Erklärung. Der Artikel„Volksabstimmung" in Nummer 307 des„Vor- l'oärts" veranlaßt mich, öffentlich festzustellen, daß ich mit den dort .-um Ausdruck gebrachten Auffassungen nicht übereinstimme. Ich halte die Unterzeichnung des Friedensvertrages für eine moralische Katastrophe, die, wie ich fürchte, noch viel schlimmere Folgen haben wird als die Nichtunterzeichnunz. Die Folgen der Nichtuntcrzeichnung werden in jenem Artikel nach meiner Ueberzeugung zu schwarz ausgemalt. Ich glaube be- stimmt, daß wir den letzten Gang, der mit diplomatischen Mitteln auSzufechten ist, ehrenvoll zum Nutzen unseres Volkes bestehen iönnten, wenn unser Volk nur die dazu nötige moralische Wider st andskraft aufbrächte. Der„Vorwärts" hätte keinen Augenblick vergessen dürfen, daß oie großen Entscheidungen der Weltgeschichte ohne Mut nicht ausgeführt werden können. Er hätte nie aufhören dürfen, den deutschen Arbeitern diesen Mut zu predigen. Zu dieser öffentlichen Verwahrung sehe ich mich genötigt, da die Veröffentlichung deS Artikels„Volksabstimmung" ohne Nennung des Verfassers einer innerhalb der Redaktion getroffenen Verein- barung widerspricht. Weimar , den 19. Juni 1919. Friedrich Stampfer . « Zu der Erklärung des Genossen Stampfer ist folgendes zu be- merken: Der Artikel'„Volksabstimmung" ist ein ausgesprochener NedaktionSartikel, sein Inhalt entspricht der Ansicht der g e- samten übrigen politischen Redaktion(Barth, Kutmer, SaternuS, Zickler, Dr. Peiser), mit Ausnahme des Genossen Stampfer. Tie Gedankengänge sind auf einer Redaktionskonferenz sestgelegt, der Wortlaut ist vor der Drucklegung von sämtlichen be- teiligten Kollegen gebilligt worden, so daß die Nennung eines individuellen Urhebers aus tatsächlichen Gründen nicht mög- lich war. Die politische Redaktion hat in den vergangenen Wochen mit der größten Selbstverleugnung ihre Ansicht zurückgehalten, um bei den Unterhandlungen auf keinen Fall die Position n userer Unterhändler zu schwächen. Diese Zurück- Haltung wurde ihr um so schwerer gemacht, als Kollege Stampfer - unter seinem Namen— die Porole der Nichtuntcrzeichnung m:t aller Schärfe verfocht, die den Widerspruch des Andersdenkenden geradezu herausforderte. Nachdem jetzt durch das Ultimatum der Entente die Situation verändert ist, erschien uns im Augenblick der letzten Entscheidung ein längeres Schweigen nicht möglich. Wir konnten umso weniger schweigen, als Ge- noss$ Stampfer entgegen der an uns gegebenen Direktive, die Hal- tung des Blattes möglichst vor der Entscheidung nicht festzulegen, selber wiederum sofort nach dem Bekanntwerden der Ententenote in sckiärfstcr Weise die Nichiunterzeichnung propagiert hat. Auf das sachliche Für und Wider einzugehen, halten wir im Rahmen dieser Erklärung nicht für möglich. Nur nehmen wir das eine für uns in Anspruch, daß unsere Stellungnahm? keineswegs einem Mangel an Mut imd Entschlossenheit, sondern schwerwiegenden sachlichen Gründen entspringt. I. A.: E r ich K u t tn e r. die /iusschreitungen gegen Sie deutsche §rieöensüelegation. Versailles , 13. Juni. Die sozialistischen Abend- blätter äußern unverhohlen ihre Empörung über die Zwischenfälle bei der Abreise der deutschen Dele» g a t i o n.„Populaire" bezichtigt die Royal isten, die Zwischenfälle angestiftet zu haben. Frankreich sei empört darüber, dag daS Gebot der Gastfreundschaft, bez Achtung vor dem un» glücklichen Gegner von gewerbsmäßigen.Pa» lrtoten" mit Füßen getreten werde. Diese scharfen Aeußerungen der sozialistischen Presse gegen die Hetzblätter sind tatsächlich begrün- d e t.„2 i b« r t e" sagt, die Einwohner Versailles würden sich nicht so benommen haben, wenn sie nicht durch die Haltung d e r D e u t s ch e n in Bersailles und durch die Berichte deut- scher Blätter aufgebracht worden wären. Die deut- lchen Deleg ierten hätten sich durch unverschämte D altung, durch unangebrachte Spaziergänge, durch Mißachtung
