b e- rufen werden. Wie derFigaro" mitteilt, sinkt aber dieser Termin bei vielen Mitgliedern des Senats und der Kammer keine große Zustimmung; man würde es in diesen Kreisen lieber sehen. daß der Parlamentsbeginn aus den 8. November verschoben würde._ Dumme Streiche. Brest  , 22. September. Der Kassierer der hiesigen sozialistisch» revolutionären Arbeitsbörse G o u r m e l i n wurde aus frischer Tat ertappt, wie er Telegraphenstangen erkletterte und Drähte zerschnitt. Er wurde verhaftet. Die Verhaftung rief unter der hiesigen Arbeiterschaft große Aufregung hervor. Spanien  . Bcendigung des Massenstreiks? Madrid  , 22. September. Alle Zeitungen sind heute früh erschienen. Der A u s st a n d dauert nur noch an in G i j o n und in den K o h l e n m i n e n von Pueblonuevo del Ternble. Einige Zusamimenstöße haben hier stattgefunden: mehrere Pevsonen sind verwundet worden. Der a l l g e in eine Arbeiterverband hat gestern abend den Schluß desStreiks verkündet._ Ja der Provinz. Madrid  , 22. September. Gruppen von Ruhestörern, die die Provinz V i s c a y a durchstreiften, wurden, zerstreut. In Valencia   versuchte eine Bande von Revolutionären, den Palast des Herzogs von Gcmdia in Brand zu stecken, wurde aber vertrieben. Eine andere beraubte die Gemeindekasse. In EI Ferro! beginnen die Lebensmittel knapp zu wer» den. Zahlreiche Arsenalarbeiter nahmen die Arbeit wieder auf. In B a d a j o z sind zwei portugiesische Anarchisten ver- haftet worden. In Barcelona   herrscht vollkommene Ord- nung, und es wird überall gearbeitet. Einige Gruppen von Anarchisten wurden zerstreut. In La Coruna   haben die Hafenarbeiter die Arbeit wieder aufgenommen. In M a d r i d erschienen gestern abend nur vier Zeiwngen. Die einzigen, die den Ausstand in Madrid   jetzt noch aufrechterhalten, sind die Droschkenkutscher: diesen ist eine Frist von 21 Stunden! gewährt worden: wenn sie in dieser Zeit die Arbeit nicht wieder aufnehmen, wird ihnen der Fahrschein ent- zogen. Ministerpräsident Canalejas   sagte beim Ber  - lassen des königlichen Schlosses zu den Journalisten:Meine Herren, ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß der Ausstand überall beendigt ist." Holland. Tie Obstruktion. Haag, 21. Seplcmber. In der Sitzung der Kammer setzte der Sozialist T e r l a a n seine Obstruktionsrede eino Stunde hindurch fort und sagte, er könne, ohne von der Tagesordnung abzu- weichen, noch stundenlang reden. Er habe nur zeigen wollen, welche Mittel die Minorität besitze, um die Majorität zu hin- dcrn, der Minorität ihren Willen aufzudrängen. Jedoch träten die Sozialisten heute nicht in eine wirkliche Obstruktion ein; sie würden aber dafür erkenntlich sein, wenn die Majorität die Möglich- keit eines Zusammenarbeitens wieder schaffe. Hier- auf verlangten die sozialistischen   Deputierten noch zweimal eine Ab- stimmung über ihre Vorschläge, gewisse Entwürfe in den Sektionen zu prüfen. Nach Schluß der Sitzung pfiff das sozialistische Publi- kum den christlich-historischen Deputierten L o h m a n n aus und nahm eine drohende Haltung an, so daß die Gendarmerie blank ziehen mußte, um die Menge, die sozialistische Lieder sang, in einiger Entfernung zu Kalten.