setzung erhalten soll, die auf dem Boden der Verfassung und desRechtes wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fortschritt ge-währleistet._Das Marokko-Abkommen in der Kommission.Bei Beginn der heutigen Sitzung stellte Abg. Basser-mann folgende drei Fragen: 1. Hat Deutschland beieventuellen Vereinbarungen zwischen Frankreich und Spanienüber bestimmte Teile Marokkos kraft der Algecirasakte mit-zureden, falls deutsche Interessen dabei berührt werden sollten?2. Will sich die Regierung zu der Rede des französischen Mi-nisterpräsidenten Caillaux äußern, aus der die Gefahr derBildung einer schwarzen französischen Armee zuersehen ist? 3. Könnte nicht die Kriegsverwaltung sich überdiese Angelegenheiten gutachtlich äußern?Abg. Ledebour stellte folgende Frage: Wird derReichskanzler zur heutigen Sitzung erwartet? Wennnicht, so ersuche ich, ihn sofort telephonisch herbeizurufen, dader Reichskanzler die Ansicht vertritt, daß die Chefs der nach-geordneten Reichsämter nur die Politik des Reichskanzlers zuvertreten haben. Infolge dessen muß doch der Kanzler beidieser wichtigen Sitzung selbst zur Stelle sein.Vorsitzender v. G a m p erklärte, der Reichskanzler habeauch von der heutigen Sitzung Kenntnis erhalten, aber, wiegewöhnlich, einem zuständigen Ressortchef die Vertretung über-lassen. Herr v. Kiderlen-Waechter werde sicherlichauch die Verantwortung übernehmen.Abg. Ledebour stellte hierauf den Antrag, dieKommission wolle beschließen, daß der Reichskanzler sofortersucht wird, in der Sitzung zu erscheinen. Dieser Antragwird von sämtlichen bürgerlichen Parteien abgelehnt.Die Kommission beschloß, daß die Reden des Herrnv. Kiderlen-Waechter über den Gang der Marokkoverhand-lungen streng vertraulich behandelt werden sollen.Gleichzeitig wurde beschlossen, ein Protokoll anzufertigen, dasnur teilweise der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll.Immer langsam voran!Der neue Verfassungsvorschlag, den die mecklenburgische Nc-gierung in ihrer großen Weisheit zusammengestümpert hat, ist nochkurioser, als die früheren von ihr dem Landtag vorgelegten selt-samen Verfassungsentwürfe. Fast scheint eS, als hätten die Verfasserdiese? eigenartigen Kunstprodults die Verfassungsurkunden allermöglichen mittelalterlichen Ländchen und Kleinstaaten durchsucht, umauS allen das bizarrste und albernste zusammenzulesen.Der Entwurf enthält nämlich folgende Hauptbestimmungen:•Der Landtag besteht für Mecklenburg- Schwerin aus 30 Ab-geordneten, nämlich aus 20 Abgeordneten der Ritterschaft;20 Abgeordneten der Landschaft und der beiden Seestädte; 13 Ab-geordneten einzelner Berufsstände st Abgeordneten der Landwirt-schastskammer. 2 Abgeordneten der Handelskammer, 2 Abgeordnetender Handwerkskammer, 1 Abgeordneten der Landesuniversilät, 1 Ab-geordneten der Geistlichen der Landeskirche, 3 Abgeordneten derübrigen Berufsstände mit Hochschulbildung: b Abgeordneten desländlichen Großgrundbesitzes; 10 Abgeordneten der Landgemeinden;8 Abgeordneten der städtischen Bürgerschaften; t von dem Groß-Herzoge für Lebenszeit ernannten Abgeordneten.