her Polizekborschristen mißliebig gemacht, und ganz sicher wäre auch am letzten Montag die Bevölkerung nicht aus der Ruh- ge- bracht worden, wenn die Herren und Damen des Kanz- leipersonals, welch: in Pen ersten Arnomobilen das Hotel des Reservoirs verließen, nicht durch ihr unanständiges Be- nehmen(„Liberte" spricht von Zunge-heraus st recken, 2ange-Nase-machen), die Wut der Bevölkerung aufs höchste entfacht hätten. Wie verlogen diese Schilderung der„Liberte" ist, kann der Vertreter des Wolfsbureaus in Versailles persön- lich bezeugen. Als er nämlich kurz vor 3 Uhr sich vom Hotel Vatel ins Hotel des Reservoirs begab, wurde er bereits von mehreren Personen unflätig beschimpft. Er machte einen der Ge- heimpoliz sten darauf aufmerksam. Der erklärte, es sei wohl nicht v:el dagegen zu machen. Wenn auch der Zwischen- fall durch die französische Regierung beigelegt ist. so verdient doch die Hetzkampagne der chauvinistischen Presse niedriger gehängt zu werden. Wühlarbeit öer Entente in OberfiHesien. Breslau , 18. Juni. Die„Neue Oberschlestsche Volkszritung" in R atibor ist in der Lage, Dokumente über die Treibereien der Entente in C b e r s ch l e s i e n zu vcräsfcntl'chen. Sie be- ginut mit einem' Bericht deS französischen Schriftstellers'Maurice BarreZ. In diesem Bericht kann man zwei Punkte feststillen, erstens, daß es der Entente gar nicht um daS Wohl Lberschlesiens zu tun ist, und zweitens, daß französisches und englisches Geld in großen Massen nach Oberschlesien geworfen worden ist. In dem Bericht finden wir folgende Stellen: Dr. Dillon vom „Daily Telegraph " hat mir im Februar geschrieben, sie möchten ihm Leute für die polnische Propaganda mit englischem Gelde in Oberschlesien werben. Der Po.'cnführer, mit dem ich auf der Redaktion der„Berliner polnischen Zeitung" eine mehrstündige Untrrvedung Katte, glaubt, daß es zu einer A b- st i m m u n g kommt, wenn sich Deutsche und Polen allmählich er- holt hätten, und dann würde das englische Gold und die französische Propaganda von Barre- ihre Wirkung getan haben. Ter Oberschlesier an und für sich ist ein nichtbeständi- g e r Menschenschlag und ist materialistisch veranlagt. Die Entente wird die Propaganda genau durchführen. Die Franzosen selbst unierslütznt die polnisch: Bewegung in jeder Weise. Ein Beweis für die Arbeit des englisdben Geldes in Oberschlesien ist folgende Stelle: Das Geld ging Ihnen zu. Für 1ö(X> weitere Personen in Oppeln , Beuihen und Ratibor schicken wir es durch Eh., und man sagt uns, daß es seine Wirkung tut. Je weniger wir mit einer etwaigen Volksabstimmung warten, um so sicherer sind wir, daß die Deutschen unter unserer Aufsicht weniger Stimmen erhalten, Machen Sie den Deutschen klar, daß wir den Oberschlesiern ihre Habe konfiszieren werden und die jungen Leute zu Arbeiten ztr-ingen, indem wir sie nach Frankreich schaffen. Wir können nicht dulden, daß ein so großes Land wie Deutschland uns Widerstand leistet. Grüßen Sie S., der Justizrat Czapla schreiben wird. Ich schicke ihm die nötigen Fonds. Dann heißt eS weiter an anderer Stelle: Außerdem wird Eharley, der mitkommt, das Nötige für die Streiks inszenieren. Unser Kollege Williams