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l. Seilage öes Vorwärts
voanerstag, S. August 1Y 2b
Im Jahre 188? erschienen auf einer Ausstellung in Hanno» v e r die ersten deutschen Schäferhunde. Bis dahin hatte der Schäferhund, der sich durch seine Arbeit bei der Herd«, besonders in Nordwestdeutschland , in der Rasse gut erhalten hatte, keine sonder- lichen Lorbeeren geerntet. Weit vornehmer als er schien dem Hunde» liebhaber die englische oder«gentlich mehr die schottische C o l l y- F o r m. Noch um 1300 war der Schäferhund in Form und Farbe von dem heutigen Typ sehr verschieden. Es gab da- mals rote, graubraun geströmte, gefleckte Hunde, vielfach sogar mit weißer Halskrause— Farben, von denen man heute nichts mehr wissen will. Aber nachdem man eine Zeitlang diesen Hund nur aus Adel gezüchtet und dadurch vielfach stark überzüchtet hatte, knochenschwache und nervöse Tiere aus den Markt brachte, ist man allmählich wieder zu dem etwas gröberen, dafür aber auch mehr leistungsfähigen Herdentyp zurückgekehrt. In der Tat werden heute die guten Zuchthunde auch wieder zur Arbeit bei der Herde oder aber als Polizei», Dienst», Sanitöts- oder Blindenführ- Hunde gebraucht. Ueber Sie Züchtung. Den Anfang machte der Polizeihund, auch Diensthund genannt. Schon jahrelang vor dem Kriege wurden in der Staat» lichen Zucht» und Dressuranstalt. Grünheide i. M., Diensthunde gezogen und abgerichtet. Einer der besten Hunde, die ich gesehen habe, war der Schäferhundrüde.F r a d', den der jetzige Polizei- oberjekretär B ö t t g e r besaß und dressiert hat. Auch sein zweiter Hund»Lui* gehörte zu den erstrangigen Polizeihunden. Böttger war lange Zeit der Gehilfe des rühmlich bekannten Polizeimannes Wilhelm G o t t s ch a l k, besten bei I. Neumann in Neudamm er» schienenes Buch.Der Polizeihund* ich jedem empfehlen kann, der tun« Dresturanleitung für sein Tier braucht. Gottjchalks Ansichten über die Erziehung des jungen Huntes sind besonder» interessant, er sagt, daß er bei seiner Art der yundehallung im Laufe von dreißig Jahren nur einen einzigen Fall von Staupe , der noch dazu in drei Tagen ohne Folgen vorüberging, zu verzeichnen gehabt Hab«. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß, wie jede Sache, so auch da» Halten von Tieren und speziell H u n» den gelernt sein will. Wer ohne Anleitung Hunde hält oder gar groß ziehen will, wird viel Lehrgeld bezahlen und mehr A e r g e r als Freude an seinem Tier haben. Ttof der Jährte. lieber die Tätigkeit des Polizeihundes hat lange Zeit der Streit gelobt und es ist auch heute noch n i ch t e n t s ch i e d e n: ob sich
der Hund, speziell der Schäferhund, nur zum Dienst- und Begleit- Hund eigne, der Verbrecher stellen, oerbellen, seinen Herrn beschützen und den Uebeltäter transportieren helfen soll, oder ob, als zweite und wichtigere Tätigkeit des Hundes, die Verfolgung des ver- brcchers. fein Aufspüren auf der menschlichen Jährte gelten soll. Der frühere Leiter der Zuchtanstalt in Grünheide , Haupt» mann M o st, hat sich mit großer Entschiedenheit dahin ausgesprochen, daß die sogenannte"Nascnarbeit des Hundes, d. h. die Verfolgung des Verbrechers auf seiner Jährte im großen und ganzen nichts als eine schöne Sage sei. Er ist der Meinung, der Hund sei nach kurzer Zeit nicht mehr imstande, die Fährte des Berbrechers zu halten und besonders sei es ihm ab» solut unmöglich, die Fährte eines Menschen au» der vieler anderer, der Witterung noch, herauszufinden. Ohne in dieser Frage, die z. B. von dem erwähnten Obersekretär Böttger in ziemlich ent- gcgengesetztem Sinne beantwortet wird, Stellung zu nehmen, glaube ich nach meinen eigenen Erfahrungen als Dresseur sagen zu können, daß die Jäh'.gkeit zu wittern bei verschiedenen Tieren ein und derselben Rasse durchaus unterschiedlich ist. Daß es ferner nicht allein darauf ankommt, wie die Nase des Hundes arbeitet, sondern daß im wesentlichen durch den mehr oder minder starken Intellekt der Hund erst imstande ist, die ihm durch seine Nase ver- mittelte Fährtenkenntnis zu verwerten. Die Schwierig» k e i t bei der Arbeit des Fährtenhundes scheint mir besonders in dem sogenannten.Witterunggeben* zu liegen. Las be- deutet nämlich: den Hund dadurch, daß man ihm den Gebrauchs- gegenständ irgendeines fremden Menschen, der von hier aus fortge- gangen ist, vor die Nase hält, daraus hinzuweisen, daß er nun diesem fremden Menschen auf besten Spur n o ch f o l g e n, ihn st e l l e n und fe st halten soll. Man darf