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Nr. 231.

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Berliner   Volksblaff.

29. Jahrg.

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Telegramm Adresse: Sozialdemokrat Berlin  ".

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands  .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt Morikplatz, Nr. 1983.

Einberufung des Reichstags!

Was will also die Regierung tun?

Donnerstag, den 3. Oftober 1912.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt Moritzplatz  , Nr. 1984.

Vor dem Kriegsbeginn.

freie Bahn zu schaffen. Und es scheint, daß die öster­

Denn das wird doch hoffentlich Herrn von Beth- Die Hoffnung, daß der Zusammenstoß auf dem Balkan   schwankende Gegengewicht der | widerstreitenden Kräfte des mann Hollweg klar sein, daß es bei seinen bisherigen noch einmal verhindert werde, muß beinahe auf- europäischen Konzerts und der inneren Wirrnisse. Dieser Maßnahmen nicht bleiben kann. Die Maßregeln der Re- gegeben werden. Die türkische   Regierung hat das ser- Reflex des verlorenen politischen Gleichgewichts Europas  gierung waren nun freilich nicht dazu bestimmt, zu helfen, und sie hält die griechischen Schiffe, die in den diese Weise die türkische   Regierung für etwas verantwortlich, bische Ultimatum, wie zu erwarten war, abgelehnt nennt die Diplomatie türkische Staatspolitik. Sie macht auf sondern nur den Schein von Hilfe zu erzeugen, um die immer weiter um sich greifende Entrüstung der Massen zu be- türkischen Gewässern sich befinden, zunächst zurück. Ein ge- womit sie selbst nicht fertig werden kann. Weil es den Diplo­meinsames Ultimatum der vier Balkanmächte ist schwichtigen. Jetzt ist aber dieser Schein völlig zer- vorbereitet, soll aber erst gegen Ende der Woche überreicht maten schwindelt, deshalb stellt sich ihnen die Welt auf den Kopf. stört. Es ist klar, daß infolge der Mobilisierung die Aus- werden. Daß aber die Diplomatie der Großmächte diese Sieht man sich aber die Dinge mit nüchternen Augen an, so kommt sichten, aus den Balkanländern Fleisch zu beziehen, völlig furze Zeitspanne, selbst vorausgesetzt, daß unterdessen man zu einem sehr einfachen Schluß: so lange es tein Ein­geschwunden sind und auch die Zufuhren aus Rußland   nicht schon die Flinten von selbst losgegangen sind, verständnis zwischen den Großmächten Europas  werden nur ganz gering und jedenfalls nicht billig sein. noch zu nützen verstehen wird, ist nach ihren bis- gibt, wird es keine Ruhe im Orient geben. Ich sage Von Nun hat ja die Regierung selbst zugegeben, daß Abhilfe herigen Erfolgen ja nicht anzunehmen. einer damit nichts neues; wohl aber sage ich etwas, das obwohl längst unbedingt nötig sei. Sie ist deshalb verpflichtet, für Einigkeit der Mächte, die ja die Voraussetzung jeder wirt bekannt, fortgesetzt ignoriert wird. die Maßregeln, deren Unwirksamkeit sie jetzt nicht mehr leugnen als je. Im Gegenteil! Die österreichische offiziöse Bresse führt samen Intervention wäre, tann heute weniger die Rede sein Ich will damit durchaus nicht die Politik der türkischen   Regie­kann, andere wirksamere zu ergreifen. Die Regierung muß eine recht erregte Sprache gegen die Haltung Rußlands. rung rechtfertigen, die ich oft und scharf genug kritisiert habe. Aber ich sich entschließen, den Reichstag einzuberufen und Sie will an die Harmlosigkeit der Probemobilisierung" in fage: es gibt keine von der türkischen   Regierung jemals begangene das Fleisch beschaugesez ändern zu lassen. Denn Russisch- Polen trotz aller russischen und französischen   Versiche- Dummheit oder Gemeinheit, zu der sie nicht innerhalb der wirkliche Abhilfe kann nur durch die ausreichende Zufuhr rungen nicht glauben, sondern erblickt darin das Bestreben europäischen   Diplomatie ihre Beschützer, Förderer und Anstifter bon argentinischem und australischem ge- der russischen Regierung, Desterreich von jedem Eingreifen gefunden hätte. Und speziell an der Zermürbung des türkischen kühltem oder gefrorenem Fleisch geschaffen werden. in die Balfandinge abzuhalten, ja auch seinen diplomatischen Parlamentarismus haben die europäische   Diplomatie und die Wenn die Regierung auch nur einen unten Ver- Vorstellungen den Nachdruck zu nehmen. Das Verhalten europäische Hochfinanz am meisten mitgewirkt. antwortlichkeitsgefühl befitt, so darf sie mit der Rußlands   liefe darauf hinaus, Serbien   zu seinem Vorgehen Was nun ferner die europäische   Diplomatie selbst an Reform Einberufung des Reichstages nicht länger mehr zögern. Schon reichische Regierung