ist der Ueberzeugung, daß die Schlesier sich an den Polen rächen wollen, aber sie werden es nicht können, weil wir die Unzufriedenen deportieren, ebenso wie wir es am Rhein machen, und jede Z e i- tung, die heute noch für Deurschland eintritt, wird von unS ausgeschlossen." Nochmals: Grauüenz. Die Parade vor dem Kaifer-Wilhelm-Denkmal. Zu den von uns mitgeteilten Ausschreitungen einer Freiwilligentruppe in Graudenz bringt die„Deutsche TageS- zeitung" einen längeren Artikel, in dem sie die Monarch- istische in eine„vaterländische" Kundgebung umzulügen sucht. Sie erklärt unsere Darstellung für falsch, bringt dann aber selbst eine Schilderung, die sie als„authentische Dar st ell un g von zuständiger Seite" bezeichnet und die im wesentlichen mit der unseren übereinstimmt. Sie lautet:
Am 7. Juni marschierten Grenzschutz truppen von Graudenz nach Garnsee. Beim Ausmarsch fand der bei solchen Gelegen- heiten dienstlich übliche Vorbeimarsch vor dem Berta, llonskom» mandeur statt. Während dieses Vorbeimarsches hielt das Pan- zerauto des Bataillons am Kaiser-Wilhelm-Denk- mal. Die Leute des Panzerautos nahmen die um das Auto gewundene Girlande und die Fähnchen ad und bekränzten damit das Denkmal. Also ein menschlich schöner Akt pietätvoller Verehrung eines Toten. Die Leute, die heute die Grenzen des Reiches freiwillig verteidigen, gcdach- ten wehmütig seines ruhmvollen Gründers. Seinen Gefühlen der Verehrung stummen Au S d ru ck z u geben, kann k e nem freien Bürger verwehrt sein. Es ist weder e,n Hoch ausgebracht, noch eine Rede gehalten worden. Tie Be- vö'kerung überschüttete die Truppe, teilweise vor Rührung weinend(!), förmlich mit Blumen. Sollte der Wortlaut dieser Darstellung wirklich von einer amtlichen Stelle und nicht von der„Deutschen Tages- zeitung" stammen, jo wären wir fedr begierig zu erfahren, welche amtliche Stelle es ist, die eine so merk- würdige Auffassung von monarchischen De- monstrationen bekundet. Wir würden es alsdann'ür nötig halten, daß mit den Offizieren, die die''e Demonstration veranlaßt haben, auch diese famose amtliche Stelle schleunigst von ihrem Platze entfernt würde/ WaS hätte wohl die„Deutschs TageSzeituwg" vor dem 9. Novomber dazu gesagt, wenn ein Truppenteil seinen'o- zialdemokratischen Gefühlen und der Verehrung für Auaust Bebel durch ein Defitee mir roten Fahnen„stummen Aus- druck gegeben" hätte? Wäre sie dann auch der A. st cht gewesen, daß derlei„keinem freien Bürger verwehrt werden dürfe?" Wenn die„Deutsche Tage-5'eitung" weiter behauptet, wir hätten uns mit unserer Meldung von Gerüchten üder einen bevorstehenden reaktionären Putsch im Osten„einen Bären von außergewöhnlichen Dimensionen" aufbinden lassen, so möge sich die„Deutsche Tageszeitung" emmal bei ihrem Freunde, dem Geheimrat Cteinow. er- kundigen, der dabei ist, zwei selbständige O st r e p u- b l i k e n zu gründen. Schließlich aber haben w i r gar nicht diese Meldung aufgebracht, sondern bekanntlich war es die „Deutsche Z e i t u n g", ein der„Deutschen Tageszetunz" gesinnungsverwandtes Organ, die in einrm Lsitartikel ganz offen darauf hinwies, daß vom Ostschutz her. die Erhebung gegen die jetzige Regierung kommen würde. Iü'r die plenlo'e Die Fraktion der Deutschen Volkspartei m der Nationalversammlung hat eine Interpellation in der Frage der Planwirtschaft beschlossen, die von der dculschnalionalen Fraktion mit eingebracht wird. Sic hat folgenden Wortlaut: Das ReichSwirtschaftsministerium hat eine Denkschrift an- gefertigt, sie bezweckt, die Regierung zu