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Ar. 48. 31. Illdrgaag. 3. jMlnjf des Jnsärtf Krrlim Mitwoch. 18. lebruar 1914. Reichstag  . 216. Sitzung, Dienstag, den 17. Februar 1911, nachmittags 1 Uhr. Am Tische des Bundesrats: D r. L i s c o. Kurze Anfragen. Abg. Deichmaun(Soz.) weist darauf hin, daß auf eine Anfrage vom 14. Januar 1313 der Reichskanzler am 18. Januar 1913 schriftlich geantwortet habe, ein Entwurf der Bestimmungen über die Errichtung und Zusammen- «etzung der Fachausschüsse sowie über das Verfahren nach Z 24 bes Hausarbeitsgesetzes sei im Reichsamt des Innern aus- gearbeitet und die Beratungen mit anderen Ressorts seien im wesent- lichen abgeschlossen, so dah die Vorlage voraussichtlich bald an den Bundesrat werde gelangen können. Inzwischen sind die Bestimmungen über die Hausarbeit i» derTabakindustrie am 17. November 1913 erlassen worden. Die Tabakarbeiier haben nun, durchdrungen von der Noi wendigkeit von Fachausschüssen, an den Bundesrat Eingaben ge richtet, mit der Bitte, für Bezirke mir starker Tabakindustrie Fach- ousichüsse baldigst zu errichten. Hat der Bundesrat zu diesen An- gaben bereits Stellung genommen und kann der Reichskanzler Aus- kunft darüber geben, ob der Bundesrat beschlossen hat, Fachausschüsse nach§ 18 des Hausarbeilsgesctzes für die Tabakmdusirie zu er richten. Geheimrat Caspar: Die Vorarbeiten über die Errichtung von Fachausschüssen haben noch nicht beendet werden können. In Preuhen sind nach den ein- gegangenen Erkundigungen die Vorarbeiten dem Abschluß nahe. Abstimmungen zum Etat des Reichsamts des Innern. Die Position zur Unterstützung der Olympischen Spiele, 46 009 Mark, die die Budgetkommission gestrichen hatte, wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und eines kleinen Teils des Zentrums bewilligt. Die nationalliberale Resolution, die Erhebungen über den G e s u n d beitszustand der Arbeiter inderGrotzindustrie wünscht, wird angenommen. Die sozialdemokratische Resolution auf vermehrten Schutz der Jugendliche» und der Arbeiters itiien wird a b- gelehnt. Die freisinnige Resolution, die das Arbeitsverhältnis der in Reichs- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Angestellten nach bestimmten Grundsätzen regeln soll, wird in ihren einzelnen Teilen angenommen, die Bestimmung, daß die Betätigung von Arbeitern und Angestellten in Berufsorganisationen, die keine ge mcinsame Kündigung und Arbeitseinstellung verlangen, nicht ge hindert werden darf, im Hammelsprung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten mit 168 gegen III Stimmen; in der Gesamt obstimmung wird die Resolution im Hammelsprung mit 139 gegen 127 Stimmen abgelehnt. Abgelehnt wird die sozialdemokratische Resolution auf A u f h e b u n g der das Koalitionsrecht einschränken- den Bestimmung, desgleichen die Resolution, die einen Gesetz entwurf zur Regelung der Arbeitszeit für alle im G a st w i r t s- g e w e r b e Angestellten und die Ausdehnung der Bundesrats- Verordnung über die Beschäftigung von Gehilfe» und Lehrlingen im Gastwirtsgewerbe aus das gesamte Personal verlangt. Ebenso wird abgelehnt die sozialdemokratische Resolution, die einen Gesetzentwurs zur Regelung der Arbeitsverhältnisse in der deutschen   Blnnenschissahrt fordert. Angenommen wird die von der Budgetkommission be antragte Resolution, die die Unterstützung der vom deutschen Hand- werk- und Gewerbekommertog errichteten zentralen Be ratungSstelle für die Verdingungsäniter der ein- zelnen Handwerkskammern wünscht. Hierauf wird die zweite Beratung des Etat öes Reichsjustizamts fortgesetzt beim Titel.Staatssekretär�. Staatssekretär Dr. Lisco: Die Budgetkommission hat, wie schon im Vorjahre, den an geforderten Reichsanwalt gestrichen. Dabei hat die Zahl der Strafsachen beim