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Nr. 224.

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Ericheint täglich außer Montags.

Vorwärts

Berliner   Volksblaff.

28. Jahrg.

Die Infertions- Gebühr beträgt für die sechsgespaltene Rolonel geile oder deren Raum 60 Pfg., für bolitische und gewerkschaftliche Berei s und Bersammlungs- Anzeigen 30 Pig. Kleine Anzeigen", das fettgedruckte Bort 20 fg.( aulässig 2 fettgedrudte Worte), jedes weitere Wort 10 Pfg. Etellengesuche und Schlafstellenan acigen bas erste Wort 10 Pfg., jedes weitere Wort 5 Bfg. Worte über 15 Buch­staben zählen für zwei Borte. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 6 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist bis 7 Uhr abends geöffnet,

Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  ".

Zentralorgan der fozialdemokratischen Partei Deutfchlands.

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.

An die Partei!

Parteigenossen! Der Parteitag in Jena   hat die Ein­heit und Geschlossenheit der Partei in allen wichtigen politischen Fragen bekundet. Die Unterzeichneten, bom Parteitag zur Führung der Geschäfte berufen, werden alles tun, um das ihnen entgegengebrachte Vertrauen zu recht­fertigen.

Parteigenossen! Wir leben in sorgenvoller Zeit und gehen noch ernsteren Tag en entgegen. Unter der

Sonntag, den 24. September 1911.

Vorwärts!

Schweren politischen und wirtschaftlichen Kämpfen geht die gesamte deutsche Arbeiterschaft im kommenden Winter entgegen. über den Marokkokonflikt nicht beendet. Mit Mühe und Not sind Noch immer sind die geheimen Verhandlungen der Diplomaten die deutschen   Arbeiter, ist die ganze Kulturwelt vorläufig, der Gefahr entronnen, um der Interessen einer kleinen Kapitalisten­gruppe willen Blut und Leben in cinem

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1984.

Ifit eigenen Waffen geschlagen.

Wie nun auch von amtlicher Seite bestätigt wird, ist das Attentat gegen Stolypin   nur deshalb möglich geworden, polizei stand. Er hatte seinem Vorgesetzten, dem Chef der weil Bagrow seit langen Jahren im Dienste der Geheim­Kiewer Ochrana" Oberst Kuliabko, glaubhaft gemacht, daß während der Theatervorstellung ein Attentat gegen Stolypin   verübt werden würde, das nur von ihm verhindert werden könne. Der Oberst schäßte die Angaben seines lang­opfern, ihre Frauen und Kinder der grenzenlosesten Not preis- jährigen Vertrauten, der auch beim Polizeidepartement sehr geben zu müssen. Und schon erhebt eine neue Gefahr gut angeschrieben war, außerordentlich hoch. Er hoffte, daß grinsend ihr Haupt: Die Teuerung klopft an die Türen der er durch den Coup seines Agenten ,, dessen provokatorische Arbeiterwohnungen und fordert ihre Opfer. Eine ganz

menschenmordenden Kriege

immense Preissteigerung sämtlicher Lebensmittel

Tätigkeit ihm natürlich bekannt war und der ihm schon eine Teuerung aller Gegenstände des Bedarfs muß selbst von den bürgerlichen Zeitungen zugestanden werden; rühmt werden würde. Und um den vermeintlichen Attentäter große Reihe von Opfern zugeführt hatte, mit einem Schlage Karriere zu machen und als Retter des Vaterlandes" be­hat der Notstand der Arbeiterklasse einen Grad erreicht, der kommenden Monate werden uns eine Verschärfung der Not keit der Geheimpolizei desto eklatanter darzutun, willigte er und dabei stehen wir erst in den Anfängen der Teuerung. Die um so sicherer an den Galgen zu bringen und die Notwendig. unerträglich geworden ist und weite Volfskreise zur Ver- bringen, die unter der arbeitenden Bevölkerung ungeheure auf den Vorschlag Bagrows ein, den Attentäter mit der zweiflung treibt. Die Nußnießer dieses Massenelends, die Verheerungen anrichten wird. agrarischen und industriellen Schutzöllner, verschließen ihre Was läge näher, als die Ohren dem Schrei der Ausgebeuteten, und die Regierung, ihr Verwaltungsausschuß, denkt nicht daran, wirksame Ab­

