dkenstag 16. Juni 1�25
Unterhaltung unö �Wissen
öeilage öes vorwärts
Die»deutsche ' Krankheit. Von L i s Lange. Seit langem schon bildet eine bestimmte Erkrankung des kind- lichen Organismus den Schrecken der Aerzte, Lehrer, Mütter und anderer, die mit der geistigen und körperlichen Erziehung von Kin- dern zu tun haben. Es ist die Rachitis, Jtnochentveiche' oder„englische Krankheit" genannt. Aus dem Wesen dieser folgenschweren Störung des kindlichen Körpers erklärt sich ihr Vorkommen, Wachs- tum und ihre Verbreitung. Da einzig und allein ungünstige Lebens- bedingungen jeder Art der unheilvolle Boden sind, auf dem die Krankheit gedecht, wird uns die Berechtigung zur Umwandlung ihres Namens in„deutsche" Krankheit ohne weiteres klar. Die Rachitis ist eine typische Proletarierkrankheit. Junger und Not sind ihre Erreger. Kinder schlecht genährter, durch Arbeit verbrauchter Mütter, die in dunklen, feuchten Räumen auf unsauberen. Lagern vegetieren, werden schon in den ersten Wochen von ihr befallen. Der üble Brodem aus dem Kellerraum einer viel- köpfigen Familie, mit den Ausdünstungen schlecht gepflegter Körper, Gasen des Ofens, Essens- und Wäschedunst, dazu häufig mit Tabaks- qualm durchsetzt, dringt in die zarten Lungen des Säuglings. Der Stoffwechsel wird vergiftet, die Funktionen aller Organe gehemmt, ein Aufbauen des Körpers unmöglich gemacht. Dazu tritt Mangel- hafte Ernährung(meist Brotrinden, in Kaffee oder Wasser ein- geweicht), es fehlen die wichtigen Bestandteil« einer normalen Knochen- und Blutbildung. Das Skelett bleibt oder wird weich, die Muskeln zeigen sich schwach und schloff, der fest« Halt des Körpers geht verloren, das Wachstum bleibt erheblich zurück. Der rachitische Säugling zeigt allgemeine Unruh« und Unzufriedenheit. ist weinerlich, empfindlich, schläft schlecht und unregelmäß'g. Er schwitzt leicht, besonders am Hinterkopfe, und seine Schädelknochen fühlen sich weich, pergamentartig, an. Während sich die Lücken zwischen den einzelnen Platten des Schädels, die Fontanellen, beim normalen Kinde schon noch IX Iahren geschlossen haben, klaffen sie noch im 3. und 4. Jahr fingerbreft auseinander, wenn Rachitis vor- liegt. Der Durchbruch der Zähne geht in diesem Fall« erst spät, langsam und unter sichtlichen Störungen des Gesamtorganismus vonstatten. Sie zeigen dann gelblich« Färbung, sind längs geriffelt und gegen Zahnfäule wenig widerstandsfähig. Schwerwiegende VerSnderungen treten an allen Knochen des Körpers da«in, wo der Knorpel in den knöchernen Schaft übergeht. Es bilden sich V e r- dickungen, die der Bolksmund als„doppelte Glieder" bezeichnet. Am Ansatz der Rippen tritt dann diese Schwellung als�„rachitischer Rosenkranz" hervor, der selbst nach überstandener Rachitis noch deutlich sichtbar und fühlbar ist. Der Schädel eines solchen Kindes nimmt eine viereckige Form an und ist unverhältnismäßig groß. daß man meint, der schwache Körper könne ein solches Gewicht nicht tragen. Die Wirbelsäule erfährt beträchtliche Veränderungen ihrer Richtung nach den Seiten, nach innen oder außen, der Buckel, die schiefe Schulter, das eingesunkene Kreuz treten hervor. Es ist selbverständlich, daß ein derartig verbildeter Körper erst spät und auch dann nur langsam eine aufrechte Hallung annehmen kann. Die Kinder lernen spät sitzen und laufen, rutschen meist auf Gesäß und Händen herum. Durch da» fortwährende Ausstützen der schwachen Arme werden diese krumm, ebenso die Beine beim späteren Stehen und Laufen. Das Becken bleibt eng und bildet eine schwere Gefahr bei Entbindungen. Der zusammengesunkene Brustkorb gestattet keine ausgiebige Entfaltung der Lungen, die Atem- und Herztätig- keit sinkt. Dadurch bildet sich ein Hang zu allen katarrhalischen Reizungen, und meist gehen schwerrachitische Kinder im zweiten oder dritten Jahre ihres Lebens an Lungenentzündung zugrunde. Der Tod kommt hier als Erlöser, denn Knochenhautentzündungen vervollständigen hier das Leiden der armen kleinen Wesen zu un- erträglicher Qual. Durch eine tiefgreifend« Besserung der allgemeinen Lebenslage des Proletariers ließe sich die Rachitis erfolgreich bekämpfen, wäre Aussicht auf«ine lebens- und arbeitskräftige Nachkommenschaft vor- Händen. Lichtl Luft! Sonne! Nahrhaft« Gemüse- und Ob st kost! Da» wäre die beste Medizin, den Knochen reich- lichen Ansatz van Kalk zu ihrem Aufbau zu ermöglichen. Besser als Behandlung der Krankheit(Therapie) wäre jedoch ihre Der- bütung(Prophylaxis)! Wie dringend erforderlich ein energisches Vorgehen ist, mögen einige der neuesten Zahlen aus dem Gesund- hellszustand der Menschen unserer gepriesenen Gesellschafts- und
