erhaltung ihrer Kandidatur den Volksparteiler zugunsten des Sozialdemokraten durchfallen. Die Nationalliberalen führten noch bei den letzten allgemeinen Landtagswahlen durch Demonstrations- kandidaturen zwei volksparteiliche Niederlagen und sozialdemokra- tische Siege herbei, und wenn das Zentrum eine günstige Gelegen« heit findet, der Volkspartei einen Schlag zu versetzen, läßt«s dre« selbe nicht unbenützt. Auf jeden Fall wird nunmehr, da Volks, Partei und Nationalliberale handelseins find, die schwarzblau« Koalition nur eine um so engere werden. Zentrum und Konter- vative verfolgen das Ziel, im nächsten Landtag eine Mehrheit zu erreichen, wozu sie ihren bisherigen Bestand nur um 6 Mandate zu vermehren brauchen. Im Hinblick auf die schwarze Schrecken»- Herrschaft in Bayern und die- in Baden stetig drohende Zentrums- Mehrheit würde eine schwarzblaue Herrschaft in Württemberg schon wegen � der Rückwirkungen homogen-reaktionärer Tendenzen Süd- deutschlands auf die Reichspolitik bedeutende Gefahren in sich bergen, die dadurch nicht geringer werden, daß ein unter habS- burgischen Einflüssen stehender ultramontaner Prinz in nicht sehr ferner Zukunft die württembergische Krone erbt. Die Sozialdemokratie wird dieser Gefahr am wirksamsten da- durch begegnen, daß sie in voller Selbständigkeit auftritt und den Kampf für ihre Forderungen mit aslem Kraftaufgebot führt. In diesem Sinne treffen unsere Parteigenossen, die in allen Bezirken eigene Kandidaten aufstellen, ihre Vorbereitungen. Zweifellos stellt der schwarzblauc Block den schlimmsten Feind nicht nur der proletarischen Interessen, sondern jeder fortschreitenden modernen EntWickelung dar.' Aber auch der liberale Bruderbund hat keinen Anspruch auf das Vertrauen der Arbeiterklasse. Mit tausend Grün- den aus der sechsjährigen Tätigkeit deS letzten Landtags läßt sich das belegen. Es war der erste Landtag nach Durchführung der VerfassungS- reform. Die Konflikte zwischen beiden Kammern im Kampf um die Neformierung deS Volksschulwesens hatten der VerfassungS- reform die Bahn frei gemacht. Nun mußte ernstlich an die Mo- dernisierung der VolkSschulgesetzgebung herangetreten werden. Die Organisation der Volksschule, die Besoldung?- und die RechtSver- Hältnisse der Volksschullchrer wurden neu geregelt. Abgesehen von der Besoldung, die einstweilen als angemessen gelten kann, stellen die Ergebnisse der parlamentarischen Arbeit eine befricdi- gende Lösung nicht dar, weil die liberalen Parteien das alte libc- rale Postulat der Weltlichkeit der Schule fallen gelassen und den kirchlichen Machtansprüchen weitgehende Zugeständnisse gemacht haben. Was erreicht wurde, ist der vorwärtstreibenden Kraft der Sgzialdemokratie zu danken. Im wesentlichen wurde der gesetzliche Lchrplan durch Aufnahme einiger realistischer Fächer erweitert, an die Stelle der nebenamtlichen geistlichen die hauptamtliche fachmännische Bezirksschulaufsicht gesetzt, die geistliche Ortsschulauf. ficht aufgehoben, die Aufsicht über die äußere Schulordnung dem Ortsschulrat übertragen, eine selbständige staatliche Oberschul. behörde an Stelle kirchlicher Oberleitung eingesetzt und die Maxi- malschülerzahlen der Klassen reduziert. Rechtlich wurden die Lehrer den Staatsbeamten gleichgestellt, jedoch mit mancherlei