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heranwachsenden Knaben den hcijsen Wunsch beibringen sollen, dereinst gegen Frankreich   oder Rußland   zu marschieren und möglichst viel Feinde zu töten und Orden zu ergattern.(Sehr wahr! bei den Sozialdeinolraten.) Derartige Schriften werden aber unter Förderung hoher Herren in Deutschland   in Hundert« lausenden von Exemplaren verbreitet und würden höchst wahrschein- lich, wenn wir eine Novelle gegen Schundliteratur bekommen, nicht darunter fallen.(Sehr wahr! bei den Soz.) Ebenso rechnen wir zur Schundliteratur gewisse SJraklütcheii ich spreche natürlich nicht von religiösen Erbauungsschriften. deren süßlicher Inhalt geradezu abstoßend wirkt und die man für religiösen Wahnsinn viel mehr verantwortlich machen kann als Gerichtsberichte für Verbrechen. Dagegen rechnen Sie zur Schundliteratur alles Nackte und dainu sind wir gar nicht einverstanden. Ich erinnere daran, daß eine A e b t i s s i n in Bologna  , glaube ich, sich ihr Schlafzimmer mit Bildern CorreggioS schmücken ließ, auf dem nackie Männergestalten abgebildet waren. Die Aebtisfin hat jeden Abend und Morgen sicher ihre Augen mit Wohlgefallen aus diesen nackten Gestalten ruhen lassen, und ich mache ihr keinen Vorwurf daraus. Gewiß, Sinn- lichkeit hat der Künstler empfunden, als er diese nackten Manner malte. Sinnlichkeit wird vielleicht auch die Aebtissin bei ihrer Betrachtung empfunden haben. Aber eine Sinnlichkeit, die uns solch' unvergängliche Werke beschert wie die von Michelangelo  und Correggio  , kann ich nicht tadeln, sonder» muß sie preisen. Natürlich nicht eine Sinnlichkeit, die lüsterne Menschen veranlaßt, in Badeanstalten durch Astlöcher zu gucken. (Große Heiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Wer die Schundliteratur aus den Händen unserer heranwachsenden Jugend reißen will, muß ihr Ersatz dafür geben. Meine Mitschüler und ich haben als Knaben die elendesten Jndianergeichichten in Massen ge- kauft und verschlungen. Aber der Geschmack an dieser Art Lektüre war in dem Augenblick verflogen, wo wir mit den Werken Schillers und Goethes bekannt wurden. Wer den Klang der Verse der Iphigenie einmal einpfunden hat, der ist gefeit gegen diese lO-Pf.« Literatur. Genau so ist es mit dem Schmutz i m B i l d. Wer die Jugend dagegen schützen toill, der muß sie an das Nackte ge- wohnen. Erkennen Sie doch die unbestreitbare Tatsache an, daß der Mensch ohne Gewand erschaffen ist.(Heiterkeit.) Wenn Herr B e l z e r einen von Künstlerhand gezeichneten nackten Körper sieht, so müßte ihm von seinem Standpunkt äuS, da er den Menschen für das Eben- bild Gottes hält, der Gedanke der Andacht kommen. Statt dessen komnit es zu ganz anderen Empfindungen, er stellt sich nämlich vor, wie ihm zu Mute wäre, wenn e r da ab- gebildet wäre, und da schämt er sich selbstverständlich.(Heiterkeit.) Nun noch einige Worte zur Klassenjustiz. Wenn sie immer wieder bestritten wird, so erinnert mich das an das Wort Macaulays:Wenn es gegen die Interessen eines Menschen wäre, die Anziehungskraft der Erde anzuerkennen, so würde es Menschen geben, die sie bestreiten". Es geht gegen das Interesse von Menschen und Parteien, die Klassenjustiz anzuerkeunen, deshalb bestreitet man sie. Gewiß gibt es wohlwollende Richter, die bestrebr sind, dem armen Teufel zu helfen; aber sobald es der Richter mit einer Organisation von Arbeitern zu tun hat, wandelt sich die Shmpathie in ihr Gegenteil.