Nr. 366 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 188
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Freitag, den 6. August 1926
Der Mord an Helling
Amtlich wird mitgeteilt:
-
Vor den nach Magdeburg entsandten Berliner Kriminalbeamten, Kriminaloberinspektor Dr. Riemann und Kriminalkommissar Braschwitz hat in der Nacht zum 5. August der in der Mordsache Helling verhaftete Schröder, den der Untersuchungsrichter der Polizei zur Verfügung gestellt hatte, das Geständnis ab gelegt, daß er den Buchhalter Helling aus eigenem
Antriebe am 10. Juli 1925 in seiner Wohnung in Groß- Rottmersleben ermordet hat, um sich in den Besitz der von Helling mitgeführten Geldmittel zu setzen. Dieses Geständnis stimmt mit den Angaben überein, welche die in Köln festgenommene silde Göke zuvor den selben Kriminalbeamten gemacht hat.
Die kriminalpolizeilichen Vernehmungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Niederschriften über das bisherige Ergebnis sind dem Untersuchungsrichter durch die Hand des Oberstaatsanwalts in Magdeburg zugeleitet.
Diese amtliche Mitteilung erfolgte wie wir erfahren- nach einer gemeinsamen Konferenz zwischen den maßgebenden Vertretern des preußischen
ein gewöhnlicher Raubmord.
weigert, alle Spuren zu verfolgen. Er hat alle Verhältnisse eines Unschuldigen durchwühlt, aber er hat sich geweigert, den schweren Verdachtsmomenten nachzugehen, die von vornherein gegen einen typischen Verbrecher sprachen, in, dessen Haus die Leiche des Ermordeten gefunden wurde.
Die Liste der Fehler und der Verstöße des Untersuchungsrichters Rölling ist lang. Es erhebt sich die Frage: wie sind diese Fehler und Verstöße zu erklären? Wie kommt es, daß der Mörder Schröder, der sich Kriminalfommissars Tenholt befand, in der Hand des Untersuchungsrichters Rölling und des Ha as beschuldigte, den er nicht fannte? Wer hat den Kriminalkommissars Tenholt befand, den Kaufmann Mörder auf Haas gelentt?
Wie kommt es, daß der Untersuchungsrichter und sein Kriminalkommiffar sich weigerten, den Verdachtsmomenten gegen Schröder nachzugehen?
Diese Fragen führen an Punkte, in denen die Deffentlichkeit dem Verfahren Köllings mit äußerstem Mißtrauen gegenübersteht. Dies Mißtrauen wird nach dem Geständnis Schröders zu schwerwiegendem Verdacht.
Die Nachprüfung dieses Verdachtes so scheint uns- kann nicht die Sache einer Disziplinaruntersuchung, sondern
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Unternehmer- Spitfindigkeiten.
Aus der Geschichte eines Gesetzes.
Die deutschen Unternehmer beherrschen seit jeher die Kunst, durch juristische Spig findigkeiten sozialpolitische. Shuzgesetze zu mißhandeln. Es war deshalb vorauszu= sehen, daß sie ihre Kunst auch an dem vom Reichstage furz vor seiner Bertagung verabschiedeten Kündigungsschußgeset, für Angestellte erproben wurden. Unter dem starken Druck der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion fam dieses Gesetz zustande. Alle Verschleppungsversuche der bürgerlichen Parteien scheiterten infolge des zielflaren und energischen Kampfes der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Wenn heute versucht wird, den Eindruc zu erwecken, als sei der verbesserte Kündigungsich uz das Verdienst der bürgerlichen Parteien, so handelt es sich hier um ein sehr durchsichtiges Manöver. Man will damit die Aufmerksamkeit von der Tatsache ablenken, daß die bürgerlichen Parteien die einstimmigen zu Fall gebracht haben und alle Verbesserungsanträge Beschlüsse des vom Reichstage eingesetzten Unterausschusses der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ablehnten. Dadurch verhinderten die bürgerlichen Parteien einen weiters gehenden Kündigungsschutz für alle Angestellten, fie verhinderten, daß der Arbeitgeber, wenn er fündigt, eine Abgeltung zu zahlen hat und nicht zuletzt verhinderten sie die Rückwirkung des Gesetzes auf den 1. April. das höchste Mißfallen der Unternehmer gefunden. Aber auch das verschlechterte Kündigungsschutzgesetz hat
des Innern. In dieser Konferenz berichteten die Berliner muß die Sache einer friminellen Unter Nachträglich werden die bürgerlichen Parteien gerüffelt. Die
nehmungen.
