Morgenausgabe
Nr. 261
A 134
45.Jahrgang
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Dienstag 5. Juni 1928
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Vorwärts- Verlag G. m. b. H.
Das Attentat auf Tschangtsolin.
Tschangtfolin selbst ernstlich verletzt.- Noch keine Besehung Pefings.
London , 4. Juni. ( Eigenbericht.)
Gegen den Sonderzug, in welchem General Tschangt. solin mit seinem engeren Stab nach seinem Hauptquartier in der Mandschurei reiste, wurde bei der Einfahrt nach Mulden ein Bombenattentat vorgenommen. Als der Sonderzug einen Eisenbahnviadukt paffierte, wurde die Bombe anscheinend von der Brücke aus auf den unten passierenden Zug geschleudert. Der Wagen, in dem Marschall Tschangifolin reifle, sowie die beiden anschließenden Wagen wurden schwer beschädigt. Der General felbst wurde am Kopfe ernstlich verwundet. Eine Reihe hoher Funktionäre, darunter Tschanffolins Aderbauminister, der Gouverneur der Provinz Hellung Kiang, sowie der chinesische Ratgeber Tschangtfolins, Major Giga, wurden verwundet. Das Attentat führte zu einer Panit, die die im Zuge befindliche Maschinengewehrabteilung der Garde Tschangtfolins veranlaßte, aus dem Zuge heraus ein wildes Feuer zu eröffnen. Wie verlautet, tam es in der allgemeinen Berwirrung zu einer Schießerei 3 wischen japanischen Eisenbahnbewachungstruppen und Tschangtfolins Leibgarde. Da die Attentäter die Telephonleitungen und Telegraphendrähte durchschnitten hatten, war eine Berbindung mit der Außenwelt zunächst nicht möglich, und es dauerte erhebliche Zeit, bis Hilfe für die Verwundeten herangeschafft werden konnte. Die Panit verbreitete fich nach der Stadt Murden felbst, wo die Telephonleitung gleichfalls durchschnitten worden war. Der japanische Kriegsminister, der nach dem Affentat um feine Auffaffung über die Lage in Murden befragt wurde, ftellte feft, daß zur Besorgnis fein Unlaß vorhanden wäre, und Ruhe und Ordnung in Murden bereits wiederhergestellt feien.
Die beiden von Tschangtfolin in Pefing zurüdgelaffenen Generale Yang Yu Zing und General Ifhang Suh ling haben füdlich von Pefing mit den zurüdgebliebenen Truppen
in einer Frontlänge von 50 kilometern Aufstellung genommen, jedoch tann es als feststehend gelten, daß sie mit den herannahenden nationalistischen Truppen Frieden suchen werden. Die letzte aus China eingetroffene Meldung deutet darauf hin, daß den Truppen des Generals Ben Schi Schan, des Gouverneurs der fogenannten Musterproving Schansi, die Ehre zufallen wird, Peking für die Nationalisten zu befehen und damit den Feldzug der Südarmee fymbolisch mit der Besetzung der Hauptstadt zu frönen. General Ben Schi Schans Truppen unterstehen, wenn auch nur lose, dem Oberkommando Tschiangtaischets.
Sofortige Hinrichtung von„ Berdächtigen".
Peting, 4. Juni. Der Bombenanschlag auf den Zug Tschangtfolins wurde furs vor Murden verübt. Eine Anzahl von Berdächtigen wurde verhaftet und fofort hingerichtet.(!)
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Am nördlichen Rand des eigentlichen chinesischen Kulturfreises, nahe den Grenzzonen der Mongolei und der Man dschurei gelegen, wurde Peting einst Mittelpunkt und Hauptstadt des großchinesischen Reiches, das der Mongolenthan mit der Eroberung des eigentlichen China begründete. Das war zur Zeit Marco Polos , des venizianischen Weltreisenden, gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Später, als die Chinesen die mongolische Fremdherrschaft stürzten, machten sie Nanking zur Hauptstadt ihres Landes. Doch Peking , nunmehr an der Außenlinie des befreiten Chinas liegend, wurde bald wieder zur Residenz der chinesischen Regierung, es doch Schutzhort und Abwehrfeste der Chinesenfultur gegen Mongolen, Hunnen, Mandschuren.
war
Als nachmals die ostmongolischen Mandschu die chinesischen Kaiser in der Herrschaft wieder ablösten, rückte Beting abermals in des Reiches Mitte. Und als endlich, 1911, auch die Mandschudynastie- diesmal durch eine revolutionäre Boltsbewegung fiel, blieb Beting, troß gelegentlicher Gegenregierungen des revolutionären Südens, Hauptstadt der Betinger Nordregierung eine ständige Südregierung in Kander Kuomin Lang, der von Sun Yat Sen gegründeten ton, dem Ausgangspunkt der Revolution und Hauptstützpunkt Volkspartei .
Auch Tientsin wird von den Nordiruppen geräumt. jungen Republit China. Erst seit 1918 gab es neben der
Tofio, 4. Juni.
