feinen Abgeordneten in den Lemdlag hineinbringen, jetzt kann fi«einige Mandate erringen, aber ihre Zahl ist von vornherein aufeine einflußlose Minderheit beschränkt,Dazu kommen noch direkte Verschlechterungen des bisherigenWahlrechts. Bisher konnte man nach einjährigem Aufenthalt imHerzogtum die Bedingungen zur Erlangung des Wahlrechts er-füllen. Der Wahlreformcntwurf dagegen macht die Wahlberechti-gung davon abhängig, daß man seit mindestens dreiIahren ununterbrochen seinen Wohnsitz im Herzogtum hat.Wird dadurch vornehmlich die fluktuierende Arbeiterschaft ent-rechtet, so wird gleich wieder ein Vorrecht für einen andern Standgeschaffen. Die Staats-, Gemeinde-, Kirchen- und Schulangestelltebrauchen nämlich nur ein Jahr im Herzogtum Braunschweig ge-wohnt zu haben, um wahlberechtigt zu sein.Außerdem ist das Wahlrecht an die Zurücklegung des 26. Lebens-jahres, den Besitz der braunschweigischen Staatsangehörigkeit unddie Veranlagung zur direkten Staatssteuer gebunden.Bisher war vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer sich nicht imBesitze der bürgerlichen Ehrenrechte befand, im Konkurs war, unterKuratel stand oder mit der Gemeindesteuer vom letzten Jahre nochim Rückstand war. Jetzt muß man auch die Staatssteuern bezahltund darf keine Armenunterstützung bezogen haben. Auch in dieserBeziehung eine Erschwerung der Wahlberechtigung.Wählbar sind nur die Wähler, die das 30. Lebensjahr über-schritten haben. Man kann also früher Reichstagsabgcordneter alsbraunschweigischer Landtagsabgeordneter werden. Speziell braun-schweigisch ist die Bestimmung, daß ein Abgeordneter sein Mandatverliert, wenn ihn der Landtag auf Grund der Geschäftsordnungvon der Teilnahme an den Verhandlungen ausschließt.Die Beibehaltung der 18 Vertreter der bevorrechteten Be-rufsstände wird damit begründet, daß Braunschweig kein« ersteKammer habe und die Geschichte der Landtage gezeigt hätte, daßdie Vertreter der Berufsstände wertvolle, nicht zu entbehrendeElemente in der Landesversammluug gewesen seien. Es würdeunrichtig sein, eine so alte und bewährte Einrichtung aufzugeben.— Das ist auch eine so armselige Begründung, daß man sich dieWiderlegung sparen kann. Eine Aenderung der berufsständischenVertretung hat der Entwurf aber doch vorgenommen. Bisherwählten die evangelischen Geistlichen aus ihrer Mitte 2, diereichsten Unternehmer 3, die hohen Beamten 4, die reichsten Rentner6, die reichsten Großgrundbesitzer 4 Abgeordnete. Die Gesamtzahl18 bleibt beibehalten. Der Entwurf hat jedoch die 6 Vertreter derreichsten Rentner, über die am meisten gespottet wurde, hinaus-komplimentiert, ihr Reichtum käme ja bei der Dreiklasseneinteilungso wie so zur Geltung. Daß dasselbe für die reichsten Grotzgrund-bcsitzer und Unternehmer und auch für die hochbesoldeten Beamtenund Geistlichen gilt, wird in der Denkschrift unterschlagen. Die6 Mandate der reichsten Rentner hat man so verteilt, daß jetztdie Großgrundbesitzer 6, die großen Unternehmer 4, die hohenBeamten 6 und die Geistlichen 2 Abgeordnete ernennen. Bei dieserUmgestaltung der Vertretung der Berufsstände hat man es jedochnicht für nötig, gehalten, den Handwerkerstand und die Arbeiter-schaft zu bedenken, auch die mittleren und unteren Beamten bleibenausgeschlossen.Es ist alles in allem eine Wahlrcform, die den Namen Reformwahrhaftig nicht verdient. Der Landtag tritt am 27. d. M. wiederzusammen. Daß er die Regierungsvorlage annehmen wird, istsicher, sicher ist aber auch, daß die braunschweigische Ar-b ei t er s cha f t sich durch diesen'Wechselbalg von einer Wahlreformnicht täuschen lassen, sondern den Wahlkampf weiterführen wird.Sek Krieg.General Caneva in Rom.Rom, 6. Februar.