Mit dieser amtlichen Mitteilung ist der Kriminalfall in Magdeburg geflärt. Es handelt sich um einen gemeinen Raubmord. Das Geständnis liegt vor, der Aburtei lung des Mörders steht nichts im Wege.
Das Geständnis Schröders bedeutet den völligen Zusammenbruch des Untersuchungsrichters Kölling, zugleich den Zusammenbruch der niederträchtigen Hetze, die von der Hugenberg- Bresse und ihren Magdeburger Hintermännern gegen das preußische Innenministerium und gegen den Genossen Hörsing geführt worden ist. Diese Presse hat sich schüßend vor einen gemeinen Raubmörder gestellt, um aus der sträflichen Unfähigkeit und dem Starrsinn des Magdeburger Untersuchungsrichters politisches Kapital zu schlagen. Sie hat den traurigen Mut besessen, das preußische Innenministerium der Begünstigung eines Mörders zu bezichtigen. Ein deutschnationaler Landtagsabgeordneter hat Strafantrag gegen den Innenminister Severing wegen Begünstigung gestellt. Diese Hezze sollte die Autorität des Staates erschüttern. Um dieses Zieles willen hat sie einen gemeinen Raubmörder zu ihrem Schüßling gemacht. Hugenberg- Presse!
Ernster aber als der Fall dieser Pressehehe, die jeder anständige Mensch mit Verachtung beiseite schiebt, ist der Fall Rölling.
Die Aufdeckung des Täters hätte vor sechs Wochen bereits erfolgen fönnen, wenn sich der Untersuchungsrichter Rölling ihr nicht in den Weg gestellt hätte. Er hat statt des Täters einen Unschuldigen verdächtigt. Er hat sich ge
Das polnische Ermächtigungsgeseh.
Der Einspruch des Senats belanglos. Warschau , 5. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Der Staatspräsident hat die Verordnungen über die Aenderung der Verfassung und die Vollmachten für die Regierung unterzeichnet. Damit hat der Streit, der zwischen dem Sejmmarschall und dem Senatsmarschall über die Auslegung eines Artikels der Verfassung entstanden war, sein Ende gefunden. Der Senat verlangte, daß die Erlasse des Staatspräsidenten auch ihm vorgelegt werden müssen, während der Sejm sich dieser Forderung widersetzte. Die Veröffentlichung der Gesetze ist im Sinne der Sejm - Auffassung erfolgt.
Den ersten Gebrauch von diesen Vollmachten stellt der Erlaß des Ausländergesezes durch das Kabinett dar. Das Gesetz bringt eine Reihe von polizeilichen Bestimmungen über Meldepflicht, Personalausweis und dergl., ähnlich den Bestimmungen in den westlichen Ländern. Die Regierungspresse betont ausdrücklich, daß das Ausländergesetz durchaus, liberalen westeuropäischen Charakter habe.