Ausnahmen. Die äußerste Rechte und das Zentrum setzten allerdings selbst diesen bescheidenen Fortschritten den schärfsten Widerstand entgegen; aber das brauchte für die Liberalen, die mit den Sozialdemokraten eine sichere Mehrheit bildeten, kein Grund zu sein, vor liberalen Taten zurückzuschrecken.... -"W."Dis liberale Halbheit und UncNtschkvss enheit'schloß-denn auch von vornherein eine Großblöckbildung' völlig aus. Gewiß, in Schul- und allgemeinen Kultuxfragen ergab sich in der Regel von selbst ein gemeinschaftlicher Aufmarsch der Sozialdemokraten und der Liberalen gegen rechts; aber unsere Fraktion ließ e? mitten in diesen Gefechten auch an der Beleuchtung der liberalen Prin- zipienlosigkeit nicht fehlen. In Fragen der Sozialpolitik wechselte gewöhnlich die Konstellation, da sich die Nationalliberalen und die Volkspartei oft noch arbeiterfeindlicher erwiesen als das Zentrum und selbst die Bündler. Wie hatte unsere Fraktion bei Beratung der neuen Bauordnung zu kämpfen gegen die volksparteilichen Agenten der Bodenspekulation, die den Arbeiterwohnungen nicht ein Mindestmaß von Luft und Licht zugestehen wollten. Volks- parteiler waren es auch, die den stärksten Widerstand leisteten, als unsere Fraktion forderte, daß zur Förderung der Arbeitslosenver- sicherung staatliche Beiträge an die Gemeinden, die in dieser Be- ziehung vorangehen, zu leisten seien. Den schwerwiegendsten Be- weis für ihre sozialpolitische Rückständigkeit lieferte die Mehrheit der volkSpartelichen Fraktion in der letzten Tagung, indem sie das Selbe AMchsN. Die Agitation der gelben„Brüder" führt in Deutschland ein recht trauriges Dasein. Die Klassengegensätze werden immer schärfer und öffnen selbst dem Schläfrigsten und Gleichgültigsten die Augen, so oaß er klar erkennt, wie die Proletarier nur im eisernen Zusammenhalten miteinander und im geschlossenen Kampf gegen das Unternehmertum und die Regierung vorwärts kommen können, wie nur die Sozialdemokratie und die freie Gewerkschaft die Organisationen sind, die ihren Bedürfnissen und Interessen entsprechen, denen sie daher angehören müssen, wenn sie nicht schäbigen Verrat nicht nur an ihren Arbeitskollegen, sondern auch an sich selbst und» an der Zukunft ihrer Kinder üben wollen. Da wird es den von den Unternehmern auSgehaltenen Gelben sehr schwer, irgendwie im Proletariat Halt zu gewinnen, voch wenigstens einzelne für sich zu gewinnen. Aber je weniger wirkliche Argumente diese Herren aufbringen können, um so mehr sind sie darauf angewiesen, mit den Waffen der Lüge, der Verleumdung und der Entstellung zu kämpfen— zu verunglimpfen, was sie nicht zu erschüttern vermögen. Bisher richtete sich diese freundliche Taktik der Gelben Haupt- sächlich gegen Personen; in letzter Zeit beginnen die Herren auch „wissenschaftlich" aufzutreten. Eben jetzt ist wieder eine kleine Schrift erschienen, die eine Reihe von Artikeln zusammenfaßt, mit denen ein Herr Dr. Hugo Nathansohn schon im„Bund, dem „Organ der deutschen Werkvcreine" die Sozialdemokratie vernichtet hat.