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Nr. 64 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 33

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Dienstag, den 8. Februar 1927

Die Untersuchung gegen Keudell  .

Die Achterklärung gegen v. Tresckow  .

WIB. meldet:

Der Panzerzug gegen Bärwalde.

Die Kapp Versammlung beim Grafen Finkenstein.

Entgegen anders laufenden Mitteilungen der heutigen Presse hat der Herr Reichskanzler nicht erst heute, sondern bereits am ver­gangenen Sonnabendnachmittag in unmittelbarem zeiflichen Zu­femmenhang mit felner öffentlichen Erflärung während der Reichs­fagsfihung vom Herrn preußischen Minister des Innern die Ber. fonalatten des Herrn Reichsministers des Innern v. Seudell eingefordert. Die Berhandlungen werden nach Eingang dieser Aften mit aller Beschleunigung durchgeführt werden. Un­richtig ist ferner, daß seitens der Reichsregierung eine außerhalb des Kabinetts stehende Persönlichkeit mit der Führung der Unter­fuchung beauftragt werden solle. Vielmehr beabsichtigt der Herr Reichstanzler, die Untersuchung persönlich durch­zuführen.

Sobald das Ergebnis zu übersehen ist, wird es der Herr Reichs. fanzler den in Betracht kommenden Stellen unterbreiten.

Die Rechtspresse, die von der Verleumdung ihrer politi schen Gegner lebt, schreit über persönliche Heze" des Bor wärts gegen den deutschnationalen Reichsinnenminifter v. Keudell. Dabei hat sie bisher faum den bescheidensten Berjuch gemacht, unsere Behauptungen über das politische Borleben des neuen Innenministers- nur um diesen handelt es sich zu entfräften. Die Deutschnationilen mer den auch schon gestatten müssen, daß sich die Opposition für die Frage in ereffiert, ob sich der von ihnen präsentierte Schüßer der Verfassung durch sein bisheriges politisches Ber haiten als zu feinem Amt geeignet erwiesen hat.

Die Antwort auf diese Frage wächst sich aber jeden Tag mehr für Herrn v. Rudell und seine Freunde zur Katastrophe aus. Jetzt gefellt sich zu den bisherigen Anflägern auch noch der rechts gerichtete, aber die Außenpolitik der Regierung stügende Jung deutsche Orden, der in seinem Organ unter der Ueberschrift Die gesellschaftliche Feme  " folgende Mitteilungen macht:

Der Komtur der Ballei Neumark   des Jungdeutschen Ordens  , Bruder Hasso von Tresdow auf Schmarfendorf, wird seit länge. rer Zeit vom gesellschaftlichen Terror der Großgrund­besiger des Kreises Rörigsberg( Neumark  ) perfolgt. Man forderte von ihm Niederlegung seines Amtes und Austritt aus bem Jungdeutschen Orden. Trotz aller Unbilden urd Leiden, die ihm hierdurch entstanden, hielt der jungdeutsche Edelmann dem Jungdeutschen Orden die Treue. In legter Zeit ging man dazu über, ihm mit gesellschaftlicher Aechtung zu drohen, falls er fich nicht vom Orden lösen würde. Unter 2chtandrohung wurden ihm folgende formulierte Erklärungen vorgelegt:

Ich erfläre mich bereit, sofort aus dem Jungdeutschen Order auszut eten und auch jede äußere und innere Gemeinschaft mit der derzeitigen Führurg des Ordens aufzugeben.

An diesem Aft gesellschaftlicher Schredensherrschaft hat sich auch der ehemalige Landrat des Kreises Königsberg, der jeßige Reihsinnenminister v. Keudell, beteiligt. Da Bruder von Trescow die Abgabe dieser Erklärung ablehnte, ist die Acht­ertlärung gegen ihn ausgesprochen. Sie lautet:

Die Großgrundbesiterversammlung vom 31. Januar 1927 be­schließt einstimmig, von nun an jeglichen Verkehr mit Herrn Hasso von Trescow- Schmarfendorf abzubrechen und jede gesellige und private Veranstaltung umgehend zu ver­lassen, in der Herr Hasso v. Tresckow   erscheint.

Anlaß zu diesem Bontott Trescows ist die Tatsache, daß dieser fich als komfur des Jungdeutschen Ordens abenteuerlichen Dittaturplänen entgegenstellte.