(Eig. Ber.) Der Kommandant deS Expedi-tionskorps und Gouverneur von Tripolis ist nach Rom berufenworden, offenbar zu dem Zweck, um dem Ministerpräsidenten münd-lich über die Situation in Tripoli tarnen Bericht zu erstatten. TieAbwesenheit Canevas vom Kriegsschauplatze soll nicht länger als13 Tage währen; allerdings ist auch der Verdacht ausgesprochenworden, daß Caneva ganz und gar abberufen werde, aber diesesGerücht hat wenig Wahrscheinlichkeit. Den Zeitungen zufolge be-zweckt das Ministerium durch die Unterredung an erster Stelle dieKlärung dreier Punkte. Einmal scheint es, daß man den Generalden Vorwurf macht, nach der Besetzung der Stadt nicht die geeig-neten Mittel ergriffen zu haben, um den Italienern die Sympathieder Araber zu sichern und diese von den Türken zu trennen. Dannwill die Regierung genau über alle Einzelheiten unterrichtet sein,um bei der bevorstehenden Diskussion in der Kammer nach Mög-lichkeit die Angriffe der Opposition zurückzuweisen. Giolitti weißungefähr, welche Richtung dieser Angriff nehmen wird, da soll ihmnun der Gouverneur im voraus die Mittel an die Hand geben, umsie zu dementieren. Schließlich gilt es, sich über die Zweckmäßigkeitklar zu werden, einen Vorstoß ins Innere zu machen oder nicht.Wir haben wiederholt hervorgehoben, daß die Frage deS Vorstoßesbis zum Garian keine militärische und strategische, sondern lediglicheine politische Frage ist. Wenn man eine schnelle Beendigung desKrieges wünscht und gleichzeitig der Ucberzeugung ist, daß dieseBeendigung sich durch Erweiterung des tatsächlich unterworfenenGebiets erzielen läßt, dann ist die technisch-militärischc Frage desVorstoßes schnell gelöst. Natürlich ist ein ungeheurer Kraftaufwandnötig:' ob er der Mühe lohnt, das zu entscheiden, ist Sache derPolitiker und nicht der Generale. Der Zeitpunkt des Vormarschesins Innere wird anch vorwiegend durch politische Erwägungen undnamentlich durch die mutmaßliche Einschätzung des Eindrucks aufdie europäischen Großstaaten bestimmt werden. Daß ein Vormarschin der schlechten Jahreszeit gewaltige Schwierigkeiten bietet undvom rein strategischen Standpunkte aus absolut keine Rechtfertigungfinden kann, liegt auf der Hand.Wie der„A v a n t i" meldet, soll das erste Resultat der Unter-redung des Generals Caneva mit der Regierung die A b s e n d u n geines weiteren Armeekorps nach Tripolis sein.Diesmal sollen hierfür auch Truppenkontingente auS den Armeekorps Norditaliens, besonders Veneziens. genommen werden, ausdenen man bisher mit Rücksicht auf die Nähe der österreichischenGrenze, mit Ausnahme des 8. Infanterieregimentes(Mailand)/keine Truppen genommen hatte.Italienische Machenschaften in Arabien?Konstäntinovel. 8. Februar. Hier ist mau über die Haltungdes Scheichs Jdris in einiger Sorge. Während Jman Jahaj*m Femen seinen Waffenstillstand mit der Türkei respektiert, zeigtder Herrscher von A s s i a offen türkenfeindliche Bestre.b u n g e n. In der Pforte glaubt man zu wissen, er habe m i tItalien eine Eentente abgeschlossen. Tatsächlich landeten dieItaliener für Scheich JdriS kürzlich in Djizam 4 Gebirgskanonenund Munition, und man befürchtet, daß die Streitkräfte von Jdrisin HedschaS eindringen werden. Der Kricgsminister hat dem inHodeiha weilenden Chef der Streitkräfte im Femen, Jzzed Pascha,den Befehl erteilt, eine Expedition gegen Jdris auszurüsten. Gleich-zeitig beabsichtigt man von Mekka aus einen Feldzug gegen ihn zuunternehme«.Da» Echlaraffenlantz der Banco M Roma.Rom, den 6. Februar.