*) Denn in diesen Artikeln hat der Verfasser unternommen, „eine Geschichte menschlicher Vcrirrungcn" zu schreiben, die dazu beitragen soll,„die deutsche Arbeiterschaft zur Erkenntnis der Un- Möglichkeit und Schädlichkeit dieser Träume zu bringen". Man muß zugeben, daß Herr Dr. Nathansohn an eine schwie- rige Aufgabe mit großer UnVerzagtheit herangegangen ist. In diesen Sg Seiten bietet er nicht imr eine Geschichte der sozia- ltstischen, sondern auch der anarchistischen und bodenreformerischen Lehren und speziell eine Kritik des Marxismus, und das alles natürlich— streng wissenschaftlich. Von dem Maß dieser„Wissenschaftlichkeit" bietet gleich der Abschnitt über CampanellaS Sonnenstaat einige hübsche Proben. So heißt es(S. 12):„Eampanellas Sonnenstaat ist, wie schon der Name sagt, nicht hier auf Erden, sondern auf der Sonne gedacht." Leider hat Campanella etwas andere? gesagt als der Name; denn er verlegt seinen Jdealstaat ausdrücklich nach Ceylon und erwähnt mehrmals, daß die Bewohner des Sonnenstaates aus Indien dorthin ausgewandert seien. Gleich darauf behauptet Herr Nathansohn lS. 13),„für Cam. panella sei ebenso wie für Plato die Sorge für die materiellen •) Dr. Hugo Nathansohn,»Soziale Zukunftsträume ". Berlin , Ppreeverlag, 69 Seiten. OberamiSarztgesetz zum Scheitern zu bringen versuchte und schließlich, als das nicht gelang, gegen da» Gesetz stimmte. Dieses Gesetz bringt den obligatorischen staatlichen Schularzt, der diesen Beruf künftig im Hauptamt ausüben soll, für alle Gemeinden des Landes, auch die kleinsten Dörfer, und zwar unter Bedingungen, die einen bedeutsamen Fortschritt darstellen. Daß die Bündler in ihrem sozialhhgienischen Verständnismangel sich hier hiergegen wehrten. wundert niemand. Auch einige Vertreter des Zentrums und der Nationalliberalen verhielten sich ablehnend. Wenn aber die starke Hälfte der Volkspartei das Gesetz, das sogar in der Ersten Kammer glatt durchging, prinzipiell ablehnte, so zeigten dir Herren, mn wie wenig Berechtigung fie die Bezeichnung„fortschrittlich" in ihrer Parteisirma führen. In diesem wie in' manchem anderen Falle führte der Widerstand der Reaktionäre gegen einigermaßen fortschrittliche Regierungsvorlagen die.Sozialdemokraten an die Seite der Regierung. So verdanken eine Anzahl Gesetze, besonders das Schularztgesetz, ihr Zustandekommen nur der Mitwirkung der „umstürzlerischen" Sozialdemokraten. Völlig, allein kämpft« dagegen unsere Fraktion gegen die Steuerpolitik, die in den letzten Jahren getrieben wurde und dir sich nicht zu ihrem Vorteil von der Reichsfinanzpolitik des Schnaps- blocks unterscheidet. Die Deckung für die bedeutende Steigerung der Staatsausgaben, die mit einer zweimaligen Erhöhung der Beamtenbezüge und mit der Verbesserung der Pensionen fdie jetzt in Württemberg die höchsten von allen Bundesstaaten sind) ver- bunden war, wurde nicht in einer stärkeren Belastung des lei. stungsfähigen Besitzes gesucht und gefunden, sondern in einem bösartigen Steuersammelsurium. Die Erhöhung der Biertteuer, deS PostportoS im Nahverkehr und der Umsatzsteuer galt nach den Vorgängen im Reich öl» selbstverständlich; aber man fügte noch hinzu die Erhöhung der Fahrtaxen der hestrentierenden vierten Eisenbahnklasse, die Revision deS SporteltarifS, der eine Menge ungerechter neuer VerkehrIsteuern enthält, die Erhöhung der Ge- richtsgebühren, die Ausdehnung der preußischen Klaffenlotterie auf Württemberg , und man verschonte die armen Teufel auch bei der Erhiihung der Einkommensteuer um 5 Proz. nicht, wie das Preußen