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Nr. 60 101$
Unterhaltungsblatt des vorwärts
5rettag,l.MSrz
Die grüne Zliege.
k k i z z e von Koloman Milszath. Jobann Gal, der reichste, Bauer im Dorfe, war krank. ES war, als hätte der Herr den kurzsichtigen und kleingläubigen Menschen sagen wollen: Da seht ihi nun, welche Macht der Stolz und der Eigendünkel haben. Da ist z. B. dieser Rabob Bal. dem selbst der Siuhlnchter die Hand schüttelt und den die Schlotzfrau nur.Onkel Bal' nennt; ich laste diesen Mächtigen nur von einer Fliege berühren, und er sinkt in den Staub, wie die vom Blitz ge» fällte Sichel So geschah e« auch. Eine Flieg« stach den Bauer in die Hand und diese schwoll an, bis auch der ganze Arm rot und schwarz wurde. Der Kranke wollte keinen Arzt zu Rate ziehen, weil er hoffte, seine gute Natur werde da» kleine Uebel überwinden, doch die Schlobberrin und der Pfarrer redeten ihm zu. den berühmten Proiestor Birli au» Budapest   kommen zu lasten, der wohl drei» hundert Gulden für seinen Besuch verlange, dafür aber seine Sache gründlich verstünde. .Welch ein Unsinn,' rief der Bauer,.wie könnte denn so eine winzige Fliege einen Schaden anrichten, der dreihundert Gulden beträgt!' Doch da» Fieber stieg, die Depesche ward abgesendet, und mit dem nächsten Eilzug kam der junge Professor an. Er war ein schwächlicher unansehnlicher Mensch, mit einer kleinen Glatze und einer großen Brille; sah au«, al« ob man ihm keine fünf Groschen leihen dürfte, und dennoch sollt« sein Besuch dreihundert Gulden wert sein. Bei der Station erwartet« ihn da» stolze Gespann Johann Gal», an der Tür de« Gehöfte» empfing ihn die Bäuerin. Er ward zu dem Kranken geführt, der, mit einem Schafpelz zugedeckt, große Dampfwolken aus seiner Pfeife blie». .Nun, wie geht'«, ich hörte, daß eine Fliege Sie gestochen habe; wo» war denn da» für«ine Fliege?' ftagte der Profestor. .Ein« grüne Fliege,' antwortete Gal gleichmütig, ohne die Pfeife wegzulegen. .Lasten Sie fich nur schnell den Arm zeigen, Herr Profestor,' sagte die Bäuerin,.denn ich habe draußen neun Brote im Back» oken'. .Gut, gut, Mütterchen,' erwidert« der Professor zerstreut, indem er dem Kranken den Pul« fühlt«. Doch da fuhr die Bäuerin auf. als habe sie nicht eine Flieg«, sondern eine Tarantel gestochen. und mit einem Nu riß sie da» seidene Kopftuch herab, welche« ihr Gesicht beschattete. »Mütterchen'?.Ei, ei, der Herr Profestor steht wohl nicht genug durch die zwei Gla»fenster,' rief sie ärgerlich,.ich bin doch viel jünger, al« der Herr selbst,' und rauschte mit ihren steif gestärkten Röcken zur Tür hinau«, die sie hinter fich zu» schlug. Der kurzfichtige Profestor blickte dem blühenden jungen Weibe verwundert nach, dann aber wandte er fich ernst zu dem Kranken: .Zeigen Sie mir Ihren Arm!' Er untersuchte den angeschwollenen Arm und sagte:»Da« war der Stich einer Aasfliege, und es war die höchste Zeit, daß st« mich rufen ließen. Heule kann ich Ihnen noch helfen, morgen aber wären Sie schon rettungslo» verloren gewesen.' .Wirklich?' ftagte Gal. ruhig weiter schmauchend und dampfend. .Die Blutvergiftung ist scho« so weit vorgeschritten, daß an« nicht» andere« übrig bleibt, lieber Freund, al» die eine Hand zu opfern.' Der Nabob murrte:.Ei, Herr Profestor. wenn wir durchaus eine Hand opfern müssen, wird e« wohl die Ihre sein, denn die meine gebe ich nicht her!' »So nehmen Sie doch Vernunft an,' mahnte der Arzt,.Sie werden ja gar nicht« spüren. Ich schläfere Sie ein, und bi« Sie erwachen, ist alle« überstanden, während Sie, wenn die Bluwer- glfiung weiterschrenet. bi» morgen ein verlorener Mann find.' Doch der Bauer war nicht zu überreden. Da ging der Pro» festor hinaus, um die Bäuerin zu Hilfe zu ruken. Er fand sie