Die deutsch - polnischen Wirtschaftsverhandlungen in Berlin , Teil Niederlassungsrecht, find bis zum Vorliegen dieses neuen polnischen Gesetzes unterbrochen worden. Hat das Gesetz wirklich jenen Charakter, den ihm die Warschauer Regierungspresse zuschreibt, gibt es der Polizei nicht Gelegenheit, ein veriragsmäßig vereinbartes Niederlaffungsrecht praktisch wirkungslos zu machen, so wird es die deutschpolnischen Verhandlungen nicht erschweren, sondern nur fördern- was diefe Rekorddauerverhandlungen nötig haben dürften.
diese Untersuchung in die Wege zu leiten. sein. Es iſt die Aufgabe des Juſtizministeriums,
Es ist anzunehmen, daß Ha as, dessen Haftentlassung Richter Kölling nun selbst verfügen muß, sich bei der Haftentlassung nicht beruhigt, sondern gegen seine Berleumder vorgehen wird.
Das Dunkel über den Mord an Helling ist gelichtet. Jezt gilt es, das Dunkel über den Justizmord an Haas zu nochmals: welche Schritte gedenkt es gegen Kölling zu erzerstreuen. Wir fragen das preußische Justizministerium greifen? Will es in der Oeffentlichkeit immer noch schweigen? Wer hat Kölling vorwärts getrieben?
Das Berliner Tageblatt" richtet folgende öffentliche Frage an den Untersuchungsrichter Rölling:
"
Wir möchten hiermit an Herrn Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Rölling, die Anfrage richten, ob fein Schreiben an den Magedeburger Polizeipräsidenten Menzel vom 30. Juli, in dem er so schwerwiegende Vorwürfe gegen das Landeskriminalpolizeiamt und dessen Beamte richtet, von ihm felber verfaßt oder aber, wofür uns manche Eigenheit des Stils zu sprechen scheint, von dritter Seite verfaßt und Don Herrn Rölling nur unterzeichnet ist. Trifft das Letztere zu, dann möchten wir Herrn Kölling weiter fragen, wer dieses Schriftstück entworfen hat, und wie sich ein solches Berhalten, dessen Charakterisierung sich erübrigt, mit der von ihm sonst start betonten richterlichen Unabhängigkeit verträgt."
Nach dem„, Sozialdemokratischen Pressedienst" richtet sich dieser Berdacht nicht gegen den Landgerichtsdirektor Bewersdorff, auch nicht gegen den deutschnationalen Rechtsanwalt Dr. Martin, die beide genannt wurden, sondern gegen eine ganz bestimmte richterliche Persönlichkeit.
Tilgungskaffe und Tabakgesellschaft. Französische Nationalversammlung am Dienstag. Paris , 5. August. ( Eigener Drahtbericht.) Die Kammer hat mit der Diskussion der Vorlagen über die Tilgungskasse und die Ermächtigung der Bank von Frankreich, ausländische Devisen zur Schaffung einer neuen Manövermasse" aufzukaufen, begonnen. Beide Entwürfe werden aller Voraussicht nach in der Sonnabend figung verabschiedet werden und sofort dem Senat zugehen. Die Sozialisten betonten, daß diese Vorlage einer vertappten 3nflation gleichkomme. Bei der Gestaltung der Tabafgesellschaft wird die Regierung den Vorschlägen des Automobilfabrikanten Citroen folgen. Die sozialistische Partei hat beschlossen, dem gegenüber eine eigene Vorlage durch Abg. Bedouce im Plenum verteidigen zu lassen.
Wenn alles nach Wunsch der Regierung geht, wird Poincaré , wie er am Donnerstag in den Wandelgängen der Kammer erklärte, die Nationalversammlung für Dienstag nach Ver sailles einberufen. Die Regierung wünscht die Diskussion auf das Statut der Tilgungskasse zu beschränken. Die Sozialisten haben demgegenüber beschlossen, der Nationalversammlung einen Entwurf vorzulegen, der die Einschränkung der Befugnisse des Senats verlangt. Renaudel und Pressemane werden Renaudel und Pressemane werden diesen Antrag vertreten.
Die Tilgungskasse beschlossen.