— Die zuwählenden Abgeordneten der Ritterschaft werden von denMitgliedern der Ritterschaft deS betreffenden Kreises ge-wählt. Von den Abgeordneten eines jeden Kreises sind zwei ausden Besitzern derjenigen ritterschaftlichen Güter zu wählen, welchezum ManneSstamm' einer Familie gehören, die feit mindestens100 Jahren in Mecklenburg ununterbrochen mit ritterfchaftlicheinGrundbesitz angesessen gewesen ist.Die Abgeordneten der Landschaft und der Seestädte bestehenfür Mecklenburg-Schwerin aus: 2 Abgeordneten der Stadt Rostock;je einem Abgeordneten der Städte Schwerin, Wismar, Parchim undGüstrow; 11 Abgeordneten der übrigen Landstädte. Die Abgeord-neten der Städte Rostock, Schwerin, Wismar, Parchim und Güstrowwerden für jede Stadt von deren Magistrat gewählt. Die Ab-geordneten der übrigen Städte werden von der Laudschaft nachKreisen gewählt. Die Landschaft mecklenburgischen und wendischenKrdises wählt je 7 Abgeordnete.•.■Sternberg(Mecklenburg). 17. November. Das Plenumdes Landtages beriet heute darüber, ob in eine Beratung derneuen Verfassungsentwürfe der Schweriner Regierung einzutreten sei. Nachdem die Landschaft unter sich beraten hatte,lehnte sie die Vorlage ab. Die Ritterschaft nahmdie Vorlage im Prinzip an._Ostafrikanische Bahnbauten.Dem Reichstag ist nunmehr die bereits angekündigte Vorlageüber die V e r l ä n g e r u n g der o st a f r i k a n i f ch e n Zentral-bahn von Tabora nach Udjidie zugegangen. Durch diese Vorlagesoll die Rcichsregierung ermächtigt werden, der ostafrikamschenEisenbahngescllschaft ein weiteres Darlehen zur Fortführung derEisenbahn bis zum Tanganjikasee zu gewähren. Die Kostenfür die 412 Kilometer lange Streck« sollen stch auf 42.2 Millionen Markbelaufen. Die Bauzeit soll drei Jahre betragen.Begründet wird die Forderung damit, daß die Perlängenmg derZentralbahn bis zum Tanganjikasee sowohl im Juteresse der Ren-tabilität der Bahn als auch zur Hebung des Verkehrs mit dein oft-afrikanischen Hinterland notwendig sei. Auch wird behauptet, daßes höchste Zeit sei, durch den Ausbau der Bahn den Handel ausdem nichtdeutschen Zentralafrika nach der deutschen Bahnlinie hin-zulenken, da sonst durch Bahnbauten im belgischen Kongogebietder Handel nach Westen abgelenkt werden könne.Diese Begründung enthält also daS Zugeständnis, daß diebis jetzt gebaute und demnächst fertigzustellende Teilstrecke biSTabora unrentabel ist. Erst durch den Ausbau bis zumTanganjikasee und die Hinzunahme deS Handels aus dem belgi-s ch e» Kongogebict werde die Bahn rentabel gemacht werdenkönnen. Die Hoffnungen, die sich also an die bisherigen Bahn«bauten geknüpft haben, sind demnach nicht in Erfüllunggegangen. UebrigenS erscheint uns auch die Furcht vorden Bahnbauten in dem belgischen Kongobecken recht un-begründet zu sein. Dort wird daS Bahnnetz ja sicherlich auchdann ausgebaut werden, wenn die deutsch-ostafnlamsche Zentralbahn bis zum Tanganjika vollendet wird, lwd wenn der Ver-kehr über Deutsch-Ostafrika ver billigere und praktischeresein würde, wäre es wirklich von keinem Belang, Wenn Die Verlängerung der Zentralbahn bis zum Tanganjita siatt schon jetzterst in ein paar Jahren vorgenommen werden wurde.Der eigentliche Grund zur Forcierung des Bahnbanesscheint denn auch in den llnbequemlichkeiten zu liegen, dieder Baugesellfchast aus einer Hinausschiebuug des Ver-längerungsvaueS erwachsen würde. Die Baugesellschatt soll nam-lich, falls die VerlättqerungSbauten ausgesetzt lverden, einen Verlustvon IV2 Millionen Mark haben. Und dieses Verlustes oder richtigerausgedrückt dieser Verminderung des Baugewinn st eswegen soll schon jetzt die Verlängerung der Linie bis zumTanganjikasee erfolgen! Wie sich danii die Rentabilitätder mit so gewaltigen Kosten erbauten Bah», für deren ZinS-garantien das Reich aufzjikommcn hat. gestalten wird, weiß keinMensch zn sagen. Aber das P r 0 f i tint e re s s e kapitalistischer Gesellschaften erheischt nun einmal auch diesenSprung