beim Backofen stehend, mit aufgeschürzten Aermeln und hochroten Wangen. »Kommen Sie', rief er..und helfen Sie mir; Ihre» Mann zu überreden, daß er sich den Arm abnehmen läßt, ehe e« zu spät wird: wenn wir lange zögern, ist er rettungslos verloren.' Doch die Bäuerin rief entrüstet, die runden Arme auf die noch runderen Hüften stemmend:.Will der Herr Prokestor etwa lagen, daß ein einarmiger Krüppel für mich gut genug ist? Da müßte ich mir doch die Augen aus dem Kopf schämen!' Und ehe der Arzt es zu bindern vermochte, stürzte sie in da» Krankenzimmer und rief: .Laste dich doch nicht zum Krüppel machen, Johann!' Der Alte nickte dem schönen jungen Weibe begütigend zu und sagte:.Sei ruhig, ich will lieber sterben, als zum hilflosen Krüppel werden!' Nun kamen die Honoratioren' deS Dorfe«, der Pfarrer, der Richter und die Schloßherrin, um den Bauer zur Operation zu überreden. .Seien Sie dessen eingedenk, daß jeder Tag ein Geschenk de« Herrn ist, das wir in Ehren halten, nicht aber leichtsinnig hinwerfen sollen', iagte der Pfarrer,.llnd vergessen sie nicht, mit wie vielen Glücksgütern der Himmel Sie gesegnet hat, und wie viele Wohl» toten Sie noch zu üben berufen find; die Gaben auSzureilen, ge» nügt ja aber die rechte Hand, denn die linke soll ohnehin nicht« da- von wissen I' Der Stuhlrichter erinnerte den Bauer an die unmündigen Kinder, die ohne väterliche Zucht und Gewalt aufwachsen sollten die Schloßftau aber bat ihn, seine junge, schutzlose Frau nicht zur Witwe zu machen. Wie die leise murmelnden Wellen an dem harten Felsgestein, so zerschellten all dies« klugen, salbungsvollen und herzlichen Worte, an dem unüberwindlichen Starrsinn de« Kranken.(Schluß folgt.)
Der Verfasser Oer �Volfenbüttelfchen 5ragmente�. (Zu ReimaruS   15 0. Todestag. 1. März.) Hermann Samuel ReimaruS  . einer der namhaftesten, dabei viel» seitigsten Gelehrten seiner Zeit, der in weiteren Kreisen durch die von Leistng unter der BezeichnungWolfenbÜttelsche Fragmente eine« Ungenannten' herausgegebene.Sttuyschrift für die ver» nünftigen Verehrer Gottes  ' besonder« bekannt geworden ist, war der Sohn eine« angesehenen Hamburger Pädagogen. Nach längerer Studienzeit und vierjähriger Lehrtätigkeit in Wismar   kehrt er 1727 als Dreiunddreißigjähriger in seine Vaterstadt Hamburg   zurück, wo er die Professur der hebräischen Sprache am dortigen Gymnasium erhielt, welches Amt er bi« zu seinem Tode bekleidet hat. Reimaru« war ein universell veranlagter Geist: außer der Philologie und Mathematik, der Philosophie und Theologie, war er in hervor- ragendem Grade auch in der politischen und Literargeschichte. in der Staat«» und Volkswirtschaftslehre bewandert, und namentlich zog eS ihn auch zu den Naturwissenschaften hin. Doch mit den fortschreitenden Jahren traten nach und nach