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokr.) Die Herren Schiffer und Belzer haben selbst bedenkliche Schwächen der Richter, die sich während derVerhandlung zeigen, enthüllt. Trotzdem haben sich beide dafür verbürgt, daß die Richter bei der Beratung und der Urteilsverkündung vollkommen unparteiisch sind. Wenn Herr Schiffer meinte, wir seien selbst nicht unparteiisch, denn wir halten jeden Streikbrecher für ehrlos, so irrt er. Es kann jede Handlung aus ehrlichen sittlichen Motiven begangen werden, allerdings halten wir eine gewisse Sorte von Streikbrechern Wir außerordentlich niedrig» Subjekte, wie die Leute, die sich vom Revolver überhaupt nicht trennen. Wie jener Streikbrecher, der neulich in Berlin   sogar dem Krankenkassenkontrolleur den Re- v o l v e r entgegenhielt.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wenn wir von Klassenjustiz sprechen, so wenden wir uns gegen den ganzen Geist, der in solchen Prozessen lebt, wo die Richter es mit der organisierten Selbsthilfe der Arbeiter zu tun haben. Dieser ist den meisten Richtern heute noch durchaus verhaßt, während sie fiir die organisierte Selbsthilfe der Unternehmer voll st es Ver- st ä n d n i S haben, und auch z. B. für die Solidarität der Aerzte. An dieser Stelle hat einmal ein Richter gestanden, der das Vor­handensein der Klassenjustiz zugegeben hat. Das war ein Partei- genösse des Herrn Schiffer, der Landgerichtsdirektor H e i n z e. Seit damals haben sich die Dinge nicht gebessert. Ein Redner trat für die Unabhängigkeil der Richter ein. Die Hauptsache ist aber, daß die Richter innerlich unabhängig werden, frei werden von den Vorurteilen, die äußere Unabhängigkeit allein macht eS nicht. Die innerliche Unabhängigkeit wird nicht durch den Nachweis eines bestimmten Vermögens gefordert. W i n d t h o r st hat einmal gesagt, wenn zu seiner Zeil dieler Nach- weis möglich gewesen wäre, wäre es ihm unmöglich gewesen, Jurist zu werden. Daß in Deutschland   eine Klassenjustiz besteht, ist eine traurige Tatsache. Wir würden gern auf das Agitationsmatenal verzichten, das die Erzeugnisse dieser Justiz uns liefern.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ich würde den Tag als den s ch ö n st e n meines Lebens betrachten, an dem ich hier erkläAm könnte, es gibt in Deutschland   leine Klassenjustiz, die Richter ver- stehen es, die Vorurteile, die sie aus ihrer Well mitgebracht haben oder die sie ihrer Erziehung verdanken, zu unterdrücken.(Leb- hafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Bell(Z.): Alljährlich wird hier das Kapitel der Klaffenjustiz erörtert. Gewiß kann auch ich keine begeisterte Lobrede auf alle Richlersprüche halten. Es gibt manches Urteil gegen sozialdemokratische Redakteure, mit dem ich nicht einverstanden bin; daraus aber den Vor- Wurf der Klassenjustiz zu erheben, geht nicht an. Nun wird ja nicht der Vorwurf bewußter Ungerechtigkeit erhoben, sondern gesagt, die Nichter entstammen einem Milieu, das sie dem Volks- empfinden fernhält. ES ist aber gar nicht richtig, daß die Richter nur einer Klasse des Volkes entstammen. Dann aber kommt hinzu, daß im Volke der Vorwurf der Klassenjustiz dahin verstanden wird, daß die Richter ungerecht urleilen. Dadurch wird das Ver- trauen zur Rechtsprechung untergraben, und so kommt man leicht vom Predigen der Klassenjustiz zum Predigen des Älasjenbasses. Unterlassen Sie diesen Vorwurf, so werden wir uns über Mißstände der Justiz leicht verständigen können. Mißstände zur Sprache zu bringen, ist Ihr(zu den Sozialdemokraten) gutes Recht. DaS haben wir i» der Kulturkampfzeit getan, das tun Sie heute.