veranlassen, die gc- bundene Wirtschaft unter staailicher, Aufsicht(Planwirtschaft) zu verewigen. Ohne reichsgcsrtzliche Grundlage sind zur Er- reichung dieses Zieles von der Regierung bereits Zentralstellen eingerichtet worden, wie sie in der Denkschrift geplant sind. Ist die Regierung bereit, darüber eine Erklärung abzugeben, ob sie die Pläne des Reichswirtschaflsministeriums zu den ihrigen machen will? Die Interpellation bedeutet den Auftakt zu dem Sturmlauf gegen die Bindung des Wirtschaftslebens, wie Wisscll sie im.G:« meininteresse vorschlug. Wenn sie daS zur Folge hat. daß sich die Geister, die mit dem Sozialismus an der Neuordnung der Wirt» schaft zusamen arbeiten wollen, von. den manchesterlichen Quer- treibern trennt, so kann sie nur begrüßt werden! Gewalttätigkeiten gegen Kapitän v. Mücke. Wie verschiedene Blätter melden, kam es in Frankfurt a. M. am Mittwoch anläßlich eines von den Deut ich nationalen veranstalteten Lichtbilder- Vortrags zu Tätlichkeiten gegen den Vortragenden, den als Führer der Emden -Aysha bekannten Kapitän v. Mücke. Dieser wurde so schwer angegriffen, daß er sich in polizeiliche eachutzhaft begeben mußt«.— Ein Urteil über den Vorgang wird man erst fällen können, wenn man erfahrt, durch welche Aeußerungen Herr v. Mücke diese Angriffe auf seine Person provoziert hat, wenn auch die Tätlichkeiten aus seiden Fall zu mißbilligen sind.
Spmbole. Bon Paul Gutmann. Es scheint, als ob die sogenannte Bildung, in der wir bisher unser Kulturideal erblickt harten, den Menichen Scheuklappen an- lüge. Wer sich sein bißchen gesundes Empfinden gerettet har, dem ist eS beim Anblick mancher Tinge, als bekäme er plötzlich aus dem Hinterhalt einen Schlag ins Genick. So empfand ich unlängst, als ich in meinem Wohnort Friedenau spazieren ging. Dort wurde vor kurzem ein neues Postamt dem Verkehr übergeben. Es ist, von einigen störenden Einzelheiten abgesehen, ein ganz erfreuliche« Bei- spiel der neueren deutschen Bauweise, ein Monument im Vergleich zu den skandalvien Reichspostämtern, jenen gothisierenden Ziegel- bauten mit ihren Wappen und Emblemen, womit in den achtziger und neunziger Jahren die deutschen Städte verheert worden sind. Aver was sehe ich? Habe ich mich geirrt? Stehe ich vor einem Kriegs- ministerinm? Die Vorderfront de« Gebäude« zeigt ol« einzige „Verzierung", rechts und link« über dem Eingang, je zwei Reliefs. di« folgendes darstellen: Fabnen, Lanzen, Kanonenrohre, Bajonette und darüber die preußische Pickelhaube, eine Huiarenmütze uiw. Ich bleibe wie erstarrt davor stehen und let'e immer von neuem köpf- schüttelnd die Aufschrift in Goldbuchstaben: Postamt. Was kann y'u Solidarität der Menschheit, ihre, aller Grenzen spottenden, ge- meinsamen Ziele besser versinnbildlichen als die Poit? Ist sie nicht ei» Hort der Menschlichkeit, worin unsere brennendsten Wünsche münden, unsere Sehnsucht nach einer Wiedervereinigung mit»nsern .freunden und Verwandten dort draußen in der weiten Welt? Ist .'S nicht recht eigentlich daS Symbol des Friedens? Und da kommt jemand, der sich Architekt nennt, und pflanzt die Symbole des Hasses, der Trennung, der Aufhebung des BerlehrS unter den Menschen vor die Front des Hauses. Zu all den ästhetischen Greueln, die wir vor dem Krieg erlebt haben, den Prunkdenk- malern, den Bierkathedralen, wohl eine der lächerlichsten Ver» irrungen. Entstand der Entwurf bierzu in der Verblendung der >!riegSzeit. schlimm genug; die Ausführung in der Gegenwart ist eine unentschuldbare HerauSsorderung.