all« an- deren Beichäfttgungen hinter der mit der Philosophie in den Hinter- grund. Seinen vbilosophischen Beruf bekundete er durch seine.Ver» nunftlehre al« Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft'. Eine Anwendung der hier aufgestellten Regeln gegen da« Positive de« Cdristentums versuchte ReimaruS   in den von Lessing   1774, 1777 und 1778 herausgegebenen.Wolienbüttelschen Fragmente', die in DöderleinS.Antisragmenten' eine entschiedene, scharfsinnige Ent« gegnung fanden. ReimuruS hatte, diese Forschungen, die er ur- sprünglich nur.zu seiner eigenen GrmütSbernhiaung' begonnen hatte, al« Bruchstücke nur seinen vertrauten Freunden mitgeteilt. doch war e« Lefsing geglückt, eine Abschrift davon zu erlangen, die er nach dem Tode ReimaruS  ' herausgab. Daß dieser der Verfasser der.Fragmente' ist und kein anderer, ist wissenschaftlich einwand» ftei erwiesen. Wenn ReimaruS   dieser scharf polemischen Schrift den Titel einer Apologie oder Schutzschrift gab. so hatte die« darin seinen Grund, daß er meinte, die vernünftige Religidn. von der er eine wahrhaile Besserung de« Menschengeschlechts erhoffte,.al« die jetzt noch bedrückte Kirch« der Zukunft' gegen alle Angriffe der herrschenden theologischen Richtung in Schutz nehmen zu müssen. Bi« in seln hohe« Aller hinein blieb ReimaruS   in pflichttreuem Wirken und wissenschaftlicher Forschung rüstig und geisteSftisch. An einem Februartage war'S, im Jahre 1768, al» er in einem Kreise erlesener Freunde mit feierlicher Bestimmtheit erklärte, die» wäre sein Ab!chied§mahl. Drei Tage darauf vernahmen die Freunde, er sei ernstlich erkrankt, und nach einer Reihe weiterer Tage, am 1. März de« Jabre» 1768. ist ReimaruS   dahingegangen.
5!miisshe Tonkunst. Da« unglückliche Finnland  , seit Men schenge denüen eine Pflege- statte mufikalisch-poetischer Kultur, hat rn den letzten Jahrzehnten besonder» in musikalischer Hinsicht eine hohe Entwicklung genom- men. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht Jean S i b e l i» s, Finnlands   tonkiinstlerischer Nationaldichter. Seine Bedeutung be- ruht vor allem in dem national-finnischen Charakter seiner Musik. In ihr spiegelt sich die lief« Schwermut der meilenweiten Wälder. Aber darüber hinaus fesselt Srbelius' Musik auch durch ihre rein persönliche Note. Seine Melodien und Harmonien funkeln wie Flammen; durch alle sein« Arbeiten geht tiefft« Inspiration. Diese war es, die, neben dem Eindruck seiner mächtigen Persönlichkeit, sein.Märchen", das groß« TongedichtFinlandia" und seine E-Moll-Symphonie mit einem Schlage berühmt gemacht hat. Es ist die eigentümliche Mischung von nationalfinnischer und univer- seller Tonsprache, die seinen Werken eine persönlich« Färbung gibt. Mit dem Instinkt des Genies hat e« Gibeliu» verstanden, die Mystik der großen Wälder, den dichterischen Reiz von Finnland  « tausend Seen, die eigentümliche Schönheit des finnischen   Volksliedes in seinem ewig gärenden Kampf für Freiheit und Recht gegen die Gewalt volkstümlich zu machen. Dieser Unterton von Kampf, Streit und Tragik ist es, der sich gleich einem roten Faden durch die Sibeliusschen Tondichtungen hindurchgucht.-'Seine Musik ist auch über die Grenzen des Heimatlandes hincrusgedrungen und hat sich nach und nach in allen Ländern die Konzertsäle erobert. Sibeliu« selbst ist al« Künder seiner Kunst nach Amerika   gegangen, .......... Werke unter seiner Person-
