Nr. 599 43. Jahrg.sides off
Ausgabe A nr. 305
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Dienstag, den 21. Dezember 1926
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DATOMY
Fortführung der bisherigen Außenpolitik trotz innerer Krise.
Der jetzt nur die Geschäfte führende"- Reichsaußenminister Dr. Strejemann hielt gestern abend anläßlich feines Besuches in Hamburg auf einem vom Hamburgischen Senat veranstalteten Festmahl seine erste öffentliche Rede nach Genf . Stresemann führte in seiner Antwortrede auf die Ansprache des Bürgermeisters Dr. Petersen u. a. aus:
Mit Genugtuung glaube ich sagen zu können, daß die Grundgedanken unserer Außenpolitit immer mehr auch in denjenigen Kreisen Wurzeln schlagen, die ihnen zunächst zweifelnd oder gar ablehnend gegenüberstanden. Jeder objeftin Denfende wird Berständnis dafür haben, daß das deutsche Bolt eingedent großer Tradition und Geschichte den Blick zunächst vielfach nicht von der Vergangenheit zu trennen vermochte. Aber es ist ein Beweis für den gesunden lebendigen Kern unseres Bolles, daß es ohne Aufgabe feines Stolzes auf seine großen Ueberlieferungen sobald nach dem fatastrophalen Ausgang des Weltkrieges den Sinn neuer Entwidlung begriffen und immer sicherer den Weg ertanni hat, der in die Zukunft führt. Ich bin fest überzeugt, daß Deutsch land niemals das verleugnen wird, was Sie, Herr Bürgermeister, als das Leitmotiv meines politischen Handelns bezeichneten, nämlich den Glauben an den Willen der Menschheit zum wahren Frieden und zur gerechten Verständigung. In diesem Glauben liegt eine bedeutsame Synthese von Ideal und Realität. Nicht nur allgemeine Menschheitsgebanten, sondern auch die großen praf tischen Notwendigteiten der Völker meisen darauf hin, neue Formen für das Zusammenleben der Nationen zu suchen; wir fönnen darauf vertrauen, daß wir mit der Förderung des hohen Ideals des Völkerfriedens zugleich auch denjennigen nie aufzugeben den Forderungen dienen, die wir im Interesse unseres eigenen Landes ftellen müffen.
Bir sind uns tlar darüber, daß der Glaube an dieses hohe Ziel nicht gleichbedeutend ist mit seiner Erreichung. Schwierige Hinder nisse gilt es noch zu überwinden und Rückschläge werden auch in Zukunft nicht ausbleiben. Aber diese Schwierigkeiten und Rückschläge dürfen uns nicht in der Erkenntnis beirren, daß der von uns eingeschlagene Weg der richtige ist und daß er schließlich zum Ziele führen muß.
Ich darf auch nach dem Ergebnis der letzten Reichstagsverhandlungen trotz der scharfen parteipolitischen Auseinandersetzungen das eine mit Genutuung feststellen, daß Schwankungen innerpolitischer Art an diesem Rurs der deutschen Außenpolitit nichts ändern werden, der sich heute auf die Zustimmung der überwältigen den Mehrheit des deutschen Volkes zu stützen vermag.
Einen Schritt vorwärts auf unserem Wege bedeutete das Ergebnis der legten Genfer Tagung. Es ist dort gelungen, eine grundsätzliche Regelung für zwei schwierige Fragen zu finden, die dem Fortschreiten der politischen Entwidlung bisher im Wege ftanden.
