schsinungm ist die russische Frage stark in den Hintergrund gedrängt worden und Lloyd George , dessen erfahrene und taktisch hervorragende Persönlichkeit unentbehrlicher erscheint denn te, braucht die Wendung im Haag nicht zu fürchten. Auch Rußland hat mit einem Fehlschlag der Haager Kon- ferenz gerechnet. Rußland stand einem Sammelabkommen mit dem westeuropäischen Kapital schon zu Zeiten Lenins wenig wohlwollend gegenüber. Was an der Konferenz von Genua lockte, war vor allem die Aussicht auf eine-tej»re-Aner- kennung der Sowjetrepublik und die Gewäh» rung von Staatskrediten. Nachdem man sich in .diesen beiden Punkten Absagen geholt hatte, bestand für vowjetrußland kein Lebensinteresse mehr daran, zu einem ge- meinsamen Abkommen zu gelangen. Den Weg, den Rußland jetzt gehen wird, ist der der Einzelabkommen nach dem Lorbild des Vertrages von R a p ck l l o und des Uebereinkommens mit der Tschechoslowakei . England hat bereits in den Genueser Krisentagen ängedeutet, daß es, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte, auch zu Sonderverhand» lungen mit Rußland bereit sein werde. Allerdings ist schwer zu übersehen, wie sich die Lechandlungen nach dem vorläufigen Ausscheiden Lenins gestatten sollen. Rußland fehlt es, wie gesagt, heute an der zentralen Leitung, der das Ler- mögen inne liegt, über Parteigesichtspunkte hinaus die großen, fast unüberwindlich schweren Aufgaben des zusammenge- brochenen Sowjetstaates zu meistern. Lon einer Konsolidie- rung der wirtschaftlichen Verhältnisse kann auch heut« noch in Rußland keine Rede sein. Alle Nachrichten, die aus diesem verwüsteten und vollständig ausgesogenen Lande kommen, stimmen darin überein, daß es weiter bergab geht. Ein tat- kräftiges und umfassendes Eingreifen außerrufsischer Wirtschaftskräfte ist dringender denn je. Aber Loraussetzung hier- für ist eine Regierung, die Verständnis für die Psyche des Kapital» hat, wie es nun einmal ist. Lenin war im Legrift, sich da« Vertrauen Europas zu gewinnen. Sein Abgang läßt wieder alles in der Schwebe. Hier zeigt sich die Gefahr einer 2 i? t a t u r,'' die im wesentlichen auf die Talkraft einer Persönlichkeit gestellt ist und der ein verantwortlicher, aus dem Lolksganzen entspringender Nachwuchs fehlt. Darüber kann auch der Prozeß gegen die Sozialrevolutionäre nicht hinweghelfen, der nichts weiter ist, als der Versuch einer Selbsttäuschung über die wahren Notwendigtesten Sowjet- rußlands. * Dar rNsfifche Bokkakcmnnsifar für Suswartig« Tschitscherin ist»on seiner Erholungsreise nach Berlin zurückgekehrt und im BstschafisgebSud«, Unter den Linden , abgestiegen. Die internationale Konferenz. Der Internationale TewerkschaftSbund hat die SfceTuflb- ksmiteeS der Zweiten Internationale und der Wiener Arbeits- gemeinschaft zum 18. Juli nach Amsterdam zu einer g e- meinsamen Konferenz der drei Internationalen ge- laden. Sowolsi die Londoner wie die Wiener Internationale baben die Einladung angenommen, doch ist von den deutschen Sozialdemokraten und Unabhängigen angesichts der schwierigen innerpolstischen Lage die Verlegung der Konferenz auf den SO. Juli beantragt. Der Ruf nach Neuwahlen. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Frankfurts hat dem Reichstagsabgeordneten Kaiser in Berlin folgende tele- graphische Resolution weitergegeben: „Groß-Frankwrter Sozialdemokratie hält Fraktionsbeschluß ungenügend, weil energisches Bestehen auf Linkserweite- rung der Regierung fehlt. Dadurch krafwoller Schutz der Repu- blit und Hoffnung auf Einigkeit mit den Unabhängigen aussichts- los. Fortbestehen alter Koalition unmöglich, Reichstags- auflösung notwendig." Auch die fiarkbesucht« Versammlung der Magdeburger Parteifunktionäre hat einen Beschluß gefaßt, der die Auflösung des Reichstags und Neuwahlen fordert.