es nicht nur bei den Worten ihrer Diffi- vorschlägen für den Orient leistet, das find nur Schlagworte, unter jetzt hatte ja die Teuerung unerträgliche Verhältnisse geziösen befvenden lassen wird. Zwar haben die Minister die denen die Interessen dieser oder jener Gruppe von Großmächten schaffen. Nun steht der Winter vor der Tür, der mit seinen Meldungen, daß Desterreich mobilisiert, in Abrede gestellt, vertreten werden. Bald ist es die Integrität der Türkei  , bald die erhöhten Ausgaben für Heizung und Kleidung, mit der regel- aber private Nachrichten besagen mit aller Bestimmtheit, daß Dezentralisation oder die Amputation dieses oder jenes Gebietsteiles. mäßig eintretenden Minderung der Beschäftigungsgelegen- die drittjährige Mannschaft nicht entlassen und Reserven ein- In allen diefen Fällen handelt es sich nicht um die Entwickelung der heit ohnehin eine Verschärfung der schweren berufen werden. Türkei  , sondern um die Entwickelung des Einflusses der Großmächte. Situation, in der sich heute die Massen be- Auch die deutsche Regierung scheint den Ausbruch Die diplomatischen Schlagworte paffen sich der Situation an. Ist finden, mit sich bringt. Und nun droht noch die des Krieges für unvermeidlich zu halten. Die Nordd. Allg. die türkische   Staatspolitik der Refler der allgemeinen Verwirrung, Gefahr, daß die industrielle 8tg." schreibt: Hochkonjunktur durch so find die jeweiligen Losungen der europäischen   Diplomatie der den Ausbruch des Balkankrieges gestört wird. Angebliche oder wirkliche türkische   Mobilmachungsmaßregeln haben Refler dieses Reflexes. Schon find die Börsen von Angst erfaßt und die Kurse aller den Balkanstaaten Grund oder Vorwand zur Mobilisierung ihrer Aber wenn es auch in der Türkei   keine felbständige Staats­Papiere sinken. Bedeutungsvoller aber und folgenreicher Streitkräfte gegeben. Ob es sich nur um einen Gegenzug gegen politik gibt, so gibt es doch eine türkische   Armee. D6 diese muß die plötzliche Unterbindung allen Verkehrs mit einemt die türkischen Vorkehrungen oder um ernstliche Kriegsabsichten Armee   den Anforderungen einer modernen wissenschaftlichen Leitung immerhin bedeutenden Wirtschaftsgebiet sein. handelt, läßt sich zurzeit mit Bestimmtheit nicht erkennen. Unter genügt, darüber ein Urteil zu fällen, liegt außerhalb meiner Kom Schon stockt dort unten der Handel, die Banken haben ihre Tätigkeit ein­allen Umständen haben die von den Balkanregierungen ergriffenen petenz. Sie verfügt über respektable Cadres militär- wissenschaftlich Maßregeln die Möglich leit eines friegerischen 8ugebildeter Offiziere, das ist Tatsache. Was aber das wichtigste ist: gestellt, der Kredit ist geschwunden, die Zahlungen gehen nicht ein und die Fristen für fällige Schulden müssen verlängert sammenstoßes mit der Türkei   näher gerüdt. sie ist von einem starken Kriegsgeist erfüllt. Sie rekrutiert sich aus werden! Und die Furcht, daß der Krieg, wenn er einmal Die Bemühungen der Mächte, den Frieden zu ungebildeten Massen. Diese Boltsmassen leiden furchtbares Elend, erhalten, dauern fort. entfesselt, nicht auf den Balkan   beschränkt bleiben werde, wird und das Elend treibt sie zur Verzweiflung. Diese Ver­sich wie ein Alp auf das ganze Wirtschaftsleben legen. Und Wie sehr es auch zu bedauern wäre, wenn diese Bemühungen zweiflung, die feinen Ausweg findet, begleitet den Bauern was das schlimmste: die Gebiete, die da aus dem Verkehr erfolglos blieben, so ist doch auch in diesem Falle für die deutschen   sohn in die Kaserne, wo sie dann in Striegsstimmung umgegossen ausgeschaltet werden, sind solche, die sonst vor allem Ge­Interessen ein Anlaß zu unmittelbarer Beunruhi wird, wenn das nicht schon früher der religiöse Fanatismus treide und Futtermittel, Vieh und Fleisch exportieren. gung nicht gegeben. Dies ist um so weniger der Fall, als besorgt hatte. Es ist eine Armee, die bereit ist, ihren letzten Bluts's Dieser Ausfall wird fich gerade jetzt, mit Bestimmtheit zu hoffen ist, daß der etwaige Konflikt auf tropfen zu vergießen unter allen Umständen. Sie wird nicht zur Zeit der Teuerung, noch schlimmer fühlbar machen seinen Herd beschränkt bleiben würde. machen als bloß um den Sieg fämpfen. Sie wird kämpfen, weil sie tatsächlich nichts mehr zu verlieren hat. sonst. Schon hat die Nachricht von der Mobilisierung bewirkt, daß trotz der guten Ernte auch die Getreidepreise, die ohnedies sehr hoch stehen, noch weiter steigen. Da darf die Regierung nicht länger mehr zögern, sie muß der Boltsvertretung Gelegenheit geben, die nötigen Abwehrmaß­regeln zu ergreifen.