Bom deutschen Standpunft aus dürfen wir es als einen Fortschritt bezeichnen, daß dabei die Entwaffnungsattion, wie fie uns durch den Versailler Vertrag auferlegt wurde, nunmehr all seitig als durchgeführt anerkannt worden ist. Das ist eine wichtige Etappe, aber freilich doch nur eine Etappe, denn ich will offen aussprechen, daß es auf die Dauer ein unmöglicher und mit der Gleichberechtigung im Bölkerbund
unvereinbarer Zustand ift, die allgemeine Rüftungsfreiheit bestehen zu laffen
und dabei einem einzelnen Staat die volle Entwaffnung vorzuschreiben und ihn einseitig zu kontrollieren. Diesen Zustand zu be feitigen, fonnte sicherlich nicht Aufgabe der letzten Genfer Berhand lungen sein. Es ist aber eine Aufgabe, die im Zusammenhang mit dem allgemeinen Abrüftungsprogramm unbedingt gelöst werden muß. Die Welt wird Berständnis dafür haben, daß Deutschland feinen Billen zur loyalen Innehaltung der Entwaffnungsbeftim. mungen und die Anerkennung der Investigationsbefugnisse des Bölferbundes nicht betonen tann, ohne gleichzeitig auszusprechen, daß auch der Gedanke der allgemeinen Abrüstung seiner Berwirklichung zugeführt wird. Bielleicht liegt der wertvollste Erfolg Bielleicht liegt der wertvollste Erfolg von Genf darin, daß die Methode offener Aussprache, für die der Bölkerbund einen so hervorragend geeigneten Rahmen abgibt, sich wiederum voll bewährt hat. Wir befinden uns noch im
ersten
Anfangsstadium einer neuen europäischen Entwicklung und es ist gerade in diesem Stadium pon Bedeutung, daß die leitenben Staatsmänner dem Vertrauen der Völker auf jene Entwicklung so oft als möglich durch sichtbare Ereignisse neue Nahrung geben. Das ist im Intereffe aller beteiligten Länder in Genf geschehen.
Bugleich ist mit den erzielten Ergebniffen aber der Weg frei gemacht für die praktische Jnangriffnahme an derer außenpolitischer Brobleme, die an Bedeutung die bisher geregelten Fragen noch weit übertreffen dürften. Auf diese Fragen fachlich im einzelnen einzugehen, möte i mir hier versagen, wohl aber fann ich den Grundsten ffar bezeichnen, von dem die beteiligten Staatsmänner ausgehen müssen, menn die Lösung gelingen foll
evalen
Diefer Grundgebante ist die Erkenntnis der Solidarität der Interessen, die die Völker Europas untereinander und darüber hinaus die Bölter Europas mit den übrigen Völkern der Welt ver binden. Das Wert von Locarno und der Eintritt Deutschlands in den Bölferbund haben eine gute und sichere Grundlage für diese Politik der Solidarität der Interessen gelegt, aber doch nur eine Grundlage. Die geschlossenen Verträge würden ein toter Buchstabe bleiben, wenn es nicht dazu fäme, im großen Geift der Berständigung darauf weiter zu bauen und so endlich das Gebäude zu errichten, bas den Bölfern ein friedliches Rebeneinandermahnen und Mitein anderarbeiten ermöglicht.
Die Rede des Außenministers schloß mit einem Hoch auf die Freie und Hansestadt Hamburg ".
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Die neue
Verfolgung der Arbeiterbewegung. Riga , 20. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) lifauische Regierung, deren Angehörige ausschließlich Vertreter der extremen Rechten oder faschistisch eingestellter Militärs sind, hat bisher ihre Machtstellung durch brutale 3wangsmaßnahmen zu sichern versucht. Die Führer der Arbeiterschaft fitzen bereits seit mehreren Tagen hinter Gefängnismauern und mit ihnen wurden viele Politiker verhaftet, die als links eingestellt bekannt find Die demokratischen Organe find bis auf weiteres verboten, die Arbeiterpreffe vollkommen unterdrückt; nicht einmal die eine Gewerkschaftspreffe darf erscheinen.
Da ein großer Teil der zur bisherigen Regierungsmehrheif gehörenden Abgeordneten hinter Schloß und Riegel gefeht wurde oder von Kowno abwesend ist, kann man bezweifeln, ob sie sich ohne weiteres mit dem Putsch abfinden werden. Es ist nicht ausgefchloffen. daß die neue Regierung die 45 Mandate der zur Linksmehrheit gehörenden Abgeordneten einfach tassiert und nur mit ihrem Rumpfparlament„ regiert".