seinerzeit wenigstens in gewissem Matze tat. Auf dem Gebiet des Steuerwesens muß im nächsten Landtag durchgreifend geändert werden. Die Steuerreform, die 1903 mit der Schaffung der allgemeinen Einkommensteuer begonnen. wurde, ist fortzusetzen durch Einführung einer progressiven Vermögens. steuer, die an Stelle der. veralteten Ertragsteuern von Gebäude- und Grundbesitz und Gewerben zu treten hat. Auch die Gemeinde- steuerordnung bedarf dringend der Revision. Damit steht im Zu- sammenhang die, Uebernahme der Volktichullasten auf den Staat, für die sich auf Drängen unserer Fraktion eine knavve Mehrbeit der Zweiten Kammer erklärt hat. Ebenso ist in der Richtung der Trennung, von Kirche und.Staat von unserer Fraktion ein Vorstoß gemacht worden, der vorläufig eine Denkschrift über das finanzielle Verhältnis von Staat und. Kirche zeitigen wird. Dazu kommt die Forderung einer Verbesserung des Wahlrechts zum Landtag durch Einführung der allgemeinen Verhältniswahl. ES kommen wichtige sozialpolitische Aufgaben hinzu, wie Durchführung deS Achtstunden- tags in den Staatsbetrieben, Ausbau der Gewevbe-, der Wohnungs- inspektion, gründliche Wohnungsfürsorge usw. Der Rechtsboden ist in Württemberg der Verwirklichung dieser Forderungen günstiger als in allen anderen deutschen Bundes- staaten, denn Württemberg hat das beste Laqdtagkwählrecht. Der König und der Mintsterpk8side.n't haben der auf. dem gleichen Wahl- recht berufenden Volkskammer wiederholt ihr Kompliment gemacht und dadurch den Weisbeitsspruch deS. Kanzlerphilosophön, daß die Demokratisierung deS Parlamentarismus die politischen Sitten verflache und verrohe, zurückgewiesen, llns aber haben die prak- tischen Früchte der Demokratisierung nach allen Richtungen un- befriedigt gelassen, und darum soll alles darangesetzt werden, eine ZusammensStzung des künftigen Landtags zu erkämpfen, die den Lebensinteresssn de? emporstrebenden Proletariats in höhcrem Grade gerecht wird,' als daS biShei geschah. poUtifchc Qcbcrficbt Berlin , den 6. Juli 1912. Die sogenannte„Waisenftener"! In einem Artikel protestiert« jüngst die.Kreuz-Ieitung" mit den bekannten Argumenten gegen die Erweiterung der Erbschaftssteuer; Bedürfnisse eine niedrige und nebensächliche Beschäftigung". Leider ist auch hier Campanella selbst anderer Ansicht. Sein ganzer«taat beruht auf der hohen Wertschätzung der Arbeit, Ausdrücklich sagt er auch noch z. B.:„Die Solarier halten jemand für einen um so vorzüglicheren und edleren Menschen, je mehr Handwerke er er- lernt hat und verständig auszuüben versteht. Darum verspotten sie unS deswegen, weil wir die Handwerke etwas Niedrige? und gerade diejenigen edelgesinnt nennen, die... in Mäßigkeit leben." Doch was sinb Tatsachen, was ist Wahrheit? Die„gelbe Wissenschaft" hat andere Zwecke,„wie schon der Name sagt". Und dabei bätte eS Herr Dr. Nathansohn so leicht gehabt! Er brauchte nur seinen Vorkäufer, den anonymen Verfasser der 1392 erschiene- neu„Schlaraffia politica" balbtvegS aswissenhaft auszuschreiben. Denn wenn diese Schrift auch ein politisches, tendenziöse» Mach. werk war, steht ihr Verfasser Herrn Nathansohn doch als wissen- .schaftlicher Riese gegenüber. Aber was Nathansohn über Plate, Campanella, More, Fourier, Proudhon, Stirner usw. sagt, ist natürlich alles nur Vorbereitung zu seiner tiefgründigen Kritik von Marx.