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Morgenausgabe

Nr. 261

A 134

45.Jahrgang

Wöchentlich 85 ẞfg., monatlich 3,60 M. im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einschl. Bestellgeld, Auslandsabonne­ment 6. M.   pro Monat.

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Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Biffen"," Frauen Stimme", Technit", Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Dienstag 5. Juni 1928

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paitige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs­mart Kleine Anzeigen" das fettge­orudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, ebes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen für Abonnenten Zeile 40 Pfennig. Anzeigen­annahme im Hauptgeschäft Linden­Straße 3. wochentagl non 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Berlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Das Attentat auf Tschangtsolin.

Tschangtfolin selbst ernstlich verletzt.- Noch keine Besehung Pefings.

London  , 4. Juni.  ( Eigenbericht.)

Gegen den Sonderzug, in welchem General Tschangt. solin mit seinem engeren Stab nach seinem Hauptquartier in der Mandschurei   reiste, wurde bei der Einfahrt nach Mulden ein Bombenattentat vorgenommen. Als der Sonderzug einen Eisenbahnviadukt paffierte, wurde die Bombe anscheinend von der Brücke aus auf den unten passierenden Zug geschleudert. Der Wagen, in dem Marschall Tschangifolin reifle, sowie die beiden an­schließenden Wagen wurden schwer beschädigt. Der General felbst wurde am Kopfe ernstlich verwundet. Eine Reihe hoher Funktionäre, darunter Tschanffolins Aderbauminister, der Gou­verneur der Provinz Hellung Kiang, sowie der chinesische Ratgeber Tschangtfolins, Major Giga, wurden verwundet. Das Attentat führte zu einer Panit, die die im Zuge befindliche Maschinen­gewehrabteilung der Garde Tschangtfolins veranlaßte, aus dem Zuge heraus ein wildes Feuer zu eröffnen. Wie verlautet, tam es in der allgemeinen Berwirrung zu einer Schießerei 3 wischen japanischen Eisenbahn­bewachungstruppen und Tschangtfolins Leib­garde. Da die Attentäter die Telephonleitungen und Telegraphendrähte durchschnitten hatten, war eine Berbindung mit der Außenwelt zunächst nicht möglich, und es dauerte erhebliche Zeit, bis Hilfe für die Verwundeten herangeschafft werden konnte. Die Panit verbreitete fich nach der Stadt Murden felbst, wo die Telephonleitung gleichfalls durchschnitten worden war. Der japanische Kriegsminister, der nach dem Affentat um feine Auf­faffung über die Lage in Murden befragt wurde, ftellte feft, daß zur Besorgnis fein Unlaß vorhanden wäre, und Ruhe und Ordnung in Murden bereits wiederhergestellt feien.

Die beiden von Tschangtfolin in Pefing zurüdgelaffenen Generale Yang Yu Zing und General Ifhang Suh ling haben füdlich von Pefing mit den zurüdgebliebenen Truppen

in einer Frontlänge von 50 kilometern Aufstellung genommen, je­doch tann es als feststehend gelten, daß sie mit den herannahenden nationalistischen Truppen Frieden suchen werden. Die letzte aus China   eingetroffene Meldung deutet darauf hin, daß den Truppen des Generals Ben Schi Schan, des Gouverneurs der foge­nannten Musterproving Schansi, die Ehre zufallen wird, Peking   für die Nationalisten zu befehen und damit den Feldzug der Südarmee fymbolisch mit der Besetzung der Hauptstadt zu frönen. General  Ben Schi Schans Truppen unterstehen, wenn auch nur lose, dem Oberkommando Tschiangtaischets.

Sofortige Hinrichtung von Berdächtigen".

Peting, 4. Juni. Der Bombenanschlag auf den Zug Tschangtfolins wurde furs vor Murden verübt. Eine Anzahl von Berdächtigen wurde verhaftet und fofort hingerichtet.(!)

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Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten Wallstr. 65. Distonto- Gesellschaft, Depofitentasse Lindenstr. 3

Definger Morgenröte.

Geschichtswende in China  .

Bon Franz Josef Furtwängler  .