Reichsgericht beständig zugenommen. Ich bitte dringend, ihn in diesem Jahre zu bewilligen. Ueber die Frage des Zwangs vergleich es außerhalb des Konkurses schweben noch Verhandlungen in Preußen. Eine gesetzliche Rege- lung der Rechtsverhältnisse der Angestellten bei Rechtsanwälten ist in Angriff genommen worden. Sollten die inzwischen eingeleiteten Tarisverhandlungen zum Ziel« führen, so würde sich eine gesetzliche Regelung erübrigen. lieber das Einkommen der Recktsanwälte schweben Er- bebungen, um eventuell die Gebührenordnung zu ändern. Ein Entwurf zur Abänderung der Wechselordnung liegt dem Bundesrat vor. Die Frage des pfandfreien Einkommens wird im Bundesrat noch einmal kunäitus fgründlich) erwogen. Erwägungen schweben ferner über den Erlaß eines Irren- g e s e tz e s. Für die Notwendigkeit eines stärkeren Schutzes des Publikums, das mit Geisteskranken, deren Krankheit cS nicht erkennt, Geschäfte macht, sind nur in Berlin   Erfahrungen gemacht worden; eine entsprechende Aenderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs   scheint daher nicht angebracht. Eine Einslbränlung der Eide  , speziell des Parteieides, welche die Resolution Bassermann fordert, strebt auch die Regierung an. Eine Beschleunigung unseres Verfahrens im Zivilprozeß können wir auch ohne gesetzliche Aenderung herbeiführen; die Statistik zeigt, daß in einigen Oberlandesgerickts- bezirken schneller gearbeitet wird, wie in anderen. Man wünscht vielfach eine Novellengesctzgebung; man vergißt aber, daß alle Novellen, die wir vorgelegt haben, hier außerordentliche Bedenken gefunden haben, und daß es oft nach mehrjähriger Arbeit ziveifelhaft ist, ob sie überhaupt Gesetz werden. Ich bitte also bei unseren No- Vellen um wohlwollende Beurteilung. Abg. Dr. Ablaß(Vp.): Eine Beschleunigung des Verfahrens ist gewiß erwünscht; nur darf der Grundsatzbillig und schlecht' auf die Justiz nicht übertrogen werden in der Formschnell und schlecht'. Die Arbeiter sollten mehr als bisher zu Schöffen und Geschworenen herangezogen werden, bisher hat man fast nur platonische Er- klärungen hierfür abgegeben. Ebenso sollten die V o l k s s ch u l- I e h r e r mehr zu diesen Aemtern herangezogen werden, auch sollte man einen Versuch mit der Zuziehung von Frauen niachen, speziell bei den Jugendgerichten. Im Fall des Amtsrichters Knittel ver- dient nicht nur das Verhallen des Vorsitzenden, sondern auch das des Staatsanwalls die ernsteste Rüge. Ueber das, was die Staatsanwaltschaft im� öffentlichen Interesse zu verfolgen hat, müßten feste Grundsätze aufgestellt werden. Als derDortmunder Generalanzeiger' scharfe Angriffe gegen die Anwaltschaft richtete und diese die Strafverfolgung verlangte, konnte sie sie nicht er- reichen; die Staatsanwaltschaft meinte, dadurch würde nur Gelegen- heil zu Beweisanträgen gegeben, wodurch das Ausehen der Anwalt- schast noch mehr herabgesetzt werden könnte. Gegen eine solche Herabwürdigung des Anwaltstandes muß ganz energisch Protest er- hoben werde». Als in Schlesien   ein Blatt die Agitation in einer Versammlung des Bundes der LandwirteBauern- ftngerei' nannte, erachtete der Staatsanwall sofort ein öffent- ltche« Interesse für vorliegend und erhob Anklage. Freilich sprach das Gericht den angeklagten Redakteur frei. Ebenso wie für die Strafverfolgung iin öffentlichen Interesse müssen wir all- gemeine Grundsätze für die Eintragung von Vereinen ins Vereinsregister verlangen. Der Bund der Landwirte ist als unpolitischer Verein eingetragen worden. Gegenüber den Reden, die gestern im Zirkus Busch gehalten wurden, erscheint das doch etwas merkwürdig.