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Abendausgabe

Nr. 23144. Jahrgang Ausgabe B Nr. 114

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Vorwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Dienstag

17. Mai 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Otto Braun   rechnet ab.

Etatsberatung im Landtag.

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Der Ministerpräsident gegen die Rechte.

Im Preußischen Landtag begann heute die dritte Lesung des I mir tatsächlich zugehen. Was über die Maßregelung des Ministerial­Etats.

Abg. Steinhoff( Dnatl.): Die große Verwaltungsmaschine Preußens erfordert eine gründliche Etatberatung. Wir merder: auch in der dritten Lesung alle Anträge zugunsten der Be­amten und einzelner Bevölkerungsschichten wieder einbringen, die im Röpfungsausschuß gefallen sind.( 3urufe links: Und im Reich?) Ich habe hier nur für Preußen zu sprechen. ( Große Heiterkeit lints.) Die Republit ift in feiner Weise gefährdet, und wir denken nicht an eine gewaltsame Aenderung der Staats­form, aber unser inneres Verhältnis zum preußischen Königshaus hat sich nicht verändert.( Schallendes Gelächter links, Zurufe: Re­publitschuhgejek!) Durch die Forderung einer republikanischen Ge­finnung erzieht man die Beamten zu Heuchlern. Aber das paßt ganz zu der autokratischen Art, wie Herr Braun in Preußen regiert. In der Frage der besetzten Gebiete muß einmal deutsch gesprochen werden. Wir fönnen uns auf die Dauer diese Mißhandlung nicht gefallen lassen. Wir verweigern diesem Ministerium jedes Vertrauen und werden für den kommunistischen   Mißtrauensantrag stimmen. Breußen wird erst zu neuem Leben erwachen, wenn das Kabinett Braun gestürzt ist.( Beifall rechts.)

Abg. Dr. v. Richter( D. Bp.) wiederholt noch einmal ausführlich die Klage über den unfreundlichen Ton Brauns gegen= über dem Reich. Otto Braun   sei eine start autokratische Natur von überhöhtem Machtgefühl, aber die Zeit, wo die Sozialdemo­traten allen anderen Leuten mit der Faust ins Gesicht schlagen fonnten, sei vorbei. Die Betrauung Brechts mit der Bertretung Preußens im Reichsrat sei ein offenbarer Mangel an Rücksicht, die Maßregelung des Ministerialdirektors Sachs sei in der brutalsten Weise vor sich gegangen. Oberpräsident Hörfing habe seine schweren taftlofen Angriffe gegen Reichsminister noch in den letzten Tagen wiederholt. Warum müsse der Staat Preußen den Führer des Reichsbanners befolden?( Sehr gut, rechts.)

Ministerpräsident Braun:

Ich habe nicht die Absicht, meine Reden aus der vorigen Woche ich kann auch den Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Reichs

zu wiederholen. Für das Reichsbanner ist keine Position im Etat,

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banners und der dritten Lesung des preußischen Etats nicht er­tennen.( Heiterkeit.) Jedem Beamten steht nach der Verfaffung das Recht zu( 3uruf rechts: taktlos zu fein. Unruhe links), sich einer Organisation anzuschließen, die ihm genehm ist, und die rechtsstehenden Beamten machen davon reichlich Gebrauch. Ich habe aber deswegen noch nicht den Vorwurf gehört, daß wir deutschnationale Agitatoren aus der Staatskaffe bezahlen.( Sehr gut, lints.) Eine Eingabe des Reichsbanners ist mir in den letzten Tagen überreicht worden. Den Inhalt der Eingabe habe ich so wenig zu vertreten wie den Inhalt all der anderen zahllosen Eingaben, die

Unsere Gemeindepolitik.

Zur ersten Reichskonferenz für Kommunalpolitik in Kiel   am 22. Mai.

Von Dr. Richard Lohmann.

