Är. 31* 45; Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 22* Januar 4925
„Ran Tann fiStt die Berechtigung des historisch Sewordenen ganz ocrschlcdsner iLuffaffuna sein. Die angeblichen Stammes- Eigenheiten haben bei der Abgrenzung der deutschen Seiniet nur eine ganz geringe Dolle gespielt. Stammeseigeuheiten und ftaat. lich« Grenzen decken sich nicht immer." Ott, Kran». Diese Worte sprach in diesen Tagen auf der großen Länder- tonserenz, auf der 1l)9 deutsche Minister versammelt waren, in Berlin der preußische Ministerpräsident. Es geschah am gleichen Tage, an dein der deutschnationale württembergischc Staatspräsident B a z i l l e aus den Versuchen, zum Einheitsstaat zu gelangen,„eine unmittelbare Gefahr für den Bestand des Reiches" heraufbeschwor. Fast von selbst wirft sich die Frage auf, worin denn überhaupt diese Stammeseigenheiten, von denen Braun und Bazille, jeder in seinem Sinne, sprachen, bestehen und w i e eigentlich die heute noch laufen- den staatlichen Grenzen Tatsache wurden. Groteske Grenzen. Gewiß wird niemand abstreiten wollen, daß sich der Bayer und der Pommer, der Schlesier und der Schwabe durch Stammes- cigenhciten unterscheiden. Es fragt sich nur, was dies mit den Staatsgrenzen von heut« zu tun hat. Nehmen wir ein Bei- spiel! Da liegt beinahe im cherzen von Deutschlond ein Land, das sich Braunschweig nenni. Es zerfällt In nicht weniger als neun voneinander getrennte Londstiickei Dies sind die drei größeren, Brounschwelg-Wolfenbüttel-chelmsbedt mit 1807 Quadratkilometer. Gandersheim -Holzminden mit 1108 Quadratkilometer und Blanken burg mit 470 Quadratkilometer und hie sechs kleineren, Ealoörde .Mit 112 Quadratkilometer, 5?orzburg' tnit 96 Quadratkilometer, Thedinghausen mit Z6 Quadratkilometer, Bodenburg mit 10 Quadrat- kilonrctcr, Ostharingen mit-y sage und schreibe— 4 Quadratkilometer .-und Oelsburg mit--- iage'uud schreibe noch cinnial— insgesamt 3 Quadratkilometers Wie entstand dieses geradezu lächerlich afi- muteirde Gebilde? Etwa auf Grund von braunschweigischen Stammeseigenheiten der Bewohner von Bodenburg , Oelsburg und Ostharingen? Nein!?lls Heinrich der Löwe 1180— die Sache spielt vor 848 Jahren!— die sächsische Herzogswürdc verlor. behielt er seine braunschweigischen, northeimischeu, supplinbürgischen »nd billingschen Bssitmngcn und verteilte sie unter seine drei Söhne Heinrich, Otto und Wilhelm. Die Hachsahren dieser drei ober teilten jahrhunderlelang munter weiter, tauschten auch gelegentlich mit getreuen. Nachbarn und desgleichen und schufen aus diese Weise den braunschweigischen Nationalstaat, dessen Stommeseigenheit heute, i» der deutschen Republik, nach der Meinung der Heldz, Heidts, Ba.zilles und ihrer Freunde im Reichs- kabinett unbedingt gewahrt werden muß. Die deutsche Landkarte weist einen sellsamen Fleck auf am oberen Lauf der Rahe, am Hunsrück . Umgrenzt wird dieser Fleck von den preußischen Regierungsbezirken Trier und Koblenz . Er nennt sich„Fürstentum B i r k e n f e l d", und rund 85 Proz. des deutschen Volkes werden gestehen, von diesem Fürstentum in
ihrem Leben noch nichts vernommen zu haben. Das Fürstentum umfaßt 500 Quadratkilometer und gehört staatsrechtlich zum Frei» ftaat Oldenburg, der Zill Kilomeier von Lirkenseld entfernt liegt. Im Mittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert wechselte Birkenield die Landesherren mit Beharrlichkeit. Auf Grund des Kuddelmuddels der Wiener Kongreßakte wurde es dann durch den Frankfurter Vertrag vom 9. April 1817 ohne jede Berücksichtigung der Birkenselder„Stammeseigenheit" ausgerechnet oldenbur- g i s ch. Wonach sich aber auch noch heute, 1928, zu richten ist! Wemr man freilich meint, daß damit die oidenburgischen Stammeseigen- heilen restlos verteilt sind, irrt man sich! Getrennt vom Stamm- land und von Birkenfeld gehört nämlich zu Oldenburg noch das Fürstentum Lübeck mit der Hauptstadt Eutin , das durch die Säkularisation der geistlichen Fürstentümer und den Reichsdepu- tationshauptausschuß vom Jahre 1803 vom Herzog Peter Friedrich Ludwig erworben ward. Wo aber ist nun die rechte oldenbur- gische