Wirtschaftsordnung beweisen: es ist erwiesen, daß 70— 80 Proz. oller Größstadtkinder rachitisch sind! 50 000 Kinder einer Großstadt im Ruhrgebiet wurden untersucht, 9000 von ihnen litten an der furchtbaren Krankheit, davon waren SOOO schwerste, hoffnungslose Fälle! Diese Zahlen sind durch die Verschärfung des sozialen Elends ständig im Wachsen begriffen. Mit dem Körper leidet der G e i st: es ist ein typisches Zeichen für den Niedergang unserer Volkskraft daß die Hilfsschulen für schwachbegabte und anormale Kinder an Zahl und Größe fortgesetzt zunehmen. Hier ist der Sammelpunkt
Die Seesihlange wirö gesichtet.
all des Elends aus Kellern, Hinterstuben und Höfen, das Elend wurde, weil die Gleichberechtigung aller in unserem Klassenstaate ein leerer Begriff ist. Kürzlich fand in Halle a. S. ein Kursus für orthopädisches Turnen statt, der Lehrer und Lehrerinnen des Bezirks Halle- Merseburg zu einem„Sonder-Turnunterricht" befähigen sollte. Dieser ist unumgänglich erforderlich für Kinder, deren körper- liche Funktionen durch schlechte Haltung gestört werden. Die Wurzel des Uebels, so wurde von einem Orthopäden an einer großen Zahl hallescher Schulkinder demonstriert, ist in den häusigsten Fällen die Rachstis. Durch das orthopädische Turnen kann der Körper wohl korrigiert, nie aber von Grund auf neu werden. Was in den ersten Jahren schon verkümniert, erhält für das ganze Leben keine Voll- Wertigkeit. Im Spiel unbeholfen und leicht ermüdet, beim Unter- richt schwer zu fesseln, langsam im Auffassen, oft träumerisch und in Dämmerzuständen bis zur Apathie, im Lebenskampf ganz oder größtenteils unbrauchbar, siechen diese bedauernswerten Menschen ohne Lebensfreude dahin oder fallen dem Strafrichter zum Opfer. Sie sind eine schwere Anklage für die Mitmenschen, insbesondere ihre Volksgenossen, die da noch immer meinen, am„deutschen Wesen" könne die Welt genesen! Ms der Geschichte öer Volkszählung. Die Volkszählung ist diesmal von besonderer Bedeutung, da lange Zeit keine so genaue Erhebung vorgenommen worden ist. Schon im Altertum gab es solche Volkszählungen, von denen die Bibel bereits bei den Kindern Israels berichtet. Die Römer hatten bereits recht genaue Zählmethoden. Aber die ersten, die die Zähl- Methode der Volkszählung exakt ausbildeten, waren die Chinesen, die schon im Jahre 2042 v. Chr. eine genaue Feststellung der Bürger des Himmlischen Reiches vorgenommen haben sollen. Aus dem Jahre 800 v. Chr. führen chinesische Chroniken genauer die Zähl-
weise an, die der heutigen schon so ziemlich ähnelt. Japan über- nahm diese Volkszählungen van China zu einer Zeit, sls man in Europa den Begriff dafür verloren hatte: so wurde 010 n. Chr. eine Zählung abgehalten, und seit 670 werden in Japan genaue Geburts- und Stcrberegister geführt, sowie regelmäßige Zählungen vorgenommen. Dem Mittelalter in Europa fehlte der Begriss der Satistik, und bei den ungeordneten Berhälmissen tonnte durch Jahr- hunderte von einer Volkszählung keine Rede sein. Die Kirchenbücher, die von Klerikern geführt wurden, hoben uns zwar wertvolle An- gaben über die mittelalterliche Bevölkerung aufbewahrt, und ebenso ist vieles zu ersehen aus den Städteregistern, in die die cidfähigen Bürger oder die waffenfähigen Männer eingetragen wurden. Aber solche Registrierungen konnten natürlich eine genaue Zählung nicht ersetzen. Zu wirtlichen Volkszählungen kam es zuerst in einzelnen Städten, wie in Nürnberg im Jahre 1440, in Straßburg 1478. Der Rot wollte damals feststellen, welche Vorräte angeschafft werden müßten, um im Falle einer Belagerung die ganze Bürgerschaft für eine bestimmte Zeit ausreichend zu