auch nicht verkennen, daß es mit der, von irgendeinem Menschen hinterlastenen Fährte seine eigene Bewandtnis hat. Diese Menschfährte oder-Spur enthalt doch wiederum die zurückgelassene Witterung de» Davongegangenen, und diese Witterung besteht aus einer Anzahl sogenannter Dustmole. küle, die an der Fährte haften bleiben. Diese Duftmoleküle— von denen z. B. ein winziger Tropfen Parfüm Millionen und aber Millionen um uns verbreitet— sind außceordentlich erregbar und flüchtig. Der Chemiker bindet sie an irgendeine Flüssigkeit, z. B. Alkohol, und der hält sie fest, bis beim Z e r st ä u b« n der Alkohol verdunstet und das Molekül emporschwebt. Di« Dustmoleküle der Menschenwitterung, die der Atmung des Körpers und der Schweißentwicklung entstammen, schmiegen sich an und halten vielmehr fest an feuchtem Grase oder weichem Sandboden, als z. B. am harten, trockenen Stein. So wird draußen in der freien Natur einem flüchtigen Menschen die Hundenase leichter folgen können, als in der staubigen Stadt: insbesondere auch des- halb, weil das Duslmolekül der Spur um so leichter vergehen muß. jemehr Iüße, Räder oder sonstige Dinge darüber hinweggegangen sind. Im K r i e g e hat der Schäferhund seine schönste Arbeit geleistet. Der„Deutsche Verein für Sonitätshunde* hatte aus kleinen Anfängen heraus, durch die Opferwilligkeit der Heimat wunder- voll unterstützt, zuletzt zirka viertausend Hunde in» 5eld gestellt, deren Aufgabe es war, die von den Sanitäiern nicht aufgefundenen, zum Teil oerschütteten, und so sicherlich verlorenen Verwundeten auszuspüren. Es sind auf diese weise mehr al» zehnlausend unserer Soldaten vor einem elenden Ende bewahrt worden. Und als der Krieg zu Ende war, da fand sich abermals ein neuer schöner Berus für unseren Schäferhund: er wurde zum Füherer erst der Kriegsblinden und nun der Nicht» sehenden überhaupt. Wieder war es der Deutsche Verein für Sonitätshunde. der mit großer Energie und�Opferwilligkeit voranging und dem alsdann auf diesem Wege die Schäferhundoer- eine, die Polizeihundvereine, der Blindenverband, gefolgt sind.
Züchtervereine.
Der V'eretn für Deutsche Schäferhunde, dessen Leiter und erster Vorsitzender, der Rittmeister v. S t e f a n i tz, sich große Verdienste um die Schäferhundsache erworben hat, ist ein- geteilt in 250 Ortsgruppen bzw. Landesverbände. In Groß-Berlin gibt es sechs Ortsgruppen: Berlin , Neukölln , Lichtenberg , Pankow , Weißens«« und Wannseebahn . Seine Hauptgeschästsstelie hat der Verein in G r ä f r a t h in Oberbayern . Der Vorsitzende der Ortsgruppe'Berlin-Lichtenberg ist(für Interessenten) Herr Meißner, Berlin O. 112, Müggelstraße 25. Während sich der Ver- ein für Deutsche Schäferhunde so zu einer machtvollen Institution auswuchs, tonnte es, der deutschen Eigenbrötelei entsprechend, nicht ausbleiben, daß noch ein zweiter Verein„Deutscher Schäfer. Hund* gegründet wurde, der in manchen Dingen zu dem alten Verein in Gegenstellung trat. Ich und andere Freunde der Sache sind der Ansicht, daß es an der Zeit wäre, sämtliche Schäferhund» verbände(es gibt auch einen Leipziger ) zu einer großen Organisation zusammenzuschließen. Warum der Schäferhund! Es muß auffallen, daß für alle die vielen Funkttonen und. Dienste, die hier vom Hunde gefordert werden, es immer wieder die Schäferhundrasse ist, die man besonders bevorzugt. Man hat im Kriege vielsach Versuche mit den englischen Ayredal« und mit dem deutschen Dobermannpinscher gemacht. Leide» sind ausgezeichnete Hunde, haben aber ein unbändiges Feuer und sind schwer wildrein zu machen. Trotzdem hat man sie, sowohl als Sanitätshunde wie besonders als Meldehunde, im Kriege häufig benutzt. Zum Blindenhund eignet sich auch der im Kriege ebensalls erprobte Rottweiler, eine Art Metzgerhund mit viel In- telligenz und mehr ruhigen, Temperament. Der Schäferhund selbst besitzt aus seiner ihm durch Jahrtausende angezüchteten Wächter- cigenschast bei der Herde im hervorragendem Maße die Eiguuug. dem Menschen in dessen nächster Nähe zu dienen. Er ist sehr a n- h ä n g l i ch und treu und hat eine andere Rassen überflügelnde Durchfchnittsintelllgenz. Auch paßt er sich den ihm umgebenden Derhältnisten leichter an. * Wo immer Hundeausstellungen sind, findet man den deutschen Schäferhund in erster Reihe. Aber in Frankreich und auch in Eng- land heißt er vorläufig immer noch„E l s ä s s e r Hund*. Wir wollen hoffen, daß sich dort wie auch hier bei uns solch kleinliche Anschauungen bald verlieren werden. Hans Hyan .