Eigenheit zu 5)ause, in Oldenburg , in Eutin oder in Virkcnfeld? Ein eigeichestliches Land ist auch M e ck l e n bu r g»S treliß. Es zerfällt in zwei durch Mecklenburg . Schwerin vollkommen voneinander getrennte Gebiet-telle. in die Herrschaft Stargard und das Fürstentum Ratzeburg. Dieser Zustand resultiert aus dem herzoglich obotritischen Erbte ilungs vertrag von Hamburg , der am 8. März 1701, also vor 227 Jahren, geschlossen wurde. Er ist natürlich auch noch 1928 maßgeblich! Der Fast Mecklenbueg-Streliiz ist aber zudem noch ganz besonders gelagert. Wenn die deutsche Kleinstaaterei, weim die Zerrissenheit unseres Vaterlandes überhaupt nach Bazille als„geschichtlich geworden" angeschen werden soT.dami ist dies auf die Dynastien zurückzuführen. In Mecklenburg-Strelitz starb der letzte Großherzog, Adolk Friedriä» VI., unter geheimnisvollen, vielfach umdeuteten und bisher nicht geklärten Um- ständen. Durch Freiiod, und zwar im, Frühjahr 1918, also v o r der
Grenzpfähle und Grenzpfähle Im Herzen des Landes.
Staatsumwälzung. Die Regentschaft übernahm durch«ine Kühiv gebung im Stile des Vormittelalters Friedrich Franz von Schwerin. bis sich plötzlich der Großvaterbrudersohn des Verstorbenen, Herzog Karl Michael, init Erbanjprüchen meldete. Dieser ober hatte, durch seine Mutter, eine Großfürstin aus dem Hause Romanosf, russifiziert, als russischer General gegen die deutschen Truppen im Felde ge- standen. Dies war nun selbst für�das monarchische Deutschland etwas zu bunt, und so schwebte der Streit noch, als die Revolution vom November 1918 den Plunder hinwegfegte. Trotzdem ist auch heute noch mecklenburgisch- st retitzsche Eigenart zn wahren! Das Lächerliche der Dynastien. Schon der Fall Mecklenburg-Strelitz führt auf den letzten Grund der deutschen Kleinstaaterei, auf die Lächerlichkeit unserer Dynastien hin. Diese Dynastien, diese Friedrich Augusts, Lud- wigs, Wilhelms und Heinrichs der soundsovielte, empfanden, von wenigen Einzelerscheinungen abgesehen, niemals deutsch, sondern immer nur preußisch, bayerisch oder sächsisch, lippe-detmoldifch. reußisch oder koburgisch. Auch der von der Rechten vielzitisrte Fridericus, der gewiß seine Kollegen überragte, macht hier keine Ausnahme. Nichts beweist diese antideutsche, diese autiemheit- liche Einstellung so sehr, als die napoleon is che PeriiH&k- Rach den preußischen Niederlagen von Jena und Zluerstödt winselten die Potentaten vor dem„korsischen Emporkömmling" Napoleon , dem Kaiser des Erbfeindes! Sie überboten sich in Kriecherei und verjuchten, wenn die Sache kritisch stand, wie ertappte Der- breche?, ihr Alibi nachzuweisen. In Äoburg veröffentlichte am 18. Januar 1807 die herzoglich sächsische Landesregierung folgendes „Publicandum": „Die Feinde des Vaterlandes(von Sachsen-Koburg?) haben in öffentlichen Zeitungen und selbst bei den kayserl. französischen Behörden die Nachricht zu verbreiten gesucht, daß Unser durchl. Landesherr sich in Diensten der Königl . Preußischen Armee befinde und gegen die Kayserl. Französische Armee streite. Da nun diese Nachricht unbegründet ist, da Se. Durchlaucht niemals in wirklichen Kriegsdiensten gestanden haben, sondern nachdem Sie im Monat Oktober bey Sr. Majestät dem König von Preußen einen Besuch in Weimar abgestattet hatten, auf Ihrer Reise nach Riga zu Ihrer Durchlauchtigsten Frau Schwester, in Königsberg von einem gr- iährlichen Ncrvenfieber überfallen wurden und noch krank daselbst daniederliegen, also an den, Krieg selbst aus keine Art Antheil nehmen konnten: so wird Dieses zur Berichtigung des Publikums zu jedermanns Wissenschaft hierdurch bekannt gemacht." Dem Beispiel des Koburgers folgten seine Kollegen! Napoleon aber schüttelte alle..Eigenheilen" mit rauher Hand durcheinander. Seine fürstlichen Bundesbrüder von Bayern , Württemberg und Kur- sachsen machte er zu Königen, und aus den souveränen Fürstentümern von Leiningen, Fürstenberg, Salm und Schwarzenberg schuf er badische„Eigenheiten. Ja, diese Stammeseigenheiren wechselten damals so rasch, daß im Fürstentum Osnabrück ein Witz-
S6j
Lernent. Vornan von Fjodor Gladtow.