ins Dunkle IDie 42,2 Millionen für die Zsntralvahn umfaffe zudem nochnicht einmal den ganzen Betrag der für Deutsch-Ostaftila ge-forderten Ausgaben. ES werden nämlich auch für die sogenannteKilimandscharobahn 1,8 Millionen für Um- und ErgänzungSbautengefordert. Weiter soll die Linie DareSsalam— Morogoro limgebautwerden, was gleichfalls 5,4 Millionen kosten soll. Kurz: das Reichsoll Bahnbauten in Höhe von 60 Millionen be-willigen, ohne die geringste Garantie dafür zu haben, daß diesKapital stch nur in bescheidenster Weise verzinsen wird. Freilich,wenn man in der Kolonialpolitik A gesagt hat. wird schon dafürgesorgt, daß man auch weiter buchstabieren muß lDie Nutznießer der Jugendverblödung.In den„Berliner Neuesten Nachrichten" lesen wir:„Jung-Deutschland". Für den Bund.Jung-Deulschland" sindbereits namhafte Stiftungen gemacht worden. Die Bundesleitungwar in der erfreulichen Lage, rn der auf die Gründung des Bundesfolgenden Sitzung gemäߧ 5 der Satzungen bereits folgendePersönlichleiten, die sich mit einer Stiftung von min-destens 1000 Mark angemeldet hatten, zu„Stiftern"des Bunde? zu ernennen: Frau Ottilie von Hansemann und dieHerren Krupp von Bohlen und Halbach zu Essen, Franzvon Mendelssohn, Robert von Mendelssohn, Gesandten Raschdau,Karl Fürstenberg, Geh. Kommerzienrat Goldberger, Arthur vonGwinner, Kommerzienrat Georg Haberland. Generalkmfful Landauund Prof. Dr. Walter Simon zu Königsberg i. Pr.An diesen Protektoren erkennt man deutlich genug denCharakter des„Jung-Deutschland".Eine Verhöhnung der christlichen Arbeiterdurch das Zentrum.Als das Zentrum im Sommer 1309 entgegen. seinen bei derWahl 1307 gemachten Versprechungen, keine neuen indirekten Steuernzu bewilligen, durch die Reichsfinanzreform dem arbeitendenVolke eine neue Last von 305 Millionen Mark indirekter Steuernaufgehalst hatte, da erschien aus der M.-Gladbacher Rettungsanstaltjenes bekannte Flugblatt mit den drei Säcken, lvorinklipp und klar„nachgewiesen" wurde, daß die Sozial-demokratie das deutsche Volk in verbrecherischer Weise betrüge,indem sie behaupte, daß die Lasten des Reiches fast ausschließlichauf die Schultern der breiten besitzlosen Masse gelegt seien. DaSM.-Gladbacher Sackflugblatt„bewies" das Gegenteile die Bemittelten tragen die Hauptlast der öffentlichen Aufwendungen inReich, Staat und Gemeinde. Und in der Tat: die Rechnung stimmte.Der M.-Gladbacher hatte die Bevölkerung eingeteilt in„Bester-bemittelte" und„Minderbemittelte".(Unbemittelte gibt? im Herr-lichen Deutschen Reiche nach M.-Gladbacher Ansicht überhaupt nicht!)Zu den„Besserbemittelten" zählte das Flugblatt diejenigen Leute,die ein Einkommen von mindestens 1500 M. im Jahre haben.Wer also einen Tagelohn von 4,10 M. hatte, zählte mit Bleichröder,giothschild und Krupp zu den„Besserbemittelten" und diente demM.-Gladbacher Schwarzkünstler als„Beweis", daß in Deutschlanddie Reichen und nicht, wie die„verlogenen" Sozialdemokraten be-haupten, die Armen den Hauptteil der öffentlichen Lasten aufbringen.Und darum war das Flugblatt überschrieben:„D i e r 0 t e n F a l s ch<»münzer. Steuerlügen der Sozialdemokratie!"Und jetzt, wo die Not des Volkes infolge der allgemeinenTeuerung zum Himmel schreit, erscheint ans der M.