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Abendausgabe

Nr. 345 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 170

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Vorwärts

Berliner   Dolksblatt

10 Pfennig

Sonnabend

24. Juli 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

England und die deutsche   Abrüstung. Eine bedeutsame Tagung.

Nur noch geringe Differenzen. Gute Aussicht auf Einigung.

Paris  , 24. Juli.  ( WTB.) Havas verbreitet folgende Mit­teilung aus London  : Jn gutunterrichteten englischen Kreifen ift man der Ansicht, daß die deutsche Regierung, obwohl die Durchfüh­rung der Entwaffnung Deutschlands   auf gutem Wege ist ( andernfalls würden die Alliierten sich um den Eintritt Deutsch­ lands   in den Völkerbund gar nicht bemühen), die interalliierte Mili­tärkontrollkommiffion in gewissen Fragen noch nicht völlig befriedigt hat; und zwar:

Erstens hinsichtlich der Effektivstärke der Polizei, die fich auf 150 000 Mann belaufe. Die deutsche Regierung möchte eine höhere Zahl haben.

3weitens hinsichtlich des Kriegsmaterials( Ein- und Ausfuhr von Waffen und Munition); in dieser Hinsicht hat Deutsch  . land den Standpunkt der Alliierten noch nicht angenommen. Drittens hinsichtlich der Rekrutierung: Die Alliierten würden weitere Bürgschaften hinsichtlich der Aufhebung der Reserveregimenter fordern.

Biertens hinsichtlich der Zusammensetzung des großen Generalstabes.

Das find die wesentlichen Fragen, in denen Deutschland   die Alliierten noch nicht befriedigt hat. Sie bilden übrigens den

Poincarés Pläne.

Erledigung der Finanzgeseze bis zum 10. Auguft. Paris  , 24. Juli.  ( TU.) Das Kabinett hat schon gestern seine Beratungen über die Regierungsertlärung auf genommen. Poincaré   wird sofort nach ihrer Berlesung am Diens tag die Finanzpläne in der Kammer zur Beratung stellen. Wahr­fcheinlich wird er sich jeder Interpellation widersetzen und die Ab­stimmung nur über die Gesamtheit der Geseze zulassen. Die Gesetzentwürfe erstreden sich auf eine Abänderung der gegen wärtigen Steuern und auf die Schaffung neuer Abgaben. Die Re­gierung ist der Ansicht, daß es gelingt, in zwei Wochen die Pläne zur Annahme zu bringen, so daß etwa am 10. August das Schließungsdekret, das die Rammer in die Ferien schickt, verlesen

werden fönnte.

Wie das Journal" mitteilt, hat Poincaré   die Absicht, einen

Gefeßzentwurf einzubringen, durch den die Wahlperiode der beiden Barlamente um zwei Jahre verlängert wird. Diese Maßnahme soll den 3wed haben, während drei bis vier Jahren eine Zeit der inneren Ruhe für den finanziellen Wiederaufbau zu schaffen.

Die Aufnahme des Kabinetts.

Paris  , 24. Juli.  ( EP.) Die Bresse gewährt dem neuen Rabinett im allgemeinen eine gute Aufnahme und hofft, daß es ihm gelingt, das Vertrauen in den Staatskredit wiederherzustellen und so den Franken vor dem Verfall zu retten. Die Links presse macht zahlreiche Borbehalte, scheint auch der Auf­faffung zu sein, daß das Kabinett nur so lange existenzbe. rechtigt sei, als die Finanztrise andauere, und daß es wieder verabschiedet werden müsse, sobald die Notlage überstanden sein wird. Diese Auffassung wird besonders vom Quotidien" ver­Die treten, der den Prinzipien des Kartells treu bleiben will. ,, Ere Nouvelle" spricht von einem Ministeriumdes Franten, das nur existenzberechtigt sei, wenn es ihm gelingen werde, die nationale Währung zu retten. Obwohl die Regierung außerhalb der Parteien begründet sei, dürfe fie feine Maßnahmen ergreifen, die vom Parlament nicht gutgeheißen würden. Am abfälligsten in ihrem Urteil ist die Bolente". bas Organ Caillaug. Sie glaubt nicht, daß so verschiedenartig orientierte Männer auf die Dauer fich vertragen fönnen. Es könne darum nicht von einem Ministerium der nationalen Einigung gesprochen werden. Man habe nicht eine Regierung, sondern einen Turm von Babel.