Hinter Poljas Tür war es still. Gljeb hatte noch nicht angeklopft: schnelle, erschrockene Schritte kamen zur Tür (Polja war wahrscheinlich barfuß), und ein leiser erschrocke- ner Aufschrei ertönte: „Wer ist dort, wer?* Die Tür öffnete sich breit, mit Wucht und stieß Gljeb heftig die Schulter. '„Verflucht! Kannst einen Menschen zum Krüppel machen... Sind doch ein schädliches Element, diese Weiber." Man konnte das Zimmer nicht betreten. Polja Mje- chowa stand auf der Schwelle, blaß, blind vor Angst, mit einem offenen Mund steckengebliebenen Schrei. „Gljeb..." „Was hast du, Mädel?... Pin ich ein Bandit? So ein Rührmichnichtan... Was hüpfst du so?... Hab dich schon lang nicht gesehen... Wo ist Daschka?..." Er näherte sich chr, hob den Arm, um sie in freundlicher Umarmung von der Schwelle zu stoßen. Sie war plötzlich wie verwelkt, lehnte sich an den Pfosten und lächelte kläglich. „Ach. Gljeb... Wie ich erschrocken bin... Dascha kommt gleich... Nach all dem. was ich erlebt habe, Gljeb ... Hab ich mich ganz verloren... Es wäre bester, wenn du nicht kommen würdest... Warum hast du mir früher nicht beigestanden?... Ich bin krank... Gljeb... Komm nicht mehr her: das ist zu qualvoll für mich... Es ist. als ob ich unter Trümmer geraten und ganz zermalmt wäre." Gljeb sah sie verlegen an und wußte nicht, was ihr sagen. Und fühlle nicht mehr die alte Zärtlichkeit zu khr, die frühere Teilnahme: sie war zu hilflos und kläglich. Es war nichts mehr von der lebenslustigen, lockigen Frau ge- blieben. Einst ging durch sein Herz eine trunkene Welle. Sie ist zurückgeflutet und hat Polja mit sich genommen. „Zch muß wegfahren, Glied... muß ausruhen und Kräfte sammeln. Es ist viel Schreckliches in den Männern, Glseb. Mir ist jetzt, als ob in jedem von euch ein Badjin lecke... Schau mich nicht so an: das bist nicht du, sondern "adji»... Geh. Gljeb... nicht jetzt, sondern später...