„Denn von allen Uwpien hat keine einzige eine derartige Wirkung hervorgebracht wie die marxistische."(S. 86.) Marx ist nämlich ebenso Utopist wie seine Vorläufer; denn„ob man eine wirtschaftliche Umwälzung selbst herbeiführen will, oder ob man sie nur als von selbst sich ent« wickelnd propbezeit, das ändert nicht» an der Tatsache, daß jedes .solches Zukunftsbild nur eine Utopie ist. Die Lehre von einer angeblichen zukünftigen Cntwickelung kann niemals eine Wissen- fchaft sein." Leider sind auch bicr die Männer der Wissenschaft. anderer Ansicht als Herr Dr. Nathansohn;, denn sie sehen gerade' daS Wesen her Wissenschaft in dem Erkennen der Entwickelunas- richtunaen. in dem Voraussehen deS Künftigen. MerdingS Herr Rathamohn scheint anzunehmen, nur die Voraussage, daß alles unverändert bleiben werde, wie eS ist, sei Wissenschaft. Doch was Ha1 es überhaupt für einen Sinn, sich mit jemand in theoretische Auseinandersetzungen einzulassen, der z. B. schreibt:„Ein Gold- ring ist wertvoller als ein Eisenring, selbst wenn zu dessen Her- stcllimg dieselbe Arbeitszeit verwandt worden ist." Wenn es Herrn Dr. Nathansohn bereits gelungen wäre, ein Verfahren, zu erfinden, mittels dessen man. ein Pfund. Gold in derselben Arbeitszeit ge- Winnen kann wie ein Pfund Eisen, hätte er nicht mehr nötig, sich durch die Verfassung solcher Sudelschriften öffentlich zu blamieren. Ebenso umfassend wie das ökonomische ist das ethnologische Wissen deS Verfassers. So schreibt er(©. 48);„Finden wir bei einigen wilden Völkern, daß die Frauen körperliche Arbeit leisten, oder politische Rechte besitzen, so ist damit noch länge nicht bewiesen, daß das wirklich der allgemeine Urzustand war. Es können das ebensogut Besonderheiten oder Verirrungen einzelner Volksstömme gewesen sein." Die vergleichende Völkerkunde scheint also für den gelehrten Herrn ein völlig unbekannte» Land zu sein, noch viel abgelegener als dev �.Sonnenstaat" auf der Sonne,, und jeden- falls viel dunkler. Da ist es doch nett von Herrn Dr. Nathansohn. daß er eine gewisse Nachsicht walten läßt, wenn sich jemand nicht ganz bis zu seiner wissenschaftlichen Höhe emporschwingen kann. I nur für„die Stunde der Gefahr" erklärte sie sich mit gewissen Ein- schränkungen zu.besonderen Leistungen" bereit. Auf die Bekundung dieses echtjunkerlichen Opfersinnes antwortet der konservative„Dres- dener Anzeiger": „Warum soviel Worte, bei denen man alles Mögliche oder nichts denken kann? Warum nicht einen praktischen Vorschlag, der im Reich durchgeführt werden kann? Die Erb- anfallsteuer ist eben die einzige und gerechteste Reichsbesitzsteuer, der die Bundesstaaten zustimmen können. Wer sie ablehnt, zeigt damit, daß es ihm mit seiner Opferbereitschaft nicht ganz ernst ist und daß er nur einen maralischen Er- folg für sich, aber keinen prallischen Erfolg für das Reich und die Allgemeinheit im Auge hat. Bei der Erbanfallsteuer soll man nichl so sehr an die ungleiche Bedeutung eines Sieuerbetrages für die einzelnen Steuerträger und eines Erbieils denken, als daran, daß jeder, dessen Vermögen durch Erbschuft erheblich vergrößert wird, leichter in der Lage ist, eine Steuer zu tragen als die anderen, die in der Wahl ihrer Eltern weniger vorsichtig gewesen