Der Aechtungsbeschluß der Großgrundbesitzer des Kreises Königs berg hat unter den jungdeutschen Brüdern dieser Gegend und weit darüber hinaus eine ungeheure Entrüstung hervor gerufen. Die Entrüstung richtet sich ganz besonders gegen die durch diesen Beschluß grell beleuchtete Gewissensknebelung, wie sie hier gehandhabt wird. Sie richtet sich auch

gegen den Minister von Kendell. Bruder von Tresdow auf Schmarfendorf hat bereits zahlreiche Tele. gramme erhalten, in welcher er aufgefordert wird, allen Unbilden zum Troß dem Kampfe für die Gewissensfreiheit und die nationale Erneuerung treu zu bleiben. Die Angelegenheit wird noch weitere Kreise ziehen, da der ganze Jungdeutsche Orden sich auf Seite des von seinen Standesgenossen geächteten Trescow stellt.

Soweit das Organ des Jungdeutschen Ordens. Was die ,, a benteuerlichen Diftaturplane" betrifft, die im Hintergrunde dieser Angelegenheit stehen, so sind wir in der Lage, gestützt auf die bekannte Dentschrift Mahrauns, über sie folgende detaillierie Angaben machen zu fönnen:

Leutnant Reuß, ein Untergebener des Kreistommandeurs Major Badide in Schörwald bei Bärwalde  , einer der berühmten Sipilangestellten des Herrn Geßler, fammelte im Januar 1926

in der Ballei des Herrn von Tresdom für eire neue Organisation mit dem Bemerken, daß auf Grund der Lage der Reichspräsi dent nunmehr genötigt fei, vom Artikel 48 der Berfaffung Gebrauch zu machen.

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

Boftichedlonte: Berlin   87 536 Banktonte: Dank der Arbeiter. Angeftelten und Beamten. Wallftr. 65: Distonto- Gesellschaft, Devofitentaffe Lindenstr. 3.

Die Arbeitslosenversicherung.

Zur ersten Lesung im Reichstag.

Der Reichstag   hat geslern die erfte Lesung des Gesetzent wurfes über eine Arbeitslosenversicherung vorgenommen. Nach dem Willen der Reichsregierung foll die Arbeitslofen­versicherung möglichst schon am 1. April in Kraft treten. Sie tann den Zeitpunkt eines erheblichen Abbaues der Erwerbs­losemunterstützung nicht abwarten.

Bas von dem Regierungsentwurf zu halten ist, hat Ge­nosse Bren als Sprecher der sozialdemokratischen Reichstags= frattion mit aller fachlich gebotenen Schärfe hervorgehoben. Es fei mit einer Diffatur zu rechnen. Das materielle Versicherungsrecht bleibt vollstän= 3ur Durchführung dieser Dittatur reiche jedoch big unzureichend, ebenso unzulänglich ist die vor die Reichswehr   nicht aus, es müßten neue Forma- gesehene Selbstverwaltung. Das Gefeß müßte bringen, tionen aufgestellt werden. Der Kreis Neuberg müsse a B. 3 mei was die Reichsverfassung verheißt: einen ausreichende ma Kompagnien stellen. Dageger wandte sich laut Meldung an die Ordensleitung der Komtur D. Tresdom. Und deswegen tung des notwendigen Unterhalts gewährleistet, und eine wirt­teriellen Arbeitslosenschuß, der dem Arbeitslosen die Bestrei­wurde ihm unter Mitwirkung v. Keudells die gesellschaftliche Achtliche fozialpolitische Selbstverwaltung unter maßgebender Mit­angedroht. wirkung der Bersicherten.

Der Major Badide fagte auf einer Großgrundbesigerversamm lung am 30. Januar 1926 in Königsberg  ( Neumark), die Reichs. wehr verlange von ihm fofortige Vorbereitung zur Aufstellung von drei Kompagnien.( Badide ist Kreisfommandeur der Reichs mehr. Die Red.) Die Reichswehr   sei sich nur noch nicht darüber flar, ob sie diese schon jetzt in aller Deffentlicheit aufstellen und egerzieren lassen oder

im geheimen auffiellen

lassen sollte. Diese Kompagnien sollten im Falle der Anwendurg des Artikels 48 der Reichsverfassung durch den Reichspräsidenten von Hindenburg   in dem Standort der Reichswehr   die Sicherheit übernehmen.