(Sehr wahr! bei den Sozialdcmo- krateu.) Das unpfändbare Einkommen sollte von 1500 auf 1800 Mark erhöht werden und darüber hinaus sollte bei Verheirateten noch ein weiterer Betrag freigelassen werden. Die RechtsauSkunfts- st e l l e n haben sich zum Schutz gegen Schwindelsirmen zu einem Verbände zusammengetan. Der Staatssekretär sollte dafür Sorge tragen, daß dieser Verband mit Material unterstützt wird. Ganz besonders dringend der Regelung bedürftig ist das preußische P r e ß g e s e tz, das ganz antiquierte Bestimmungen enthält. nichtgewcrbsmäßigen Anheften von Druckschriften und Plakaten be- darf es noch immer der polizeilichen Genehmigung. Diese Be stimmung des Preßgesetzes war bereits völlig vergeffen und wurde erst wieder im Kampfe gegen die Sozialdemokratie ausgegraben. Im Plakatwesen sind wir zu Rechtsanschauungen ge kommen, die mit der modernen EntWickelung unvereinbar sind. (Sehr richtig! links.) Jeder Gastwirt macht sich nach dem preutzi scheu Preßgesctz strafbar, der in seinem Lokal ein Plakat aushängt: bei mir kostet der und der Likör so und so viel. Von ihrem Recht, gegen solche Plakate vorzugehen, macht die Polizei aber nur im politischen oder gewerkschaftlichen Kampfe Gebrauch. So wurde z. B. ein Plakat verboten: Hier sind Formulare� zum Austritt aus der Landeskirche zu haben.(Hört! hört! links.) Selbst die üblichen Inschriften auf P f e f f e r k u ch e n hat die Polizei auf Grund des preußischen Preßgesetzes verboten.(Heiterkeit.) Daß diese Bestimmungen im staatlichen Interesse nicht notwendig sind, beweisen die Erfahrungen in den außerpreußischen«Staaten. Einer sofortigen Regelung durch eine Novelle bedarf auch die Frage des konfessionellen Eides. Es gibt keinen schimpf licheren und brutaleren Zwang, als den Zwang in Glaubens fachen. Es geht nicht an, daß der Staat jemand von Gesetzet wegen zur Lüge zwingt. Einzelnen Sekten, die nicht schwören dürfen, ist ja heute schon gestattet, eine andere Beteuerungsformel zu wählen. Was diesen Leuten recht ist, muß den Freireligiösen billig sein. Die Aeußerung des Richters in Berlin-Tempelhof  , er glaube gewissen Zeugen nicht, weil sie konfessionslos seien, bedeutet eine schwere Beleidigung der betreffenden Zeugen.(Sehr richtig! links.) Ter berühmte Strafrechtslehrer B i n d i n g hat sich offen für die Abschaffung des religiösen Eides überhaupt ausgesprochen und für seine Ersetzung durch irgend eine andere Beteuerungs formet. Der Kampf gegen die Freiheit der K u n st soll jetzt ausgefochten werden unter dem Schlacht ruf der Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild. Man macht nicht mehr Halt vor den unvergänglichen Werken der Kunst. Den kunstfeindlichen Bestrebungen der Berliner   Staats- auwaltschaft hat ja das Reichsgericht erfreulicherweise energisch Einhalt geboten. Nach der Ansicht des Landgerichts sollte die Dar- stellung des Nackten an sich unzüchtig sein.(Hört! hört I links.) Das Slreben nach Wahrheit ist es gewesen, das die größten Künstler aller Zeiten zur Darstellung deS Nackten geführt hat. Finsterlinge hat es freilich auch zu allen Zeiten gegeben. So durfte das berühmteJüngste Gericht" von Rubens   in einer Jcsuitenkirche nicht aufgehängt werden, weil sich die Dar stellung der nackten Gestalten mit den religiösen Gefühlen nicht vertrage.(Hört! hört! links.) Der sächsische Kultusmini st er hat sein tief st es Be- dauern ausgesprochen über diese Rechtsprechung der Berliner Gerichte. Der Geist einer völlig krankhaften Prüderie beherrscht unser öffentliches Leben. Demgegenüber erheben wir den Ruf nach Freiheit der Kunst und einer wahren Durchbildung des Menschen zu einem höheren Grade der Sittlichkeit.(Bravo  ! links.) Abg. Holtschke(k.): Eine Novelle zum Schutz gegen unerkannte Geisteskrankheiten halten wir nicht für sehr dringend. Den geforderten sechsten Reichsanwalt halten wir für unumgänglich notwendig und werden für ihn stimmen. Die Resolution Schiffer, die bestimmte Grundsätze zur Vereinheitlichung der Rechtspflege aufstellt, stellt das Reichsgericht vor ganz unlösliche Aufgaben. Der Vorwurf der Klaffenjustiz ist jetzt gegen früher eingeschränkt worden, aber auch in der eingeschränkten Forin ist er unberechtigt.