Grenzen zu öffnen

Waffen in der Hand im Theater zu ergreifen. Dieser teuf­lische Plan war keineswegs ein Privatunternehmen des Chefs der Kiewer   Geheimpolizei, wie die Regierungspresse und die gegen das Ausland errichteten Zollschranken nieder- das jetzt darzustellen sucht. Er arbeitete vollkommen im zulegen? Aber diese unsere Forderung findet ihren ärgsten Einbernehmen mit dem Polizeideparte. Gegner in den in Deutschland   und Preußen herrschenden Groß- ment und machte auch der nächsten Umgebung Eine Schar Kapitalisten treibt im Profitinteresse, grundbesikern und deren politischen Ausschuß, der deutschen   Stoly pins davon Mitteilung. Es sollte eben unterstügt von ruhmsüchtigen Militärs, eine Regierung.

hilfe zu schaffen.

verbrecherische Kriegsheke

Die auf die Dauer unhaltbaren, immer schlimmer werdenden Zustände werden im kommenden Winter voraussichtlich zu schweren wirtschaftlichen Kämpfen

unbekümmert darum, ob Hunderttausende hinge- führen. Die Arbeiterschaft kann es sich nicht widerstandslos ge­sch I achtet werden, das gesamte wirtschaftliche Leben zu sammenbrechen wird, Not und Elend in grauenvoller Weise bermehrt werden.

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fallen lassen, daß die Geißel der Lebensmittel teue­rung über ihr geschwungen wird. Eine notwendige Vorbedingung zur Erhaltung der Arbeitskraft ist es, daß der Arbeitslohn Immer größer wird die Zahl derjenigen, die soll nicht teuerten Lebensmittelpreisen gebracht wird. wieder in ein einigermaßen richtiges. Verhältnis zu den ver­soll nicht teuerten Lebensmittelpreisen gebracht wird. Aber dieselben der letzte Rest von Lebensfreudigkeit zugrunde gehen eine Unternehmer, die durch Unterstützung der agrarischen Beute­Rettung nur noch in der Wenderung unserer poli- politiker die dem Volke tischen und wirtschaftlichen Zustände bon Grund aus erblicken.

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Diesem Ziele näher zu kommen, und zugleich mit den Diesem Ziele näher zu kommen, und zugleich mit den Unterdrüdern gründliche Abrechnung zu halten, ist dem Bolke bald Gelegenheit gegeben.

Der Parteitag in Jena   hat bereits in eindruckvollster Weise das Signal zum Wahlkampf gegeben.

Der Wahlkampf ist damit für uns eröffnet! Parteigenossen! Die politischen und wirtschaftlichen Ver­hältnisse sind uns besonders günstig. Aber täuschen wir uns nicht! Die Gegner werden Anstrengungen machen, wie wir fie noch nie erlebt haben, um uns zurückzuwerfen. Da dürfen wir nicht einen Augenblick ungenutt lassen!

kann und muß.

verderbliche Zoll- und Steuerpolitik haben schaffen und ausbauen helfen, wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, wenn die Arbeiterschaft verlangt, daß sie nun auch die Folgen ihrer reaktionären Haltung mit tragen sollen. Die Pflicht der Selbsterhaltung zwingt die Arbeiterschaft, durch umfangreiche Lohnbewegungen den auf ihr lastenden wirt­schaftlichen Drud wenigstens abzuschwächen.

und

neben der hurrapatriotischen Bosse, bei welcher der Zar die Hauptrolle spielte, auch ein von der Geheimpolizei einge­fädeltes terroristisches Drama zur Aufführung gelangen, und es ist bloß dem Zufall zuzuschreiben, daß statt neuer patrio­tischer Ovationen aus Anlaß der glücklichen Errettung aus der Lebensgefahr" wirkliche Revolverschüsse ertönten, die den Meister und Protektor des Provokationsunwesens tödlich verwundet zu Boden streckten.