find und nicht nur nichts erben und Zinsen zu ihrem Einkommen ' beziehen, sondern allein auf ihr Einkomme» angewiesen find, das sie oft bis 8, 10 und 12 Proz. besteuern müssen." Zugleich unternimmt der„Dresdener Anzeiger" den Nachweis, daß das Gerede der konservativen und klerikalen Presse von der „Waisen st euer" reiner Schwindel ist; denn nur in seltenen Fällen wird die Nachlatzsteuer von unmündigen Kindern— und noch viel weniger natürlich von„Waisen"— getragen. AuS den: „Statistischen Jahrbuch für Sachsen" stellt der„Dresdener Anzeiger" fest, wie lange die Ehen beim Ableben einer der Ehegatten während der letzten drei Jahrzehnte durchschnittlich bestanden hatten, und kommt zu folgendem Ergebnis: „Danach hat die durchschnittliche Dauer der Ehe im Jahrfünft 1381/86 beim Ableben der verheirateten Männer 23,7 Jahre, beim Ableben' der verheirateten Frauen 22 Jahre betragen. Seit- dem Jahre 1903 ist die durchschnittliche Dauer der Ehe bei den Männern auf mehr als 26 Jahre, bei den Frauen auf mehr als 24 Jahre gestiegen. Sprechen schon diese Zahlen dafür, 'daß die erbschäftS steuerpflichtigen Kinder in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Minderjährigkeit hinter sich haben, so geht au§ dem Alter der Gestorbenen dasselbe hervor. Das Jahrbuch enthält die . hierauf bezüglichen Angaben für die Jahre 1999 und 1919. Unter Beschränkung auf das Jahr 1919 sei hier wiedergegeben, daß von den gestorbenen Männern 7867 über 3? bis 35 Jahre, 8391 über 35 bis 40 Jahre. 10 868 über 40 bis 45 Jahre, 11 856 über 45 bis 50 Fahre, 13 474 über 50 bis 55 Jahre; 15 702 über 65 bis 60 Jahre. 17284 über 60 bis 65 Jahre. 19625 über 65 bis 70 Jahre, 16 340 über 75 bis 80 Jahre. 10313 über 80 bis 35 Jahre alt gewesen sind. Ganz ähnlich ist daS Verhältnis bei den gestorbenen Fronen. Je höher aber die Zahl der Gestorbenen in den vor» gerückten Lebensaltern ist, um so klarer ist e», daß die von ihnen zurückgelassenen Kinder in der Mehrzahl der Fälle die Zeit der Minderjährigkeit und wirtschaftlichen Unselbständigkeit hinter sich haben."_ Eine Kulturdebatte im bayerischen Landtage. Am Donnerstag unterstützte das Zentrum in der bayerischen Abgeordnetenkammer die Weigerung der Regierung, eine Not- ftandSaktwn zugunsten der Landlehrer einzuleiten, und Freitag lehnte da» Zentrum in der Abgeordnetenkammer einen Antrag ab, zur Bekämpfung der Schundliteratur staatliche Mittel für Schul- und Bolksbibliotheken zur Verfügung zu stellen. Als Grund gab das Zentrum, an, daß cS nur. rein konfessionell« Bibliotheken dulden und fördern könne. Auf die üblichen klerikalen Reden über Un- sittlichleit und Irreligiosität antworteten ein sozialdemokratischer und ein liberaler Redner mit einer Fülle von Proben aus der klerikalen Schundliteratur. Sie wiesen nach, wie skrupellos katho- lische Verleger die schmutzigsten Schriften verbreiten, die den Aber- glauben fördern und oft geradezu gemeingefährlich wirken. Die bewegte Debatte erreichte ihren Höhepunkt, als Genosse Eduard Schmid zur Kennzeichnung der klerikalen Heuchelei auf den Tisch des Hauses ein unglaublich schweinisches Gedicht niederlegte, das in der Münchener Eisenbahndirektion auf gestohlenem staat- lichem Papier in der Dienstzeit auf Veranlassung von führenden Personen des christlichen