Morgenausgabe
Nr. 248
A 127
45.Jahrgang
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Onu simost.
Sonntag
27. Mai 1928
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Rußlands Korruptionsaffären.
Der Sieg verpflichtet!
Aufgaben der Sozialdemokratie nach dem 20. Mai.
Das Ergebnis der Untersuchung in Charkow / Vernehmung im Schachty - Prozeß. fonftituieren. Am 14. oder 15., nach vollzogener Bureau
Chartow, 24. Mai.
In Chartow ist die Boruntersuchung gegen die Korruption im Baubureau des Kohlentrusts Donugolj" abgeschlossen worden. 50 Angestellte, darunter der Chefingenieur Retdjutow und fein Stellvertreter Steffer werden vor das Oberste Gericht der Utraine gestellt. Die Voruntersuchung hat festgestellt, daß das Baubureau Arbeiterwohnungen so schnell und so, billig" als möglich zu errichten suchte, ohne Rücksicht auf ihre Bewohnbarkeit. Infolgedessen seien große Summen für minderwertige Bauten vergeudet worden, die bereits am zweiten Tage nach der Fertigstellung reparaturbedürftig waren. Jede technische Kontrolle der Bautätigkeit fehlte. Eine Reihe Unterschlagungen und Dokumentenfälschungen hätten fast sämtliche Angestellte des Baubureaus vom Leiter bis zum Raffierer verübt. Die Gelder feien unter den Angestellten verteilt worden. Ein Teil zu Bestechungszweden an die Angestellten der Bergwerksverwaltungen, die die Neubauten abzunehmen hatten. Diese Abnahmebeamten hätten daher feste monatliche Bestechungsgelder nebst einer Urlaubszulage erhalten. Durch Dokumentenfälschungen feien auch angebliche Ersparniffe erzielt, wofür mehrere Angestellte 90 000 Rubel Prämiengelder ausbezahlt erhielten.
Die Boruntersuchung wegen der Explosion auf der Grube Nr. 17 der Rutschentowfti- Bergwertsverwaltung ist ebenfalls abgefchloffen. Wie die ,, Jsweftija" melden, soll dabei festgestellt worden sein, daß die deutsche Firma Thyssen Schachtbau8. m. b. 5., die gemäß einem Vertrage mit dem Donugolj" die Grube anlegte, die Bestimmungen über Sicherheitstechnit in ft e matisch perlegt habe. Der Steiger Rasche von der Firma Thyffen soll ausgesagt haben, daß
völlig ungelernte Arbeiter zu Sprengarbeiten zugelaffen wurden. Da der Hauptbeschuldigte Ingenieur Siemers bei der
Urteil im Klapproth- Prozeß.
Der neue Reichstag wird sich am Mittwoch, dem 13. Juni, wahl, wird er bereit sein, die Erklärung der neuen Explosionstatastrophe getötet wurde, werden vor Gericht nur die Regierung entgegenzunehmen. Dann muß auch eine Angestellten ber Bergwerksverwaltung erscheinen. neue Regierung da sein, die bereit ist, ihre Erklärung abzugeben.
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gehend über die Knappschen Maschinen, von denen er zwei Im Donezprozeß ,, berichtete" der Angeklagte Nitishin einfeinengelernt hat. Diese Maschinen bezeichnet er als unbrauchbar, obwohl 57 gleichartige Maschinen in Rußland arbeiten. Die Tatsache, daß die Maschinen nicht sonderlich gut verpackt und zum Teil verrostet waren, habe in ihm das Urteil erweckt, daß es sich um, veraltete Maschinen handele. Obwohl er dem Berteidiger Badstiebers auf Befragen zugeben muß, daß der Roft die Qualität der Maschinen nicht gemindert habe, bleibt er dabei, daß die Maschinen schlecht seien. Nitischin legt die Lieferung der schlechten" Maschinen Gerleffi zur Last. Gerleyfi soll nach Nirischins Behauptung nicht der deutschen Firma, sondern dem Angeklagten Ingenieur Die Maschinen lediglich gekauft haben, um Sabotage zu üben.