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wir tun es auch heute noch, wie unsere Besprechung des Falles Knittel beweist. Herr Heine wird mir zugeben, daß eS gegen früher bester ge- worden ist, daß die Richter mehr wie früher einen Einblick in das soziale Leben haben und dadurch der Seele des Volkes nahe stehen. Bei der Vorbildung des Juristen kann in dieser Richtung noch mehr geschehen. Der Antrag Schiffer verlangt von dem Reichsjustizamt eine große Anzahl von Novellen. Das ist aber nicht die Art einerge- räuschlosen" Arbeit, die der Abg. Schiffer empfohlen hat. Bisher wurden hier Novellen immer nur einzeln von Fall zu Fall beraten auf Veranlassung eines besonderen Erfordernisses. So erscheint es uns auch als das Nichtige. Die summarische Erledigung einer größeren Anzahl von Novellen lehnen wir ab. Für die Anträge Schiffer können wir nicht eintreten. Der Redner gibt mit großer Ausführlichkeit die Gründe für seine ablehnende Haltung an. Besonders aktuell für unsere Gesetzgebung ist die Frage der G l ä u b i g e r n o t. Gewiß. es bestehr eine Schuldnernot, aber wichtig ist eS vor allem, gegen die böswilligen Schuldner anzukämpfen, die durch Machinationen und Gchiebutigen die Gläubiger iit gefahrvoller Weise schädigen. Es ist falsch, zu glauben, daß als Schuldner stets der arme Mann und als Gläubiger stets der Wohlhabende steht. Es wäre ein Zeichen großer Schwäche, wenn wir gegen die böswilligen Schuldner nicht ein- schreiten würden. Im Zusammenhang mir der Reform des Straf- geietzbuches steht die Reform des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, ebenso auch der größere Schutz gegen Be- leidigungen. Auch ich halte es für bedauerlich, daß der Redakteur S o l l m a n n im Kölner   Polizeiprozeß viel zu hoch bestraft worden ist. wenn es überhaupt nötig gewesen wäre, ihn zu bestrafen. Wenn einmal ein hartes Wort fällt, so darf das nicht so hoch angerechnet werden, wenn die Mißstände als wahr erwiesen werden. Dringend notwendig ist eine Reform des Strafvoll- z u g S. Die Entschädigung unschuldig Verurteilter sollte liberaler gewährt und vor Pfändung geschützt werden. DaS Stiefkind unserer Rechtspflege sind die Rechtsanwälte. Deutlich zeigt das der vom Abgeordneten Ablaß   zur Sprache gebrachte Dort- niunder Fall. Die Anwaltschaft hat dasselbe Recht auf Schutz vor Herabwürdigung wie andere Organe der Rechtspflege und wie etwa der Offiziersstand. Eine öffentliche Verhandlung Hai   die Anwaltschaft nicht zu scheuen. Unsere Justiz muß modern sein, madern in dem Sinne, daß sie das Leben kennt. Ihre Sprache soll so sein, daß das Volk sie versteht. In der Beziehung ist das Reichsgericht leider kein nachzuahmendes Beispiel. Mit dem Ausleihe- institut für Ehebrecher hätte das Reichsjustizamt allen An- laß. sich näher zu befassen. Bei der Auswahl der Strafkammer- Vorsitzenden sollten in Zukunft nur solche Herren ausgesucht werden, die die nötige Objeklivität und den nötigen Takt befitzen. Wie not- wendig das ist, hat das Verhalten des Vorsitzenden im zweiten Knittel-Prozeß bewiesen. Wenn wir im Interesse des deutschen  Volkes einen gründlichen Kampf gegen den Swmutz in Wort und Bild kämpfen, so wirft man uns vor, wir seien Kunstfeinde. Wir wollen aber gerade die wahre, edle Kunst schützen gegen die A f t e r k u n st. Es ist auch eine Entstellung, wenn man behauptet, wir seien gegen die Darstellung des Nackten an sich. Wer sich aber das Kabinett von Unzüchtigreiten ansieht, das sich die Berliner   Staatsanwaltschaft an- gelegt hat, muß von Ekel erfaßt werden. Im Interesse der Volksgesundung muß mit eisernem Besen das Land rein- gemacht werden von diesem Schmutz. Künstler und Literaten haben sich leider dazu hergegeben, ihre Kunst in der obszönsten, gemeinsten Weise zu prostituieren. Eine solche Kunst muß es sich gefallen lassen, als B u h l d i r n e behandelt zu werden. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) Hierauf vertagt sich das HauS. Persönlich verwahrt sich Abg. Mertiu(Rp.) dagegen, gesagt zu haben, unter der freien Advokatur sei das Material der Rechtsanwaltschaft gesunken. Auch habe er die Be- schränkung der Advokatur im allgemeinen Interesse, nicht im Wirt- schaftlichen Interesse der Anwälte verlangt. Abg. Dr. Laudsberg(Soz.), persönlich: Ich finde nicht, daß ich den Kollegen Mertin irgendwie falsch verstanden habe. Eine ganze Reihe von Kollegen haben ihn genau so verstanden wie ich, und zwar mit Recht. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr(Fortsetzung des Justizctatsj. Schluß 8 Uhr._ Mgeorönetenhaus. 29. Sitzung. Dienstag, den 17. Februar 1914, vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: V.Dallwitz. Die Beratung über den Sparkassenautrag wird fortgesetzt. Abg. Leinert(Soz.): Wir haben seiner Zeit gegen das Sparkassengesetz gestimmt, das die Gelder der Sparer zur Kurserhöhung der Staatspapiere ver- wendet und die Sparkassen zum Vorteil der Banken benachteiligt. Die. Schädigung der Sparkassen durch Kursverluste an den ihnen aufgezwungenen Staatspapieren war vorauszusehen und schon da« mals forderte ein Antrag W a l d st e i n(Vp.) Schutz dagegen. Er wurde aber in der Kommission abgelehnt. Der Antrag geht eigentlich hervor aus dem Verlust der Städte an Sparkassenüberfchüssen. Viele Städte find auf diese Eirnahmen geradezu angewiesen, um ihren Haushalt im Gleichgewicht zu halten. Die Annahme und Durchführung dieses Antrages würde aber die Städte noch darin bestärken, ihre Etats auf die schlvankenden Spar- kasseneinahmen zu stützen. Wir meinen durchaus nicht, daß die Sparkassen niedrige Ver- zinsung gewähren müssen, wir wollen aber, daß ein Teil des Ueber- schusses den Sparern gutgeschrieben würde, damit sie nicht von den Gemeinden zur Herabsetzung der Rcalsteuern verwendet werden. Auch wir das sage ich dem Abg. Dr. C r ü g e r sind selbstverständlich Freunde der Genossenschaften und ihrer Spar- kassen, aber die KonsumvereiuShetzr der Konservativen und weiter Zentrums- und liberaler Kreise bindert die Aufklärung der Bevölkerung und läßt ihr Vertrauen zu den genossenschaftlichen Kassen nicht aufkommen. lSehr wahr! bei den Sozialdemokralen.) Reservefonds sind für die Sparkassen unbedingt nötig und müssen in der vollen Höhe des Gesetzes erhallen bleiben.(Im Saal herrscht infolge der ungenierte» Privatgcspräche der Abgeordneten großer L ä r m.) Man müßte einmal auch klarstellen, was neben den Landesversicherungsanstalten von den Sparkassen für Wohnungsbau usw. geleistet wurde. Der Abg. Reinhardt hat diese Tätigkeit so sehr gerühmt, aber die Initiative dürfte doch von den Versiche- rungsanstalten ausgegangen sein, und diese haben auch weit mehr geleistet. Der Verband der öffentlichen LebenSversichcrungSanstalten will die Sparkaffen für seine öffentlich-rechtliche Volksversicherung in An­spruch nehmen, indem aus den Einlagen der einzelnen Sparer ohne deren Wissen Lebensversicherungspolicen beschafft und bezahlt werden. Dagegen protestieren wir, das wäre eine einseitige Bevorzugung der Konkurrenz gegen dieVolkssüriorge" und für solche Zwecke sind die Spareinlagen nicht da. Wir stimmen gegen KommiisionS« beratung, von der wir uns nach den Erfahrungen in der Kommission über den Antrag Waldstein einen Erfolg nicht versprechen.(Lebhaftes Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Lippmann(Vp.): Wenn die Sparkassen sich zu Banken ausgestalten würden, würden sie die Sicherheil, die das Volk von ihnen zu verlangen bat, einbüßen. Es gibt keine Bankgeschäfte ohne Risiko;, die Sparkassen dürfen aber kein Risiko auf sich nehmen. Wir können diesem Antrag nicht zustimmen. Minister v. Dallwitz kritisiert einzelne Ausführungen des Vorredners. Abg. Dr. Varenhorst(fk.) tritt für den Antrag ein und ersucht die Regierung um Zustimmung. Abg. Dr. Diedcrich Hahn(k.): Ich habe nicht die Absicht, eine polemische Rede zu halten, sondern eine