verproviantieren. Die großen Seuchen, die im Lande wüteten und viele Menschen dahinrafften, führten dann dazu, daß man feststellen wollte, wieviel denn noch übriggeblieben seien. Daher wurde im Jahre 1592 eine genaue Auszählung der Sterberegister noch dem Erlöschen der Pest vor- genommen: aber auf die zahlenmäßige Erfassung der Lebenden verzichtete man noch, man begnügte sich mit ungefähren Angaben. Im Jahre 1863 suchte der Große Kurfürst die Menschenverluste zahlenmäßig zu ermitteln, die Brandenburg während des Dreißig- jährigen Krieges erlitten hatte. Erst nachdem der Absolutismus im 17. Jahrhundert den Polizei- staat aufgerichtet hatte und eine eigentliche Regierung die Bürger nach Kräften bevormundete, als zugleich die exakte Wissenschaft den Sinn für Statistik geschärft hatte, kam es zu Volkszählungen. Der erste deutsche Herrscher war Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der seit 1718 eine regelmäßige Zählung in Sadt und Land einführte. Da man aber hinter dieser Zählung nicht mit Unrecht steuerliche und Rekrutierungsmahnahmen vermutete, so entzogen sich die Bürger der Zählung, so gut es ging. Erst später stellte der berühmte Statistiker Süßmilch die wissenschaftlichen Grundlagen der Volkszählung fest in seinem Werk„lieber die göttliche Ordnung in den Veränderungen des Menschengeschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen." Friedrich II. zeigte sür den Gedanken der Volkszählung großes Interesse; er ließ die Zählung nach Taufen, Trauungen und Sterbefällen, die man bei Einführung der allgemeinen Zählung aufgehoben hatte, wieder ein- führen, und Süßmilch entwarf dazu die einheitlichen Zählfonnulare. Zuerst wurde nur das„Volk" gezählt: seit 1750 aber mußten sich auch die privilegierten Stände die Zählung gefallen lassen. Die Ausführung lag ganz in den Händen der Geistlichen. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde allmählich in ollen europäi- fchen Staaten die Volkszählung durchgeführt. Der erste Staat, der eine besondere Verwaltungsstelle dafür, ein statistisches Bureau, schuf, war Schweden . Das erste Land, das eine regelmäßige Wiederkehr der Zählung in bestimmten Abständen einführte, waren die Ver- einigten Staaten, in denen seit 1730 alle 10 Jahre Volkszählungen stattfinden.__ Das Ende des Medizinmannes. Die Tage der Medizinmänner, der Zauberer und Hexen in der Kania-Kolonie in Ostafrika sind gezähll. Die englische Regierung hat nämlich ein strenges Gesetz er- lassen, durch das die seit alters übliche Zauberei ausgerottet werden soll. Das Gesetz bestimmt, daß jeder, der als Medizinmann sich anmaßt, über übernatürliche Kräfte zu verfügen, durch die er im- stände sei, eine andere Person geistig zu schädigen, fünf Jahre Gefängnis erhalten soll. Jede Person, die Zauberkräfte zu haben behauptet, durch die ein Mensch oder Tier körperlich verletzt werden kann, wird mit 10 Iahren Gefängnis bestraft. Es gilt auch als Verbrechen, wenn jemand beschuldigt wird, Medizinmann zu sein. und wenn er sich nicht von dieser Anschuldigung reinigen kann, wird er bestraft. Wenn der Besitzer von Zaubergeräten, Fetischen und Amuletten diese Dinge nicht gutwillig abgibt, so können sie konfisziert und vernichtet werden, und derjenige, bei dem man solche Dinge findet, erhält Strafe. Medizinmänner, die ihre Tätigkeit weiter ausüben, können von ihrem Stamm getrennt und deportiert werden. Das Gesetz sucht also rücksichtslos den Aberglauben aus- zurotten, der noch überall in der Kania-Kolonie herrscht, und man hat zu so einschneidenden Maßregeln gegriffen, weil der Glaube an die böse Macht von Geistern und der Zauber, er gegen sie angewen- det wird, zu vielen Untaten, Martern und Morden geführt. So wurde erst kürzlich in Nairobi eine Frau, die beschuldigt war, ein Kind behext zu haben, auf ein Brett festgenagelt und unter dos Brett ein brennendes Kohlenbecken gestellt, so daß sie unter furchtbaren Qualen starb. Die Uebeltäter, Arbeiter von der Uganda -Eifcnbahn, wurden zum Tode verurteilt. So ist Zauberei häusig die Ursache für Mordtaten, und meist steht der Medizinmann dahinter, dessen Macht also gebrochen werden muß.