Die Feststellung Stresemanns, daß sich der gegenwärtige Rurs der deutschen Außenpolitik auf eine überwältigende Mehrheit des deutschen Boltes zu stüßen vermag, ist zureichender außenpolitischer Kombinationen gewefen. treffend. Diesem Kurs der deutschen Außenpolitik hat aber die Sozialdemokratische Partei die Richtung gewiesen und er ist durchgesetzt worden gegen den zähen, fanatischen und verbissenen Widerstand der Deutschnati o nalen. Insofern ist es nur sehr bedingt richtig, daß die scharfen innerpolitischen Auseinandersehungen, die im Sturz der Regierung Marg gipfelten, und die Schwankungen innerpolitischer Art für den Kurs der deutschen Außenpolitik ohne Bedeutung find.
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Herr Stresemann hätte aber auf das gefährdende Moment, das in der Entwicklung der Innenpolitif auch für die Außenpolitik liegt, nicht hinweisen fönnen, ohne damit gegen feine eigen Bartei die Anflage erheben zu müssen, daß fie an diefer Gefährdung der deutschen Außenpolitik die Schuld trägt. Denn seine Partei ist es, die aus Gründen der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik immer wieder ein Regierungs. bündnis anstrebt mit der Partei, die für das hohe Ideal des Völkerfriedens" nur ein zynisches Gelächter übrig hat.
Die neue europäische Entwicklung", in deren Anfangsstadium wir uns nach Stresemann befinden, tann von jener Seite eine Förderung nicht erwarten. Weil sie die Politik, die nach Locarno und zum Eintritt in den Völkerbund führte, im Stillen unterstüßten, wurden die deutsch nationalen Minister der Regierung Luther zum Rücktritt gezwungen, und nachher hatten fie nicht einmal den Mut, zu dem zu stehen, wofür sie im Kabinett die Berantwortung mit getragen hatten.
All diese Erfahrungen haben aber die Partei des Herrn Stresemann nicht gehindert, die Politit des Herrn Strese mann zu gefährden, indem sie die Unterstüßung der Regierung Marr- Stresemann durch die Sozialdemokratie verhinderten, den Bürgerblock als ihr Biel proflamierten und damit die gegenwärtige Krise heraufbeschworen. Als Außenminister hat Herr Stresemann Erfolge zu verzeichnen. Als Partei führer ist er von Mißgeschid verfolgt.
Schluß der Terror- Wahlen.
14 Sozialdemokraten in Horthy - Ungarn gewählt. Budapest , 20. Dezeniber.( Eigener Drahtbericht.) Am Sonntag abend wurde die Stimmenzählung im Wahlbezirk Budapest . Nord beendet. Bon den neun Mandaten sind nach dem bisherigen Abstimmungsergebnis drei an die Sozialdemokratie gefallen, so daß in Budapest jetzt insgesamt sieben Sozialdemokraten gewählt find. Bon 245 Mandaten erhielt Bethlens Einheitspartei 170, 3ichys chriftlich- foziale Wirtschaftspartei 35, die parteilosen Regierungsdie Sozialdemokraten 14, die Bereinigte Linkspartei 9, die freundlichen 4, die rechtsstehende Opposition( mehrere Gruppen) 10, parteilofen Lintsorientierten 3 Mandate; regierungsfreundlich insgesamt 209( 85.2 Broz, bisher 68,4 Broz.), Oppofition ins. mit geheimer Abstimmung erhielten die Regierungstandidaten gesamt 36 Mandate( 14,8 Proz., bisher 31,6 Proz.) In den Bezirken mit 46,9, die Rechtsopposition 5,8, die Sozialdemokraten 28,8, die bürgerliche Linksoppofition 18,6 Prozent aller abgegebenen Stimmen.
Die Alkoholfrage in Finnland . Volksbefragung über Verbotsverlängerung. Helsingfors , 20. Dezember.( Eigener Drahtbericht.) Die finnische Fortschrittspartei forderte auf einem außerordentlichen Landes fongreß eine ratgebende Boltsabstimmung" darüber, ob noch die Mehrheit des finnischen Bolles hinter dem Alkoholverbot fteht. Der Rongreß begründete diesen in Finnland aufsehenerregenden Beschluß damit, daß die Bartei nach wie vor Anhänger bes Berbots sei, aber angesichts der starten Gegnerschaft Klarheit bar über notwendig tft, ob es noch eine genügend starte Anhängerschaft des Berbots im Balle gibt.