Sammlungsrede(Heiterkeit), um das Haus gegen die Regierung zu sammeln. Unser Antrag bedeutet eine wesentliche Hilfe für die Sparkassen. Daß diese in eine so schwierige Lage infolge der Geldknappheit auf dem Jnlandmarkle geraten sind, daran ist die Regierung selbst schuld. Sie hätte den Geldexport unserer Großbanken verhindern sollen. Da sie das nicht getan hat, so hat sie die Pflicht, den Schaden wieder gut zu machen. Ich bitte, den Antrag der verstärkten Gemeindekommtsfion zu überweisen. Die Debatte schließt. Das Ministergehalt wird bewilligt. Abstimmungen zum Etat des Innern. Der Sparkassenantrag geht gegen die Stimmen der Sozialdemokraten an die verstärkte Gemeindekommission; der Volks- parteiliche Antrag über die Einwirkung von Armen unter- st ü tz u n g aus öffentliche Rechte an die Gemeindekommission, die Anträge Braun(Soz.) und Schmedding(Z.) betreffend das I r r e n r e ch l an die Justizkommission. Der Arbeitswillige nschutzantrag der Rechten und Nationalliberalliberalen wird gegen Zentrum, Fortschritt, Sozial« demokrate», Polen   und Dänen angenommen. Zu dem sozialdemokratischen Antrag auf Aufhebung der P l a k a t b e st i ni m u n g e n des alten preußischen PrcßgesetzeS erklärt Abg. Schröder-Kassel(natl.), daß seiner Partei der Gedanke sympathisch, die Aufhebung der be» treffenden Paragraphen aber undurchführbar erscheine. Abg. Hirsch(Soz.) beantragt Ueberweisung' an die Justizkommission. Dies wird gegen die Linke samt den Nationalliberalen ab« gelehnt, darauf der Antrag selbst gegen die Fonschrittler, Sozial- demokraten und Polen   abgelehnt. Der sozialdemokratische Antrag gegen die Mißbräuche im ArbeiterlegitimalionSzwang wird gegen die Polen  , Sozialdemokraten und Dänen abgelehnt. Tie Sturmflut der Ostsee  . Abg. Lippmann(Vp.) begründet die Interpellation betreffend den Notstand infolge der Ueberichwemmung an der Ostsee   und in den Haffen und fordert verschiedene Uferschutzbaulen usw. Minister v. Dallwitz: Die bisher von den Provmzialbehörden erstatteten Berichte über die von der Sturmflut an der Ostseeküste angerichteten Schädsn er- lauben noch keine genaue, zahlenmäßige Feststellung. Jedenfalls sind die Betroffenen zur Tragung des Schadens nicht imstande. Auch die private Hilfstätigkeit muß in Anspruch genommen werden. Ich ersuche das Haus, sich damit einverstanden erklären zu wollen, daß den von der Hochflut betroffenen Bezirken N o t st a n d L- beitrüge aus staatlichen Mitteln gewährt und außer- etatsniäßig berechnet werden. Die Wiedcrherstellungsarbeiten sind in Angriff genommen. Abg. Frhr. v. Maltzahn(k.) begründet einen schleunigen Antrag der Konservativen, der die Regierung auffordert, sofort ausreichende Mittel bereitzustellen, um dem Notstände der durch die Sturmflut betroffenen Bevölkerung ein« gegenzukärken und beantragt, den Antrag und den gleichlautenden Antrag der Nationalliberalen einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen. Abg. Dr. Rewoldt(frk.): Die private Wohltätigkeit muß zur reichsten Entfaltung angeregt werden. Sie ist diesmal hinter ihren früheren Leistungen zurück- geblieben.(Hört! hört!) Abg. Dr. Schifferer(natl.): Unser Antrag beweist, daß auch wir eine tatkräftige Unterstützung der betroffenen Bevölkerung wünschen. Mit den Vorschlägen des Ministers erklären wir uns einverstanden.