-Gladbacher Fabrikein ähnliches Machwerk, betitelt:„Wer ist schuld an derTeuerung?" Der wesentliche Inhalt deS Flugblattes liegt indem Nachweis, daß die Zölle, weit davon entfernt, die Lebensmittelzu verteuern, gerade die Lebensmittel verbilligen, weil sie die heimischeLandwirtschaft heben und die Produktion steigern. Man könnte dem-gegenüber die Sätze stellen, die— nicht etwa die„verlogenen" Sozial-demokratcn und die bösen Freihändler, sondern die Schorlemer,Reichensperger, Jäger und andere waschechte Ultrainontanen über dieWirkung der Getreidezölle geschrieben haben. Aber wir wollen unsbegnügen, hinzuweisen aus den zur selben Zeit wie das München«Gladbacher Flugblatt bekannt gewordenen Beschluß derchristlichen Arbeiterführer. die jüngst in Köln versammeltwaren, um zu der Teuerung Stellung zu nehmen. Sieforderten bei dieser Gelegenheit als Maßnahmen zur Linderung derTeuerung. Zufuhr ausländischen Fleisches, Aufhebung des Verbotesder Einfuhr von Büchsenfleisch, Oeffnung der Grenzen zur Erleichterungder Vieheinfuhr, Verbilligung der Einfuhr von Gemüsen und solchenKolonialartikeln, die als Ersatz für Gemüse gelten können, Rückver-gütung deS Zolles an diejenigen Händler und öffentlichen Anstalten,die es sich zur Aufgabe wachen, ohne Gewinn die unteren Volks-klaffen mit Lebensmitteln zu versorgen.Wir haben also das merkwürdige Schauspiel, daß die christlichenArbeiter Forderungen stellen, von denen der Volksverein für daSkatholische Deutschland behauptet, daß sie auf die Preisgestaltungder Lebensmittel ohne Einfluß seien. Die Vorwürfe, die das Flug-blatt auS M.-Gladbach gegen die Sozialdemokratie erhebt:„Schwindel",„Lüge",„Volksverhetzung' usw., sie treffen auch diechristlichen Arbeiter, die sich von der Abwendung zollpolitischer undsonstiger agrarischer Maßnahmen eine Verbilligung der Lebensmittelversprechen.„Die Sozialdemokratie gehört an den Pranger!"— schließt daS Flugblatt. Denn sie hat nichts getan für diedeutsche Lebensmittelerzeugung, nichts für die Erhaltung des deutschenGetreidebaues, nichts zur besseren Fleischversorgung der Bevölkerung.„Dafür verweist sie— so heißt eS wörtlich— die Arbcitermaffenauf minderwertiges gefrorenes AulandSfleisch.Eine famose Wahniehmung von Arbeiterintereffen I"Zur selben Zeit, wo die M.-Gladbacher ZentrumShandlangerdieS schreiben, fordern die» christlichen Arbeiter in ihrem KölnerBeschluß„Maßnahmen, um die Zufuhr ausländischen FleischeS zufördern und zwar durch Versuche mit der Einführung vonGefrierfleisch".Kann man sich eine ärgere Verhöhnung der christlichen Arbeiterdenken. alS sie hier durch die M.-Gladbacher AgitalionSzentrale deSZentrums, den Volksverein für daS katholische Deutschland geschieht?Ausflüchte des Herrn Kopsch.Zu dem Liebeswcrben deS Herrn Kopsch gegenüber demZentrum, daS wir vor einigen Tagen festnagelten, hat bie.FreistZtg." einige Entschuldigungen gestammelt. Sie behauptet, daß derkatholische Pfarrer, an den sich die interessanten Briefe des HerrnKopsch richteten, ein liberaler Pfarrer gewesen sei. mit demHerrn Kopsch die innigste Freundschaft verbunden habe.Die Liebeserklärungen deS freisinnigen Herrn Rektors hätten alsonicht einem Zentrumsgeistlichen, sondern einem Gesinnungs«genossen gegolten.Deingegenüber stellt nun die ultramontane. Presse fest, daßder betreffende Pfarrer keineswegs ein liberaler Geistlicher undGesinnungsgenosse des Herrn Kopsch gewesen sei, sondern einZ e n t r u in S a n g c b ö r i g e r. der lediglich„nach der Gewohnheitfrüherer Wahlen in Niederschlesien" den freisinnigen Kandidaten demKonservativen als kleineres Uebel vorgezogen, habe. DieseDarstellung erscheint nach dem Wortlaut der Briefe von Kopsch auchvöllig glaubhaft. Denn wenn Herr Kopsch wirklich ein soguter Freund deS betreffenden Geistlichen gewesen wäre, so