die Kontrolle der Gstbefeftigungen. Wollen die Deutschnationalen ihre Minister desavouieren? Angesichts des italienisch-jugoflawischen und des russisch- cnglisch-polnischen Konflikts waren die Fragen der Kontrolle der geschleiften Ostbefestigungen und der Herabminderung der Besatzungstruppen im Westen sicherlich nicht die wichtigsten Fragen, die die Außenminister in Genf zu besprechen hatten. Die deutschnationale Presse legt aber ihnen entscheidende Be- deutung bei und konstatiert von da aus einen vollen außen- politischen Mißerfolg der von ihnen mitgetragenen Bürgerblockregierung. Nach einer Darstellung, die der„Berliner Lokal-Anzeiger" von unterrichteter Seite erhält, hat das Reichskabinett der deutschen Delegation gestattet, die Kontrolle im Osten zuzulassen unter der Bedingung, daß die Gegenseite die Freiwilligkeit des deutschen Entgegenkommens anerkenne und zugebe, daß damit keine Bindung für die Zukunft geschaffen sei. Dafür habe man als Gegenleistung eine feste Zusicherung für die Herabminderung der Besatzung erwartet, die jedoch nicht erfolgt sei Zu diesem angeblichen Tatbestand nimmt nun das Hugenberg-Vlatt folgendermaßen Stellung: Wir können uns unmöglich vorstellen, daß das Reichs- kabinett in der Frage der Besichtigung der Ostfestungszerstörungen, die von den Franzosen nur in der Absicht einer neuen Demütigung Deutschlands und einer Wiedereinführung der Militär- k o n t r o l l e hintenherum aufgeworfen worden ist, mit der Ein- ladung von Feindbundkontrollossizieren zur Besichtigung einoer- standen gewesen sein könnte. Hier darf man wohl unverzüglich authentische Aufklärung verlangen. Sollte diese— wir betonen nochmals. wider unser Erwarten— aber dahin ausfallen, daß die Kabinettsmitglieder tatsächlich einer derartigen Haltung zugestimmt hätten, dann würde sich die Frage auswerfen, wie weil die hinter dem Reichstabinett flehenden Fraktionen mit der Stellung- nähme ihrer Minister in diesem punkte einverstanden sind. Auf ihnen liegt letzten Endes die Verantwortung für die vom Kabinett betriebene Politik. Wir können uns unmöglich vorstellen, daß sich alle an der Regierung beteiligten Fraktionen mit einer Haltung des Kabinetts einverstanden erklären, die ohne Zwang und ohne Ruhen abermals deutsche Rechtsansprüche preisgibt und vor der Prestige- Politik poincores und des französischen Generalstabes die Segel streicht. Solche Klänge erinnern schon ein wenig an die Zeit, in der die Deutschnationalen aus der Luther -Regierung aus- brachen, weil sie die L o c a r n o p o l i t i k nicht weiter mit- machen wollten. Die Debatte über die Interpellation zur auswärtigen Politik, die die sozialdemokratische Reichstags- fraktion bereits angekündigt hat, verspricht danach sehr inter- essant'zu werden. Dazu kommt, daß die Deutschnationalen nicht nur zur Kontrolle im Osten Ja und Amen sagen, sondern auch das Kriegsgerätegesetz annehmen sollen, dessen erste Lesung heute auf der Tagesordnung des Reichstags steht. Dieses Gesetz über die Herstellung von Waffen und Kriegs- gerät in Deutschland , ihre Ausfuhr und Einfuhr, das noch über den Rahmen des Friedensvertrags von Versailles hin- ausgeht, ist für die Deutschnationalen sicher eine harte Nuß. Stimmen sie ihm zu, dann tun sie ebendasselbe, weswegen sie gegen die Linksparteien jahrelang die schlimmste Hetze ge- trieben haben. Bisher glaubte man sich helfen zu können, indem man von diesem peinlichen Gesetz nicht sprach, man hoffte offen- bar, es ohne alles Aufsehen erledigen zu können. Ob das aber jetzt noch möglich sein wird, muß die nächste Zukunft lehren. Heute allerdings wird wahrscheinlich die Ueberweifung der Borlage an den Auswärtigen Ausschuß, dem ja auch Stresemann nach seiner Rückkehr berichten wich, ohne Debatte beschlossen werden.
