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Abendausgabe

Nr. 4944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 24

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10 Pfennig

Sonnabend

29. Januar 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett 8 bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Cindenstraße 3 Jerufprecher: Donhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

Sie können zusammen nicht kommen... Thüringen   wählt morgen.

Die Volkspartei bockt.

Neuer Schacher um die Site.

Nachdem geffern die Unterhändler die Berteilung der Ministersize festgestellt hatten, trot heute morgen gegen 11 Uhr die Fraktion der Deutschen   Boltspartel zu einer

Sigung zusammen.

Reichskanzler Dr. Marg hatte bis 12 Uhr mittags eine zustimmende Antwort der Fraffion der Deutschen Volkspartei   zur Regierungsbildung erbeten. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich die Fraktion der Boltspartei nicht einigen.

Reichskanzler Dr. Marg hat deshalb dem Reichspräsidenten gegen mittag noch einmal einen 3 wischenbericht über den Stand der Regierungsbildung erstattet Die offizielle Ernennung der Regierung ist bisher noch nicht erfolgt

Um 2,15 Uhr meldet die Telegraphen Union": An zuständiger Stelle legt man Wert auf die Feftfteilung. daß die veröffentlichte miniff erliste nicht als amflich anzu­fehen ist. Die offizielle Ministerliste wird erst herausgegeben, wenn der Reichspräsident die Ernennungen vollzogen hat. Die Fraktion der Deutschen   Boltspartei hat um die Mittags­

zeit ihre Beratungen unterbrochen.

Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, ist der ent­scheidende Empfang des Reichskanzlers beim Reichspräfi. denten nicht nur wegen der noch ausstehenden Entscheidung der Fraffion der Deutschen Volkspartei   über den Verzicht auf das Reichsverfehrsministerium verzögert worden. Es besteht vielmehr auch die Möglichkeit, daß noch personelle Aende­

rungen

werden.

der bisherigen ministerliste vorgenommen

Zurzeit schweben darüber Berhandlungen zwischen dem Reichs. präsidenten, dem Grafen Westarp und dem Reichskanzler Marg. Man rechnet mit einer erneuten Einberufung der deutsch­nationalen Reichstagsfraktion(!).

Dr. Wirth gegen die neue Regierung. Der Reichsdienst der deutschen   Bresse   meldet: Die gestern abend bekanntgewordene Ministerliste mit ten Graef   und Hergt gab uns Beranlassung, Herrn Dr. Birth über seine Stellung zur neuen Regierung zu befragen. Herr Dr. Wirth erklärte: Ich stehe diefer Regierungsbildung ablehnend gegenüber. Die bekannt gewordene Ministerliste betrachte ich für jeden entschiedenen Republi faner als Provotation. Bei der Vertrauensfrage werde ich

mit einem lauten ein antworten."

Deutschnationales Geständnis.

Die Boffische Zeitung" schreibt:

Außenpolitisch ist Sergt für das Rabinett eine schmere Be lastung. Auch wenn die Deutschnationalen jetzt bei den Verhand. lungen über die Regierungsbildung haben zu Protokol geben müssen, daß ihre Miniffer im Kabinett Luther für den Abschluß der Locarno  - Berträge gestimmt haben."

Danach hätten die Deutschnationalen schriftlich gestanden, beß sie im Oktober 1925 die Deffentlichkeit und ihre eigene Bartei auf das schändlichste bewußt belogen haben. Wie steht Herr Siele, der neue Reichsminifier, nach diesem schriftlichen Ge ftändnis da! Und zum Dank für das Lügengeständnis: vier Ministersize!

Bürgerblock- Echo im Ausland. Einmütiges Mißtrauen in Frankreich  .

Paris  , 29. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Die neue deutsche Regierung hat in der franzöfifchen Preffe von rechts nach links unterschiedslos eine durchaus ablehnende Aufnahme ge funden. Vom Echo de Paris" bis zum sozialistischen Populaire" sind sich die Blätter darin einig, daß dieses Minifterium das reaktionärste ist, daß Deutschland   je seit Begründung der Republik   gesehen