Seit Jahr und Tag wird in zahlreichen Anträgen und direktors Sachs gejagt worden ist, trifft Wort für Wort für die Anregungen immer wieder die Schaffung zweier Spezial­Maßregelung des Ministerialdirektors Brecht   zu.( Sehr wahr, programme der Partei gefordert: eines Agrar pro­links.) Richten Sie also Ihre Kritik gegen den Minister, der zuerst gramms und eines Kommunal programms. Das ist kein den Fall Brecht geschaffen hat. Oder verzichten Sie wenigstens 3ufall und keine Marotte etlicher programmmütiger Partei­darauf, fortwährend von Gerechtigkeit und Anstand zu reden.( Sehr genossen, sondern der Ausdruck eines tatsächlichen Be­gut, linfs.) Ein Schlag gegen die Reichsregierung war die sofortige Bieder- dürfnisses, das sich aus der praktischen politischen Arbeit anstellung des Ministerialdirektors Brecht nicht, hat doch zum Bei- ergeben hat. Denn nirgends sonst steht die Sozialdemokratie spiel das Reich den in Preußen zur Disposition gestellten Ministerial- vor jo gänzlich veränderten Verhältnissen, vor so neuartigen direktor Lölein auch sofort wieder angestellt. und vielgestaltigen Gegenwarts aufgaben wie bei ihrer kommunalen Arbeit in Stadt und Land.

Der Redner der Volkspartei hat wieder einmal leng und breit über meinen schlechten Ton gesprochen. Ich habe dieses parlamen­tarische Gouvernantentum der Deutschen Volkspartei   reichlich satt. ( Sehr gut! links.) Die Volkspartei sollte lieber endlich einmal Stellung dazu nehmen, wie sie fachlich zur Benachteiligung der Ost­provinzen steht.( Sehr gut! links.) Die Not der besetzten Gebiete ist für uns ein dauernder Gegenstand ernster So: ge und angestrengter Bemühung. Wenn die Deutschnationale Partei aufhören wollte, durch öffent­liche Aeußerungen dem Reichsaußenminister dauernd Schwierigkeiten in seinem Kampfe für die Befreiung des Rheinlandes zu machen, dann wären wir in diesem Punkte bald auf einer Linie.( Heiterkeit und Beifall liefs.)

Abg. Grube( Komm.) versichert, daß der Völkerbund   nur der Vorbereitung eines neuen Krieges gegen Sowjetrußland diene.

Die neue Zeit im Reichstag. Heute Reichstagsfizung: 14 Uhr pünktlich. Die gedruckte Tagesordnung für die Reichstagssigung vont Dienstag trägt den Vermerk: 14 Uhr pünktlich. Die neue Beit hält also auch im Reichstag   ihren Einzug, vorläufig allerdings nur als Zeitbestimmung auf einer Drucksache. Die Uhren sind noch immer auf die alte Zeit eingestellt. Auf den Regierungsbänken

figen die Männer von vorgestern, in den Reihen der Abgeordneten bilden die Sozialdemokraten, die Künder der neuen Zeit, die Minderheit.

Trozdem: Die neue Zeit marschiert auch im Reichstag. Zu­nächst nur auf einer Drucksache. Aber schon helfen sogar die Deutsch­nationalen dabei mit, dem Deferteur mit dem Kaisertitel die Rüd tehr nach Deutschland   zu versperren. Das Volk wird dafür sorgen, daß mit allem alten Kram aufgeräumt wird. Heute schlägts erst vierzehn. Wir wissen, daß es bald vierundzwanzig schlagen wird!

Bauen die Amerikaner?

Die Frage des Baugeländes.- Wieder eine Verzögerung?

Die letzten Wochen haben die öffentliche Diskussion der ameri= tanischen Bauprojekte sehr in die Breite wachsen lassen. Die Zu stimmung zu den amerikanischen   Vorschlägen ist so vehement ge­morden, die Ungeduld über die nuglosen Hemmungen gegen die Durchführung so allgemein, daß es wohl feine Stelle gibt, die fich diesem öffentlichen Urteil entziehen können wird. So wird man auch annehmen können, daß der Widerstand des preußischen Wohl fahrtsministeriums erledigt ist, um so mehr, als staatliche Mittel nicht in Frage kommen. Der Standpunkt der Sozialdemokratie im Rathaus, der die Durchführung des amerikanischen   Projektes grund­fäßlich gutgeheißen hat, ob mit oder ohne Hauszinssteuermittel, wird also durch das Votum der Oeffentlichkeit in jeder Hinsicht ge­

rechtfertigt. Es wäre in der Tat eine Unmöglichkeit, daß die zufäß liche Errichtung von 14 000 Wohnungen mit größerer Wohn­fläche ,, billigeren Mieten, größerem Komfort und mit allen Garantien solider Bauausführung, wobei der deutsche Kapitalmarft geschont wird und die deutschen   Baukosten nach unten revolutioniert werden, von irgendeiner Stelle zum Scheitern gebracht werden

dürfte.