Verlängerung des Mieterschutzes. Vorlagen der Reichsregierung.— Verlängerung um zwei Jahre. Am 39. Juni d. I. läuft das Mieterschutzgesetz und das Reichsmietengesetz ab. Seit längerer Zeit haben sich die zu- ständigen Reichsministerien mit der Frage beschäftigt, ob diese Gesetze verlängert, abgeändert oder aufgehoben werden sollen. Angesichts der Zustände aus dem Wohnungsmarkt, des immer noch sehr großen Wohnungsbedarfs, der gewaltigen Abhängigkeit der Mieter von den Hausbesitzern, hat auch die Rechtsregierung einsehen müssen, daß dem Perlangen der Hausbesitzer nach Aufhebung bzw. Einschränkung des Mieter- schutzes nicht entsprochen werden kann. Die Reichsregierung wird deshalb dem Reichsrat in diesen Tagen die Verlängerung dieser beiden Gefetze auf die Dauer von zwei Jahren vor- schlagen. Beim Mieterschutzgesetz sind zwei Aenderungen beabsichtigt. Und zwar sollen im 8 52 einige Berbesserungen zugunsten der Mieter von gewerblichen Räumen und für Mieter großer Wohnungen eingeführt werden. Die völlige Aufhebung des Mieterschutzes für diese Kategorien hat große Härten gebracht, so daß durch die Aenderung die Wieder- Herstellung erträglicher Zustände angestrebt wird. Für die Räumungsklagen aus den Gründen, die in den§§ 2, 3 und 4 vorgesehen sind, sollen einige Erleichterungen im gerichtlichen Verfahren getroffen werden. Diese vereinfachten gerichtlichen Verhandlungen dürfen aber nur in Mrtsamkeit' treten, wenn der Mieter mit ihnen einverstanden ist. Im anderen Falle muß nach den jetzigen Bestimmungen verfahren werden. Durch diese Regierungsvorlagen dürste wahrscheinlich auch das Schicksal der Anträge der Wirtschaftspartei entschieden werden, in denen die Herstellung der freien Miet- zinsbildung bereits vom 1. Januar 1928 ab verlangt wird. Der von der Sozialdemokratie und den Mieter- organisationen entfesselte Widerstand gegen eine Lockerung des Mieterschutzes und gegen die freie Mietzinsbildung hat also sogar die Rechtsregierung gezwungen, ihre gefährlichen Absichten wenigstens einstweilen aufzugeben.
Sommer- Arbeit des Reichstags. Mindestens bis zum 10. Juli. Der Aeltestenrat des Reichstags beriet heute über den A r- beitsplan de<s Parlaments. Es wurde vereinbort, daß der Reichstag mindestens bis zum 16. Juli tagen solle, möglicherweise aber auch noch länger. Es sollen unter anderem die Z o l l g e s e tz e, die A r b ei t s l o s e n v e r s i ch e r u n g, das Gesetz über Aenderung des Mieterschutz eesetzes erledigt werden, ferner die erste Lesung des Reichsschulgesetzes und des neuen Straf- gefetzbuchs, das in nächster Woche auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ferner wird der sozialdemokratische Antrag, der den Der- fassungstag zum Nationalfeiertag erheben will, und der sozialdemokratische Initiativantrag, das Fürstenfperrgesetz zu verlängern, zur Beratung kommen.