Die letzten Ereignisse haben, wie gesagt, die Wahrschein lichkeit   eines Konflikts erhöht. Mit der Möglichkeit Daran ist nicht zu zweifeln: Wenn es zu einer militärischen eines solchen mußten die europäischen   Kabinette aber schon seit Entscheidung fommt, wird die türkische   Armee eine gewaltige Stoß­geraumer Zeit rechnen. Sie haben daher auch alle Zeit gehabt, fraft entwickeln. Das ist ein Faktor, mit dem man sehr ernst sich untereinander über ihre Stellung zu einer solchen Eventualität rechnen müßte, denn ganz Europa   tönnte dadurch aus den Angeln auszusprechen. Bei dem festen Willen aller Mächte, die Ausgehoben werden. dehnung des Konflikts hintanzuhalten, tann eine endgültige Verständigung nicht ausbleiben. Wenn also auch die nahe Möglichkeit eines Zusammenstoßes auf dem Balkan   nicht In seinen Aufsäßen über die Balkanfrage vom Jahre von der Hand zu weisen ist, so darf doch zuversichtlich erwartet werden, daß eine weitergehende Konflagration, in die die europäischen   Großmächte hineingezogen werden könnten, vermieden bleibt.

Rußland auf der Balkanhalbinsel  .

Und es ist um so notwendiger, daß der Reichstag   ein­berufen werde, weil die Agrarier die Unverschämtheit haben, der Regierung mit ihrem Dreiklassenparlament zu drohen. Der preußische Landtag soll die Regierung in ihrem Widerstand 1853 nennt Marr die immer wiederkehrende Orientfrage gegen die Forderungen der Volksmassen stärken. Wieder soll die Eselsbrücke der europäischen Diplomatie". In den sechzig die Diktatur der Junker vom Preußischen Landtag Jahren, die seitdem verflossen sind, haben die Ereignisse un­proflamiert werden. Nun haben wir sicher nichts dagegen, zählige Male die Richtigkeit dieser Worte dargetan. Immer wenn der Agrarier- Landtag aufs neue sich dem preußischen mit dem Ausbruch des Krieges und gibt bloß noch der Hoff einer plöglichen Explosion nahegebracht, immer wieder sind Danach rechnet also auch die deutsche Regierung bereits wieder hat die Ländergier und die Eifersucht der europäischen  Staaten das Pulverfaß im Südosten Europas   der Gefahr Volfe in all seiner Schöne enthüllt. Steine bessere Auf- nung Ausdruck, daß der Brand lokalisiert bleiben und forderung kann es geben, den Wahlrechtskampf in die europäischen   Großmächte nicht in einen Weltkrieg werden die Interessen der Türkei   und der Balkanvölker von den Preußen mit neuer Energie aufzunehmen, hineingezogen werden. Ob diese Hoffnung sich erfüllen wird, Großmächten wie hohle Nüsse verschachert worden, immer als diese Ankündigung der Junker, ihren Landtag zu einem hängt nun weniger von der Geschicklichkeit der Diplomatie wieder iſt vor den Völkern Europas   die Gefahr eines Welt­neuen Erpressungsversuch an der Reichsregierung benutzen zu und von dem guten Willen der Regierungen ab, als von der brandes