Dennoch scheinen fich auch in den allerletzten Tagen noch gewiffe Schmierigkeiten bemerkbar zu machen. Die Berhandlungen find seit drei Tagen zum Stillstand gekommen und sollen nicht eher weitergeführt werden, als bis die Frage des Baugeländes ge­flärt sein wird. Es fann sich dabei nur um die Frage handeln, ob das Schöneberger oder ein anderes Baugelände in Frage fommt. Die Schwierigkeit fann nur darin bestehen, ob in der Tat das Schöneberger Gelände für die mehrfach in der Deffentlichkeit diskutierten Bahnhofsbauten reserviert werden soll. Es erscheint allerdings merkwürdig, daß diese Frage plöglich eine solche Bedeutung erhalten hat. Soviel uns bekannt ist, hat sich noch teine Stelle ernsthaft mit solchen Bahnhofsprojekten beschäftigt, die Reichsbahn ihrerseits erklärt, daß sie an die Ausnüßung des Schöneberger Geländes für Reichsbahn zwede nicht dente. Dasselbe hörte man vom Verkehrsministe­rium. Dazu tommt, wie wir hören, daß die Ausführung des Pro­jettes gar nicht vom Schöneberger Gelände abhängt, sondern daß das Angebot der Amerikaner auch dann bestehen bleibt, wenn irgendein beliebiges anderes Gelände von der Stadt zur Bebauung vorgeschlagen wird. Es braucht nicht einmal ein zusammenhängendes Gelände sein, sondern

es tönnen mehrere Baustellen in Frage kommen, wenn die Baustellen nur groß genug bleiben und das Aufziehen der Bau­stelle nicht absolut unwirtschaftlich gemacht wird.

Es ist deshalb zuversichtlich zu hoffen, daß trotz der augen­blidlichen, in ihrer Begründung feineswegs flar zu durchschauenden Schwierigkeiten die nächste Magistratssigung die endgültige Ent­scheidung bringen wird. Und zwar für die Durchführung des Projektes, wie sie der Fraktionsbeschluß der Sozialdemokratischen Partei vorgesehen hat.

Keine diplomatischen Vorrechte! England bestreitet die Immunitüt der Handelsdelegation. London  , 17. Mai.  ( WTB.) In Ermiderung auf eine Anfrage erklärte Locker Lampson   im Unterhaus: Weder die russische Handels­delegation, noch irgendeine Person ihres Stabes genießen diplo. matische 3mmunität. Der Führer der russischen Handels­delegation wird überhaupt nicht in die diplomatische Liste auf­genommen.

Wohl ist ihr der 3 wang zu positiver gefeß-­geberischer und verwaltungsmäßiger Tätig keit und der Wille dazu auch in Reich und Staat nichts Neues und Fremdes mehr. Aber was ihr dort bisher versagt den, ohne Rücksichtnahme auf foalierte politische Gegner und war: das Recht und die Verantwortung, allein zu entschei ohne Rückendeckung durch sie das ist ihr in der kommu­nalen Arbeit vielhundertfach zugefallen. Und in vielen an­deren hundert Fällen, gerade in den größten Gemeinden, ist sie zwar noch zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien gezwungen, trägt aber bereits als weitaus stärkster Kontra­hent mit dem Rechte des größten Einflusses auch die Pflicht der größten Verantwortung.

Aus dieser politischen Konstellation. ergibt sich für die Partei die Möglichkeit und zugleich die Notwendig teit, den Wert ihrer theoretischen Einstellung für die breiten Massen des schaffenden Volkes in Stadt und Land durch Er.. folge ihrer fommunalen Politik zu beweisen. Neben die agitatorische Wirkung des Wortes tritt die werbende Wir­

fung der Tat. Jeder Fehlschlag schädigt die Partei, jeder Erfolg stärkt fie. Das Beispiel von Wien   beweist, wie die praktische tommunale Arbeit geradezu ausschlaggebend werden kann für die politische Stellung und Bertung der

Gesamtpartei.

Nun find die reichsdeutschen Kommunalpolitiker aller­dings nicht in der beneidenswerten Lage ihrer österreichischen Genossen. Sie haben diefelben Aufgaben zu erfüllen. dieselben Probleme zu lösen wie sie, fie sind aber in ihren Einnahme­möglichkeiten beschränkt durch die gesetzgeberischen Maz­nahmen in Reich und Staat. Und wenn wir auch aus Grün­den der Gesamtpolitik zurzeit an dem Edpfeiler der Erzbergerschen Finanzreform, dem Kostgänger­tum der Gemeinden, nicht rütteln wollen, so müssen wir doch um so deutlicher darauf hinweisen, daß durch ihn die Grenz linie sozialdemokratischer Kommunal= politik in der Gegenwart bestimmt ist, daß reaktionäre Tendenzen innerhalb der Regierung des Reiches oder eines Landes sich heute ganz unmittelbar auch innerhalb der Gemeinde politik auswirken müssen. Das macht die praktische Arbeit sozialdemokratischer Kommunalpolitiker heute so schwierig: für Erfolg und für Mißerfolg tragen sie, trägt die Partei in den Augen der Massen die Verantwortung Erfolg oder Mißerfolg aber liegen nicht ausschließ= lich in ihrer Hand.