Sämtliche Einzelheiten des Kiewer   Attentats weisen eine erstaunliche Aehnlichkeit mit dem Petersburger Dynamitan­fchlag gegen den Obersten Karpow im Januar 1910 auf, der von dem Revolutionär Petrom ausgeführt wurde. Hier wie dort richtete sich die Waffe, die von der Geheim­polizei sorgsam gehütet wurde, um die Revolutionäre zu neuen terroristischen Taten zu provozieren, schließlich gegen sie selbst. Hier wie dort sahen die in die Neße der Geheimpolizei ge­ratenen Attentäter die Ermordung eines Vertreters der Re­gierung als das einzige Mittel an, um sich vor ihren früheren Genossen zu rehabilitieren und ihre besudelte Ehre wieder Da erscheint es an der Zeit, an die Arbeiterschaft die reinzuwaschen. Im Falle Karpow- Petrom waren alle Vor­dringende Mahnung zu richten, noch mehr als bisher unter den bereitungen zu einem teuflischen Anschlag getroffen worden, Indifferenten, den politisch Gleichgültigen, für Aufklärung zu um einen Coup gegen die Revolutionäre auszuführen. Das sorgen. Die wirtschaftlichen Kämpfe mit all ihrem Elend sind nur Dynamit, welches den Chef der Geheimpolizei in die Luft die Widerspiegelung der jeweilig herrschenden sprengte, war mit Staatsgeldern bezahlt und politischen Verhältnisse. Nicht aus der sogenannten unter militärischer und polizeilicher Bedeckung nach dem " unparteiischen" Presse kann der Arbeiter die notwendige Spigelquartier gebracht worden, während der Attentäter Senntnis des politischen Lebens schöpfen. Wissen wir doch, daß Petrow, der für die Rolle eines zweiten Afew ausersehen diese Blätter nur geschaffen sind, um den Geldbeutel ihrer war, auf das forgfältigste vor allen möglichen Komplikationen Besizer zu füllen und um die Leser über die vorhandenen behütet wurde. Bei dem Attentat gegen Stolypin   wurden laſſen­Von heute ab muß es mehr denn je unsere Pflicht sein, aben doch jetzt erst gelegentlich des Marokkokonflikts die pseudo- während der Attentäter selbst, mit einer Karte der Geheim­Intereffengegenfäße hinwegzutäuschen. die tödlichen Schüsse aus einer polizeilichen Pistole abgegeben, neue Mitglieder für unsere Organisation zu demokratischen Blätter- Morgenpost" und andere ihren polizei versehen, in die unmittelbare Nähe des Minister­werben und neue Reser für unsere Parteipreffe wahren Charakter enthüllt. In boltsverräterischer Weise haben präsidenten vordringen konnte. Wenn irgendwo, so hat sich zu gewinnen. Das ist der wirkliche und dauernde Gewinn, sie sich auf die Seite der alldeutschen Kriegsheker gestellt. Ihnen gerade hier das System der provokatorischen Durchfeuchung, den uns neben der Vermehrung unserer Mandate und einer ist es wahrlich nicht zu danken, wenn es trotzdem nicht zum Kriege die seit Jahren in Rußland   geübt wird, an dem Hauptschul­starken Zunahme unserer Stimmen der Wahlkampf bringen gekommen ist. Die Arbeiterschaft müßte es als eine Schmach digen und Schöpfer dieses Systems gerächt. empfinden, wenn in ihren Wohnungen derartige unparteiische" Es ist eine Ironie der Geschichte, daß gerade Stolypin  Blätter zu finden wären. Die wahren Interessen des Proletariats und seine nächsten Gehilfen bei jedem Anlaß der Anschuldi­werden nur von der sozialdemokratischen Presse, dem gung entgegengetreten sind, daß die Regierung die Dienste Vorwärtz bon Rodspiteln in Anspruch nehme. Bei der Interpellation Schamlosigkeit eines professionellen Meineidszeugen erklärte, anläßlich der Asewaffäre war es Stolypin  , der mit der nie und nimmer wäre irgend eine Amtsperson in irgend einer Weise mit irgend welchen terroristischen und anderen verbrecherischen Unternehmungen der Revolutionäre in Be­rührung getreten". Und Turz vorher hatte sein Gehilfe Makarom, derselbe, der jetzt als Kandidat für den vakanten Ministerposten genannt wird, in der Duma erklärt:" Ich Provokation genannt wird, vom Standpunkt des Ministeriums spreche es fategorisch, überzeugt und offen aus, daß das, was des Innern unzulässig ist." Seitdem haben die Enthül lungen aus der Asewaffäre, der Berliner   Lockspielerzellenz Harting, dem Prozeß Petrow usw. der gesamten Kulturwelt die Möglichkeit gegeben, hinter die Kulissen der russischen  Regierungstätigkeit zu schauen und die Wahrheitsliebe des Ministerpräsidenten an den Scheußlichkeiten seines Regimes zu messen. Gegenwärtig, nach den Revolverschüssen in Kiew  , dämmert sogar den treuesten Anhängern des herrschenden Regierungssystems die Erkenntnis auf, daß die Waffe der Provokation, mit welcher die Regierung ihre Existenz auf­recht zu erhalten sucht, denn doch zu zweischneidig sei, um weiter gehandhabt zu werden. Daß ein Oberst Karpow aus Staatsmitteln in die Luft gesprengt wurde, ließ man noch gelten; daß die Ermordung von Plehwe, des Großfürsten Sergius und vieler anderer nachträglich als das Werk jews enthüllt wurde, darüber suchte man irgendwie hin­wegzukommen; aber daß nun der allgewaltige Stolypin   von einem im Solde der Geheimpolizei stehenden Attentäter niedergestreckt worden ist das verursacht den Echtrussen