(Bravo   rechts.) Abg. Mertin(Rp.): Wenn die Lehrer nicht zu Schöffen und Geschworenen heran- gezogen werden, so deswegen, weil die Aufgaben der Schule notwendig sind und nicht zurückgestellt werden dürfen. Einer Novellen- gesetzgebung an sich stehen wir nicht feindlich gegenüber. Wir haben ielbst einen Antrag eingebracht, der sich auf das Hhpothekenrecht bezieht und einen größeren Schutz des HhpothekengläubigerS gegen Verfügungen über den Miets- oder Pachtzins herbeiführen will. Die Anwaltschaft muß geschützt werden gegen das Ueberwuchern des Winkelkonsulenten Wesens und vor der Ueberfüllung des eigenen Berufs. Dann wäre eine Gebührenerhöhung für die Rechts- anwälte nicht notwendig, denn wenn der Rechtsanwalt ausgiebig beschäftigt ist, kommt er auch mit den jetzigen Gebühren aus. Ich komme dann zu unserer Rechtsprechung. ImBerliner   Tage- blatt" erschien ein Artikel mit den schärfsten Angriffen gegen den Abg. v. L i e b e r t. Dieser wurde auf den Weg der Privatklage verwiesen. In einem anderen Fall, als Abg. Sachse Straf- Verfolgung gegen einen beleidigenden Zeitungsartikel verlangte, gab die Staatsanwaltschaft dem Antrage statt.(Hört I hört! recht«.) Die Berichterstattung über die Sensationsprozesse ist etwas besser geworden. Bedauerlich bleibt noch immer die große Beteiligung des D a m e n p u b l i k u m s an solchen Prozessen(Sehr richtig! recbts), auch wenn eS sich um die Frauen und Töchter der be- treffenden Staatsanwälte, Richter und Anwälte handelt. Abg. Wcrner-Hersfeld(Antis.): Die Lage der A n w a l t S a n g e st e l l t e n bedarf dringend der Besserung, namentlich in Berlin.   In K u n st s a ch e n bin ich nicht so kunstverständig wie der Abg. Ablaß  , aber vor dem Schmutz in Wort und Bild müssen namentlich die Kinder bewahrt werden. Tie Zeugen müssen vor Gericht bester geschützt werden gegen die Behandlung, die sie oft durch die Anwälte erfahren. Der Forde- rung auf eine reichsgesetzliche Reform des Irren Wesens kann ich mich nur anschließen. Abg. Landsberg(Soz.): Die erdrückende Mehrheit der deutschen   Anwälte hat sich auf dem Deutschen Anwaltstag gegen jede Beschränkung der freien Advokatur ausgesprochen. Wmn eine solche Beschränkung im Interesse des Publikums gefordert wird, könnte man darüber diskutieren. Herr Mertin aber fordert sie im Interesse der besseren Einnahmen der Anwälte. Als die Freiheil der Advokatur nicht be- stand, hat das Publikum danach geseufzt, denn die alten Herren, die damals im Fett saßen. fühlten sich nicht als Diener, sondern als Herren des Publikums. Herr Merlin sagt, unter der freien Advokatur habe sich daS'Matertal der Anwalt­schaft erheblich verschlechtert.(Widerspruch des Abg. Mertin.) Ich nehme Ihre Verwahrung hiergegen zur Kenntnis, das Material hat sich in der Tat so Ivenig verschlechtert, daß ein Bundesstaat, Ham- bürg, mit Vorliebe ältere Anwälte zu Richtern nimmt, und andere Staaten sollten diesem Beispiel folgen. Daß Herr v. L i e b c r t auf den Weg der Privatklage verwiesen wurde, war vollkonimen an- gebracht, Herr v. Liebert hat ja sich dem von dem angeklagten Redakteur angebotenen Wahrheitsbeweis widersetzt, obwohl doch gerade ihm an einer völligen Klarlegung liegen mußte.