aufgetaucht, mit der unverantwortliche Diplomaten­wollen. Allein wir denken, daß es denn doch eine zu freche Macht und Entschlossenheit des internatio- bände in verbrecherischer Weise spielten. Auch jetzt wiederholt sich dieses Schauspiel. Welche Er­Verhöhnung des deutschen   Volkes wäre, wenn dem preußischen nalen Proletariats, seinen Friedens willen Junkerausschuß früher Gelegenheit geboten wird, über diese zur Geltung zu bringen. Charakteristisch aber ist, eignisse auch eintreten: kommt es zu einem Kriege zwischen wichtigste Reichsangelegenheit zu sprechen, als dem Deutschen   daß auch die deutsche Regierung Konstatieren muß, daß eine der Türkei   und den Balkanstaaten mit der Perspektive Verständigung der Mächte selbst jetzt noch nicht weiterer Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten, oder vorhanden ist. Daß sie nicht ausbleiben kann", ist eine wird die Kriegsgefahr heute noch gebannt in jedem Falle Und so meinen wir, Herr v. Bethmann Hollweg   jener diplomatischen Phrasen, deren Wertlosigkeit in der letzten treten die geheimen Fäden der europäischen   Politik, die zu wird schließlich doch nicht umhin können, die Forderung, die Beit wohl zur Genüge sich erwiesen hat. den neuesten Balkanwirren" geführt haben, schon jetzt ziemlich die Sozialdemokratie zuerst aufgestellt hat, hinter der heute deutlich zu Tage, und ebenso deutlich treten vor allem die aber bereits die ganze städtische Bevölkerung Gestalten der Hauptakteure hervor. steht, zu erfüllen und den Reichstag einzuberufen. Die Der Grad der Gärung unter den Balkanvölkern hängt Beiten sind zu ernst, als daß dem bureaukratischen Eine türkische Staatspolitik gibt es nicht- schon lange nicht stets von den Machenschaften der europäischen   Diplomatie ab. Absolutismus   das Feld allein überlassen bleiben könnte. Die mehr. Was man türkische Politik nennt, ist eine imaginäre Größe. 1909 mit gewohnter Grazie versichert, die Diplomatie schüre Fürst Bülow   hat zwar in seiner Reichstagsrede vom Jahre Kriegsgefahr rückt immer näher und die Teuerung wird Die türkische   Regierung, ob zentralistisch oder nicht, wie sie auch jetzt das Feuer nicht, sondern spiele umgekehrt die Rolle der immer ärger! Da muß Abhilfe geschaffen werden, heißen mag, folgt einfach den Stößen, die ihr von außen gegeben Feuerwehr. Wer aber die Vorgänge am Balkan   namentlich da darf die Regierung nicht länger Obstruktion werden, und den Gegenstößen, die von innen kommen. So wird während des Kriegsjahres zwischen der Türkei   und Italien  gegen die Verfassung treiben. fie hin und her geworfen und zeigt in ihren Bewegungen nur das aufmerksam verfolgt hat, hat zu der Ueberzeugung kommen.

Reichstag  .

Ein gefährliches Spiel.

Aus Konstantinopel   schreibt uns Genosse Parvus:

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