� Die Sigurantin. Roman eines Dienstmädchens von Leon Jrapiä. Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Kunde-Grazia. Sulette eilte bestürzt, errötend, als wäre sie persönlich beschimpft, hinaus.. Sie erwachte am anderen Morgen mit einem üblen Ge- schmack im Munde, beeilte sich, aus ihrem stickigen Schlafraum herauszukommen und am Küchenfenster Atem zu schöpfen; aber es kam vom Hof nur eine verbrauchte Luft. Uebrigens hatte sie nicht die Zeit, sie zu genießen: man rief bereits: „Marie, kommen Sie die Kinder waschen!" Ein schaler, widerwärfiger Geruch erfüllt« die kleine, durch einen Bettschirm geteilte Kammer. „Ich verbiete Ihnen, das Fenster zu öffnen!* schrie Madame.„Sie wollen sich wohl erkälten? Sulette näherte sich dem Bett der Kinder und nahm sie in die Arme. „Ohl" sagte die Mutter trocken und hatte dabei das Lachen einer Person, die sich mit Heucheleien nicht anführen läßt,„die Kinder bedürfen Ihrer Zärtlichkeit nicht. Seien Sie bloß höflich und gefällig gegen sie." Sulette preßte die Lippen zusammen und schlug ihre großen Augen entmutigt nieder. Neben ihr zeigte die Gnädige einen von Unfällen heimgesuchten Morgenrock: die feuchten Strümpfe der Kleinen lagen breit auf einem Stuhl: der Herr schlürfte mit schmierigen Zeugschuhen im Nebenzimmer herum: die ganze Familie hatte ein erdfahles Aussehen. Sulette sah sich rosig und sauber in einem Spiegel: sie ahnte es. daß ein Nasse- unterschied sie von ihren Gebietern trennte und noch etwas anderes sie in Widerspruch zu ihnen setzte. Sie schienen unter dem Eindringen des Mädchens in den zu engen Raum zu leiden. Aber warum hatte man sie dann gemietet? Um zehn gab ihr die gnädige Frau den Defehl, die Küche gründlich zu scheuern. Sulette band über ihren Unterrock grobe Leinwand und wusch kniend, im Schmutz bis über die Ohren, die Steinplatten ab. Um elf befahl Madame:„Seien Sie bereit, in fünf Minuten mich in tadelloser Kleidung auf den Markt zu begleiten. Haben Sie darauf acht." Gerötet, atemlos, kaum abgetrocknet, ging Sulette, einen großen Korb am Arm, die Treppen hinab. Auf dem Steig ivendete sich die Frau nach ihr um:„Nehmeu Sie«in
ruhigeres Wesen an: ich sagte Ihnen, Sie sollen einen tadellosen Eindruck machen... und gehen Sie neben mir, so daß man sieht, Sie begleiten mich.... Es ist überflüssig, zu pusten, wenn man einen leeren Korb trägt." Der Markt war halb zwölf zu Ende. Bis zum letzten Augenblick feilschte Madame vor den Auslagen, ohne etwas zu kaufen. Mit deni Glockenschlag erstand sie drei übrig- gebliebene Heringe. Sie fragte ausdrücklich nach nicht mehr ganz frischem Salat und Kohl, wie wenn es für ein nicht sehr wählerisches Haustier bestimmt wäre: ,J)aben Sie nichts Welkeres?" Je näher sie dem Haufe kamen, um so mehr schwoll ihr Stolz an: „Halten Sie sich gerade, Mari«: lernen Sie ein vorteil- Haftes Benehmen wahren. Tragen Sie Ihren Korb nicht so gleichgültig." An diesem Tage lernte Sulette, wie man Gemüse behandelt, um den verwelkten Zustand nicht merken zu lassen. Sie aß nicht ihrem Hunger entsprechend. Die Gebieter begannen zu schelten. Aha. dachte sie plötzlich, sie grollen mir, weil ich ihren Teil verringere; aber warum haben sie mich genommen? Am Abend, zur Zeit nachlassender Energie, wo es scheint, als brauche man die Stütze der Umgebung, um sich dem Schlummer zu überlassen, zur Zeit familiärer Zärtlichkeit, wo man unwillkürlich das Fazit schützender Liebe zieht, sah sich Sulette