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hat. Das Petit Journal" unterstreicht die Tatsache, daß Geßler das Reichswehrministerium beibehalten hat und schreibt, diefe Tat fache habe symbolischen Charakter umfomehr, als Hindenburg " feinen Säbel in die Wagschale geworfen habe", um Geßler an diesem Posten zu erhalten". In einem angeblich entwaffneten Deutschland   bliebe deshalb die Armee in der Uebermacht dadurch, daß die Ueberlebenden des früheren Regimes triunphierten, und zwar in dem neuen Kabinett durch Gehler auf der einen Seite, also das Prinzip der Militärs, auf der anderen Seite aber durch die deutschnationalen Minister. Das Blatt fragt, ob das neue Mini­sterium für Frankreich   gefährlich werden fönne. Es fieht die Gefahr in erster Linie in der brutalen Art und Weise der völligen Berachtung der parlamentarischen Tradition, unter welcher seine Zusammensetzung erfolgt fei. Immerhin dürfe man fich nicht übereilen und müsse abwarten, um das neue Ministerium nach seinen Taten zu beurteilen.

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Der Bopulaire" fritifiert ebenfalls in scharfen Worten die Busammenstellung des Ministeriums und fragt, welches seine par lamentarische Stellung sein werde Das Blatt hofft, daß dieses Kabinett der Zweideutigkeit und der Lüge

nicht durch die Lüge und die Zweideutigkeit gerettet werden könne. Das Blatt gibt der Hoffnung Ausdruck, daß vielleicht in Kürze der Augenblid fommen wird, wo die Linke dieses Kabinett stürzen wird.

Kühle Aufnahme in England.

Condon, 29 Januar.( WTB.) 3um neuen deutschen   Kabinett schreibt der Berliner   Rorrespondent der Times", niemand habe angenommen, daß die Deutschnationalen ihre älteren Führer und reaktionärenen Mitglieder wählen würden. In den meisten Streifen fei zuversichtlich erwartet worden, daß der jüngere und fort schrittlichere gesinnte Flügel herankommen werde. Die Tatsache, daß die Deutschnationalen vier Portefeuilles erhielten und dem Zentrum nur drei überließen, sei ein Zeichen für die 3ähig feit ihrer Unterhändler. Es sei sehr unwahrscheinlich, daß in aus wärtigen Angelegenheiten die Deutschnationalen Minister Strese mann dazwischen fahren werden, der zweiffellos die erforderliche Garantien erhalten habe und eine etwaige Obstruktion rasch abtun werde. Die Ansicht herrsche jedoch vor, daß das Leben der neuen Regierung nur als prefär angesehen werden könne, außer, wenn sie sehr greifbare Beweise vom Gegenteil ablege. Reuter berichtet aus Berlin  , es sei vielleicht überraschend, daß Republikaner   und Demokraten nur wenig Begeisterung für ein Kabinett empfinden, das vier Mitglieder enthält, die offen thre antire publitanischen Grundsäge zugegeben haben. Es fönne mit absoluter Autorität erflärt werden, daß feine Ber änderung in der deutschen   Außenpolitit erwartet werden soll, da Marg(?) und Stresemann die 3uget ftraff halten und entschlossen sind, energisch die Außenpolitik zu ver folgen, die sie eingeleitet haben.

Smetonas Bruder ermordet.

Mit Frau und Kindern. Politischer Racheaft? Sowno, 29. Januar.  ( Off- Pressedienst.) Auf dem Gute der Familie Smetona   im Keydaner Kreis ist der Bruder des li auischen Staatspräsidenten, der Gulsbefizer Smetona mit feiner| Frau und Kindern ermordet worden. Nach Berübung der Tat Grund ab. Bon den Leichen sind nur die Knochen übrig geblieben. wurde das Gut in Flammen gefeht und brannte bis auf den Geraubt wurde jedoch nach den bisherigen Feststellungen gar nichts. In den christlich- demokratischen Parteitreisen ist man bemüht, die'en Mord als einen politischen Racheaft darzustellen, und zwar ver­Mord als einen politischen Racheaft darzustellen, und zwar ver dächigi man die kommunisten, die angeblich die Erschießung ihrer Genoffen nach dem Putsch rächen wollten. Wie der Off- Preffe. dienst jedoch bei der li auischen Polizei, die jetzt mit der Untersuchung des Falles beschäftigt ist, feststellen fonnte, ist dieser Berdacht bis jetzt vollständig unbegründet.

Der Staatsanwalt Plagt an...