Am nördlichen Rand des eigentlichen chinesischen Kultur­freises, nahe den Grenzzonen der Mongolei   und der Man­ dschurei   gelegen, wurde Peting einst Mittelpunkt und Hauptstadt des großchinesischen Reiches, das der Mongolen­than mit der Eroberung des eigentlichen China   begründete. Das war zur Zeit Marco Polos  , des venizianischen Welt­reisenden, gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Später, als die Chinesen die mongolische Fremdherrschaft stürzten, machten sie Nanking   zur Hauptstadt ihres Landes. Doch Peking  , nun­mehr an der Außenlinie des befreiten Chinas   liegend, wurde bald wieder zur Residenz der chinesischen   Regierung, es doch Schutzhort und Abwehrfeste der Chinesenfultur gegen Mongolen, Hunnen, Mandschuren.

war

Als nachmals die ostmongolischen Mandschu die chinesi­schen Kaiser in der Herrschaft wieder ablösten, rückte Beting abermals in des Reiches Mitte. Und als endlich, 1911, auch die Mandschudynastie- diesmal durch eine revolutionäre Boltsbewegung fiel, blieb Beting, troß gelegentlicher Ge­genregierungen des revolutionären Südens, Hauptstadt der Betinger Nordregierung eine ständige Südregierung in Kan­der Kuomin Lang, der von Sun Yat Sen   gegründeten ton, dem Ausgangspunkt der Revolution und Hauptstützpunkt Volkspartei  .

Auch Tientsin   wird von den Nordiruppen geräumt. jungen Republit China. Erst seit 1918 gab es neben der

Tofio, 4. Juni.

Nach einem Telegramm aus Tientsin   hat der nordchinesische General Suntsuanfang den Oberbefehl über die Heere von Schantung und Tschili niedergelegt und feinen Rüdaug von Tientsin angefündigt. Wie aber gemeldet wird, find seine Truppen meniger als 20 Meilen von Tientsin   entfernt, auf das sie fich in Unordnung zurüdziehen. Die ausländische Garnison von Tientsin   nahm infolgedessen eine Verteidi gungsstellung längs der Grenzen der internationalen Ron­geffion ein. Bisher ist die Ordmung nicht gestört worden, obwohl die Japaner genötigt waren, eine Anzahl chinesischer Soldaten zu ent­waffnen, die in die Ronzeffion einzubringen suchten.

Kußmann- Caspary- Peltzer.

Stahlhelms, des Werwolfs und der Deutschvölkischen Partei, Staatsanwalt Assessor Dr. Kußmann, der mit dem Ermittlungsverfahren in Sachen Barmat betraut war.

Man wurde auf den Herrn aufmertfam, als er auf eigene Faust im Ausland und insbesondere in Holland   herumreifte, um hier Material, nicht so sehr gegen Barmat, als gegen politische Ber­sönlichkeiten zu sammeln. Am 1. Juni wurde ihm der Auftrag die Rechtspresse mit einer unerhörten Heze gegen das Justizministe

Drei Staatsanwälte vor dem Disziplinargericht.- Nachspiel der Barmathehe. Vor dem kleinen Disziplinarsenat des Rammer.| Berleumdungsbureaus niemand anders war als das Mitglied des gerichts beginnt heute unter Borsiz des Disziplinarpräsidenten Preiser die auf drei Tage berechnete Verhandlung gegen die früheren Staatsanwaltsassessoren Dr. Kußmann und Caspary und den Staatsanwaltschaftsrat Belger. Die 299 Seiten umfassende Antiageschrift erinnert an eines der beschämendsten Kapitel aus der Tätigkeit preußischer Staatsanwälte. Das den Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten reicht in das Jahr 1925 zurüd. Es steht im engsten Zusammenhang mit der strupellosen Heße der Rechtspresse gegen die republikanischen Parteien mit der Barmat- Affäre als Ausgangspunkt. Die drei Staatsanwälte, in der rium. Am 29. Juni folgten aber aussuchungen und Be= Hauptsache aber Dr. Kußmann, waren es, die der berüchtigten Berschlagnahmungen sowohl bei den Staatsanwaltsaffessoren leumderzentrale des Herrn Knoll, auch Klausing Dr. Kußmann und Caspary als auch in dem Bureau des Herrn und Dr. Kluge genannt, das Material lieferten. Als Geldgeber des Knoll. Hier fand man Abschriften des Kammerbeschlusses in der Haftfache Barmat, des Vernehmungsprotokolles eines gewissen Lionel Sjaals und einer Anzahl von Protokollen vom Reichsfinanzhof. Die Bernehmung Lionel saats war von Rußmann widerrechtlich vorgenommen worden.