Auch dagegen wandte sich seiner Ordenspflicht gemäß Herr von Trescow und deswegen wurde er unter Zustimmung des derzeitigen Innenministers von Reudell mit der Acht bedroht.

Bor zwei Tagen wurde hier gesagt, daß n. Keudell min­destens bis zum Sommer 1926 die Gesinnung betätigte, nach der er im Frühjahr 1920 beim Rapp- Putsch gehandelt hat. Träfen die Behauptungen des Jungdeutschen Ordens zu, dann würde sich dieser Zeitraum mindestens bis zum 31. Januar 1927, das heißt bis zum Montag der vergangenen Woche er­strecken.

Aus Keudells Kapptagen.

Statt Ausbau des Arbeitslosenschußes enthält der Re­gierungsentwurf einen Abbau. Das tritt mit aller Deuflichkeit bei einer Untersuchung der eigentlichen Versicherungsleistungen autage.

Im ,, Reichsarbettsblatt" Nr. 1 erklärt Geheimrat Beigert, daß die Leistungen so geftaltet werden müssen, baß sie dem sozialen Bedürfnis genügen und doch die Arbeitsvermittlung nicht beeinträchtigen. Ein vieldeutiger Sag, der ver schleiern soll. in wie hohem Maße den Forderungen der Unternehmer nach Abbau der Erwerbslosen­unterstügung Rechnung getragen wird. Und noch eine andere Rechnung soll, wohl bei dieser Gelegenheit beglichen werden. Es ist in diesem Zusammenhange gut, sich der Trei­bereien des Reichsarbeitsministeriums zu erinnern, die eine Erhöhung der Erwerbslosenunterstützung verhindern sollten.. Das scheiterte an der Machfamkeit der fozialdemokratischen Reichstagsfraftion. Bereits die Erhöhung vom 17. Dezember 1925 veranlaßte den Geheimrat Weigert zu dem Stoßfeufzer in: Reichsarbeitsministerium, daß die Höhe der Säge wirtschafts- und sozialpolitisch nicht unbe bentlich sei. Inzwischen sind weitere Erhöhungen ein­getreten. Es ist deshalb kein Wunder, daß dieser bisher mit Müh und Not niedergehaltene Bürgerblockfummer sich vor= zeitig mit voller Bucht im Regierungsentwurf entladen hat. Die Unternehmer brauchen billige Arbeitskräfte. Ein ausrei­chender Arbeitslofenschuß gefährdet das, weil er verhindert, daß sich die Arbeitslosen zu den schändlichsten Arbeitsbedin gungen anbieten. Um diese Bereitwilligkeit bei den Arbeitslofen auszulösen, soll die Unter einstübung abgebaut werden. Schamhaft wird diese Ab­ficht mit den Worten umschrieben, daß die Leistungen der Ar­beitslosenversicherung die Arbeitsvermittlung nicht beeinträchtigen dürfen. Etwas derber hat ein an­derer Mann des Reichsarbeitsministeriums, Ministerialrat ölz, das einmal in der Sozialen Praris" so ausgedrückt: Arbeitsverpflichtung und geringes Maß der Unterstützung stärken in bem Erwerbslosen ganz wesentlich die eigene Bemühung, Arbeit zu finden."

Aus dem Kreise Königsberg in der Neumark wird dem" De motratischen Zeitungsdienst" geschrieben: Bie aus den Berichten hervorgeht, hat der jezige deutschnatio­nale Reichsminister des Innern auf die Anfrage Landsbergs, ob er fich Herrn Kapp zur Verfügung gestellt habe, mit geantwortet. Es ift deshalb nötig, daß Herrn v. Keudell noch einige Tatsachen in die Erinnerung zurüdgerufen werden.

In einer Sizung, in der dem Landrat v. Reudell Borwürfe In einer Sizung, in der dem Landrat v. Keudell Borwürfe wegen seines Verhaltens in den Kapp- Tagen gemacht wurden, hat er sich mit folgenden Worten zu rechtfertigen versucht: Ich habe nichts weiter getan, als mich der jeweiligen Re gierung gefügt, früher unter Ebert, jegt unter Kapp."