Keine Einigung in Thüringen . Das Sperrgesetz must verlängert werden. Aus gutunterrichteter Quelle wird uns mitgeteill, daß die Mit- teilungen, wonach in Thüringen wahrscheinlich bis zum 36. Juni— dem Tage des Ablaufes des Sperrgesetzes—«ine Einigung zwischen Staat und ehemaligen F ü r st e n- Häusern zu erwarten fei, s a�l s ch sind. Die Unmöglichkeit der Einigung ergibt sich schon daraus, daß bis in die jüngste Zeit Vergleichsverhandlungen von den Beoollmäch- tigten der ehemaligen Fürsten, besonders des Gothaers, auf Grund des der Öffentlichkeit unverständlichen Reichsgerichtsurteils a b g e-
lehnt worden sind. Daß die erst in den letzten Tagen durch Der« mittlung einer außerthüringischen Stelle angebahnten Ber. Handlungen über«inen Streit, in dem neun Prozesse schweben, bis zum 30. Juni dieses Jahres zu einem abschließenden Ergebnis führen, ist vollständig ausgeschlossen. Außerdem steht die Erledi- gung der Streitfälle der ehemaligen Schwarz b u r g e r Fürsten — hier sind elf Prozesse zu verzeichnen!—, des ehemaligen Altenburger Herzogs und der Erben des ehemaligen w e i m a- r i f ch e n Großherzogs noch aus. Verhandlungen find in diesen Fällen noch nicht oder nicht wieder aufgenommen, so daß auch hier ein« Einigung zwischen dem Staat« Thüringen und den ehemaligen Fürstenhäusern unmöglich bis 30. Juni dieses Jahres zu erwarten ist. Verhandlungen nach Ablauf des Sperrgesetzes dürften ange- sichts der bisherigen Halsstarrigkeit der ehemaligen Fürsten und ihrer Vertreter kaum zu einem abschließenden Ergebnis führen. Würde der Reichstag das Sperrgesetz— richtiger die Sperrgesetze— nicht verlängern und dadurch die in Aussicht stehenden Verhand- lungen scheitern, kämen die in der Schwebe befindlichen Prozesse zur gerichtlichen Entscheidung. Was dabei für das Land zu er- warten wäre, ist vorauszusehen angesichts der bisher in Fürsten - prozeffen gefällten Urteile. Der Reichstag m u h aus den angeführten Gründen zunächst die Sperrgesetze verlängern, wenn er nicht wichtige Volksinteressen den ungerechtfertigten Ansprüchen ehemaliger Fürsten preisgeben will._
Die Sowjetregierung beruhigt. „Alles in Rußland normal." Moskau , 17. Juni. (WTB.) Die Telegraphenagentur der Sowjet- agentur ist ermächtigt, die von der Auslandspresse wiederholt ver- breitete Meldung über die Vcrhängung des Kriegszustandes über Moskau und Leningrad , über Mobilmachung in der Ukraine und angebliche Massenrepressalien in ver- jchicdenen Städten der Sowjetunion als Erfindung zu bezeichnen und aufs entschiedenste zu dementieren. Jeder Grund- läge entbehrten insbesondere die Meldungen von der E r s ch i e- ßung weiterer 28 ehemaliger Offiziere in Moskau sowie von Massenerschießungen in Wladiwostok , Tscheljabinsk , Tislis, Charkow und anderen Städten. Das normale Leben sei nirgends gestört, und keinerlei Maßnahmen in Abände- rung der Einreise- und Ausreiseordnung der Sowjetunion seien ge- troffen. Eine Massenausreise von Ausländern sei keines. w e g s zu verzeichnen. Jüuf Deutsche in Moskau verhaftet? Die„B. Z. am Mittag" will aus zuverlässiger Quelle— ein aus Moskau soeben zurückgekehrter deutscher Grohkaufmann— erfahren haben, daß fünf Deutsche in Moskau auf Befehl der Tfcheka verhaftet worden seien, darunter ein Dr. Jörns und ein Herr Thiede. An zuständiger Stelle ist hier darüber bisher nichts bekannt. Die deutsche Botschaft hat bisher nichts derartiges gemeldet. Sie ist jedenfalls sofort von Berlin aus telegraphisch ersucht worden, Erkundigungen bei den Sowjetbehörde» einzuziehen.