Spizel- und Informationsbureaus fungierten der deutschnationale Abgeordnete Leopold und der Herausgeber der Märkisch­Bergischen Zeitung Bad meister.

Der fliegende Staatsanwalt.

Der Name des Staatsanwaltsaffeffors Caspary, der die Sache Kutister bearbeitete, wurde in der Presse zum erstenmal in Berbindung mit den berüchtigten Flügen nach Dresden   und Kassel  genannt. Dort sollte Justizrat Werthauer, hier der Direktor der Staatsbant, Dr. Hellwig, verhaftet werden. Als Caspary den Justizrat Werthauer in Dresden   nicht mehr vorfand, überholte er in seinem Flugzeuge Werthauer und lauerte ihn auf einem Berliner  Bahnhofe auf. Der Berichterstatter des Hugenberg Blattes war als einziger von der beabsichtigten sensationellen Bahnhofverhaftung in Kenntnis gesetzt worden.

Bureau Knoll.

in der Barmat Sache entzogen. Prompt antwortete

3m Golde der Hetzer?

Die Rechtspresse eröffnete nun unter Führung der Deutsch­nationalen Leopold und Backmeister und unter Assistenz der Herren Kußmann und Caspary eine schamlose Hetze gegen das Breußische Justizminifterium und das Berliner  Bolizeipräsidium. Leopold und Badmeister mußten aber zugeben, daß sie das Knollsche Unternehmen finanziert und mit Ruß­man engste Fühlung unterhalten hatten. Es ergab sich auch, daß das Knollsche Bureau von einem gewissen Kranz eine Anzahl den Deut­schen Berten entwendeter Aften erworben hatte und daß Kußmann in bezug auf sie eine Beschlagnahmever= fügung veranlaßt, fie aber trotzdem im Befiz des Knollschen Bureaus belaffen hatte. Ja, es bestand selbst der Verdacht, daß der famofe Staatsanwaltsaffeffor im Solde der Berleumder entrale des Herrn Knoll, mit dem er sich duzte, steht. Wenig­ftens hatte er während seiner Segelfahrt, an der auch ein Angestellter des Knollschen Bureaus und eine gewiffe Frau B. teilnahmen, von Knoll gewiffe Summen nachgesandt erhalten,

Diese Information der Rechtspresse, die bereits während des Ermittlungsverfahrens gegen Stutister begonnen hatte, schwoll zur Zeit des Berfahrens gegen Barmat lawinenartig an. Die Sammel­stelle all dieser Informationen war das Knollsche Bureau. Von hier aus setzte der Verleumdungsfeldzug gegen die republikanischen Bar­teien, in erster Linie gegen die Sozialdemokratie, ein. Sämtliche Rechtszeitungen veröffentlichten nicht allein geheim zu haltende Tatsachen aus dem schwebenden Berfahren, sondern auch amt. liche geheime Schriftftüde, deren Geheimhaltung un­bedingt gegeben war: so ein Rammergerichtsbeschluß über die Ent haftung Barmats; Schriftstücke, die aus dem Kabinett des Ministerial­ Direktors Abegg   vom preußischen Innenministerium stammten. Es| stellte sich heraus, daß der Gewährsmann des deutschnationalen zurüdgenommen wurden.