(Eig. Ber.) Ueber eine neue und un-glaubliche Unredlichkeit der Banco di Roma berichtet der neue Kriegs-korrespondent des»Avant t". der Abgeordnete Genosse M u s a t t i,aus Tripolis. Ueber den Fall liegt dem General Canevabereits ein Rapport vor, und man kann also mit boller Bestimmt-heit annehmen, daß er der Regierung in allen Einzelheiten bekanntist. Bald nach der Besetzung von Tripolis schickte die italienischeRegierung eine Schiffsladung Korn, um die Notlage der cinge-borenen Bevölkerung zu mildern. Es handelte sich um 23 0<X> SäckeWeizen zu je 64 Kilogramm. Von den Militärbehörden aus wurdedie Verteilung in ordnungsmäßiger Weise unternommen; als aberetwa die Hälfte vergeben worden war, machte der frühere Konsulvon Tripolis, Pestalozza, den Vorschlag, anstatt des KornSdoch lieber Mehl zu verteilen. So wurde der Mühle der Bancodi Roma der Niest der Ladung, rund 13 333 Säcke, zum Mahlenübergeben. Allerdings wurde das Korn tatsächlich zu Mehl ge-mahlen, aber nicht dieses Mehl ist unter die Armen verteilt worden,sondern verschimmeltes und verfaultes Zeug, das die Banco di Romaan Ort und Stelle aufkaufen ließ, und das trotz der Hungersnotvon den Armen ungenießbar gefunden wurde. DaS gute Mehlaus dem von der Regierung gelieferten Korn hat dann die patrio-tische klerikale Bank der Regierung für die Verpflegung der Truppenzurückverkauft. Der„Avanti" fordert die Ernennung einer Paria-mentarischen Erhcbungskommisfion, die sich auch auf die Skandaleder Proviantlieferungen und auf die Unterschlagung der Weihnachts-geschenke der Soldaten erstrecken soll.Die Parteisektion von Catania gegen De Felice.Rom, 6. Februar.(Eig. Ber.) Veranlaßt durch ein Festessen,das von verschiedenen Seiten dem Abgeordneten De Felicewährend seiner vorübergehenden Rückkehr vom Kriegs schau-platze in Catania angeboten wurde, hat die Parteisektion dieserStadt ein Flugblatt veröffentlicht, das heftige Angriffe gegen denAbgeordneten enthält.»Um der Würde unserer Partei willen,"heißt es darin,»wollen wir unsere Stimme erheben und den prole-tarischen Organisationen die Augen öffnen, damit sie sich nichtkünftighin für den Sieg eines Kandidaten verwenden, der denKrieg und das Heer verherrlicht und nicht Sozialistist.... Die sozialistische Parlamentsfraktion hat in dieser SachedaS letzte Wort zu sprechen. Man wird ihr ein Memorandumvorlegen und ein schnelles und offenes Urteil fordern. Die bis-herige Zweideutigkeit muß ein Ende haben. Schon bei den letztenWahlen hat sich die Bourgeoisie der Industrie und de? Handelsfür De Felice ins Zeug gelegt. Der frühere Revolutionär istnicht mehr einer der Unseren: seine Seele ist bürgerlich geworden."Alle Sozialisten von Catania, dessen zweiten Wahlkreis De Felicevertritt, sind dem Bqnkett ferngeblieben, auch der Korrespondentdes„Avanti", dem eine offizelle Einladung zuteil geworden war.Merkwürdig ist, daß B i s s o l a t i ein Sympathieschreiben sandte,in dem von„kränklichen Sektierern" gesprochen wird, womit Bissolatidie Parteimehrheit meint, deren Mißbilligung sich gegen alle wendet,die sich