würdesich ja die immer wiederlehrende Anfrage„Darf ich?", nämlichmeinen Besuch machen, höchst sonderbar ausgenommen haben.Außerdem hat doch Herr Kopsch seinen angeblich liberalen Freundauch dadurch für sich zu gewinnen versucht, daß er ihm versicherie.er, Herr Kopsch, sei keineswegs gleich dem BreslauerFreisinn ein Gegner deS Zentrums, sondern gleich, HerrnF i s ch b e ck jederzeit ein Freund des Zentrums gewesen!Das freilich wollen wir zugeben, daß sich bei dem MeinungS-auStausch zwischen Herrn Kopsch und dem ZentrumSgeistlichcn diepolitischen Unterschiede derartig verwischt haben mögen, daß HerrKopsch den Geistlichen ebenso sehr für einen Liberalen, wie jenerZentrumSmann Herrn Kopsch für einen Freund der Zentrums-bestrebnngen halten konnte. DaS würde aber die Sache für HerrnKopsch wahrhaftig nicht bester machen!Nutznießer der neue» Jiebersümpfe.Im Handelsteil der'„Vossischen Ztg." war dieser Tagein dem Bericht von der Börse folgendes zu lesen:Die Aktien der„Vereinigten Chemischen Werkein Charlottenburg" stiegen heute an der hiesigen Börseweiter. Stimulierend wirkte der bekannte Vortrag ProfessorWassermanns, dem man entnahm, daß das von der Gesell-schaft hergestellte. A t 0 x y l" sich bei der Bekämpfung der Schlaf-krankheit bewährt habe. Man erwartet daher größere Be«stellungen für da» Kongogebjet.Man sieht, das deutsche Volk hat alle Ursachen zufriedenzu sein, den„Herd der Schlafkrankheit", wie esin der amtlichen Denkschrift so schön hieß, bekommen zuhaben. Für die Aktionäre der chemischen Fabriken erfüllt sichin der Tat das Sprichwort:„Eigener Herd ist Goldes wert."Das Oertelblatt denunziert.In einer Zuschrift, die die„Deutsche Tageszeitung' veröffent-licht, heißt es unter anderem:„Vor wenigen Tagen hat in der zweiten sächsischen Stände-lammer die auS acht Mitgliedern bestehende freisinnige Volks«Partei den Sozialdemokraten Fräßdorff an die Stelle des erstenVizepräsidenten der Kammer berufen. Unter diesen acht Frei-sinnigen befindet sich ein LandgerichtSrat, ein Bürgermeister undzwei Lehrer an Staatsseminaren. Wir haben nnS hier lediglichmit den beiden letzteren zn beschäftigen. Wenn eS möglich ist, daßdie Bildner der heranwachsenden Lehrerjugend ihre Stimme bei derWahl zu dem höchsten Ehrenamte, das die Vertretung des Landeszu vergeben vermag, einem Anhänger der Partei geben, dieStaat und Gesellschaft, Thron und Altar zu beseitigen anstrebt,so darf man sich nicht wundern, daß die Zöglinge solcher Lehrerim Leben dann die gleiche Auffassung in ihrer Weise praktischbetätigen."Hierzu bemerkt das Oertel-Blatt, nachdem c? auf einen Erlaßde« sächsischen Kultusministers vom Juni dieses JahrcS hin-gewiesen hat:„Wenn das Kultusministerium sonach der Meinung ist, daßder Lehrer alle Gemeinschast mit der Sozialdemokratie un-bedingt von sich weisen müsse, so kann eS keineswegs und keinesfalls damit einverstanden sein, daß ein Lehrer, der der Stände-kammer angehört, einen Sozialdemokraten zum Vizepräsidentenwählt."Nun werden wieder einige sächsische Lehrer gemaßregelt, wennes nach Oertel geht.Herr v. Oldenburg-Janiischau bezeichnet die Nachricht, er hättedie Stellungnahme der konservativen Partei zur Marokkofrage durcheine Nachricht beeinflußt, als unrichtig. Die Angabe, daß er undder Kronprinz Besuche ausgetauscht, dementiert er nicht.frankmcb.Noch ei» Lockspshcl.Paris, 13. November.