(Sehr richtig! bei den Soziald.) Den Antrag W a r m u t h auf eine Beschränkung der Verfügung über den Miet- oder Pachtzins gegenüber dem Hypothekengläubiger lehnen wir ebenso wie im vorigen Jahre ab, desgleichen die Forderung eines sechsten Reichsanwalts. Dem Antrag LiSzl. der einen Gesetzentwurs über den Z'wangsvergleich außerhalb des Konkurses verlaugt, stimmen wir zu. Der Antrag B a s s e r- mann verlangt Beschleunigung und Vereinheitlichung der Rechts- pflege. In den Einzelheiten enthält er aber eine, wenn auch un- beabsichtigte Herabwürdigung der unteren Instanzen, und eine Ueberschätzung der oberen. Niemand ist so klug, daß er nicht von andern lernen kann. Auch das Reichsgericht kann von jedem Amtsrichter noch Anregungen bekommen. Heute rufen verfehlte Entscheidungen höchster Gerichte lebhafte Kritik und dadurch Nachprüfung und unter Um- ständen Abänderung der Rechtsprechung hervor, der gemischte Gerichtshof aber, den der Antrag fordert, würde zu einer Er- starrung der Rechtspflege führen, und die jetzt schon übergroße Autoritätsgläubigkcit der Richter noch verstärken.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wir werden deshalb gegen den Antrag stimmen. Der Antrag Schiffer enthält eigentlich nur U e b e r s ch r i s t e n, solche unsubstantiierten Anträge sind nicht unbedenklich. Herr Schiffer will eine Durchsicht des Reichsrechts daraufhin, ob nicht einzelne Teile zu verbessern sind. Wir Sozialdemokraten sind recht mißtrauisch gegen alle gesetzgeberischen Reformen, kleine Verbesserungen sind immer mit Verschlechterungen verknüpft worden. Im V c r e i n s g e s e tz ist die Zulassung der Frauen zu poli- tischen Vereinen erkauft worden mit dem Sprachenparagraphen, im Reichs- und SlaalsangchörigkeitSgesetz sind einige Erleichterungen der Einbürgerung geschaffen, dafür aber sämtliche Bundesstaaten unter die preußische Aufsicht gestellt. Unsere Zeit hat nicht den Beruf zur Gesetzgebung, nicht wegen mangelhafter Begabung. sondern wegen des unheilvollen Einflusses Preußens im Reich. Deshalb muß jeder weitgehenden Gesetzesänderung eine Reform des preußischen Wahlrechts voraufgehen.(Lebhaftes Sehr richtig I links.) Wir werden dafür stimmen, daß die Behandlung der Geisteskrankheit ins Auge gefaßt wird, die Ausdehnung der schöffengerichtlichen Zu- ständigkeit, die Zulassung der Volksschullehrer als Schöffen und Ge- fchworene und die religiöse Erziehung der Kinder aus Mischehen. Alle anderen Punkte lehnen wir ab. Zum PunktSchutz der Ehre' hat Herr Schiffer manches Beherzigenswerte gesagt. Tat- sächlich ist die Enipfindlichkeit unserer Zeit recht groß. Herr Schiffer kann da aber an seine eigene Brust schlagen. Früher haben die Parlamente ihre Ehre stets selbst gewahrt und den Staatsanwalt nicht gebraucht. Von diesem löblichen Brauche ist das preußische Abgeordnetenhaus wiederholt abgewichen und hat Strafanträge gegen sozialdemokratische Redakteure gestellt, und Herr Schiffer hat hierbei zur Mehrheit gehört.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Schutz des§ 193(Wahrnehmung berechtigter Jnteresten) wird nur dem gewährt, der ein materielles Interesse, nicht ein ideelles hat. Als ein Wüstling auf der Straße ein ISjähriges Mädchen attackierte und dieses zu seiner Mutter lief, da trat die Frau auf die Straße hinaus und machte dem Manne die ernsten Vorwürfe in derber Sprache. Er hatte die Frechheit, die Frau wegen Beleidigung zu verklagen, und talsächlich fand sich ein Richter, der diese Frau, die in bester Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hatte, zu 3 0 M. Geldstrafe verurteilte.(Lebhaftes Hört! hört! links.) Gegen den Redakteur, der sich ein unsterbliches Verdienst um die Reinigung der Kölner   Polizei erworben hat, ist auf 500 M. Geldstrafe erkannt worden. Was würde aber aus der von Herrn Schiffer verlangten Reform heraus- kommen? Lediglich eine Verschärfung der Strafen wegen Be- leidigung.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das werden gerade die Herren betreiben, die in diesen Tagen im Zirkus Busch beweisen, welch hochgradige Rücksicht sie auf die Ehre ihrer Mitnienschen nehmen.