Die Snheiisftont öer Irauen. Gegen den Brotwnchor! Dir List« über die namentliche Abstimmung im Reichstage bei der Getreideumlage zeigt das sehr lehrreiche Ergebnis, daß, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, sämtliche Frauen deS ReichSiage» gegen die Brotverteuerung gestimmt habe«. Kicht eins einzige Frau des Zentrum« stimmte für de» Brotwucher. Auch das einzige weibliche Mitglied der vaherifchen Volkspartei stimmte gege» seine Fraktion. Die deutschnationale Lbgcmdnete Frau Behm, eine bekannte Führerin der Heimarbeiterinnen und andere ihrer Kolleginnen der Rechtsparteien bliebe» der Sitzung fern. Die einzig« weibliche Abgeordnete, die den traurigen Mut fand, für den Brot- Wucher einzutreten, ist die deutschnationale Abgeordnete Frau Hoffmann(Bochum ), die sich schon wiederholt im Reichstage durch das Gegenteil von Intelligenz bemerkbar machte. Sie ist die Rachfolgerm von Clemens Delbrück .
SchneUe Sühne. Im letzten Abendblatt gaben wir eine Mitteilung der„Re> publikanischsn Presse" über ungehörige Bemerkungen eines Polizei- unterrvachtmeisters anläßlich des Mordes an Rathenau wieder und gleichzeitig die Ablehnung der Weitergabe einer Be- s ch w c r d e durch den Dien st vorgesetzten diese» Unterwacht- meisters. Nach Kenntnisnahme der Mitteilungen des„vorwärts" hat der Minister des Innern, Severing, die sofortige Suspen- d i e r u n g des Unterwachtineistcrs sowie des vorgesetzten Offiziers verfügt und Berichterstattung innerhalb Z« Stunden angeordnet. Es ist zu wünschen, daß in jedem ähnlichen Falle mit der gleiche» Schnelligkeit und Entschiedenheit eingegriffen wird, um endlich in der Bevölkerung das Vertrauen wiederherzustellen, daß der Schutz der Republik nicht nur auf dem Papiere stehenbleibe. Nationalistischer Terror in Gberfchlesten. I« Berlin halten sich augenblicklich eine Anzahl oberschlcstscher Abgeordneter und Sachverständiger aus, die der Dena vollauf die zunächst unglaublich erscheinenden Meldung«» über wüste Terrorakte oberschlesischer Selbstschutzangehöriger be- stätiaen. Danach spielen sich in der Tat zurzeit in Oberschlesien Ding« ob, die man nicht anders als eine Kulturschande bezeichnen tan» und die Staatsregierung»u sorfortizem schärfsten Eingreife» veraniassen dürften. Aus den Mittellunge« der oberschlestschen Herr«» geht insbesondere hervor, daß im deutschen Oberschlesien , so namentlich in Oppeln , aber auch in Gleiwitz und cm anderen Orten Frau«», die irgendwelcher Beziehungen zu den interalliierten Truppen verdächtigt werden, Quälereien und Schändlichkeit«» ausgesetzt werden, die an amerikanische Wildwest-Zu- stände erinnern. So sind auf dem Marktplatz in Oppeln mehrere Frcnien und Mädchen nackt ausgezogen, kahlgeschoren, mit Draht- peitschen blutig geschlagen und dann von den Banditen hoch in die Lust geworfen wurden. Auch Kinder haben sich an diesen Quäle- reien beteiligt. Dabei hat man sich in ollen Fällen an Frauen ein- f a ch e r Stände vergriffen, die mit interalliierten Soldaten Der- kehr gehabt haben sollen. Frauen, die zu Entente o i z i e r« n Beziehungen unterhielten, haben sich schon meist vorher in Sicherheit gebracht. Es ist auch darauf hinzuweisen, baß diese skandalösen Zustände bereits in der ausländischen Presse ein sehr bedenkliches Echo ge- funden haben. So veröffentlichten die Londoner„Times" vor etwa zwei Tagen«inen ausführlichen Bericht ihres Oppelner Korrespon- dentcn, in dem Aussagen und eigens Bekundungen des Mr. Skibsey, eines Beamten der Interalliierten Kommission, und des polnischen Generalkonsul» Kensycki wiedergegeben wurden, die übereinstimmend behaupten, daß sie mit eigenen Augen die oben geschilderten Quäle- reien von Frauen mit angesehen hätten. Selbst die ungeheuerliche Tatsachen wird bestätigt, daß«ins dieser Mädchen gezwungen wurde, in eine Kanalisationsröhre zu kriechen, wo es erstickt«.