Gerleyfi erklärt, daß er die Maschinen nur abgenommen habe, weil sie die vertraglich festgesetzte Beiftungsfähigkeit und selbst bei härtestem Anthrazit normale Produktion hatten. Die Ma fchinen feien nur für die Sonderbedingungen eines Schachtes nicht geeignet gewesen und daher an andere Sowjet betriebe verkauft worden.
Nifischin behauptet weiter, daß ihm Badftieber 400 Rubel mit der Erflärung gezahlt habe, die Firma Knapp gewähre ihm das für besondere Bemühungen bei Aufstellung der Probemaschinen. Er habe das so verstanden, daß er trog jeiner Meinung über die Maschinen Schwierigkeiten bei ihrer Abnahme nicht machen folle. Dazu sagt Nitishin, daß er selbst gar feinen Einfluß auf die Abnahme der Maschinen gehabt habe, da Gerlezki sich zur Uebernahme der Maschinen entschlossen hatte. Nitischin, der übrigens sehr verworren aussagte, behauptet jedoch nicht, daß irgendwelche Beziehungen zwischen Babstieber oder der Firma Knapp bzw. irgend einer Sabotageorganisation beständen.
Ehrhardt ließ fürzlich mitteilen, daß er den Wiking auf gehoben habe und für etwa entgegengesetzte Bestrebungen nicht 1 Jahr Gefängnis für Klapproth, Hayn und Schulz frei mehr verantwortlich sei. Kobelinsti ist einer der fanatischsten
gesprochen.
Im approthprozeß verkündete der Borfizende heute nach mittag folgendes Urteil: Der Angeklagte Klapproth wird wegen Rörperverlegung und einer das Leben gefährdenden Behandlung zu einem Jahre Gefängnis verurteilt. Diese Strafe wird mit der vom 3. September 1926 von dem Schwurgericht Landsberg erfannten Strafe von 15 Jahren Zuchthaus auf 15 Jahre Zuchthaus zusammengezogen. Die Angeklagten Hayn und Schulz werden freigesprochen.
In der Begründung des Urteils führte der Borsigende aus: ,, Der Belaftungsbeweis gegen Schulz war ein reiner In bizienbeweis. Das Geständnis des Angeklagten Hann, ein Hauptstützpunkt der Anflage gegen Schulz, wurde vom Schwur gericht nicht als durchschlagend erachtet. Entlastend für Schulz ift, daß er bei dem Kommandanten der Reichswehr darauf gedrungen hat, Gädede der ordentlichen Strafgewalt zu übergeben. Damit ist Gäbede der Strafgemalt des Angeklagten Schula entzogen worden. Die Fälle Wilms und Gröschte, on denen Schulz beteiligt war, find ganz anders gelagert. Ihre Taten waren der Militärbehörde gänzlich unbekannt. Deshalb konnten diese beiden Fälle nicht als Beweis gegen Schulz im Falle Gädece angewandt werben. Es ist auch nicht erwiesen, daß Schulz die Tötung Gädedes beabsichtigt hat. Dem Angeflagten RI ap proth fonnte nicht bewiesen wer den, daß er die Absicht gehabt hat, Gädecke zu töten. Es kommt baher lediglich Rörperverlegung in Frage, die das Leben Gädeckes gefährdete. Das Strafmaß gegen Klapproth ergibt sich einerseits aus der Brutalität, mit der Klapproth bei der Körperverlegung Gädedes vorging, andererseits daraus, daß feine unedlen Motive(?) bei Klapproth vorgelegen haben."
Die Polizei hat in einem Hause in der Gerhardstraße geheime Zusammenfünfte aufgedeckt. Es soll sich um eine Fortseßung des in Preußen verbotenen Bitingbundes handeln. Fünf Ber. fonen wurder festgenommen. Ihr Führer, der aus der Ende vorigen Jahres von Magdeburg ausgegangenen Untersuchung gegen den Wifing bekannt gewordene Student Kobelinsti, murhe dem Untersuchungsrichter vorgeführt; die übrigen Beteiligten wurden nach ihrer Bernehmung wieder entlassen. Im Besitz der Teilnehmer an der Versammlung wurden zwei Selbstladepistolen mit Muni tion vorgefunden und beschlagnahmt.