Parteigenossen! Auf dem Boden unserer Grundsäge fämpfend, werdet Ihr den Wahlkampf streng sachlich führen, ohne Ruh und Rast, mit all der Energie, Opferwilligkeit und Ausdauer, die oft genug den Neid und die Bewunderung unferer Gegner hervorgerufen haben.

Gehen wir nunmehr frendig an die Wahlarbeit!

Und kommt der Wahltag heran, dann trefen wir an zum Sturm auf die gegnerischen Schanzen, von denen wir auf den ersten Anlauf eine ganze Anzahl nieder­zurennen gedenken!

Wir wollen sorgen, daß die angeblich Niedergerittenen von 1907 im Jahre 1912 ihren Mann stellen und fest im Sattel figen.

Parteigenossen!

Auf zum frischen, fröhlichen Kampf! Hoch die Partei!

Berlin  , den 21. September 1911.

Der Parteivorſtand.

Bebel, Braun, Ebert, Gerisch, Haase, Liepmann, Molkenbuhr, Müller, Pfannkuch, Scheidemann  , Wengels, Ziek.

vertreten. Durch schonungslose Aufdeckung aller Mißstände des heutigen Klassenstaates und Aufhellung der politischen Intrigen der herrschenden Klassen tritt der Vorwärts" für die Rechte des gesamten arbeitenden Volkes ein. Der erfreuliche Aufschwung der Abonnentenzahl der sozialdemokratischen Presse beweist, wie sehr gerade in diesen ernsten Zeiten das Proletariat die Wirkung dieser wuchtigen Waffe erkannt hat. Aber mehr noch als bisher weitere Verbreitung zu schaffen. Jeder neue Leser wird auch zu muß es Sache unserer Anhänger sein, dem Vorwästs" immer einem Kämpfer für unsere heilige Sache werden. Und der Kämpfer bedürfen wir so nötig; stehen doch in diesem Winter

die Reichstagswahlen bevor, wird doch während der Wahlagitation eine Schlammflut von Lügen und Berleumdungen über die Sozialdemokratie im deut­ schen   Volfe verbreitet werden. Nur dann werden wir diese ver­gifteten Waffen des politischen Kampfes mit Erfolg abschlagen und zu neuen Siegen schreiten, wenn wir beizeiten für

Aufklärung unter unseren Volksgenoffen gesorgt haben. Daher ist es unabweisbare Pflicht jedes Genossen, die günstige Gelegenheit zu benutzen und in unermüdlicher Werbetätigkeit für die Gewinnung neuer Leser des

Vorwärts"

zu agitieren. Nur durch die politische Schulung, durch Revolutionierung der Köpfe kann es gelingen, den Zeiten der wirtschaftlichen und politischen Not ein Ende zu machen und unsere Volksgenossen einer besseren freien Zukunft entgegenzuführen.

Vorwärts an die Arbeit!

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