(Beifall bei der Mehrheit.) Abg. Steputat(kons. Litauer): Besonders im Memeldelta   tut schnelle Hilfe not. Abg. Dr. Gaigalat(kons. Litauer) schildert gleichfalls die Ueberschwemmungen der Memelniederung. Abg. Hofer(Soz.): Ten Anträgen stimmen wir zu. Aber ich kann die Bemerkung nicht unterdrücken, daß wir der Regierung besonders da. wo es sich um Ausgaben für K u l l u r z w e ck e handelt, sehr wenig Vertrauen entgegenbringen. Wir fürchten in diesem Falle unangebrachte Spar- samkeit. Die Unterstützungen müssen den von der Katastrophe Be« lroffenen nicht nur für eine längere Zeit die notwendigsten Lebens- mittel garantieren, sondern auch die Schäden, von denen Gebäude, Grund und Boden und das gesamte Inventar betroffen wurden, wieder ausgleichen. Die Regierung sollte in Zukunft mit der Hilfsaktion nicht mehr so lange zögern. In solchen Fällen werden wir der Regierung eigenmächtiges Handeln gern verzeihen. Vor allem kommt es daraus an. wie die Unterstützungen verteilt werden. Meistens ist durch eine ungerechte Verteilung eine große Erbitterung unter, vielen Opfern der Katastrophe in früheren Fällen zmückgebliebe». Unser Vertrauen zu den Land- r ä l e n, die die Verteilung der Unterstützungen vorzunehinen haben, hinsichtlich ihrer Unparteilichkeit_ ist nicht sonder­lich groß. Daher wünschen wir, daß die Landräte aus den Kommissionen ganz ferngehalten werde». Aber mit der Bereitstellung der Hilfsmittel gegen die Not ist eS nicht getan. Das Unglück, daS jetzt von der Sturmflut angerichtet worden ist, hätte vielleicht durch zeilige Borsorge ganz verhütet werden können. Am Kurischen Haff und im ganzen Memel- delta haben die Sturmfluten aufs fürchterlichste gewütet. Den Ar- beilern wurden die Vorräte an Kartoffeln, Heu und Gemüse ver­dorben oder fortgeschwemmt, ihre Becker und Wiesen mit Saud überzogen, den Fischern ihre Netze und Kähne zerstört. Immer neue Hiobspostcn treffen ein. Infolge des Tauwetters schwoll die Memel von Schmelzwasser an. das infolge des an der Mündung auf- gestauten Eises nicht abfließen konnte. Felder und Wiesen wurden überschwemmt. Ungeheuere wirtschaftliche Werte sind zerstört worden. In den durchnäßten Wohnungen haben die Menschen schweren Schaden an ihrer Gesundheit genommen. Fast nur kleine Le�ute sind von dem Unglück getroffen worden. Jetzt muß der Staat Schritte unternehme», ein für alle Male, um der Wiederholung solcher Katastrophen vorzubeugen. In den Jahren 1888, 190ö und jetzt 1914 haben sich solche Ueberschwemmungen ereignet, jedesmal mit ungeheueren Verlusten. Da hätte der Staat, der Hunderte von Millionen für die Polenbekämpfung, für Jugendbeivegung vergeudet, längst Abhilfe schaffen können, besonders da es sich um Äulturzwccke handelt. Die Mündungsarme der Memel müssen eingedeicht werden, die rechte Memelseite ist gänzlich ohne Schutz. Ebenso hätte das Unheil am Kurischen Haff   vermieden werden können, wenn man bei Zeiten die ganze Küste des HaffeS eingedeicht hätte. Ans per- sönlicbcr Anschauung weiß ich, wie traurig eS dort über- all mit den Vorbeugungsmaßrcgeln gegen das Hochwasser bestellt ist. Manche Gegenden sind im Herbst und Frühjahr regelmäßig vom Verkehr mit der Außenwelt vollständig ob« geschlossen. Dort müßten feste und hochliegende Chausseen aus- geschüttet und die Flußläufe überbrückt werden. Kann die Provinz die Mittel dazu nicht aufbringen, so muß der Staat helfend ein- greisen. Vor einigen Jahren bereits sollte ein Haffdamm gebaut worden. Die Vorarbeiten waren fix und fertig, nur die Mittel fehlten. Die Bewohner der Gegend erklärten sich das mit der Rücksicht auf das dort lebende seltene Elchwild. daS sumpfiges Terrain gebraucht und von den hohen und hoch st en Herr- schaften besonders gern gejagt wird. Man sollte doch den Wohlstand eines ganzen Landstriches nicht dem Jagd- vergnügen einiger Weniger opfern.(Beifall bei den Sozialdemo- kraten.) Abg. Schmiljan(Vp.): Die Frage muß ohne Rücksicht auf parteipolitische Tendenzen gelöst werden. Ein schnelles Lorgehen der Regierung ist dringend erforderlich. Die erforderlichen Mittel bewilligen wir der Regierung. Der Ueberweiiung an eine 28gliedrige Kommission stimmen wir»u.