Begen Rußmann und Knoll wurde im Zusammenhang mit den im Bureau des letteren aufgefundenen Abschriften amtlicher Schrift. ftücke ein Strafverfahren wegen Gewahrsamsbruch und Attenbeseitigung eröffnet. Die Gerichtsverhandlung endete mit dem Freispruch beider, da die belastenden Aussagen

Diese Süd regierung( fie wurde 1927, nach der Aus­einandersehung der Ruomin Tang mit den Kommunisten, nach Nanting verlegt) war und ist der Sammelpunkt der frei­heitlichen Volkskräfte des Landes, und ihre Nationalarmee fämpft seit Jahren um die Einigung Chinas  . Der Reihe nach erledigte fie, in Borstößen nach Norden unter dem Oberbefehl des jugendlichen Tschiang Kai Schet, die Streitkräfte aben­teuernder Hordenführer wie Wu Pei Fu  , Sun Tschuan Fang, Tschang Tsun Tschang.

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Nur Tschang Tsolin, der Herr von Befing und der Mandschurei  , miderstand bisher, wenngleich in immer chwächer werdender Position, den Anstürmen der National­armee und der ihr verbündeten Boltsarmee"( Kuomin Tschun) des christlichen( getauften) Marschalls Feng Yu Hsiang. Nur das Eingreifen Japans  ( das den Macht­haber von Peking   und der Manschurei schirmte und sich dienst­bar machte mie einst die Engländer den stupiden Trottel Wu

Bei Fu) verhinderte noch im vergangenen Jahre ben end­

gültigen Sieg der Volks- und Nationalarmee über Tschang solin. Auch die jetzige Nordoffensive war in Gefahr, an Japans   Intervention in Schantung zu scheitern, und nur der flugen Vorsicht Tschiang Kai Schels und der hervorragenden Disziplin der( aus der chinesischen   Westprovinz Kansu   stam­menden) mohammedanischen Reitertruppen Feng Yu Hsiangs war es zu danken, daß auch die geringsten Anlässe zu weite­reichende grundlose Borstöße Japans   in feine nordchinesische rem Vorgehen der Japaner vermieden wurden. Denn weiter= Interessensphäre" würde wahrscheinlich die in pazifischen Dingen sehr reizbare Eifersucht des Yankeeimperialismus ver­

hindert haben.

Jetzt öffnen Betings Tore fich vor dem Anmarsch der National- und Volksarmee. Als erste Ankömmlinge fieht die schicksalsreiche Stadt Feng Yu Hsiangs Moslemfavallerie, die oft im chinesischen Bürgerkrieg Lügows wilde verwegene Jagd wiederholte. Wo einst die Throne der Mongolen- und Chinesentaiser standen, brachen und stürzten, herrscht fortan die Kuomin Tang, die tapfere Schar Sun Yat Sen's   und des chinesischen Freiheitskampfes. War bisher der blutleere Kör­per der jetzt verjagten Betingregierung von den Fremdmäch­ten offiziell anerkannt und auch im Bölkerbund als alleiniger Repräsentant Chinas   anwesend, so werden nun auch diese formalen Rechte auf die Kuomin- Tang als Inhaber der Betinger Regierungsgemalt übergehen. Hatte doch schon die englische Note vom De­zember 1926, nach dem tapferen Kampfe der Südregierung anläßlich der von den Engländern angeftifteten Blutbäder in Schanghai   und Schamien, das Geständnis abgelegt, daß die tatsächliche Vertreterin des chinesischen   Volkes doch die Süd­( damals Kanton-) Regierung sei.

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Wieder ist Peking   die Hauptstadt des chinesischen   Reiches: ein bedeutungsvolles geschichtliches Ereignis! Nicht das man­golische Hintergelände wird ihm diesmal seine Rolle und Be­beutung zumeffen sondern die Nachbarschaft Rußlands  , des großen, rätselvollen Zukunftsfaktors östlicher Geschichte. Tschang Tsolin, der einst, in den Glanztagen seiner Macht, ebenso wie die Südarmee, doch vom Norden her. China   unter einer einzigen Herrschaft zusammenfassen wollte, ist erledigt. Erledigt jogar als Türhüter der Mandschurei  . Diese Wacht über sein Interessengebiet wird Japan   fünftig selbst üben müssen. Manche, vielleicht sehr schwere, weltpoli­tische Berwicklungen und Gefahren können sich daraus er­geben. Für China   selbst bleibt uns die berechtigte Hoffnung. daß mit der Einnahme Betings der Bürgerkrieg sein Ende