Anhänger Ehrhardts. Bei dem Korpsgeift, der bei den Bitingleuten herrscht, ist nicht anzunehmen, daß er gegen den Willen des„ Chefs" handelt. Sollte es sich also in Riel tatsächlich um eine Fortsetzung des Wiking handeln, so wäre das ein neuer Beweis für die alte Tattit Ehrhardts, sich selbst der Dredlinie fernzuhalten und seine Untergebenen auslöffeln zu laffen, was er eingebrodt hat.
Ein Waffenlager des Stahlheims.
Hannover , 26. Mai. ( Eigenbericht.) In Bodenem am Harz fand die Polizei bei einer Haus. fuchung 114 Gewehre, 2 schwere und 4 leichte Ma. schinengewehre sowie viel Zubehörersatzteile und reichlich Munition. Die Waffen, die früher Eigentum der„ Orgesch" waren und jetzt dem Stahlhelm gehören, find bis in die letzte Zeit hinein vom Stahlhelm gepflegt und instandgesetzt worden. Das Waffenlager wurde beschlagnahmt und nach Hannover übergeführt.
Sm großen Kapitoltheater zu Toulouse ist am Sonnabend der fozialistische Parteitag durch den Generalsekretär Paul Faure feierlich eröffnet worben.
Cinige Delegierte, darunter Renaudet, wünschten Beratung ber Brüffeler Tagesordnung des internationalen Kongresses; dazu soll jedoch ein besonderer Parteitag im Juli tagen. Anschließend wurde das Jugendproblem besprochen. Eine Entschließung darüber Joll ein Ausschuß vorbereiten.
Im letzten Augenblick ist Genosse Rudolf Breitscheid , der als Vertreter der Sozialdemokratischen Partel Deutschlands nach Toulouse reifen wollte, durch Unpäßlichkeit infolge Ueberanstrengung im Wahlkampf verhindert worden, die weite Fahrt anzutreten. An ausländischen Gästen sind anwesend: Winter Tschechoslowakei , Graber Schweiz , Rosenfeld ( Menfchewift). Der Sefretär der Internationale, Frip Adler, und der englische Schriftsteller Wells haben sich entschuldigen laffen.
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Die fitauische Puffchreglerung hat zum Staatsfubiläum die Smetona , Minister nur ihm verantwortlich, Sejm nur beratend, Berfassung geändert: Cebenjahresamt des Butschpräses Mandatszahl auf die Hälfte verringert, Wahlrechtsalter auf 25 Jahre hinaufgefeßt. Woldemaras hat sich gewiß in London die Genehmi gung zu diesem Staatsstreich geholt!
stituierte sich der Reichstag , aber eine andere Regierung als Im Januar 1925 mar es freilich anders. Am 5. tondie die Geschäfte führende war nicht vorhanden. Sie hieß, nebenbei gesagt, auch damals Marr. Schon in der fonftituierenden Sigung mußte festgestellt werden, daß eine verhandlungsfähige Regierung nicht da war. Man beschloß trogbem weiter zu tagen, und beriet in den folgenden Sitzungen fleinere Vorlagen. Am 16. Januar stand endlich die Entgegennahme einer Erklärung der neuen Reichsregierung an der Spize der Tagesordnung. Aber zu Beöffnen, daß die Entgegennahme der Erklärung wieder von ginn der Sigung mußte Präsident 2öbe dem Hause erder Tagesordnung abgesezt werden müsse, da es noch nicht gelungen sei, die Verhandlungen über die Besetzung des Reichsfinanzministeriums und des Reichsjustizministeriums zu Ende zu führen. Erst am 19. Januar fonnte Herr Dr. Luther die erfreuliche Mitteilung machen, daß es ihm gelungen sei, Herrn Dr. Frenten als Reichsjustizminister und Herrn v. Schlieben als Reichsfinanzminister zu gewinnen. Erst an diesem Tage, zwei Wochen nach Eröffnung des neuen Reichstags, gab er seine Regierungserklärung ab. Die Sozialdemokratische Partei , die durch den Ausfall der Wahlen dazu berufen ist, die Führung bei der neuen Regierungsbildung zu übernehmen, muß im Interesse des parlamentarischen Systems und der neuen Regierung das ihre tun, um dem neuen Reichstag ein ähnliches Schauspiel zu ersparen.