tvoldernaras' Versprechungen. Ein Memel - Delegierter gemaßregelt. IV. 8. Genf, 17. Juni. (Eigener Drahtbericht.) Einer der Delegierten der hiesigen Memeler Delegation, ein deutscher S ch u l r a t des Kreises Memel-Heidekrug ist seines Amtes e n t- hoben und an seine Stelle der Vorsitzende der Vereinigung litauischer Lehrer, die acht Mitglieder zählt, kommissarisch in dos Londeskirektorium berufen worden. Das ist die Strafe dafür, daß dieser Schulrat nach Genf gefahren ist, um die Interessen der deutschen Memelländer hier zu vertreten. Auch daran muß man erinnern, was von den Versprechungen des litauischen Minister- Präsidenten Woldemaras zu erwarten ist.
Protokoll über eine Premiere. Bon Ernst Degner. Das Deutsche Künstlertheater hat die nett« Sitte eingeführt, für den Erfolg einer Premiere nicht sich und dos Stück, sondern Borhangzieher und einzelne Daffteller verantwortlich zu machen. Da auch bei der gestrigen Erstaufführung des Schwanks „Bitte, wer war zuerst da?" der Franzosen Avis M i r a n d e und Rouezy-Eon nicht alle Aeußerlichkeiten so klappten, wie die Direktion Saltenburg wünscht, so sei hier der Bericht so abgefaßt, daß er gegebenenfalls bei Gericht als Schrift- faß oerwendet werden kann. Inhalt des Stücks. In„Bitte, wer war zuerst da?" sind zwei männliche und zwei weibliche Gatten an«wer einzigen Ehe, und zwar durchaus recht- mäßig beteiligt. Dos ist so gekommen: Da Armand bei einem Eisenbahnunglück angeblich den Tod gefunden hat, heiratet sein« Frau zwei Jahre später einen anderen. In Wahrheit aber lebt Armand. Er hat nur das Gedächtnis so komplett verloreen, daß er nicht mehr weiß, wo er sein Selbst einzuordnen hat. Er macht einen Friseurladen auf und heiratet seine Gehilfin. Als er, um seine Kunst an einem Bubikopf auszuüben, in das Haus seiner ersten Frau geholt wird, fallen alle Anwesenden beim Anblick des vermeintlichen Toten fast auf den Rücken. Der in seinem zweiten Leben völlig ausgegangene Armand erkennt seine früher« Umge- bung nicht, bekommt aber durch Hypnose seine Erinnerung zurück und vergißt dafür sein Friseurdasein. Da keiner der beteiligten Gatten auf den legitim angetrauten Partner verzichten will, kann man sich denken, was für verwickelte Situastonen entstehen. Der Arzt, der Armand sein eigentliches Selbst wiederschenkt, redet ihm «in, er hätte nach dem Eisenbahnunglück drei Tage geschlafen, wäh- rend es in Wirklichkeit drei Jahr« find. Schließlich haben sich die Verhältnisse so verzwickt, daß sich Armand nicht anders zu helfen weiß, als zunächst in fein Frifeurgefchäft zurückzukehren. In seinem Laden lösen sich endlich alle Verwicklungen, Wie, das ist den Autoren nicht recht klar geworden. Jedenfalls aber zur Befriedi- gung aller Beteiligten. Die Requisiten. Natürlich spielt in der Komödie ein zweischläfriges Bett eine Rolle. Die Autoren haben hier die nette Variation angebracht, zwei Männer sich ausziehen und das Bett besteigen zu lasten, nämlich die beiden rechtmäßigen Ehegatten der einen Frau. Weitere ori- ginelle Schwankrequifiten sind eine nette komplette Friseureinrich- tung mit den dazu gehörigen Mixturen. Im dritten Akt sieht man die Manipulationen des Friseurs. Es steigen sogar die Wohl- gerüche ins Parkett. Der Aufwand an Witz. Es sind zwei Kategorien zu unterscheiden: a) die Zweideutig. leiten, b) die aus der verzwickten Lag« sich ergeben Scherze. Und die sind tatsächlich manchmal zum Brüllen komisch.. Wenn etwa