> sofern in Finnland   auf fruchtbaren Badem al» sich um ihn eine Schar junger finnischer Tondichter sammelte, wie Selim Palmgven, dessen Oper»Daniel Hjort", dessen Klavierkonzert und vortreffliche Tondichtung für MännerchorDer Seemann als Kohlenbrenner" Erwähnung»er- dienen, oder wie Armas Jerrnefelt, der Hofkapellmeister der Stock- bolmer Oper, dessen symphonische Dichtung.KorSholm  ' auch außer- hall» Finnland  « und Schweden  » bekannt ist, und der auch in Berlin  neueroing« Proben seiner reifen Kunst gegeben hat. Unter den jüngeren firmischen Komponisten oerdienen noch Erwähnung E. Melartin, der eine Reih« von Werken. Cchern, Symphonien, Streichquartetts, Lieder und Klavierkompositionen geschrieben hat, der ausgezeichnete Liederkomponist O. Merikanw und, um die jüngsten nicht zu vergessen, G. Furuhjelm, Madetoja  , Kuula und Hannihainen._ Notizen. Ein neue« Drama vonRablndranakh Tagore. Die künlirbe Uraufführung eine« neuen Bühnenwerke« von Rabin- dranath Tagore in London   wird in d« englischen Presse al« be- deutende« literarische« Ereignis besprochen. D«S Stück, da« den Titel.Opfer' trägt, erzählt von einem König, der durch die Trauer eines Beillermädchen» über die Opferung eine« Tiere« so ergriffen wurde, daß er hinfort alle derartigen Attaropfer verbietet. Dies facht den Widerstand de? Oberpriester» an, und e« kommt zu einer volitifch-religiös-moralifchen Intrige, die mit dem Selbstmord des Prinzen und der Entfernung der Götzenbilder endet. Auf dem Wege zum sprechenden Fil«. Die Aufgab«, einen sprechenden Film zu gewinnen, ist bisher nicht völlig gelöst. Jetzt tritt ein dänischer Elektrotechniker namen« Mjolstrnp mit der Behauptung hervor, ihm sei die Lösung gelungen. Räch den biSberigen dürftigen Nachrichten hat der Däne einen neuen Weg eingeschlagen: er läßt nicht die sichtbaren Vorgänge und das für da« Gebär Bestimmle gleichzeitig von zwei verschiedenen Apparaten aufnehmen, sondern vereint beides. Auf welchem Wege die« ge- fchiehl, ist freilich unklar. Eine schwedische Meldung stellt die Sache so dar, al« ob der Film tatsächlich bei der Aufnahme auch die Rolle der srühereu Brammophouplatte übernommen habe. Galgenhumor. Da» Pariser.Journal' propheM: Wenn man kein Papier mehr haben wird, wird man die abgelegten Kleidungsstücke sammeln, um sie zu Papier zu»erarbeiten. Wenn e» aber kerne abgelegten Kleidungsstücke mehr geben wird, so wird man da« fortgeworsene Papier sammeln, da« au» einstigen Kleidungsstücken besteht, um daran« neue, nach der jüngsten Mode zugeschnittene Kleider zu verfertigen. Wenn das Brot von dieser Welt verschwunden sein wird, wird man e« durch eine Mischung von Sägespänen und Leim ersetzen. Daraufhin wird e» zu einer Möbelkrise kommen. Um ihr zu steuern, wird man au« den au« Säge- spänen und Leim bestehenden Bratresten neue, herrliche Möbel ver- fertigen. Wenn die Kohle verschwunden ist, wird man Briketts aus schwarzbemalter Pappe herstellen. Au« Resten dieser Briketts aber w'rd man zweifellos die wunderbare neu« Welt errichten, mit deren baldiger Auferstehung wir fetzt verlröstet werden.
i(S]
Töchter der hekuba.