Interessant ist, daß das reaktionäre ,, Echo de Paris", das die Rück­fehr Poincarés zunächst bejubelt hatte, in der Hoffnung, daß er ein vorwiegend rechts gerichtetes Ministerium bilden würde, nunmehr seiner Enttäuschung über die Zusammensetzung des Rabinetts unverhohlen Ausdrud verleiht.

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| Gegenstand von Erörterungen zwischen der Militärkontroll­fomiffion und der deutschen   Regierung. Man läßt hier durchbliden, daß diese Berfehlungen Deutschlands   nicht als ernst angesehen werden und daß aller Anlaß vorliege, auf eine be­friedigende Regelung zu einem mehr oder weniger nahen Zeitpunkt zu rechnen.

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Anmerkung des WTB.: Die Auffassung, daß es sich in der Frage der deutschen   Abrüstung jezt lediglich noch um die 2bmidlung technisch militärischer Ange legenheiten handle, entspricht auch der hiesigen Ansicht über die wenigen noch nicht restlos erledigten Punkte der Entwaffnungsnote der Botschafterkonferenz vom 4. Juni v. J. Darüber wird zurzeit sowohl in Paris   als auch zwischen der Interalliierten Militärkontrollkommission und den in Frage kommenden deutschen   Stellen verhandelt. Hierzu gehören auch die in der Havasmeldung angedeuteten Punkte, wobei zu bemerken ist, daß es sich auch hier nur noch um Erledigung einiger technischer Detailfragen handelt. Es besteht alle Aussicht, daß all diese Fragen ohne größere Schwierigteiten bereinigt werden können.

In der Morgenausgabe des Tag" vom 23. Juli berichtet nun der Herr v. Heimburg  , der übrigens stets bemüht ist, mit den französischen   Nationalisten zu liebäugeln, über die Aus= schreitungen, die in den letzten Tagen gegen Ausländer in Paris   vorgekommen sind. Dazu schreibt er nun:

Zum dreißigsten Deutschen   Krankenkassentag.

Der Hauptverband deutscher Krankenkassen hält seine dies­jährige Tagung am 25. und 26. Juli in Düsseldorf   ab. Er ist die größte Krantentassenorganisation Deutschlands  ; rund 1580 Krankenkassen mit weit über 10 Millionen Mitgliedern gehören ihm an.

Die eigentlichen Grundpfeiler der Volksgesundheitspflege find die Krankenkassen. Es ist deshalb kein Zufall, daß die diesjährige Tagung in Düsseldorf   stattfindet, empfängt doch diese Stadt gegenwärtig ihr besonderes Gepräge durch die große Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen. Wir haben bereits auf die Beteiligung des Hauptverbandes deutscher Krankenkassen an dieser Ausstellung hingewiesen, die den Millionen Besuchern der Gesolei" das Wirken der Krankenkassen im Dienste der Volksgesundheits­pflege in eindringlicher Weise vor Augen führt.

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Neben der Erledigung geschäftlicher Dinge sind es die großen Fragen der Gesundheitsfürsorge und die Probleme der internationalen Sozialversicherung und ihrer Triebfräfte, die der diesjährigen Tagung das besondere Gepräge geben.