Die Tragödie der Grete Machau. Unsere Leser erinnern sich der erschütternden Tragödie, die die Genoffin Clara Bohm- Schuch   am letzten Montag unter der Ueberschrift Die Mutter flagt an" in unseren Spalten ge­würdigt hat. Das junge Mädchen ist nicht ohne Mitschuld Das Jugendgericht der Polizei zur Dirne geftempelt worden. felbft aber mußte anerkennen, daß sie keine Dirne war und hat sie den Eltern zugesprochen. Sie verstarb an einer fchmeren Gefchlechts. frankheit.

Jetzt wird gemeldet, daß die Staatsanwaltschaft gegen die Mutter, die diese Anflagen veröffentlicht hat, die gerichtliche Voruntersuchung megen des Verdachts der schweren Ruppelet, begangen an der eigenen Tochter, eröffnet hat.

Hierzu erhalten wir aus Bremen   folgenden Bericht: Die Eröffnung der gerichtlichen Boruntersuchung gegen die Mutter Grete Machans erfolgte auf Grund von Bernehmungen, die neuerdings bei den Nachbarn der Eltern und bei den Freundinnen des verstorbenen Mädchens, meist Prostituierten, stattgefunden haben. Die Angaben stehen in einem Widerspruch zu denjenigen, die dem Urteil des Jugendgerichts zugrunde lagen. Anzunehmen ist, daß sich sowohl die Polizei wie die jetzt vernommenen Zeugen durch die Veröffentlichung der Schrift gefränft gefühlt haben. Die von anderer Seite verbreitete Meldung, daß die Mutter der Grete Machan verhaftet worden sei, trifft nicht zu. Es liegt auch fein Fluchtverdacht und feine Gefahr einer Verwirrung des Tatbestandes

Dor.

Man wird nähere Mitteilungen abwarten müssen, aus wel chen Gründen die Bremer   Staatsanwaltschaft das Recht zu ihrem Vorgehen gegen einen Menschen schöpft, der die Tragödie des eigenen Kindes zur erschütternden Anklage gegen die heutigen Gesellschaftsfitten gestaltet hat.

Landgerichtsdirektor Goebel, langjähriger preußischer Landtags. abgeordneter und Führer des Zenurums, ist in Oppeln   Freitag plöglich gestorben.

getreten, weil sie bei einer Aemterbelegung durch das Parla­Die fübflawische Reglerung Ufunowitsch ist schon wieder zurüd. ment unterlegen ist.

Ueber die Codzer Rede Cobes schimpfen teutfchnationale Blätter auf Grund eines falfen Danziger Berichts; bieritit" haut

auf seinem Wege balb derart ernste Frage treffen wird, daß es also daneben.

Die Abrechnung im Ordnungsland".

F. Kl. Weimar, 29. Januar.

den Zahlungsfähigen aus den Großstädten jetzt herrliche Im Lande Thüringen  , dessen schneebedeckte Berghöhen Rodel, Ski- und Sportbahnen bieten, soll Sonntag die Bilanz des Ordnungsblods gezogen werden. Nach dreijährigem Be stehen wird der Landtag erneuert, der im Jahre der Reichs­mehrherrschaft unter Führung des Generals Hasse gewählt morden mar.

Dieses Proletarierland, das schon lange vor dem Kriege in seinen meisten Einzelwahlkreisen sozialistische Hochburgen aufwies, hat vorübergehend die Herrschaft eines Bürgerblods erdulden müssen, wie er bisher den Blöcknern im Reich überall als erstrebenswertes Muster vorschwebte. Was an nieder­trächtiger Verleumdung gegen die sozialdemokratische Regie­rung erfonnen werden konnte, wurde bei den Hasse= Wahlen von 1924 in die Welt posaunt. Alle Ansätze zu einer großzügigen Neugestaltung des jüngsten deutschen  Landes wurden von dem Reaktionsblod nicht nur verhindert, sondern rücksichtslos zerschlagen. Die schamlose Hege gegen sozialdemokratische Minister und gegen den Staatsbankpräfi. denten Loeb sind noch in aller Erinnerung. Der Minister Genosse Herrmann wurde auf Betreiben der Reichswehr  in Haft genommen und unter Anflage gestellt, bis schließlich, lange nachdem die Berleumdungen ihre politische Wirkung geübt hatten, er ebenso wie Loeb von thüringischen Richtern freigesprochen werden mußte.