einsam, verloren unter einem fremden Dache. Infolge des Mangels an bekannten lieben Gesichtern wollte sie sich zu materiellen Annehmlichkeiten flüchten und begegnete nichts Vertrautem, als der zerbeulten Kanne, dem kleinen schmierigen Tische. Beim Auskleiden konnte sie die Enge und Häßlichkeit ihres Schlupfwinkels würdigen: um ihn noch schmäler zu machen, verbannte man ein schandbares Durcheinander dahin: Holzplanken mit schartig gewordenen Rezipienten und widerlichem Trödel bepackt, waren bis zur Decke hinauf stufenweise aufgebaut. Sie sah sich als ein vom Schicksal verworfenes, selbst von dem Trost der Dinge geschiedenes Geschöpf: eine entsetzliche Leere umgab, durchdrang sie. Völlig verwandelt, nicht einmal im Besitz ihres Namens, kauerte sie sich, die arme Marie, in das kleine, fremde, dürftige, harte Bett. Und ihre Tränen flössen, wie wenn ihre Kindheit, die lebhafte Zuversicht des jungen Dorfkindes, ihre bisherige Persönlichkeit, sich auflösten, unaufhaltsam dahinschwänden, gleichsam als wenn sogar die Erinnerungen das Mädchen im Stich lassen müßten.
Donnerstag entfernte sich Frau Eoton für den ganzen Tag. um Stunden zu geben. Die Kinder und dos Mädchen hüteten das Haus. Vorm Weggehen inspizierte, Frau Eoton, mit Jackett, Hut und Schleier ausstaffiert, in der Küche die Kaffeekanne, die Oelflasche und den Mahlkasten: dann opferte sie seufzend die Butter, die neben anderen kostbaren Lebensmitteln gewöhnlich einen Schrank für sich hatte. Sowie ihre Mutter fort war, rief Fräulein Germaine bei geschlossenen Türen nach Sulette. Diese kam aus der Küche und sah eine kleine, anmaßende, affektierte Person mit kühlem und dreistem Blick, die am Tisch des Speisezimmers faß und ihr mit erstaunlicher Sicherheit sagte: O Marie, man hat Ihnen doch befohlen, niemals im Speisesaal in der blauen Schürze zu erscheinen.... Gehen Sie Schürze wechseln.* Als Sulette sich nicht beeilte, wiederzukommen, schrie Germaine gebieterisch:„Beeilen Sie sich doch! Sie schlafen! Ich habe Sie gerufen, mir meinen Fingerhut vom Boden aufzuheben.... Man sagt: Hier, Fräulein... ich habe „Fräulein* nicht gehört." Sulette war kaum in der Küche, als Gennaine sich auf der Schwelle mit strenger Miene zeigte:„Also, ich ertappe Sie wieder bei einem Fehler: Sie baben nicht unmittelbar Ihre weiße Schürze wieder abgelegt." Rot vor Entrüstung fragte sich Sulette, ab es nicht am Platze.wäre, die Range durchzuhauen. Aber Sie hatte sich nur zu unterwerfen oder eben die Stelle wieder zu verlassen. Welche Bitterkeit bei dieser Feststellung: Germaine gab sich genau über die grausame Alternative Rechenschaft und ihre ganze Kühnheit kam daher. Dieses Kind äffte seine Mutter nach: aber während die Gnädige hauptsächlich dahin zielte, in den Augen der Welt zu herrschen und den größten Nutzen aus dem Dienstmädchen zu ziehen, bemühte sich Germaine, sie zum Vergnügen zu demütigen:„Man mußte die Bettlerin entgelten lassen, daß sie aß und noch Widerstand zu leisten wagte!", Auch der kleine Jacques belästigte das Mädchen, aber er tat es aus unschuldiger Neckerei, während Germaine ihr aus weiblicher Rivalität klasienhaßfeind war. Und die unvermeidliche Wunde, verbandlos, unerträgsich durch ihre feigen und lächerlichen Ursachen, schmerzte um so heftiger, da Sulette bei ihj:em Naturell die Kinder liebte. Ach! wenn sie ihr bloß zugelächelt hätten, all ihre Launen würde sie nachsichtig und selbst diensteifrig gefunden haben. (Fortsetzung folgt.)