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Der Reichstag hat im vergangenen Jahre ein Gesetz an= genommen, das den Reichsarbeitsminister ermächtigt, Richt­linien über Heilverfahren und allgemeine Maßnahmen zur Berhütung von Berufsunfähigkeit und zur Hebung der gesundheitlichen Verhältnisse der versicherten Bevölkerung zu erlassen. Es soll dadurch das Zusammenwirken der Träger der Reichsversicherung untereinander und mit den Trägern der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege in all diesen Fragen sichergestellt werden. In dieses Gebiet gehört vor allen Dingen der Vortrag des Ministerialrats Dr. Zschimmer vom Reichsarbeitsministerium über: Gesundheitsfürsorge Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß einmal festgestellt durch Arbeitsgemeinschaften der Sozialversiche= werden, daß es insbesondere die sozialistische Presse war, die durch aufreizende Artikel ihre Leser gegen dierungsträger." Im gewissen Zusammenhange damit steht auch das vom Verwaltungsdirektor Köhn zu behandelnde Thema: Fremden, insbesondere gegen die Amerikaner und Engländer, auf- Das Frühheilverfahren in der Unfallversicherung." hezte. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn gerade auf dem Die besonderen Aufgaben der Krankenkassen auf diesem Montmartre, dem Pariser Hauptquartier der So= zialisten, derartige Szenen sich abspielen. Gebiete behandeln die Vorträge von Dr. Zehden( Berlin  ): Bekanntlich befizt die sozialistische Partei in Paris   über Bäderfürsorge für Kaffenmitglieder", Professor haupt feine Tageszeitung. Schon das allein fennzeichnet Dr. Wichmann( Hamburg  ): Die elektro- physikalischen Heil­die faust dide Lüge, die in dieser Behauptung des Herrn methoden im Dienste der Krantenversicherung", Professor v. Heimburg   liegt. Das der Montmartre das Hauptquartier der Dr. med. Klein( Jena): Die Wissenschaft vom franken Sozialisten" ist, ist eine einfach groteste Unterstellung. Die Be- Menschen und das Naturheilverfahren" und nicht lästigungen von Fremden haben sich übrigens auch auf den Boule- zuletzt die beiden Vorträge von Professor Dr. Schloßmann vards bzw. in der Nähe des Luxembourg- Gartens auf dem linken( Düsseldorf  ) und Verwaltungsdirektor Strübig( Hamburg  ) über Seineufer ereignet, also in Gegenden, die durchaus teinen sozia- Rinder fürsorge unter Mithilfe der Krankenkassen." listischen, sondern umgekehrt einen spießbürgerlich- reat. tionären Charakter haben.

Daß gerade die Sozialisten eine Fremdenheze betreiben sollten, ift an sich eine finnlose Behauptung. Wir fordern die Hugenberg. Bresse auf, auch nur eine Zeile aus einem sozialistischen   Organ ab­zudruden, die so gedeutet werden könnte. Das wird sie schon des­halb nicht tun fönnen, weil, wie gesagt, die Sozialisten in Paris  gar feine eigene Presse besitzen.

Sächsische Landtagswahlen.

Am 24. Oktober. Dresden  , 24. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Die sächsischen andtagswahlen sind nunmehr endgültig auf den 24. Ottober anberaumt, während die Gemeindewahlen am Der alte Landtag wird am 14. November stattfinden werden. 20. September noch einmal zu einer furzen Tagung zusammen­treten, vor allem, um einige Bestimmungen der Wahlordnung neu treten, vor allem, um einige Bestimmungen der Wahlordnung neu zu regeln.

Hakenkreuzler überfallen Studenten. Nächtliche Rüpelszenen.

Bonn  , 24. Juli.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Borsigende des Deutschen Republikanischen Studententartells, Referendar Walter Kolb  , und der Generalsekretär Roeberlin( München  ) wurden Der Frankenkurs hält sich. in der vergangenen Nacht zwischen 11 und 12 Uhr im Hofgarten Die Besserung des französischen   Franken hält weiter an. In zu Bonn   auf dem Wege zum Bahnhof von Hakenkreuzlern London   zahlte man heute vormittag für 1 Bfund Sterling 199 überfallen, beschimpft und mißhandelt. Gegen den An­Franken gegen 205% Franken an der gestrigen Londoner   Nachführer, einen rechtsradikalen Weinhändler aus Zeltingen  ( Mosel  ), börse. Der belgische Franten schließt sich dieser Bewegung an und ist Strafantrag gestellt. notierte in London   196 gegen 201 an der gestrigen Nachbörse.

Rundgebungen gegen Ausländer in Paris  . Paris  , 24. Juli.  ( WTB.) Gestern abend ist es auf den Boule. vards an den Abfahrtstellen der Kraftwagen, die Nachtrund fahrten in Paris   mit Ausländern veranstalten, zu feind. lichen Rundgebungen der Menge gekommen. Die Kraft wagen wurden mit Rufen und Pfeifen empfangen. Die Polizei mußte eingreifen, um die Menge zum Auseinandergehen zu ver­anlassen.

Eine Hugenbergsche Schmutzerei.

Seit einigen Monaten vertritt in Paris   ein ehemaliger Offizier, Werner v. Heimburg, die Hugenbergpresse und zeichnet sich dabei durch eine ebenso ignorante wie tendenziöse Berichterstattung aus. Er hat sich übrigens schon solche Tatt losigkeiten auch gegen die deutsche Botschaft geleistet, daß der deutsche Botschafter v. Hoesch jeden Bertehr mit ihm ab lehnt. Für den Vertreter eines nationalen" Blätterverlages eine ge angenehme Auszeichnung!