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Führung bei der Regierungsbildung zu übernehmen. Sie Die Sozialdemokratische Partei ist dazu berufen, die hat gegen den Bürgerblod gefämpft und sie hat ihn geschlagen. Wollte sie sich der Aufgabe entziehen, die ihr durch das Neunmillionenvotum ihrer Wähler gestellt ist, oder würde sie unluftig, mit dem heimlichen Willen, nichts zustandekommen zu lassen, an diese Aufgabe herantreten, so blieben der Wahlkampf und sein Ergebnis ohne Sinn. Maffen, die wir neugewonnen haben, würden sich enttäuscht von uns abwenden, viele würden sich bei einem fünftigen Wahlkampf fragen, ob es denn überhaupt einen Zweck hat, fozialdemokratisch zu wählen, wenn nachher doch wieder alles beim alten bleibt.
Wie bei den Wahlen so müssen wir jetzt bei der Regierungsbildung und in der kommenden Regierung selbst dafür kämpfen, daß es anders wird. Wir fönnen mit unjeren 152 von 490 Mandaten feine Alleinherrschaft aus üben, und niemand fann erwarten und verlangen, daß die bürgerlichen Parteien uns eine Mehrheit stellen, mit der wir rein sozialdemokratische Politit treiben fönnen. Es ist noch immer so gewesen, daß sich unser Wille nur schrittweise gegen ihm entgegengesetzte Kräfte durchsetzen konnte, es wird auch in der neuen Regierung so sein.
Aendern fann sich das erst. wenn eines Tages die Sozialdemokratische Partei die Mehrheit aller Reichstagsfiße einnehmen wird. Die Möglichkeit eines solchen Mehrheitssiegs ist gegeben, und ohne die Moskauer Spaltungstaftit mären wir ihm schon viel näher. Der Mehrheitssieg wird uns zwar nicht wie man uns als unsere Meinung unterstellt den Sozialismus wie einen reifen Apfel in den Schoß fallen lassen", auch nach ihm wird es an schweren Kämpfen gegen objektive Schwierig feiten und subjektive Widerstände nicht fehlen, aber dann wird eine entscheidend wichtige Bofition erobert sein und wir werden ganz anders vorwärts marschieren können als bisher.
Einstweilen müssen wir mit den Tatsachen der Gegenmart rechnen. Wir verfügen allein noch nicht über ein Drittel aller Reichstagssige. Eine angebliche Arbeiterpartei" links von uns fut nichts. um unfere prattische Arbeit zugunsten der werftätigen Massen zu fördern, aber alles, um sie zu schädigen und zu hindern. Dennoch sind wir unter den Parteien des Reichstags ein Riese unter 3 mergen: mehr als doppelt so start wie die deutschnationale Partei, nahezu dreimal so start wie die fommunistische Partei. Diefe Starfe gestattet uns nicht eine Politit des Abwartens, fie 3mingt uns zum Handeln.
Die bürgerlichen arteien bilden zusammen zwar immer noch mit 284 Mandaten gegen 206 fozialdemo fratische und kommunistische die Mehrheit. Aber diese Mehrheit ist nicht regierungsfähig. Das Hitler- Dugend, bas fommt für praktische Barlamentsarbeit überhaupt nicht in our tommunistischen Bartel das kleinere Gegenstück bildet, Betracht. Das Bündnis der Mittelparteten, ausschließlich der Demokraten, mit den Deutschynationalen war schon vor den Wahlen zerriffen. Die Ergebnisse des 20. Mai sind nicht