(Eig. Ber.) Anläßlich der bevorstehendenVerhandlung über die Jnterpellaiion, die Genosse Lauche üher dieTätigkeit der vom Ministerium angestellten Lockspitzel, wie die AffäreM e l i v i e r enthüllte, cingebrachr hat, veröffentlichte der„revo-lutionäre Sicherheitsdienst" in der letzten„Guerre. Sociale" einEommuniqiiv. Es erklärt folgendes: Es sei dem„Sicherheitsdienst"bekannt, daß Cailleaux geneigt sei, einen zweiten Spitzel preis-zugeben— offenbar, um sich selbst reinzuwaschen, sowie um Clc«menreau, dem GönnerZMutivierS.«inen Possen zu spielen. Deinrevolutionären Sicherheitsdienst sei die Person dieses zweiten Provo-kateurs bekannt, doch fei der diretie Beweis noch nicht inihren Händen. Dagegen werde sie beweisen, daß das Spitzelsystemauch unter Caillaux weiter dauere.— Die heulige„Bataille Syn-dicaliste" bringt zu dieser Angelegenheit weitere Detail« bei. Danachsoll Caillcux selbst dem Genossen Lauche seine Bereitschaft erklärthaben, den zweiten Provokateur öffentlich zu nennen. Die„BatailleShndicaliste" nennt den Namen, de» der Minister Genosse Lauche mit-geteilt haben soll, selbst. ES ist Ricordeau. ein Führer derPariser Erdarbeiter.Die Rolle, die Rieordeau in den letzten Jahren gespielt hat, läßtsich nur durch die BertraucnSseligkeit erklären, die die Bau-arbeiter dem maulflinken, renommistischen Burschen entgegen»'gebracht haben. Ricordeau ist ein übler Typus deS Pariser Gassen»jungen, ein leichtfertig zynischer Geselle, der frühzeitig für seineStreiche anarchistische Phrasen bei der Hand hatte. Er ist auchwegen eines gemeinen Diebstahls abgestraft � bei Gericht rühmteer sich allerdings setner Tat, weil der Geschädigte ein Millionär sei.Wegen eine» Streikdelikt» wurde er dann auch zur Ausweisung ansParis verurteilt. Er beachtete die Verfügung nicht, sondern gefielsich noch darin, wochenlang in Begleitung von handfesten Erdarbeiternauf den Boulevards herausfordernd herumzuziehen. Daß die Polizei,obzwar eS bei diesen Demonstrationen manchen Tumult gab, aufRicordeau selbst nie ihre Hand legte, hätte seinen Anhang längst überdie Rolle dieses Menschen aufklären sollen. Auch die Tärigkeit, die er aufdem Gewerkschaflskongreß in Toulouse entfaltete, wo er durch denSkandal, den er�ansderSpitze der Pariser Erdarbeiterdelcgation auffühlte,jede vernünftige Verhandlung unmöglich machte, war anffallendgenug. Vielleicht wird seine jetzige Entlarvung doch bewirken, daßdie revolutionären Gewerkschaften Demagogen dieses Schlages kimstigvorsichtiger entgegen kommen._Marokkofragen.Paris, 17. November. In der gestrigen Sitzung de» Kammer-anSschusseS für auswärtige Angelegenheiten wies der srnhereMinister Mtllerand.darauf hin, daß Frankreich durchArtilel 5 des deutsch-französischen Abkommens verpflichtet sei, dafür zu sorgen, daß in Marokko keinAusfuhrzoll auf Erze eingeführt werde. Millerandfragte, was wohl geschehen würde, wenn die Spanier in denvon ihnen besetzten Hafen einen derartigen Zoll erheben würden.Würde Deutschland da nicht da« Recht haben, von Frankreich dieZurücker stattung de« Ausfuhrzolle» zu verlangen?Das Mitglied pes AnSschusseS v lu y se n machte darauf ausnierksam,daß die Erörterung dieser nnd anderer Fragen ganz platonisch sei,da daS Parlament nicht das Recht habe, au den einzelnen Artikelnetwa» zu ändern. Die Kommission könne daS Abkommen in seinerGesamtheit nur entweder annehmen oder ablehnen.� DaS Krieg« Ministerium bezeichnet die vom„Echode Pari»' gebrachten Mitteilungen über die geplante inili-tärische Organisation Marokko» als durchausunrichtig und fügt hinzu, daß ein diesbezüglicher Plan gegen-wärtig überhaupt noch gar nicht i« Aussicht genominen Werdenkönne.