Ein Roman aus unserer Zeit von Clara V i e b i g. Oh. wie bleich, wie entsetzlich zusammengefallen! Kein junges Mädchen mehr, eine uralte Frau mit einem ganz winzig gewordenen Gesicht. Tieferschüttert beugte sich Gertrud über Margarete Dietrich. Die lag still und wächsern, die Hände über der Brust gefaltet, als wäre sie schon tot. Sie schlief. Gertrud hatte es nicht acht, daß aus ihrer Tüte Früchte fielen: rote, blanke, lachende Kirschen. Sie waren nieder aufs Bett gefallen; da lagen sie wie lauter Sommer, wie Freude und Leben und Genuß. Frau Dietrich war auf den Stuhl am Bett gesunken, sie weinte in ihr Taschentuch. Die Wärterin war wieder fort. Sie hatte die Tür hinter fich zugezogen, nun waren sie ganz allein mit der sanken. Gretchen". flüsterte Gertrud, sich tiefer niederbeugend. Sie fand keine Tränen, sie war zu entsetzt. Die Kranke hob die gefalteten Hände auseinander, wurde unruhig, seufzte die Niedergebeugte fuhr zurück: jetzt schlug sie die Augen auf. Erst wirrten sie umher; aber jetzt das war ein ganz ver- ständiger Blick. Kennst du mich?*' Gretchen lächelte; ein Lächeln, was sich so Lächeln nennt: ein verzerrtes Ziehen der Mundwinkel. Aber sie schien sich zu freuen. Trudchen!' Die war doch nicht verrückt, die erkannte sie ja, nannte sie gleich beim Namen l Gertrud bekam einen großen Schreck. Wenn die wirtlich zu Unrecht hier festgehatten wäre?! Nun aber zog die so schwach Daliegende, der man nicht zutraute, einen Strohhalm heben zu können, sie plötzlich mit einer waren Niesenkraft heiunrer. So tief, daß Ger­truds Kopf auf ihrer Brust lag. Und tuschelte ihr ins Ohr: Mein Mann ist gefallen ich weiß nicht wo. Ich hoffe. sie haben ihn begraben, daß die Füchse ihn nicht anfressen. Daß die Krähen ihm nicht die Augen aushacken. Seine lieben Augen oh!" Sie stöhnte. Und dann stieß sie Ger- trud von sich.Weg, weg!" Ihre Hände suchten unruhig auf der Bettdecke, wilde Angst schien sie zu ergreifen; nun fing sie an zu schreien:Mein Kind, mein Kind! Wo ist das? So ein liebes, kleines Kind! Wo ist es mein Kind weg. ihr
da!' Sie stieß mit Händen und Füßen, sie bäumte sich auf und wollte aus dem Bett.Wann kommt er, wann kommt er?" Ihr Schreien wurde immer lauter, eS schüttelte sie wie Krämpfe»nd warf ihre Glieder wild durcheinander. Die Wärterin steckte den Kopf in die Tür.»Nanu, waS 'S denn los? Aber Fräulein Dietrich I' Sie trat ans Bett, packte die Ungebärdige, legte sie platt, hin und deckte ihr die Decke wieder ordentlich über.Was für'n Radau I Benimnit man sich so, wenn man Besuch hat? Nehmen Se sich mal 'n bißken zusammen, meine Liebe l' Die Kranke keuchte, man sah durch die Decke, wie ihr Herz flog. Das arme Herz!* Die Wärtettn legte eine Kom­presse auf.»Das hält's nicht mehr auS. So sooo sind Se brav I" Die Kranke war ganz still geworden, ermattet lag sie da. plötzlich ganz teilnahmloS; ein menschliches Gehäuse, auS dem die Seele genommen war wie aus einem Uhrgehäuse das Werk. Die Wärterin suchte den PulS.Sehr schwach, kaum zu fühlen. Setzt immer auS. wer weiß wie lange. Lassen Se ihr man lieber. Gehn Se nach Hause. Sie regen ihr nur auf" Sie warteten noch eine Viertelstunde, aber die Kranke beachtete sie nicht mehr. Sie lag stumm da mit weitge- öffneten