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Mit Recht stellt daher die erste sozialdemokratische Reichs­fonferenz für Kommunalpolitit in Riel dieses Problem an die Spize ihrer Verhandlungen. Es soll uns nicht schrecken, daß über die Frage der Lastenverteilung, des Finanz­ausgleich es in den hinter uns liegenden Wochen mehr als genug in der Deffentlichkeit debattiert worden ist, daß ge­rade hier bisweilen unpolitisches Draufgängertum politische Möglichkeiten verschüttet hat. Die Sozialdemokratie weiß. daß sich dieses Problem, folange die politischen Bindun­gen in Reich und Staat bestehen, nicht mit dem Kü­rassierstiefel auf dem Tisch lösen läßt. Sie weiß Arbeit von seiner Lösung abhängig sind, und wird daher aber auch, daß die Erfolge ihrer praktischen kommunalen ihren politischen Einfluß auch dort, wo die Entscheidung nicht bei ihr allein liegt, einheitlich für einen möglichst gerechten Lastenausgleich einsehen. Gerade weil für uns als Partei der Finanzausgleich von so ausschlaggebender Bedeutung ist, fönnen wir uns das Durcheinander der bürgerlichen Parteien nicht leisten, brauchen wir eine einheitliche Stellung­nahme der Partei zu diesem Fragenkompler. Jede fommunale Arbeit birgt die Gefahr firchturm­politischer Anwandlungen in sich. Es ist die Auf­gabe der Sozialdemokratie, den Blid des Kommunalpolitikers aus der Enge des eigenen Wirkungsfeldes immer wieder in die Weite der politischen Zusammenhänge zu erheben, ihm zu zeigen, daß der EinzelI erfolg nicht von Dauer sein tann, wenn er auf Kosten anderer lebens­wichtiger Glieder der Gesamtheit errungen Finanzausgleiches wäre nicht möglich gewesen, wenn die bürgerlichen Vertreter rheinischer Gemeinden diesen. Gesichts­punkt nicht außer acht gelassen hätten.

Die Beziehungen werden nicht abgebrochen. Im Unterhause fragte ein Mitglied der Arbeiterpartei, ob von der russischen Regierung irgendwelche Mitteilungen eingegangen seien, in denen die Bereitmilligfeit ausgedrückt wird, zur Beseitigung der Mißverständnisse zwischen Rußland   und England Berhandlungen zu eröffnen. Locker Lampson erwiderte, der Sowjetgeschäftsträger habe vor drei Monaten in allgemeinen Wen­dungen den Wunsch der Sowjetregierung nach besseren Beziehungen ausgedrückt; es sei aber fein Anzeichen für irgendeine Bewird. Der Kampf gegen Berlin   anläßlich des preußischen reitwilligkeit vorhanden, daß den früher von der englischen  Regierung aufgestellten Bedingungen entsprochen würde. Die Lage bleibe deshalb unverändert. Der Eintritt in Verhandlungen war abhängig von gewissen Bedingungen, die die Sowjetregierung nicht durchführen wollte. Im Handelsabkommen war festgesetzt worden, daß die Sowjetregierung den Grundsatz der Bezahlung ihrer Berpflichtungen anerfenne, aber seit der Aufstellung dieser Bedingung sind von der Sowjetregierung fategorische Mitteilungen dahingehend gemacht worden, daß sie sich nicht durch irgendeine dieser Berpflichtungen gebunden erachte.

An einem gerechten Finanzausgleich hängt ein gut Teil der Borbedingungen für erfolgreiche fommunale Ar­beit. Aber beileibe nicht der Erfolg selbst. Nichts ist verhängnisvoller, als alle Hoffnungen der Kommunalpolitik auf die Einsicht der größeren Brüder" abzustellen. Auch im engen Rahmen, im unnötig eingeengten Rahmen kann zielbewußte fozialdemokratische Politit fich bewähren.