Die Sozialdemokratie, die die thüringischen Duodesstaaten u einem Lande verschmolz, hatte in diefem neuen Staats. gebilde eine großzügige Schulreform eingeleitet, hatte durch Eingemeindungsgesetze den vielfach zerstreut liegenden Gemeinden die Zusammenfassung zu größeren und ausbau­fähigen Gemeinwesen verschafft, hatte durch ihre Steuer­politif die Befizenden zu erfaffen, die Armen zu entlasten gesucht. Das alles ist vom Ordnungsblod mit rücksichtslofer Konsequenz zerschlagen worden. Sozialistische und republika­nische Beamte wurden beseitigt. Die willkürlichste Partei­herrschaft, die sich nur erfinnen läßt, wurde von dieser Ord= nungsregierung unter Führung des volksparteilichen Reichs­tagsabgeordneten Leuthe ußer getrieben und mit ,, natio­nalen Notwendigkeiten" begründet.

nungsblods zur Kenntnis nehmen und ihr Urteil darüber Jest soll die Wählerschaft die Rechnungslegung des Ord­abgeben. Wie sieht die Rechnungslegung aus? Als der Ordnungsblod die Regierung übernahm hinterließ ihm das fozialdemokratische Ministerium einen Ueberfchuß von zwei Millionen Goldmark in der Landeskasse. Diefer, für das fleine Land fehr ansehnliche Fonds wurde ordnungsmäßig" binnen furzem verwirtschaftet und nun begann das Schulden­machen. Im November vorigen Jahres, also nach zweieinhalb­jähriger Ordnungsregierung, hatte das Land hereits rund 19 Millionen Mart Defizit und durch weitere Anleihen wurde die Schuld des Landes Thüringen   auf rund 56 Millionen Mart emporgetrieben. Das ist das finanzielle Erbe. das die Ordnungsregierung ihren Nach­folgern hinterläßt

Bei der Zusammenlegung des Ordnungsblods ist der Landbund vorherrschend, der den wirtschaftlichen Rückhalt der Deutschnationalen abgibt. Es ist daher kein Wunder, wenn die Finanz- und Steuerpolitik des Ordnungsblods vor allem eine Begünstigung der Landbündler bezweckte und durchführte. Dabei wurde die Industrie derart vernachläffigt, daß z. B. die Sonneberger   Spielwarenindustrie heute fast ohne Absatz da­steht. Die Industriellen find empört über die mangelnde Unterſtügung, die ihnen von der reaktionären Regierung zuteil wurde. Nur in einem Punkt zeigte sie sich der Industrie gefällig. Als die Unternehmer bei einem Streit der Arbeiter in Greiz   nach Polizei riefen, schickte der Innenminister Sattler fofort Polizei dorthin, ohne den Landrat oder den Bürgermeister nach der Notwendigkeit überhaupt nur zu fragen.

Heute fragen die Wähler, was die Ordnungsregierung gebracht habe. Sie sind enttäuscht, froß des Eigenlobs, das die Regierungsparteien jegt heftoliterweise über sich aus­Schütten. Sie erinnern sich, daß der Sozialdemokratie Futter­frippenwirtschaft" vorgeworfen wurde und erfahren nun mit Staunen, daß der jetzt entschlafene Landtag das Minister­pensionsgeset derart umgewandelt hat, daß die Ord­nungsminister mit fetten Benfionen von der Bildfläche ab­treten fönnen, während sozialdemokratische frühere Minister wieder einen sozusagen Rivilberuf ergreifen mußten. Jetzt hören die Wähler mit Ueberraschung von der grandiosen Mißwirtschaft des Ordnungsblocks der die feit der Inflations­periode überall eingetretene wirtschaftliche und politische Konso­liederung auf fein besonderes Konto zu buchen pflegte. Ihre Ueberraschung und Enttäuschung macht sich in einer offen Troz großer erkennbaren Wahl müdigkeit gelten. und größter Propaganda will es nicht gelingen, die bürger­lichen Wähler für die Einheitsliste der Deutschnationalen, der Boltspartei und des Zentrums in Bewegung zu bringen. Leere. Die Nationaliozialisten Dinterscher Prägung Die Ber'ammlung der Ordnungsblödler sind oft von gähnender und die von ihnen abgesplitterten Nurvölkischen machen zwar mit eigenen Liften ihren Wahlkampf, aber sie haben der Sicherheit halber die Liftenverbindung mit den Ordnungs­Leuten vorgenommen. Neu in de Reihe der Parteien ft bie

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