Preußisch- medlenburgisches Schulabkommen. Wie der Amtliche Preußische Breſſedienſt auf Grund eines Erlaſſes des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mitteilt, ist mit dem medlenburg- schwerinschen Ministerium für Unterricht in Schwerin  an Stelle der Vereinbarung vom 18. Juli 1920 eine neue Verein barung dahin getroffen worden, daß bei dem im Laufe eines Monats erfolgenden Uebergange eines Schülers von einer medlen burgischen auf eine preußische höhere Lehranstalt und umgekehrt für diesen Monat nur einmal, und zwar an der ersten Anstalt, das Schulgeld zu erheben ist.

Beseitigung von polnischen Militärattachés. Der Ministerrat hat auf Antrag des Ministers des Aeußern Baleffi und mit Zustimmung Pilsudskis bei den Gesandtschaften in Berlin  , Rom  , London  , Mostau, Tofio und Reval die Posten der Militärattachés aufgehoben.

Berbot des Religionsunterrichts in Merito. Die merikanische Regierung hat den Religionsunterricht in den Schulen verboten, da die Briefter den Unterricht zu staatsfeindlichen Umtrieben benutzt

hätten,

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Man kann bei der Erörterung dieser Fragen nicht still­schweigend an der Tatsache vorübergehen, daß die bei­ipielloje 3ersplitterung der deutschen   Sozialver­ficherung die Inangriffnahme dieser großen sozialhygienischen Aufgaben auf Schritt und Tritt hemmt und sie mit einem überflüssigen Verwaltungsaufwand belastet, der besser für die eigentlichen sozialhygienischen Maßnahmen Berwendung fände. Noch immer warten wir vergeblich auf die so notwendige Neuordnung der Sozialversicherung und leider sprechen feinerlei Anzeichen dafür, daß in absehbarer Zeit damit zu rechnen ist. Im Gegenteil: die bürgerliche Mehrheit des Reichstag   geht den entgegengesetzten Weg, wie das wieder einmal die Borgänge bei der Verabschiedung der Novelle zum Reichsknappschaftsgesetz gezeigt haben. Das steht ganz offenkundig im Widerspruch zum Artikel 161 der Reichsverfassung, der bestimmt, daß zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maß­gebender Mitwirkung der Versicherten schaffen soll.

Die Notwendigkeit eines umfassenden, d. h. einheit lichen Versicherungswesens entspringt der einheitlichen Aufgabe aller Zweige der Sozialversicherung: Schaden zu Derhüten und Schaden eingetretenen Es besteht deshalb zu vergüten. fein innerer Grund für eine notwendige Trennung in Krankenversicherung  , Unfallver­ficherung, Invalidenversicherung, Angestelltenversicherung und Knappschaftsversicherung. Man übertrug, worauf einer der besten Kenner der deutschen   Sozialversicherung, Profeſſor Dr. Walter Kastel, schon hinwies, aus dem Bereich der Brivatversicherung die Abgrenzung einzelner Versicherungs­fälle auf die Sozialversicherung. Die Folge davon sind zahl­lose und schwierige Entscheidungen darüber, wann eine Krankheit, ein Betriebsunfall, Invalidität oder Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes vor= liegt, Entscheidungen, die doch nichts weiter als geistreiche Spielereien sind, die auf dem Rücken der Versicherten aus­getragen werden und eine ungeheure Verwaltungstätigkeit bedingen.

Diese Trennung ist nur möglich, weil man sich keine Rechenschaft über Wesen und Ziel der Sozialversicherung gibt.. Noch verhängnisvoller ist jedoch die 3ersplitterung in der Krantenversicherung. Es gibt 2524 Orts tranfenfassen, 496 Landkrankenkassen, 4559 Betriebskranken­tassen, 886 Innungstrantentassen, 123 Knappschaftsfranken­faffen und 46 Ersagtassen, insgesamt also 8634 Krankenkassen! Bei einer solchen Zersplitterung müssen die sozialhygienischen Aufgaben leiden. Die Richtlinien zur Sicherstellung einer Gemeinschaftsarbeit der Sozialversicherungsträger auf diesem Gebiete dürfen deshalb nur eine Uebergangsmaßnahme sein; die eigentliche Aufgabe muß darin bestehen, durch Vereinheit