Um öen Schutz öer Republik. Im Reichstag wurde gestern die zweite Beratung des Gesetz- entwurfs zum Schutze der Republik mit der A b st i m« u n g über den Paragraphen 1 fortgesetzt. Unter Ablehnung je eines Abänderungsantrages der Kommunisten und d»r Deutschen Volks- partei wird der Z 1 mit großer Mehrheit gegen wenig« Stimmen der Deutschnationale» und der Bayerischen Vollspartei angenommen. In der Abstimmung über§ 1 e werde» alle Abänderung-an- träge abgelehnt und der Paragraph in der Lusschußfassung gegen die Stimmen der Deutschnationalen ! der Bayerischen Volkspartei und eine» Teils der Deutschen Volkspartei angenommen. Ebenso werden die FZ 1d und 1c in der Ausschußfafsung an» genommen. Bei§1<i, der die Anzeigepflich t festsetzt, beantragt die Deutsche Volkspartei nach Ablehnung eines Antrages von der An- zeigepflicht neben den Geistlichen auch die A e r z t e, R e ch t s a n- wälte und Verteidiger auszunehmen, die Geschwister von der Anzeigepflicht zu entbinden. Dieser letzte Antrag wird im Hammelsprung mit 200 gegen 188 Stimmen der beiden Rechte- Parteien, der Bayerischen Volkspartei , der Demokraten und eines Teils des Zentrum» abgelehnt. Gegen die Rechtsparteien wird der§ 16 in der Ausschußfassung angenommen. Es bleiben also von der Anzeigepflicht nur die Geistlichen ausgeschlossen. Zum Z 2 liegen eine Reihe sozialistischer Abänderungsvorschläge vor. U. a. ein gemeinsamer Antrag der Unabhängigen und Sozial- demokraten, den Abg. Wissell(Soz.) begnindet und der fordert, daß dem Z 2 eine neue Ziffer eingefügt wird, wonach bestraft wird, wer auf Errichtung der Monarchie im Reich oder den Ländern gerichtete Be- strebunaen öffentlich in einer den öffentlichen Frh&en gefährdenden Weise zu fördern unternimmt oder die früheren Reichsfarben in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zur Schau trägt oder stellt. Die sozialistischen Anträge werden»on den bürgerlichen Par- teien abgelehnt. Dagegen finden einig« von den bürgerlichen Parteien beantragte Milderungen gegen die Stimmen der sczia- listisch-n Parteien Annahme. Mit diesen Aenderungcn wird der Li im Hammelsprung mit 2ZZ gegen 147 Stimmen angenommen. igegen stimmen geschlossen die Kommunisten, die Unabhängigen und die Deutschnationalen, außerdem einige Bolksparteller und Mitglieder der Bayerischen Volkspartei . Ohne Aenderung werden nach den Ausschuhbeschlüssen ange- nommcn die ZZ 2 a, 3, 4 und 4 a. Aba. Hamm (Dem.) tritt für«inen Antrag, der dem Reichs- gericht die Aburteilung der im Gesetze zum Schutze der Republik vorgesehenen Delikte überweisen will, ein. In langer Rede wendet sich der Redner gegen den Vorwurf, daß Bayern das Gesetz sabo- tieren wolle und wird dabei von bayerischen Abgeordneten der Linken wiederholt durch stürmisiche Zwischenrufe unterbrochen. Demokratie soll herrschen, aber die Ueberstimmung ist nicht immer der Weisheit letzter Schluß. Auch in Bayern halten SO Prozent dcr Bevölkerung die republikanische Staatsform als die allein mögliche. Rqmbllk heißt aber Sinordnuag und Ankersrdnung. (Stürmisches Sehr richtig! links.) Di« Republlt sollt« versuchcn, durch den Willen zur Verständigung moralisch« Eroberungen zu machen. Reichsjustizminister Dr. Radbruch: In der Ausschußberatung ist den bancrischen Wünschen bereits so weit entgegengekommen worden, daß ich fast sagen möchte:„W i r haben schon so viel für Euch getan, daß uns zu tun fcist nichts mehr übrig bleibt."(Zuruf des Abg. Ledebour : Das ist eine sehr gefährliche Politik!) Ich hoffe, daß e» dem Abg. Hamm gelingen wird, die kleinen Differenzen auszugleichen, die noch zwischen Bayern und dem Reich bestehen. Der Staatsgerichtshof ist kein Ausnahmegericht, sondern ein Sondergericht und verstößt nicht gegen die Berfasiung. Der Minister bittet, es bei der Regierungsvorlage zu lassen, die drei Berufsrichter und vier Laien vorsieht. Abg. Kosenseld(U. Soz.) bedauert die Haltung des Ministors und empfiehlt die Besetzung des Staatsgerichtshofes mit zwei Be- rufsrichtern und fünf Laien. Zu Richtern dürfen vom Reichspräsi- deuten nur wirkliche Republikaner und nicht die sogenannten„Der- nunftrepublilaner" au» der Deutschen Dollspartei gewählt werden. Reichsjustizminister Dr. Radbruch erklärt, �oß« zutreffe, daß der Vertreter der Reichsamvoltschast die Beamten der Berliner Polizei bei der Nachforschung nach den Nathenau-Mördern au» München wieder weggeschickt Hot. Dos sei
Der Hahn.