Augen. Aber diese Augen schienen nicht zu sehen. was um sie war; blickten immeriort geradeaus, und so, als spähten sie nach etwas, das kommen sollte. Es machte Gerttud ganz trostlos.War Gretchen denn immer so?" fragte sie zitternd die Mutler. Ich weiß es nicht. Mein Kind, mein armeS Krnd k' Kommen Sie. wir wollen gehen!" Gertrud drängte mit Mühe das Weinen zurück. Wenn die Arme doch schon hinüber wäre I Da lag sie nun und schaute aus nach dem, den sie erwartet hatte so lange schon: es war der Tod. Frau Dietrich streichelte über die schlaff herabhängende Hand der Tochter, sie drückte einen Kuß darauf. Dann gingen sie. i
Als Gertrud diesen Abend im Bette lag. fürchtete sie sich. Sie hatte ihren Kleinen wohl bei sich, hielt ihn im Arm, aber das Kind war doch noch so gut wie niemand. Sie grauste sich vor der Einsamkeit. Eine lange Weile hatte sie daS Licht noch brennen, lassen, konnte sich nicht entschließen,
dunkel zu machen, aber dann fiel ihr ein, daß e» doch ver- schwendung sei. jetzt in der Nacht Licht zu brennen, es kostete, zu viel Geld. Und daran hätte sie am meisten denken sollen. Aber sie war ganz beherrscht von Furcht. Vor waS fürchtete sie sich denn' so 7 Draußen ging die FrühlingSnacht auf weichen Sohlen; es war ruhig und lind. Kein Wind wehte umS Hau»; die Scheunentür klappte nicht, keine verrostete Angel quietschte. Es war eine friedvolle Nacht, ein« Nacht zum Glücklichsein. Und Gertrud dachte zurück an die Nächte, w denen er zu ihr gekommen war poch, poch leise hatte er an ihre Tür geklopft--- horch, kraspelte nicht draußen etwa»?! Es ging jemand über den Hof. Nein, niemand I Wie man sich nur so etwa» einbilden kann! Da» kam vom Denken und von dem Jmmer-allein-sem, da bildet man fich zuletzt alles mögliche ein. Gertrud hätte darauf schwören mögen, daß ein vor- sichtiger Tritt überS Hofpflaster tappte. An der Scheunentür strich etwas vorbei, eine Hand fühlte tastend.' Der Mond gab fahles Licht, er zitterte durchs Fenster. War eS eine ziehende Wolke, die plötzlich einen so großen Schatten warf? Sie unterdrückte einen Schrei: stand da nicht etwas Dunkles vor ihrem Fenster, spähte hinein, duckte sich dann rasch nieder? Sie fuhr aus dem Bett, sie zog den Vorhang zusammen und steckte ihn noch mit einer Nadel zu. Die Erinnerungen sollten nicht herein, die Erinnerungen. Die machten sie ganz wir und toll. Ob Gretchen nun schon tot war? Ach, wenn sie doch ausgelitten hätte I Jetzt fühlte Gertrud erst recht, wie nah ihr diese? Schicksal ging. DaS arme Geschöpf! Oh. wieviel arme Geschöpfe waren jetzt auf Erden! Aber mußte man denn gerade um Gretchen so verstört sein? WaS hinterließ die denn groß? Nur eine alte, verängstigte, kleine Mutter. Da waren andere, die noch in der Fülle des Lebens standen, die soviel zurückließen, und denen ging es auch nicht besser. Alle nahmen ein klägliches Ende. Mit zitternder Hand fuhr sich Gertrud über die heiße Stirn. Hatte sie Fieber? Ihre Pulse klopften, Schweiß lief ihr über den Körper. Aber sie war ja nie krank gewesen, nur ein einziges Mal in der Kindheit, als sie die Masern ge- habt hatte; sie wurde auch jetzt nicht krank, das war nur die Aufregung über Gretchen. Und dann die Frühlingsnacht. Die war so schwül! Gorts. folgt.)