den zur Entwirrung des Knotens herbeigerufenen Polizeikommiffor aufgeregte Zurufe bestürmen:„Die Frau hatte ich vor meinem Tode geheiratet, und mein Freund hat dann mein« Witwe zur Frau genommen." Im übrigen gleitet der geschickt konstruierte Schwank zum Schluß in das Derbe und Postenhafte ab. Wenn der Friseur dem Kunden den Seifenschaum in Mund und Augen schleudert, so hat das eine nachhaltigere Wirkung als die feinstgefchliffenen Sen- tenzen. Die Grundlagen des P r e m i e r« n e rf o l g e s. Wie der Prozeß Saltenburg-Foffter gezeigt hat, ist der Bor- hangzieher der wichtigste Mann bei der Premiere. Im zweiten Akt hat er den Vorhang zu spät fallen lassen. Das fei hier unnochficht- lich festgestellt. Dieses Unglück hat aber der Beleuchter wieder weit- gemacht. Er schaltete nämlich die Saalbeleuchtung erst dann wieder ein, als sämtliche Hände klatschmüd« wurden. Auch dem Hauptdar- steller Johannes Riemann passierte gleich im efften Akt ein Miß- geschick. Er versprach sich fürchterlich. Di« Darstellung. Wenn sich das Publikum trotz dieser tragischen Unglücksfälle köstlich amüsierte, so ist das der flotten Darstellung unter der Regie Reinhard Brucks zu danken. Selbst die kleinsten Rollen sind mustergültig besetzt. Es sind der pfiffige Fritz Kamper, die prachtvoll phlegmatische Käte Werckmeister, die spring- lebendige Edith d'Amara. die resolute Daisy Torrens und die reizend-verworfene Alexa v. Porendski zu nennen. Die Hauptfiguren des Abends überragt Johannes Riemann , der trotz seines Mißgeschicks vor Lustigkett übersprudelt. Wenn er sachvefftändig mit der Onsulierschere klappert, erntet er Beifall auf offener Szene von feiten der Bubikopfträgerinnen, die ja die spielerischen Manieren des Friseurs genau kennen. Hilde Hilde- b r a n d t hat sich ein entzückendes leeres Gelächter ausgedacht, mit dem sie das gesamte Parkett ansteckt. Einen äußefft ulkigen Trottel legt Julius Falken st ein hin, und Annemarie Stein- sieck, Anton Pointner und Walter Steinbeck ver. helfen dem lustigen Schwank an ihrer Statt zum sommerlichen Dauer- erfolg. Epilog. Ist der Premierenabeni) noch so sehr vom Unglück verfolgt, so kann das einem Stück wenig anhaben, dessen Autoren eine slotte Feder führen._
Stäötisthe Gper. („M a s k e n b a l l.") Eine nüchterne, unsichere, müde und halbfertige Borstellung. Jeden trifft«in Maß von Schuld. Der junge Sebastian leitete weniger als daß er sich leiten, ja gelegentlich zur Aufgabe seiner Kapellmeisterpflicht verleiten ließ. Die von Walter einstudiert« Auf- sührung des„M a s k e n b a l l s" sitzt zwar in den Kehlen fest, aber doch nicht so unbeweglich, daß kein Tempo sich verschieben ließe. Zuweilen gab das Orchester, zuweilen der Chor die Direktive, und auch der Tenor wollte sich partout nicht einer allzu weichen