Roma««tn« Bürgers von Paul Gutmann. Ich habe ein Glückslos gezogen, als ich die Wohnung in diese« stillen Lorort«ntheckte. Hier sitze ich nun fern von dem Lärm und Wirrwarr der großen Stadt, sehe freundliche Gärten, vom Wind zärtlich beevegte grüne Zweige, stille zufriedene Menschen und hänge meinen friedlichen Gedanb-n»ach. Mögen die anderen sich um Politik und all ds» lächerliche, vergänglich« Zeug den Kopf oder die Knochen zerbrechen, ich kümmere mich nicht darum, sondern gehe endlich bot 0«, mein Dasein, ungestört von lästiger Umgebung, mit Bewußtsein,««hrhaft inbrünstig, zu genießen. * E» gibt Dinge, die ich nicht vertrage. Goethe konnte Hunde- gebell nicht hören, Schopenhauer haßte Peitschengeknall und ich iverde nervös, wenn ich einen Hahn krähen höre. Große Männer haben ihre Besonderheit:». Seit drei, vier Tagen werde ich schon um vier Uhr morgens oder früher durch ein markerschütterndes Krähen au» dem Schlaf geweckt. Gebe Gott , daß es sich nicht wiederholt. « In dies« Zell sozial« Slnarchte darf man sich über den Egoi»- MUS einzelner Mitbürger nicht wundern. Aber es gibt Dinge, die selbst einen ruhigen Menschen zur Raserei bringen. Ist es schon«in Zeichen von Taktlosigkeit und Roheit, feinen Reichtum prahlerisch zur Schau zu steUm»der vor den Augen Unbemittelter fröhlich zu neniehen, so ist es«ine Frechheit, mittel- de» Besitze» die Ruhe fein« Mitmenschen zn stören. Der krähende Hahn ist eine Herausforderung, die mir täglich meine soziale Unt«legenheit zum Bewußtsein bringt. Ich Hab« seit vierzehn Tagen kein Fleisch gegessen, was Geflügel ist, weiß ich kaum mehr, und nun verkündet mir das Krähen vom Balkon meine« Nachbarn täglich, daß er einen Hahn besitzt und daß er diese« Hahn demröchst zu verspeisen gedenkt. Warum foltert er meine Rerven? Möge n doch endlich seinen gewuchert«« Hahn in seinen Gierschlund hn«nterstopfen. » Ich hoffte vor der Gegenwort mich flüchten»» können, ab« es ist unmöglich. Die scziale Frag« läßt mir keine Ruhe. Ich be- schäftige mich mit Nationalökonomie, lese Fourier, Proudhon, Karl Marx . L«r oerfluchte Hahn, der jetzt schon um S Uhr'in meine Ohren trompetet, bringt mich auf die Frage, was ist Kapital? Daß es so nicht weitergeht, ist mir klar. Es ist unmöglich, daß der ein- zelne die Macht haben darf, die Rechte sainer Milmenfchem mit Füßen zu tretsn. » Ich glaube,»»ein Rachbar hilft dar Kehle fein« Hahns mit der Lustpumpe nach. Solch Gekröh« hat es feit Erschaffung der Welt nicht gegeben. Zuerst hebt er mit ein paar lieblichen Tönen on, wie wenn Wagenräder gebremst werden, dann kommt der Notschrei einer Lokomotive, der schließlich in das Heulen einer Schissssirene über- geht. Die Regierung ist zu säiwach. Ich fahre jetzt öfters in die Stadt und besuche die Versammlungen der Radikalen. Die soziale Ungleichheit muß durch eine völlige Umwälzung beseitigt werden.