(Sehr gut! links.) Die Einschränkung der Eidesleistung wird gewiß jeder von uns wünschen. Aber bezeichnend ist, was Herrn Schiffer zu diesem Antrage veranlaßt hat, nämlich der Umstand, daß zwei Mitglieder des Krupp-DireltoriumS im Krupp-Prozeß nicht vereidigt worden sind. Ich muß sagen, die Herren haben großes Glück bewiesen, daß sie nicht angeklagt worden sind, denn hin- reichender Talverdacht lag zweifellos vor, und wenn jemals Zeugen mit Recht unvereidigt geblieben sind, dann diese Zeugen.(Sehr wahrl bei den Sozialdem.) Die Bloßstellung, die in der Nichtvereidigung lag, haben sie voll verdient dadurch, daß sie das un- verantwortliche Treiben des Brandt geduldet und gefördert haben, (Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Bei der heutigen Art, wie bei uns Beweise gewürdigt werden, können wir für den Antrag nicht stimmen. Alle Erfahrungen der modernen Psychologie, die den be- dingten Wert der Zeugenaussagen beweisen, werden in deutschen Ge» richtsfälen mit geringen Ausnahmen nicht berücksichtigt, daS heißt, so lange es sich uni B e l a st u n g s z e u g e n handelt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Kommen Entlastungszeugen an die Reihe, dann ändert sich auf einmal das Bild. Die berühmte Frau E v e r s aus Zabern  , die jetzt alle Aussicht hat, für eine Art deutsche Jungfrau von Orleans  für Misere Alldeutschen   zu werden(Große Heiterkeit), würde, wenn sie eine ebenso große Antipathie gegen daS Militär bei ihrer Aus- sage an den Tag gelegt hätte, wie sie Sympathie gezeigt hat, abfolut unglaubwürdig gewesen sein.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ebensowenig sehen wir eine» Grund zur Annahme des Antrag? auf Beschleunigung des Verfahrens im Zivilprozeß und Strafprozeß. Klagen über Verschleppung von Prozessen im allgemeinen sind ganz gewiß unberechtigt. Ich kenne eigentlich im ganzen Deutschen Reich nur einen einzigen Menschen, der berechtigt wäre, sich über die Ver- schleppung seines Prozesses zu beklagen, das ist Fürst Eulen- bürg.(Große Heiterkeit pnd Sehr gut! bei den Sozial- deryokraten.) Mir kommt es weniger auf die Fixigkeit �dcr Rechtsprechung an als auf die Richtigkeit. Ich möchte unser Prozeßrecht mit dem österreichischen nicht vertauschen, und unsere prozessualen Fristen sind schon oft zu kurz. Wenn Prozesse dennoch verschleppt werden, liegt es nicht am Gesetz, sondern an anderen Ursachen. In Oesterreich   hat der Richter da? Recht, über alle Beweisregeln hinweg eine Partei eidlig zu vernehmen und auf Grund deren Aussage dann den Prozeß zu entscheiden.(Hört I hört! bei den Sozialdemokraten.) Auf diese höchst bedenkliche Neuerung verzichte ich gern. Was die Einschränkung des Legalilätsprinzips im Strafprozeß anlangt, so wäre es uns viel lieber gewesen, wenn Herr Schiffer eine kräftige Durchlöcherung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft gefordert hätte. Kollege B e l z e r sprach über die Sensationsprozeste. Er schien eine Abneigung gegen die Oeffentlichkeit der Prozesse über- Haupt zu haben.' Diese Oeffentlichkeit aber brauchen wir wie das liebe Brot.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Zweifellos kann auch damit Mißbrauch getrieben werden; das ist nur aus- geschlossen bei Dingen, die absolut uichts taugen.(Heiterkeit.) Gegen Ausschreitungen der Presse auf dem Gebiet des Schmutzes in Wort und Bild können wir uns um so lieber erklären, als anerkannt ist, daß die sozialdemokratische Presse eine Feindin der Sensation ist, Herr Belzer hat ja dem.Vorwärts' gestern selbst ein ehrenvolles Zeugnis ausgestellt. Wenn wir uns nur einig werden könnten über die Bedeutung des Schmutzes. Wir halten z. B. für Schund lit erat ur gewisse Schriften, die de»