Sozialisten nennen und für den Kolonialkrieg und Militaris-mus schwärmen.Die(Revolution in Glssna.Eine amerikanische Note zur chinesischen Revolution.Berlin, 8. Februar. Die deutsche Regierung hat sichvor kurzem an die Regierung in Washington mit derAnfrage gewandt, welche Haltung die amerikanische Regierunggegenüber den Ereignissen in China einzunehmen gedenke.Hierauf ist dem deutschen Botschafter in Washingtondie nachfolgende Note des Staatsdepartements zu-gegangen:„In Beantwortung Ihrer Note vom 81. v. M., in der Siemich um eine Mitteilung über die Haltung der Regierung derVereinigten Staaten gegenüber den Verhältnissen in China ersuchen,beehre ich mich festzustellen, daß diese Regierung seit dem Beginnder gegenwärtigen Unruhen von Zeit zu Zeit bei sich bietenderGelegenheit mit den übrigen interessierten Mächten, insbesonderemit Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Rußlandebenso wie mit der Kaiserlich Deutschen Regierung«inen MeinungS-austausch darüber gepflogen hat, welche Haltung dem Schutz« dergemeinsamen Interessen entspricht. Aus diesem Gedankenaustauschhat sich deutlich ergeben, daß alle in Betracht kommenden Mächtedarüber einig waren, daß es unter den gegenwärtigen Umständenzweckentsprechend sei, an einer Politik des gemeinsamen Handelnsfestzuhalten.Diese Einstimmigkeit hat konkreten Ausdruck in der identischenNote gefunden, die von den Vertretern Deutschlands, Frankreichs,Großbritanniens, Japans, Ruhlands und der Vereinigten Staatenam 23. Dezember v. I. gleichzeitig den Friedenskommissaren inSchanghai überreicht wurde, wie auch in den Maßnahmen gemein-schaftlichen Zusammenwirkens, die die Mächte zum Schutz ihrergemeinsamen Interessen in China ergriffen haben.Die dieser Regierung zugegangenen Nachrichten lassen überdieserkennen, daß die übrigen beteiligten Regierungen gleichfalls einenähnlichen Meinungsaustausch gepflogen haben und daß in denöffentlichen Organen verschiedener Länder amtliche Verlautbarungenüber eine die gleichen Ziele anstrebenden Politik erschienen sind.Dieser Regierung erscheint es daher offenkundig, daß sich alleMächte bisher in gemeinsamer Uebereinstimmung nicht nur vonSonderaktioncn und von einem Eingreifen in dieinneren Angelegenheiten Chinas ferngehalten,sondern auch in vollem Einklang gehandelt haben mit ihren Wechsel-seitigen Zusicherungen, daß sie die Integrität und Souve-ränität Chinas achten würden. Glücklicherweise hat bisherfür ein Eingreifen der fremden Mächte kein Anlaß vorgelegen,indem sich sowohl die Kaiserlichen als die Republikaner für Lebenund Eigentum der ausländischen Bevölkerung verbürgt haben; auchsind die jüngsten Nachrichten dazu angetan, die Auffassung zu be-stärken, daß es unwahrscheinlich ist, daß die künftigeEntwickelvng ein solches Eingreifen notwendigmachen wird. Falls sich jedoch wider alles Erwarten irgend-welche weiteren Schritte als notwendig erweisen, so ist diese Regie-rung der festen Ueberzeugung, daß die Politik eines gemein-samen Vorgehens nach eingehender Beratung der Mächteaufrecht erhalten werden sollte, um von Anfang an die Möglichkeitjeglicher Mißverständnisse auszuschließen.Abgesehen hiervon betrachtet es diese Regierung als eine Folgeder strikten Neutralität, die bisher infolge allgemeiner Ueberein-stimmung bezüglich etwaiger Anleihen an China befolgt worden ist,Anleihen seitens ihrer Staatsangehörigen nicht zu b e-günstigen, sofern nicht die