Paris , 5. Auguft.( WTB.) Die Kammer hat mit 425 gegen 140 Stinimen den Gefeßentwurf über die Schaffung einer Amortifationstaffe angenommen.
dels in Hamburg ,, bedauern" es außerordentlich, daß die Fraktionen des Reichstags in dieser Weise die Interessen der Arbeitgeberschaft wahrnehmen. Arbeitgeberschaft wahrnehmen. Der Verband der Tüll= und Spigengroßhändler in Berlin verkündet durch der Rundschreiben seinen Mitgliedern, daß bei Bekanntwerden Arbeiten des Dom Reichstag eingesetzten Unterausschusses besonders vom Großhandel eine starte schreiben haben sich nur wenige Abgeordnete als zuverlässig" Gegenbewegung einsetzte. Nach dem gleichen Runderwiesen; besonders erwähnt wird deshalb der Reichstagsabgeordnete Reinath, der sogar gegen das verschlechterte Kündigungsschutzgesetz gestimmt hat.
Das zeigt, welche hohen Anforderungen die Unternehmer stellen. Der bescheidenste sozialpolitische Fortschritt ist ihnen in tiefster Seele verhaßt. Sie lassen nur den Abbau der Sozialpolitik gelten. Dafür lassen sie sich schließlich den Wahlkampf etwas tosten.
Aus den gesegneten bayerischen Gefilden tönt es noch etwas massiver. Der Verband der Arbeitgeber des B a u- gewerbes für München und der Arbeitgeberverband des Süddeutschen bayerischen Holzgewerbes verfünden in einem gemeinsamen Rundschreiben an sämtliche Mitglieder: Wir haben mit den Spitzenverbänden bei den Regierungen des Staates wie das Reiches schärfsten Einspruch gegen diesen Gesezesantrag erhoben. Die Beschlüsse des Unterausschusses hatten es diesen Bajuvaren besonders angetan. Gegen den Unterausschuß richteten sie folgendes Geschimpfe:
,, Die Angehörigen dieses Unterausschusses für Angestelltenfragen scheinen die letzten Monate tief und fest geschlafen zu haben, oder aber sie sind auf dem Mond oder im Eglfing gewesen, sonst wäre es unmöglich, in der derzeitigen Wirischaftslage solche Beschlüsse zu fassen."
Für den Uneingeweihten sei vermerkt, daß Egising eine Irrenanstalt in der Nähe Münchens ist! Wenn es um ihren Geldbeutel geht, verlieren auch die bajuvarischen Hüter der Staatsautorität jede Haltung.
Dieser Kampf der Unternehmer hat die bereits eingangs festgestellte Wirkung gehabt, daß die einstimmigen Beschlisse des linterausschusses von den bürgerlichen Parteien abgelehnt wurden und ein wesentlich fchlechteres Gesetz zustande fam. Damit ist jedoch der Kampf der Unternehmer feineswegs beendet, sondern nur in eine neue Phase eingetreten. Das Gesez soll nunmehr durch entsprechende Auslegung zum erheblichen Teil um seine Wirkung gebracht werden. Das bereits erwähnte Rundschreiben des Verbandes der Tüll- und Spitzengroßhändler in Berlin fordert auf, zu prüfen, wie durch interne Richtlinien die zu erwartenden Schädigungen aus diesem Gefeh abgewendet werden können. Das ist fein vereinzelter Borgang. Durch alle möglichen Auslegungsfünfte veranlassen Arbeitgeberverbände ihre Mitglieder, das Gesetz zu umgehen. Durch Abschluß von Privatdienstverträgen soll einfach eine kürzere Kündigungsfrist vereinbart werden, was direkt gese zwidrig wäre. Ein anderer Ausweg soll darin bestehen, Dienstverträge auf bestimmte Zeit abzuschließen, um so den Kündigungsschutz zu umgehen. Auch das wäre gesetzwidrig. Jetzt tritt auch die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände auf den Plan. Ein ellenlanger Artikel in der letzten Nummer ihrer Zeitschrift ,, Der