In einer anderen Umgebung... Warum hast du mir da- inals nicht gegeben, was ich wollte?... Vielleicht wäre mir dann dies alles nicht geschehen... Sie lachte, und ihr Lachen klang wie ein fröhliches Glöck- chen. Und in dem Lachen hörte Gljeb Tränen und eine zarte Freude, wie bei einem kleinen dummen Mädchen. „Da ist sie, Dascha!... Da ist sie!... Bitte, nimm ihn und führ ihn weg, weit weg... Sag ihm, er soll nicht mehr herkommen... Dascha packte ihn an den Schultern und stieß ihn von der Türe weg und schloß die Tür fest und vorsichtig hinter Polja zu. „Nun, Krieger... geh nach Hause— hast hier nichts zu suchen." Und trotzdem sie ein spielendes Kinderlachen lachte, war ihre Hand nicht freundlich, fremd. In seiner Seele war Kränkung— es war staubig und leer in ihr, wie in seiner Kammer zu Hause. „Ich sehe, es ist nichts anzufangen mit euch... Und was ist mit dir? Es scheint, du hast dich hier festgesetzt... Meine Sache steht also nicht gut... Hast das gut gedeichselt ... Wann wirst du nach Hause kommen?" Etwas erzitterte in ihr— spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder, in ihren Augen, und sie runzelte qualvoll ihre Stirn. Sie antwortete nicht sofort, und in diesem kurzen Augenblick ihres Schweigens sah Gljeb, daß in ihrer Seele zwei Kräfte fest aneinander geprallt waren. Sie warf ihren Kopf zurück, ihr Gesicht wurde ganz blaß, das Tuch verschob sich nach rückwärts und die Augen schimmerten wie hartgeschliffen. Und wenn sie auch nichts geantwortet hätte, hätte Gljeb doch gewußt, was sie sagen wollte. „Ja, ich habe hier festen Fuß gefaßt, Gljeb... Es muß so sein. i. Das ist besser für dich und für mich... Wir können nicht zusammen leben, Gljeb... Wir müssen unser Schicksal anders aufbauen." Heißes Blut überströmte, unerträglich schmerzend, sein Herz, er wurde taub und erstickte fast vor Wut. „So, also jetzt werden wir es wissen... Endgültig... ich habe das schon längst gespürt. Hab mich umsonst gequält und einen Narren aus mir gemacht. Doch Badjin ist ein Bandit und ein Schurke. Werde ihn schon festnageln... Die Zeit wird komme«. Er hat dich und die Mjechowa ge»
fressen... Wir beide können nicht gleichzeitig leben.., Das ist klar." „Gljeb, bist doch ein dummer und ftoller Stier... Weißt gar nicht, was du schwätzt... Geh nach 5)ause und komm zu dir... Denk mit dem Hirn und nicht mit dem Unter- leib... Der Genosse Badjin ist ebenso schuldlos wie du... denk daran... Du hast damit nichts zu tun und auch Badjin nicht. Er drehte sich schwerfällig um und ging über den Gang zurück. Machte einige Schritte und erinnerte sich: er hatte das Wichtigste nicht gesagt. „Begreif doch nur: ich bin jetzt ein heimatloser Hund. Meine ganze Seele habe ich ins Werk gesteckt,— und das Werk und du, habt mir mein Blut genommen... Wir alle leben nicht— leben nur halb... Ich werde zur Armee zurückkehren." Dascha ging ganz nahe an ihn heran, aufgewühlt, mit einem zärtlichen Lächeln. In ihren Augen glänzten die alten Iunginädchentränen. Sie streichelte ihm schüchtern die Schulter und seufzte. „Ist doch nicht unsere Schuld. Gljeb, das Vergangen- ist zugrunde gegangen, unwiderruflich. Werden ein neues Leben bauen... Die Zeit wird kommen, wo wir uns neue Nester bauen werden. Liebe bleibt Liebe, Gljeb, nur ver- langt sie nach neuer Gestaltung... Alles wird in Ordnung kommen, alles wird sich formen, und wir werden dann nach- denken, wie die neuen Bande zu knüpfen sind." Mit roten Ringen in den Augen und einem quälende« Schmerz in der Brust drehte Gljeb sich wieder um und machte einige Schritte über den Gang. Er erstarrte plötzlich: seine und Badjins Augen begegneten einander. Er stand in der Tür seines Zimmers und' sah Gljeb mit einem düster-spötti- scheu Lächeln an. Er stand grad. das Leder seiner Jacke glänzte, und seine Hände steckten tief in den Taschen. »Komm zu mir. Du warst noch nie bei mir. Ich möchte mit dir einmal so aus ganzer Seele sprechen." Gljeb stand wie gelähmt vor chm und konnte ferne Augen nicht von seinem Gesicht losreißen. Ein eiskalter Strom zitterte ganz tief im Innern und ergoß sich über Hände und Füße. Und unbewußt suchten seine Finger den Gürtel, die Hüften, die Revolvertasche,—- und konnten nicht zur Ruhe kommen. (Schluß folgt.)