# Aber so ergeht eS un« auf ästhetischem Gebiet ieit langem. Die Menschheit, oder vielleicht müssen wir sagen, der Deutsche , ist aleichgültig geworden gegen etwa» sehr Wichtige«: da« Symbol. Schon Wieland spottet in seinen.Abderiten" über diese geistige Verlotterung.„Ihr Ratbaus," sagt er,.sah wie ein Magazin ouS, und unmittelbar vor dem Saale , wo die Angelegenheiten de» Staats erwogen wurden, hotten all« Kräuter-, Obst- und Eier« Weiber von Abdera ihre Niederlage. Hingegen rubte da» Gymnasium, worin sich ihre Jugend im Ringen und Fechten übt«, auf einer drei- fachen Säuienreihe. Der Fecktsaal war mit lauter Schildereien von Beratschlagungen und mit Statuen in ruhigen oder tiessinmgen Stellungen ausgeführt." Mit diesem Mangel an natürlichem Emp- finden hängt es zusammen, daß wir keine neuen Symbole schaffen können. Unsere Revolution, wie arm ist sie hierin im Ver- gleich zur großen französischen. Wenn auch diese au« der Antike schöpfte, so war sie doch imstande, sich einen eigenen StU zu
schaffen. Wir hingegen haben nicht», keinen neuen Ausdruck für unsere gewalligen Umwälzungen; uniere Künstler schweigen. Wenn spätere Geschlechter nach einem sichtbaren Niederschlag dieser Zeit greifen wollen, so tasten sie ins Leere. Wir sträuben uns nicht da- gegen, daß der erste Erwählte unseres Volk«, der Präsident Ebert, wenn er den Garten der Reichskanzler betritt, an kronengeschmücklen Adlern vorbeigebt, daß die Kaiscrlrone noch immer die Reichstags- kuppet abschließt, daß über dem Eingang zum ReichSarbeitSamt das Bronzerelief des früberen Kaisers hängt. Der Deutsche , der so gern seine Mängel beschönigt, nennt dies Objekiivtlät. Aber dieser Mangel an Ehrfurcht vor dem Symbol ist eiwaS anderes. ES ist Gleichgültigkeit, die leicht zur Charakterlosigkeit werden kann.
Der Achtstundentag für Schüler. Der Achtstundentag ist zwar im ganzen Deutschen Reich ein- geführt worden; doch eine nicht unwichtige Arbeiterklasse, die dieser Beschränkung am nötigsten bedarf, hat man dabei vergessen. ES sind unsere Schüler, von denen so manche noch melhr als acht Stun- den am Tage arbeiten müssen. Die offizielle Schulzeit umfaßt zwar nur fünf, höchstens sechs Stunden; aber damit haben ja die Kinder ihr Pensum noch nicht erledigt, sondern es kommt noch jene vielgefürchtete und schwer festzusetzende Last hinzu, die in den häuslichen Ausgaben liegt Gewiß müssen nicht alle Kinder außer den täglichen sechs Schulstunden noch mehr als zwei Stunden zu Hause arbeiten. Aber die Zahl derer, für die der Achtstundentag nicht gilt, ist doch nicht gering. In den höheren Klassen häuft sich der ArbeitSstoff. der außerhalb der Schule bewältigt werden muß, und einige Stunden vergehen schnell, wenn man einen Aufsatz zu schreiben hat oder sich über irgendeinem mathematischen Problem den Kopf zerbrechen muß. Zudem ist die Begabung ja autzerordent- lich ungleich verteilt; nicht zeder hat das gute Gedächtnis und die leichte Auffassungsgabe, die für die Erledigung der Schularbeiten so notwendig sind, und die Folge davon ist, daß Jungen und Mäd-- chen bis in die Nacht hinein„büffeln" müssen. In Frankreich hat man sich dieser Frage bereits in der Oeffentlichkeit angenommen. Die Klagen der Kinder, daß sie e« schlechter haben als ihre Eltern, wurden in den Zeitungen behan- delt, und die Lehrer der Höberen Schulen gaben auch unumwunden zu, daß drei Stunden Hausarbeit das Mindeste sei, waS sie von ihren Schülern verlangen müßten. Nun ist eS gewiß recht schwie- rig, die täglichen Hausaufgaben so festzusetzen, daß auch der am wenigsten