Die
Litauen ist schon während der Kriegszeit das Objekt weitdeutsche Militärverwaltung Litauen ", die seit dem April 1917 ihren Sig in der alten historischen Hauptstadt Litauens hatte, in Wilna , förderte litauische Selbständigkeitsbestrebungen, nicht ohne Gegenfäße und Reibereien mit der benachbarten deutschen Verwaltung im Generalgouvernement Warschau , und die Taryba, der litauische Landesrat, prolamierte schon im Dezember 1917 die Wiederherstellung des litauischen Staates. Ja, im Juli 1918 trug eben diese Taryba litauischen Dynastie verwandt war, die litauische Königsdem Herzog von Urach( Württemberg ), der mit der alten trone an.
Deutschland verlor durch den Zusammenbruch die Möglichkeit, Aber diese Blütenträume reiften nur zum kleinen Teil. die Politik der Bindung und Bevormundung der neuen Oststaaten fortzusetzen, und noch vor der Revolution vom November 1918 erklärte die Taryba alle Ansprüche Deutschlands auf Litauen für ungültig. Ein Direktorium mit Smetona an der Spize, ein Kabinett unter Leitung des Professors Woldemaras, also eben der Leute, die der Staatsstreich vom 17. Dezember wieder an die Macht gebracht hat, nahmen die Geschicke des Landes in die hand.
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Ihr erstes, sehr realpolitisches Ziel war, den Anschluß Woldemaras Clemenceau flar zu machen, daß auch ,, Litauen an Bersailles zu finden. Aber vergeblich bemühte sich auf feiten der Alliierten gekämpft" habe. In Versailles in die Wirren des Oftens hineingerissen. Seine historische wurde Litauen nicht zugelassen. Dafür wurde es Hauptstadt Wilna war balb in den Händen der Bolfchemisten, bald in den Händen der Polen , und es ist bekannt, daß der auf Befehl Pilsudskis unternommene polnische Putsch gegen Wilna diese Stadt trotz aller Interventionsverfuche des Bölkerbundes endgültig in polnischen Befih brachte. Dieses Vorgehen Polens , dem Litauen mit Gewalt zu wehren nicht in der Lage war, schuf einen scharfen, unüberbrüdbaren polnisch- litauischen Gegensatz. Allen polnischen Versuchen, zu einer Berständigung mit Litauen zu gelangen, hinter denen teils wirtschaftliche Interessen, teils aber auch weiterreichende Wünsche nach der Erneuerung der historischen polnisch- litauischen Berbindung stehen, hat Litauen bisher nur erwidert: Erst Wilna ! Besonders schmerzlich für Litauen war es, daß der Wilnaer Korridor" in polnischer Hand es als einzigen der Randstaaten von Sowjetrußland völlig absperrte. Dies und der Gegensatz zu Bolen machen es verständlich, daß Litauen in weit höherem Maße als die übrigen baltischen Staaten geneigt ist, engere Beziehungen zu Moskau zu pflegen, die dann in dem d. 3. ihren Ausdrud gefunden haben. sowjetrusfisch litauischen Vertrag vom Herbst
Aus der besonderen Stellung Litauens zu Polen und zu der Sowjetunion erklärt es sich, daß diesem kleinen Land ein ist es ein armer Kleinftaat von wenig mehr als zwei Milbesonderes internationales Interesse gewidmet wird; an sich lionen überwiegend agrarischer Bevölkerung und einer Bodenfläche von etwa zwei Dritteln der Fläche Bayerns . A ber bie internationale Besorgnis, daß der Zündstoff, der hier angehäuft ist, einmal zu einer Explosion führen tönnte, ist nur allzu be. gründet, zumal auch Bolen unter seinem jezigen impulsiven und zu außenpolitischen Abenteuern neigenden Leiter Pilsudski ein unberechenbarer Faktor ist. Man muß daher den jetzigen Staatsstreich in Litauen auch dann mit besorgtem Auge an= fehen, wenn er, wie es anscheinend der Fall ist, an sich nur inner politichen Charatter trägt
In Litauen hat in den letzten Jahren im Wesentlichen der flerifale christlich demokratische Rechtsblod regiert. Die Wahlen im Mai dieses Jahres stürzten die Herr frhaft diefes Blods zugunsten einer Lints mehrheit von Sozialisten und Boltssozialisten. Diese Mehrheit war aber