Reudell hat nicht nur an der Säderider Oberbrüde Landjäger und Zivilisten aufgestellt, in den damaligen Einwohner wehren, deren republiffeindlicher Charakter ja ge­mügend befannt ist, wurde auf die Veranlassung Keudells hin der Plan erörtert, die Höhen des Oberrandes, die namentlich in der Steudellschen Besitzung Hohenlübbichow die Niederung beherrschen, zu besetzen, angeblich, um das Bordringen kommunistischer Massen aus der Richtung Freienwalde   und Eberswalde   zu verhindern.

Aber damit hat sich Herr v. Keutell nicht begnügt. Gegen die wietlich harmlose Stadt Bärwalde zwischen Küffrin und Königsberg  in der Neumart hat er einen in Küstrin   flationierten Panzerzug auffahren lassen. Da der Bahnhoftsvorsteher diesen Panzerzug auf einem Nebengteis taltstellte, ist die schwere Waffe zwar nie wirksam geworden, jie hat aber trotzdem allein durch ihre Gegenwart zur Genüge böses Blut gemacht und nicht die Beruhigung geschaffen, die damals nötig war.

Herr v Keudell hat im Reichstag   weiter erklärt, daß es in jenen unruhigen Zeitläuften Pflicht eines Landrats gewesen sei, nicht Politit zu treiben, sondern zu gehorchen. Für jeden, der die Ber­hältnisse im Kreise Neumark   kennt und zu beurteilen vermag, steht aber fest, daß Herr v. Keudell nicht erst in jenen Tagen, sondern auch schon vorher träftig Politit getrieben hat. Es wäre überaus zweckmäßig, wenn Herr v. Keudell bei der jetzigen Untersuchung auch darüber Auskunft geben würde, was aus Anlaß einer von ihm im Schloß des Grafen Fintenstein in Troffin einberufenen Bersammlung sämtlicher Amtsvorsteher des Kreises besprochen worden. Im Fall, daß sich Herr v. Reubell   nicht mehr erinnern fann, tönnen ja auch die Amtsvorsteher selbst als Zeugen herangezogen werden. Diese Versammlung fand nach der Erinne rung eines zuverlässigen Gewährsmannes an dem gleichen Tage statt, an dem in Berlin   Herr Kapp glaubte, sich zum Leiter der Geschide Deutschlands   aufschwingen zu müssen.

( Siehe auch zweite Seite.)

etwas genauer an. Der Regierungsentwurf sieht sieben Lohn Sehen wir ims nun die fünftigen Bersicherungsleistungen flaffen vor; die Errechnung der Unterstützung erfolgt auf Grund des Einheitslohns der einzelnen Lohntlassen. Es ergibt sich folgende Einteilung:

"

Klasse I bei einem Wochenlohn bis zu 12 M. Einheitslohn 12 M. II über 12-18 18-24 24-30 30-36 86-42 42

17

VI

"

VII

P

15

" 7

21

"

"

27

"

"

33

"

39

42

"

45 Pro3., III und IV und V 40 Bro3., VI und VII 35 Broz. Die Hauptunterstügung beträgt in den Klaffen I und II des Einheitslohns. Dazu kommen bei Verheirateten für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen 5 Proz. des Einheitslohns, im Höchstfalle jedoch in den Klaffen I und II 70 Broz., III, IV und V 65 Pro3., VI und VII 60 Broz. des Einheitslohnes. Die Unterstüßung derjenigen Arbeitslosen, die Anspruch auf Bersicherungsleistungen haben, soll also fünftig pro Woche betragen:

Ledig Verheiratet mit 2 Kindern Kaffe I 5,40 II 6,75

<-' 9

Höstbetrag 8,40 mt.

7,20

7,50

9,-

10,50

111 8,40

9,45

11,55

18.65

IV 10,80

12,15

14,85

17,55

V

13,20

14,85

18,15

21.45

R

VI 18,65

15,00

19,00

38,40

"

VII 14,70

16.80

21,-

25,20

8

Was würden diese Sätze für die Städte ber Ortsflaffe A bes Wirtschaftsgebiets II, zu denen auch Berlin   gehört, be I beuten?