Stabführung beugen. So kam man von dem Gefühl des Ungs- schlosjenen nicht los. Zwischen Bühne und Orchester gähnte eine vierte Wand, aus der keine Stimmung, keine Leidenschaft Verdis zurücktöntc. In der Starre dieses Theaterdaseins war Frau S a l v a t i n i die einzige menschliche Belebtheit und rthythmische Stütze. Obgleich indisponiert, glich sie durch natürliches Wesen und Wärme des Ausdrucks manches am Schema dieser Gesamtaussührung glückhaft aus. Den Ren� sang Eugen M o s s a t o w s k i als Gast. Dieser Russe, der italienisch spricht, ist spielerisch so unausgeglichen wie gesanglich. Neben einer wohllautenden und weichen Kantilene stehen Töne des gepreßten, des explofioartig Vorgestoßenen. Uebcr- anstrengung stellt sich schnell ein und zwingt zum Detonieren, die Bewegungen sind studiert, puppenhast. Bei guter Pflege müßte aber dieser von Haus vorzüglich vorgebildete Bariton eine große Zukunft haben. O e h m a n n fang zwar sehr sicher, aber nicht ohne spürbare An- stvengung. Aenne Mancher hat weder Dämonie noch Tiefe, singt ihre Ulrika aber mit Sorgsamkeit, Frau Pfahl-Waller- st« i n ihr« schönsten Lieder mit gar zu viel Süße und Zähnezeigcn. Die Chöre schleppten und waren nicht von ihrer ganz perfönlichen Meinung über Tempi abzubringen. Sebastian hat bisher in zwei Aufführungen gezeigt, was er kann. Jetzt offenbarte er, was er noch nicht kann: eine im Reportoire stehende Oper durch Willen, Kraft, sichere Ueberlegenheit und suggestive Stabführung zu einer musik- dramatischen Hnhcit zu bringen. Die Müdigkeit des Sommers kommt im Theater früher als in der Natur. Dies düffte die Eni- schuldigung sein. K. S.
SilSeinörücke und ihre Nachwirkungen. Es ist bekannt, daß die meisten Menschen, wenn sie längere Zeit einen roten Gegenstand betrachten und dann auf eine leere weiße oder hellgraue Fläche sehen, dort denselben Gegenstand in der Kam- plementärfarbe grün erblicken. Bei blauen Farben ist dieses Nach- bild gelb, bei orange violett. Im Anschluß an diese Erscheinungen zeigen sich aber noch andere, deren man sich allerdings gewöhnlich nicht bewußt ist. Ist nämlich das Nachbild, das meist nur kurze Zeit anzuhalten pflegt, verschwunden, so tritt bisweilen eine neue Bild- erscheinung auf, die dem ersten Bild gleicht oder ähnlich ist und die sich entweder ais Positiv, also in den natürlichen Farben, oder aber als Negativ mit Vertauschung von schwarz und weiß zeigt. Diese zweite Bilderscheinung, die nicht, wie das Austreten des richtigen Nachbildes, physiologisch zu begründen ist, kann bei einzelnen Per- sonen erstaunlich lange anhalten. Die neuere Forschung, die sich mit ihr beschäftigt, faßt ihre verschiedenen Arten unter dem Begrifs „Eidetische Probleme" zusammen. In der P s y ch o l o g i- schen Gesellschaft zu Berlin behandelte Dr. Friedrich Luther dieses Thema. Untersuchungen verschiedener Wissenschaft- ler haben ergeben, daß die eidetischen Probleme im Kindeoalter ziem- lich häufig, bei Erwachsenen dagegen seltener auftreten. Außerdem aber sind diese Bildeffcheinungen bei Erwachsenen meist Phantasie- mäßig oder vorstellungsmäßig entstellt, während sie bei Kindern eine Art mechanisch erworbener Besitz scheinen, der durchaus dem Urbild entsprechend reproduziert wird. Doch handelt es sich stets um wirk- liche Bilder, nicht um Erzeugnisse der Phantasie. Die Versuchs- Personen geben genau die Stellen aus der grauen Fläche an, auf