Reise ans Meer. Von Max Darthel. Diese Reise begann eigentlich schon kurz vor Weihnachten, als Springer und Sommerschuh mit ihren Frauen beisammen saßen und Luftschlösser bauten.„Du mußt Spengler lesen, um zu er- kennen, wie sehr das westlich« Abendland verraten und verkauft ist." sagte Sommerschuh,„die ganze knarrende, schon etwas ver- altete Moschine Europa kann mir gestohlen bleiben, ich bin sür den Osten." Er stützt« sein Denkerhaupt in beide Fäuste und starrt« seinen Freund wütend an, als sei der Schuld an dem Drama unseres Erdteils. Eine Frau soll ihrem Manne beistehen, also stand jetzt Lisette ihrem Sommerschuh bei und sagte:„Gut, wenn es sein muß. ich fahre mit, wohin soll also die Reife gehen?" Von einer Reise war an diesem Abend überhaupt nicht die Rede gewesen, ober Springer und Sommerschuh als alte Tippelbrüder griffen die Idee mit ollen vier Händen auf, und auch Clara, die mehr kluge als schöne Frau von Springer war dafür, denn sie hatte Von Zantens„Glückliche Zeit" gelesen und war überhaupt nicht für Berlin . Also kurz und gut, so um Weihnachten herum begann die Reise ins Hube- kannte mit dem Rotorschiff der Phaittasie. In den nächsten Wochen und Monaten ratterten die Windmaschinen ungeheuerliche Pläne in abendlichen und auch manchmal morgendlichen Gesprächen. Und als die Zeit erfüllet war, dos heißt kurz vor Pfingsten, da fuhren die Freunde mit ihren Frauen auch wirklich los. Sommerschuh und Springer waren Schriftsteller und hatten den löwenhaften Mut junger Menschen, und dann hatten sie in den letzten Wochen und Tagen sieben Gedichte, drei Skizzen und zwei wirtschaftlich« Artikel verkauft und außerdem noch zwei kallblütige Anleihen gemocht (finanzielle natürlich nur). Die Reis« selbst begann nun an einem Morgen halb acht Uhr van Berlin quer durch die gesegnete Mark Brandenburg in das schöne und sture Land Pommern und endete am selben Tag spät in der Nacht in einem kleinen und verlassenen Nest an der Ostsee . Die Reise war da» Schönste. Die vier Leute kamen aus dem Steinhaufen Berlin , und zwar von da, wo er am wüstesten ist, wo
die Häuser nur noch getürmte Pyramiden des Elends sind und die kleinen Kinder wie an den Strand geschleuderte Fische wimmeln» aber nun gab es richtigen Himmel und grüne Bäume und in den wetten Wiesen weidende Kühe und Pferde. „Hebe deine Augen aus," begann Sommerschuh zu rezitieren. denn Springer hatte sich als richtiger Stadtmensch in einen Berg Zettungen vergraben. Springer hob die Augen auf, er öffnete auch den Mund, aber nur, um zu fragen:„Warum hat die Standard Ott Companie...?" Wetter kam er nicht, denn Clara ließ keine weiteren Fragen zu, ihr selbst drückte eine Frage bald das Herz ab, und zwar diese Frage, warum die pammerschen Kühe alle schwarz und weih sind. Sommerschuh mischte sich wieder ins Gespräch und wieder mit einein Zitat:„Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen, Clara," sagte der unglückliche, von der Literatur unheilbar verpfuschte Mensch. .Was verstehst du Ochse von pommerschen Kühen," maulte nun Lisette, denn sie verstand etwas von Kühen und war vom Land. Das war derb und deutlich, aber Lisette konnte und durste sichs leisten, sie hatte schon der! Jahre Ehe und Wehe hinter sich und liebte auch sonst«in unverdorbenes Deutsch. Die Fahrt verlief unter diesen und ähnlichen