Eisenbahnerverbandes gedruckt und unter die Mitglieder verbreitet worden ist. Das Zentrum geriet in«ine fassungslose Aufregung bei dieser Enthüllung christlicher ErziehungS- Wirkung. Er muß zwar konstatieren, Bebels Buch„Die Frau"„verrate überall den Halbgebildeten, der kritiklos alles, was er gelesen hat, gläubig in sich aufnimmt," er ist aber doch so gütig, anzuerkennen, „für den ehemaligen Drcchslermeister bleibe es immer noch eine achtungswerte Leistung". Weniger liebevoll als gegen Genossen Bebel ist Herr Dr. Na- thansohn allerdings gegen Dr. Liebknecht. Denn nachdem er er- zählt hat, daß Campanella 26 Jahre im Kerker schmachten mußte, dabei siebenmal aufs schrecklichste gefoltert und einmal 40 Stunden lang gebunden aufgehängt wurde, fährt er fort:„Wenn wir hier vergleichsweise etwa an die IVi.Jahre Festung des AntiMilitaristen Liebknecht denken, so will uns dieses letztere, so gerühmte Märtyrer- tum fast als eine Karikatur dessen erscheinen,.was ein Mittelalter- lichcr Kämpfer wie Campanella für seine Ucberzeugung erduldete." SS ist doch offenbar schade, daß die Methoden der spanischen In- quisition heute den Sozialdemokraten wenigstens in Deutschland nicht mehr Gelegenheit geben, sich eine echte Märthrerkrone zu er- werben! Der Marxismus ist für Herrn Nathansohn_ natürlich eine längst überwundene Sache. Es wäre wohl überflüssig, sich darüber mit ihm in eine theoretische Diskussion einzulassen. DaS Schicksal Marx' hat gezeigt, daß ein Mann um so lebendiger werden kann, je öfter er totgeschlagen wird. Aber Herr Nathansohn hat auch entdeckt, daß der Marxismus zu einer sorgfältig gehüteten Geheim- lehre geworden ist.„Der wissenschaftliche Boden," erzählt er uns iE. 43),„auf dem die sozialdemokratische Partei aufgebaut ist. ist heute bereits so vollständig unterwühlt, daß die wenigsten Sozial- demokraten noch mit den wirklichen Lehren Marx' und Lassalles bekannt gemacht werden können. Nur durch diese, selbst in Führer- -kreisen herrschende Unwissenheit konnte die Einheit der Partei und die Herrschaft deS Marxismus innerhalb derselben noch bis heute aufrecht erhalten werden." Herr Nathansohn bezieht sein Wissen über den Marxismus und seine Verbreitung vielleicht aus den „Sozialistischen Monatsheften". Wenn Herr Dr. Nathansohn schließlich auch den persönlichen Charakter Marx' angreifen will, indem er von ihm erzählt:„Sein väterliches Vermögen ermöglichte ihm ein sorgenfreies, nur seinen ehrgeizigen Bestrebungen dienendes Leben," so wäre man einen Augenblick versucht, sich über diese Gemeinheit zu argern, wenn man. weiß, mit welchen Entbehrungen und welcher nagenden Not der Mann durch viele Jahre zu kämpfen hatte, der sein ganzes Leben, ftine ungeheure Arbeitskraft, sein ganzes Denken und Sein restlos in den Dienst der proletarischen Sache gestellt hat. Ader Marx' Bild steht doch zu hoch, als daß eS zedsr vorüberlaufende Mops anbellen könnte. Nein, mit ihrer„Wissenschaft" haben die Gelben kein Glück. Auf diesem ungewohnten Boden bewegen sie sich doch auch gar zu ungeschickt. Sie täten besser, da» sein zu lassen und sich dem Gebiet allein und ausschließlich zuzuwenden, das doch ihre Heimat ist, in dem sie sich zu Hause fühlen: dem Gebiet der persönlichen Ver- dächtigung und Verleumdung. Dort stellen sie ihren Mann.