begabte Schüler damit in zwei Stunden fertig werden kann. Es soll aber von den französischen Schulbehörden gefordert werden, daß sie darauf d-ungen, daß auch in der Schule der Acht- stundentag nach Möglichkeit eingehalten wird. Die häuslichen Arbeiten sind seit langem ein Gegenstand de» Streites und der Anklagen. Schon seit Jahren spielen sie in dem Kampf gegen di« alte Schule, der besonder« von der modernen Dichtung so eindringlich gesührt wurde, eine große Rolle. Jeden- falls können aber die Schüler verlangen, daß sie mit dem gleichen Maß gemessen werden wie ihre Eltern, und daß auch sie die Seg- lllingen de« Achtstundentages erfahren,
R. Goermg:»ver Erste". Die Münchener Kritik hat R. GoerinjjS Sckauspiel„D e r Er st e", das an den Kammerspielen im Ganzen beifällig aufgenommen worden, nicht allzu glimpflich behandelt. Ich kann mir nicht helfen, ich finde Eocring nickt schlechter sondern eher etwas besser als seine krampfdichtenden Altersgenossen. Ich emp- fand den Autor als Dichter trotz der 5hriißhnt der Vorgänge und trotz der Künstlichkeit des Problems. Reine, ausgeglichene Kunst- Wirkungen sind kaum zu verlangen von einer Generation, die nichts erlebt hat als Niedergang. Krieg, Revolution. Dem Priester Antonio, einem grüblerischen Natur- und Krastburschen— in der Wirklichkeit so wenig fundiert wie das ganze Slück— fällt ein leidenschaftliches Weib zu, das er in einer Liebeshaß-Exstase erwürgt. Die Umstände wälzen den An- schein der Schuld auf den eifersüchtigen Nebenbuhler, den Antonio, eine Kraftprobe mit seinem Gewissen veranstaltend, selber zum Tode bereitet und zum Galgen schleppt, um schließlich dort, zcr« martert von den Todesängsten seines Opfers, zu bekennen und zu sühnen. Nietzsches A Moralisten- Problem, gelöst gegen Nietzsche . Die Rückkehr des Uebermenschen in die Schranken sittlicher Ge- bundcnheit bleib: im banal Deklamatorischen und ergibt einen ab- flauenden Schluß, denn dem Antonio und mit ihm dem Stück fehlt die sittliche Idee, in deren Namen der Konflikt geschürzt und gelöst werden müßte. Vergeistigende Darstellung des Antonio hätte nachhelfen können, aber Herr M o m b e r blieb mit kräftigem Stimmenauf- wand im Brutalen befangen. Sybille Binder dagegen ver- mittelte die fahrig-heiße Paula restlos. Man soll nicht zu hoch und nicht zu gering denken von den symptomatischen Versuchen unserer Jüngsten, auS der zeitbedingten Verarmung heraus wieder Wege zur Kunst zu finden._ h. e.
Notizen. — Volksbühne. Dem Voltsiheater sind von nächster Spielzeit an verpflichtet: Marianne Bratt (Lessingtheater), Ferdi- nand Asper(Reinhardt-Bühnen), Otto Bernstein (Albert-Theater Dresden), Josef Bunzl (Stadttheater Bielefeld ), Eugen Eisenlohr (Schillertheater), Gerd Fricke (Landestheater Dresden), Edgar Klitsch (Kammerspiele , Hamburg ). Fred Kortholt(Trjanontheater), Richard Leopold(Königgrätzerftraße-Theater), Hans Ottershausen (Düsseldorfer Schauspielhaus). Leo Victor(Reinhardt Bühnen). — Der Kampf u m den Betriebsdirektor. Wie bereits gemeldet, wurde der Streik im Charlottenburger Opern- hau? eingestellt, nachdem der Betriebsdirektor Dr. Neumann.Hofer seinen Rucktritt erklärt hatte. Der Streik hatte sich ausschließlich gegen seine Person gerichtet. Alleiniger Direktor des Opernhauses ist jetzt der künstlerische Leiter Georg Hartmann. — Vorträge. Treptow -Sternwarte: 24. Juni. 7 Uhr:„Vielheit der Welten"(Vowvaa mit Lichtbildern von Dr. Archenhold). LS. Juni, 7ZH Ubr:„Der Bau dec Atome"(Vortrag mit Lichtbildern und Experimenten von Dr. Viktor Pieck).