harmonischen Gesprächen und endlich wurde auch Greifenberg erreicht. Die schöne Stadt bestand an diesem Tag nur aus weithin wehenden schworzweißroten Fahnen und blühenden Kastanienbäumen, denn das stolze Retterregiment Nummer sieben weiht« das Denkmal für das„Unbekannte Pferd" ein und Clara machte die kluge Bemerkung, daß in Deutschland , wie es scheint, mir die Toten Recht und Ansehen haben und dadurch die Lebendigen eifersüchtig machen und zu immer neuem Krieg und Schlachtentod begeistern. Zur Denkmolsweihe für das arme Tier war nun ein großes Tier erschienen, ein richtiger General, und da jauchzten die Bürger der kleinen Stadt, stülpten die Hüte auf die Köpfe, und an die Männerbrüste steckten sie den ganzen Klempnerladen blitzender Orden und Kreuze. Darum also wehten die Fahnen des Kaiserreichs, darum also war der Stahlhelm und Wichelm der Flüchtige Trumpf. Die Kastanien aber blühten nur, weil es Frühling und Pfingsten war. Die Kleinbahn führte die vier Reifenden nicht mehr allzuweit, sie machte bald schlapp und fuhr erst in vier Stunden weiter—
warum auch eilen— und verweilte an einer Kante lichtgrüner See. Gerade genug, um das Herz mit Wagemut zu erfüllen und jenem Rausch aus alter Zeit, in der die Menschen mit ihren Einbäumen in das wühlende Meer stießen und keinen anderen Kompaß Hollen als eben ihr Herz, am Tag die Sonne und nachts die Sterne. Bach aber verfärbte sich die grüne See, denn über Rügen kam von den dänischen Inseln ein Gewitter hoch, daß die Wellen nur so spritzten, die Kastanien nur so rauschten und die Ausflügler nur so in die stets bereiten und willigen Gasthäuser flüchteten. Als alles unter Dach und Fach war, kam Regen und Donner, und zwischen Regen und Donner fuhren und zuckten nun gelbe und scharlachrote Blitze hin und her. Auch unsere Reisenden standen unter Dach und Fach, und als das Unwetter verrollt und verrauscht war, wanderten sie nach der schmalen Mole an der See und sahen verspätete Fischerboote mit schrägen Segeln nach dem Hafen sausen. Dann kam die Dunkel- hcit und mit ihr der kleine Zug, das rührende Bähnchen. Die Fahrt ging durch nachtschwarze Buchenwälder. In den niederen Wagen aber kam der Rest vom Schützenfest: tapfere Stahl- Helme und Wcrwölfe, die kein Schulmeister beugen kann(siehe Morgenstern!), die aber trotzdem kein Rätsel bleiben, wenn man sich die Ruhe nimmt, nur zmci Minuten in ihren Gesichtern zu lesen. Einer von ihnen übergab kurz vor dem Ziel nicht sein opferbereites Herz, nein, das nicht, aber dafür die Quelle schwarzweißroter Be- geisterung von Greisenbcrg, diverse Bicre und Schnäpse, von denen er artig rülpsend behauptete, sie seien nur ein Glas verdorbener Fleischbrühe. Der Fischer Wittekopp stand am Bahnhof und erwartete Springer und Clara, die Mutter Wtttetopp begrüßte die Gäste mtt einem Knicks und weißen Fliederbüschen auf dem Tisch und vor dem strohgedeckten Haus blühten die väterlichen Kastanien. Für Sommerschuh und Lisette war kein Mensch an der Bahn und Lisette nahm das wiederum als einen Beweis für die Bosheit der Welt. ober als sie in dos Dorf kamen und an das Haus klopften, wurde ihnen doch eine Tür aufgetan und ein Bett zur Ruhe bereitet. Und so endete der erste Tag. Und am zweiten Tag sahen die vier- Menschen mit sich und der Welt versöhnt und fröhlich außerdem die grüne See.