Gewißheit besteht, daß solche Anleihenim Verhältnis zu den streitenden Parteien rein neutrale Zweckeverfolgen. Ebenso erachtet diese Regierung im gegenwärtigen Zeit-Punkt die Beobachtung des Prinzips für besonders angezeigt, daßihre Staatsangehörigen davon abzuhalten sind, Anleihen zu ge-währen, die nach den allgemeinen politischen Gesichtspunkten vonder eigenen Regierung nach Benehmen mit den übrigen interessiertenMächten nicht gebilligt werden."Die MdankuNgSiedingmige«.London» 8. Februar. Die„Times" melden aus Peking vom7. d. M.: Die Bedingungen über die Behandlung der Mandschusnach der Abdankung wurden der republikanischen Re-gierung in. Nanking unterbreitet, die gewisse Aenderungenvorgenommen hat. Sie sind jetzt dem Palast zur endgültigenGenehmigung vorgelegt worden. Tie Abänderungen sind so ge-mäßigt und die Bedingungen so liberal, daß eine Einigungdarüber als sicher gilt. Die Bedingungen werden von Ver-tretern der beiden Parteien den Gesandtschaften in Peking unter-breitet werden.poUtileke(leberllcbt.Berlin, den 8. Februar 1912.Aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion.Die Frattion bestimmte als Redner zum Etat die GenossenScheidemann, Dr. Frank, Ledebour und Dr. David. Fernerwurde beschlossen, eine. Interpellation einzubringen, in der vonder Regierung die dringend notlvendige Aufhebung desKartoffelzolles und der Zölle auf Futtergerste und Mais ge-fordert wird. Redner hierzu sind die Genossen Bock undAntrick. Als erster Initiativantrag soll die Reform derGeschäftsordnung des Reichstages zur Verhandlung gebrachtwerden. Die Fraktion wird wieder eine größere AnzahlInitiativanträge einbringen, darunter den Antrag auf Ein-führnng der Ministerverantwortlichkeit; den Antrag auf Ab»änderung der Verfassung, wonach zu einer Kriegserklärungdie Zustimmung des Reichstages erforderlich ist; den Antragauf Einführung des Proporzes, des Frauenwahlrechts; Fest-legung eines Sonntags als Wahltag; Lieferung amtlicherWahlurnen.Die sozialpolitischen Anträge wurden einem Ausschuß von21 Mitgliedern zur Vorberatung überwiesen.Festgefahren.AuS dem Reichstage. 8. Februar. Der Reichs-karren ist festgefahren. Er kommt nicht vom Fleck. DaS istdas Ergebnis zweitägiger Beratungen und Verhandlungen überdie Präsidentenwahl. Kein Präsident, kein Verhandeln, keineGeschäftserledigung irgend welcher Art.Als um 3','4 llhr die zweite Sitzung wieder durch denAlterspräsidenten Traeger eröffnet wurde, waren die Reichs-boten schon zahlreich versammelt und auf den Tribünen drängtesich ein schaulustiges und hörbeflissenes Publikum. Die hoch-gespannte Erwartung wurde in der Blüte geknickt. HerrBassermann stand schon auf der Treppe underhielt das Wort zur Geschäftsordnung. Er teiltemit verlegenem Lächeln mit. die Verhandlungen zwischen denFraktionen über die Besetzung der Präsidentenposten hättenbisher zu keinem Ziele geführt. Er beantrage daher die Ver-tagung des Hauses bis auf Donnerstag 2 Uhr. AllgemeineHeiterkeit erregte es. als Herr Gröber von der mittlerenKonkurrenzfraktion den Antrag Bassermanns unterstützte undin schöner Einmütigkeit beschloß das Haus demgemäß.i Da ernste Handlungen zur Lösung der Präsidialftage nfchtvorgenommen werden konnten, ergötzten sich die Abgeordnetenan allerhand phantastischen Vorschlägen. Die einen warendafür, die drei Präsidialposten auszuknobeln. Ändereregten an, die Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge denkurulischen Sessel erklimmen zu lassen. Dann würde am ersten Tageder Fortschrittler Ablaß den Vorsitz führen und am 397. Tage.also etwa am Ende der Legislaturperiode, Genosse Z u b e i ldie Reihenfolge der Präsidenten schließen. Löst die Regierungnicht vorher auf, so könnte noch einmal von vorn angefangenwerden. ES wurde auch ins Auge gefaßt, den morgigen Tagals dreitägiges Alterspräsidentenjubiläum festlichzu begehen, da eS seit Bestehen des Reichstags noch niemalsvorgekommen ist, daß die Amtsdauer eines Alterspräsidentenfestlich begangen wurde. Jedenfalls würde dann der Jubel-greis einen Toast ausbringen können auf daS, was demReichstag noch dringend fehlt: die Frauen.Parlamentarische Kleinarbeit.I DaS Abgeordnetenhaus erledigte am Donnerstag bor fast leeremHause eine Tagesordnung von nicht weniger als 12 Punkten, vondenen allerding« nur einige wenige ein allgemeines Interesse bean-spruchen.Der Gesetzentwurf betr. die Bewilligung weiterer Mittel zumAusbau der neuen staatlichen Doppelschochtanlagen in Westfalen wurdeder Budgetkommission überwiesen, nachdem u.a. Genosse Hoff-mann unseren prinzipiellen Standpunkt zu der Frage der Ueber-nähme von Betrieben auf den Staat kurz dargelegt hatte.In die Gemeindekommission verwies das Haus den Gesetzentwurf über die Reinigung öffentlicher Wege. Genosse Lieb-k n e ch t übte in der Debatte Kritik an der Zagheit, mit der diepreußische Regierung mit altem Plunder aufräumt, und warf dieFrage auf, wie lange es unter solchen Umständen danern werde, biseinmal mit dem alten Spinngewebe aufgeräumt ist. von dem dieVerwaltung erfüllt ist. ganz zu schweigen von der Wahlrciorm.. Ein alter Bekannter begrüßte uns in dem Antrage Gott-schall(notl.) und Genossen betreffend gesetzliche Regelung derSchulpflicht und der Strafen für Schulversäumnisse. Fünfmal hatsich in den letzten Jahren daS Haus im Sinne dieses Antrages aus«gesprochen, aber die Regierung hält es nicht für nötig, mit einemGesetz hervorzutreten. Das ist um so bedauerlicher und unverständ-licher, als eigentlich nur das Zentrum Schwierigkeiten macht. Aberwas tut die Regierung nicht alles dem Zentrum zu Liebe 7 Trotz-dem die Frage längst spruchreich ist. beschloß das Hon« doch wiederKommissionSberatnng. Der zustimmenden Haltung unserer Fraktionzu dem Antrage gab Genosse Hirsch unter gleichzeitiger Per-urteilung der Hollung des Zentrums und der Regierung Ausdruck.Endlich beschäftigte sich das HauZ noch mit zwei Anträgen derFortschrittlichen Volkspartei, die die Erweiterung der Befugnisse derArheiterausschüsse und die Sicherung deS Arbeitsverhältnisses derMitglieder der Arbeiterausschüsse in staatlichen Betrieben bezwecken.Auch mit dieser Materie hat.sich das HauS schon wiederholt beschäftigt. aber irgendwelche greifbaren Resultate im Interesse derStaatsarbeiter sind dadurch nicht gezeitigt worden. Wenngleichder erste Antrag diesmal nach kurzer Debatte, in der Ge-nosse Lein er t mit großer Sachkunde die Forderungen derArbeiter vertrat, an eine Kommission gegangen ist. soist doch angesichts der ablehnenden Haltung der Regierung und derRechten ein Wandel zum Besseren kaum zu erwarten. Den zweitenAntrag lehnte die arbeiterfeindliche Mehrheit gleich im Plenum ab.Am Freitag beginnt die zweite Lesung des Etats. Voraussichtlichwird es aus Anlaß des mit zum Etat gestellten Antrages derNationalliberalen über das Motu proprio zu einer Kulturkampf-debatte kommen.