Meine Nerven sind total zerrüttet. Ich schlafe keine Nacht, aus Todesangst, plötzlich durch ein Trompetengeschmctter aus der Ruhe gerissen zu weroen. Während ich so halbwach daliege und wirre Fieberträume in meinem überreizten Gehirn einander sagen, tauchen Mordgedankcn au» den Tiefen meines Unterbewußtseins hervor. Ich sehe rasende Volksmengen die Paläste der Reichen stürmen, Weiber mit aufgelösten Haaren und vffemn Brüsten die Zurückweichenden anfeuern, sehe Kind«r Handgranaten herbeischleppen, und plötzlich, mitten im Wutgeschrei und der Raserei der Menge, breche ich mir Bahn, stelle mich an die Spitze des Haufens, stürme einen Balkon, zaro« einen Hahn aus seinem Käsig und schleudere das kreischende, sich sträubende Tier mit einem Iriumphgeheul unter das tosende Volk, da» ihn in Stücke reiht. » Ich kenne mich selbst nicht mehr. Bin ich es noch, der fried- flebend« Bürger von vor vier Wochen? Morgen vollbringe ich die Tat. Rur die Gewalt kann mich retten. » Da» Leben ist mitunter von einer phantastischen Wunderllchkeit. W« ist Herr seiner Handlungen? Wer darf sagen, er folg« un- verbrüchlich seiner Ueberzeugung? Als ich«estern abend in der Dunkelheit an da» Haus meines Rachbarn schlich, um mit einem kühnen Schwung den Balkon zu erreichen und dem Hahn den Kopf abzudrehen, fühlte Ich plötzlich ein« Hand auf meiner Schulter. Ich glaube ertappt zu sein und will die Flocht ergreifen, aber da sehe ich, es ist mein alter Freund Friedrich Lemke, den ich. weiß Gott , hier nicht vermutet hatte. „Was machst Du hier?" stage ich, als ich aus meiner Bestürzung erwacht bin. „Ich wohne hier," gibt er zur Antwort.„Welch glücklicher Zu- fall, daß ich Dich treffe. Ich war einen Monat verreist, und als ich zurückkomme, überrascht mich meine Frau mit einem Hahn, den sie mzwiscH-n gemästet hat. Wir verspeisen ihn heute abend. Du mußt unser Gast sein. Wir trinken dann«inen guten Tropfen und stoßen an auf da» Wohl... Du bist doch hoffentlich nicht Republikaner, mein Lieber?" In meiner Brust wirbelte ein Orkan von Empfindungen. Ich fühlte mich von meinem Todfeind befreit, hörte in meiner Phantasie sein letztes, markerschütterndes Röcheln,, verspürte süßen Bratenduft, und befriedigter Rachedurst� da» Gefühl der Befreiung, die taumelnd« Wollust de» Sieger» stürmten auf mich ein, zusammen mit der Sehn- sucht nach einer genußreichen, friedlichen Zukunft. „Ich bin nicht Republikaner," hauchte ick mit tonloser Stimme. ,<«>!» d«r ,»r ku?>em ers»ie>>n>e�«-»«lim»„A I l e»» u r rn e» s ch e Serfaa Verl!» 3. 15.)
Etai.geselkschafksstihiger" Plauderer. Herr Heinrich Ripp- ler. der sein Herz für die Einheitsfront aller Deutschen erst kürzlich entdeckt hat und der zur Belohnung dafür von der„swatserbalten- den" Deutschen Lolk-partei zum S6)riftleiter ihres offiziellen Organs gemacht worden ist, glaubt der Staatserhalttmg offenbar dadurch zu dienen, daß er die deutsche Republik und ihre Träger seinen Lesern nach Kräften verekelt. Selbst'der Unterhaltungsteil seiner Zeitung wird für diesen Zweck benutzt. Da plaudert z. B. Herr K u r t A r a m (alias Fischer, ein früherer Geistlicher) über„Kleine Reiseerlebnisse".
Er erzählt, wie er frühmorgens im Hamburger Bohnhofsrestaurant sitzt und an einem Rebentisch einen Berliner Staatssekretär erblickt, „den die Revolution zu einem allmächtigen Mann in Preußen ge- macht hat". Der Staatssekretär trägt eine Aktenmappe, die„»n republikanischen Berlin offenbar al» vollwertiger Ersatz für alt- vreußische Kronenorden" gilt. Dann heißt e, weiter:„Der Staats- jekretär begrüßt ein Berliner Ehepaar und läd es an feinen Tisch. „Was haben Sie heute vor?" fragt die Dame, um«in Gespräch in Gang zu bringen. Der Staatssekretär erwidert:„Denn ich meinen Kaffee getrunken habe, gnädige Frau, habe ich«in dringendes Ge- sprach mit Berlin , dann lasse ich mich rasieren, dann.. Der Herr. der schon vor der Revolution ei» Herr war, griff hastig ein, difmi seine Dam«, die schon vor der Revolution ein« Dome war, ist blaß geworden. Für sie hat die Borstellung von einem haarigen, gelb- häutigen Staatssekretär unter dem Rasiermesser, die dieser herauf- beschwört, morgen» um sech» Uhr offenbar durchaus nichts Verlocken- des, und wer weiß, was sonst noch für einen leeren Magen«N'.u- trägliche Lorstellungen dieser Staatssekretär, der erst nach der Re- Solution gesellschaftsfähig geworden ist, schon vor dem ersten Früh- stück heraufbeschwört. Der Herr bringt da« Gespräch also s6)nell auf Dollar und Markentwertung, worauf sich der haarige Staats- fekretär auch sofort mit Eifer und Sachkenntnis stürzt...." Es ist nur selten amüsant, zuweilen aber lehrreich, einen Blick in de» Unterhaltungsteil der reaktionären Presse zu werfen. � Die Herrschaften glauben sich hier weniger beobachtet und enthüllen ihres Herzens Sehnsüchte ungenierter als im politischen Teil. Auch den Behörden, denen der Schutz der Republik obliegt, wäre diese Lektüre angelegentlich zu empfehlen. Die Zukunft Palästinas. Der englische Oberkommissar von Palästina, Sir Norbert Samuel, ist auf der Rückreife noch seinem Amtssitz in Italien von einem Redakteur des„Mezzoqiorno" intcr- viewt worden. Er hat es zwar ad�lrhn'."vlitilche Informationen zu geben, hat sich jedoch im allgemeinen über Palästina und den Zionismus ausgesprochen. Da» heilig« Land sei ein Gebiet, das eine große Zukunft habe, wenn man fein« Reichtümer a» E r z und leine Petroleumlager ausbeuten könnte; man müsse daher die Auswanderuna dahin lenben, Palästina fei imstande, ein« B:- völkerung von 2 Millionen, die sechsfache Zahl der gegenwärtigen. zu ernähren. Sir Norbert Samuel erzählte auch noch, daß er be- reit» 123 zionistisch« Schulen eröffnet habe und die Gründung eines höheren Landwirts chaflsinstituts plane. Kalser-Friedrich-Musenm. Di- Varderafiatische Slvtei- l» n q bleibt wcgen um s«n� reicherer Nmiiellungen bi» aus weiteres lür den cillzemcinen Besuch de» Publikum» g e s ch l» I l«»- «rvße» echaiisplelhan«. Di- Winlerlplelzeit Irinet al« erste« der für da«?lbonncment»ngekündizten Stücke Shakespeare«.Der ZSidersPenfti,en ffähmu»,- mit Su,»n KlSpser und«tsabcth verzner in d«, Hauptroüeo. Earl Eleving tritt mit Beginn der Spieizett aH Held«« trnor in den Seiband der S t a a t«« p e r. Uiigeiiügeude Veachtunq polnischer Klinkt durch Zhrankrelch. Der.Kuiicr Poranny" betlagt sich darilbcr, dast in dcr„Enoycloniclio de musiauo'1,«n der 130 Svc»ialre!erentcn gearbeitet baben. nichts von der polnischen Musik steh«. Selbst Chopi»»kd von Duval ai« Vertreter der deutschen Bluftt angejahrt.