Nach einem Telegramm aus Tientsin hat der nordchinesische General Suntsuanfang den Oberbefehl über die Heere von Schantung und Tschili niedergelegt und feinen Rüdaug von Tientsin angefündigt. Wie aber gemeldet wird, find seine Truppen meniger als 20 Meilen von Tientsin entfernt, auf das sie fich in Unordnung zurüdziehen. Die ausländische Garnison von Tientsin nahm infolgedessen eine Verteidi gungsstellung längs der Grenzen der internationalen Rongeffion ein. Bisher ist die Ordmung nicht gestört worden, obwohl die Japaner genötigt waren, eine Anzahl chinesischer Soldaten zu entwaffnen, die in die Ronzeffion einzubringen suchten.
Kußmann- Caspary- Peltzer.
Stahlhelms, des Werwolfs und der Deutschvölkischen Partei, Staatsanwalt Assessor Dr. Kußmann, der mit dem Ermittlungsverfahren in Sachen Barmat betraut war.
Man wurde auf den Herrn aufmertfam, als er auf eigene Faust im Ausland und insbesondere in Holland herumreifte, um hier Material, nicht so sehr gegen Barmat, als gegen politische Bersönlichkeiten zu sammeln. Am 1. Juni wurde ihm der Auftrag die Rechtspresse mit einer unerhörten Heze gegen das Justizministe
Drei Staatsanwälte vor dem Disziplinargericht.- Nachspiel der Barmathehe. Vor dem kleinen Disziplinarsenat des Rammer.| Berleumdungsbureaus niemand anders war als das Mitglied des gerichts beginnt heute unter Borsiz des Disziplinarpräsidenten Preiser die auf drei Tage berechnete Verhandlung gegen die früheren Staatsanwaltsassessoren Dr. Kußmann und Caspary und den Staatsanwaltschaftsrat Belger. Die 299 Seiten umfassende Antiageschrift erinnert an eines der beschämendsten Kapitel aus der Tätigkeit preußischer Staatsanwälte. Das den Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten reicht in das Jahr 1925 zurüd. Es steht im engsten Zusammenhang mit der strupellosen Heße der Rechtspresse gegen die republikanischen Parteien mit der Barmat- Affäre als Ausgangspunkt. Die drei Staatsanwälte, in der rium. Am 29. Juni folgten aber aussuchungen und Be= Hauptsache aber Dr. Kußmann, waren es, die der berüchtigten Berschlagnahmungen sowohl bei den Staatsanwaltsaffessoren leumderzentrale des Herrn Knoll, auch Klausing Dr. Kußmann und Caspary als auch in dem Bureau des Herrn und Dr. Kluge genannt, das Material lieferten. Als Geldgeber des Knoll. Hier fand man Abschriften des Kammerbeschlusses in der Haftfache Barmat, des Vernehmungsprotokolles eines gewissen Lionel Sjaals und einer Anzahl von Protokollen vom Reichsfinanzhof. Die Bernehmung Lionel saats war von Rußmann widerrechtlich vorgenommen worden.
Spizel- und Informationsbureaus fungierten der deutschnationale Abgeordnete Leopold und der Herausgeber der MärkischBergischen Zeitung Bad meister.
Der fliegende Staatsanwalt.
Der Name des Staatsanwaltsaffeffors Caspary, der die Sache Kutister bearbeitete, wurde in der Presse zum erstenmal in Berbindung mit den berüchtigten Flügen nach Dresden und Kassel genannt. Dort sollte Justizrat Werthauer, hier der Direktor der Staatsbant, Dr. Hellwig, verhaftet werden. Als Caspary den Justizrat Werthauer in Dresden nicht mehr vorfand, überholte er in seinem Flugzeuge Werthauer und lauerte ihn auf einem Berliner Bahnhofe auf. Der Berichterstatter des Hugenberg Blattes war als einziger von der beabsichtigten sensationellen Bahnhofverhaftung in Kenntnis gesetzt worden.
Bureau Knoll.
in der Barmat Sache entzogen. Prompt antwortete
3m Golde der Hetzer?
Die Rechtspresse eröffnete nun unter Führung der Deutschnationalen Leopold und Backmeister und unter Assistenz der Herren Kußmann und Caspary eine schamlose Hetze gegen das Breußische Justizminifterium und das Berliner Bolizeipräsidium. Leopold und Badmeister mußten aber zugeben, daß sie das Knollsche Unternehmen finanziert und mit Rußman engste Fühlung unterhalten hatten. Es ergab sich auch, daß das Knollsche Bureau von einem gewissen Kranz eine Anzahl den Deutschen Berten entwendeter Aften erworben hatte und daß Kußmann in bezug auf sie eine Beschlagnahmever= fügung veranlaßt, fie aber trotzdem im Befiz des Knollschen Bureaus belaffen hatte. Ja, es bestand selbst der Verdacht, daß der famofe Staatsanwaltsaffeffor im Solde der Berleumder entrale des Herrn Knoll, mit dem er sich duzte, steht. Wenigftens hatte er während seiner Segelfahrt, an der auch ein Angestellter des Knollschen Bureaus und eine gewiffe Frau B. teilnahmen, von Knoll gewiffe Summen nachgesandt erhalten,
Diese Information der Rechtspresse, die bereits während des Ermittlungsverfahrens gegen Stutister begonnen hatte, schwoll zur Zeit des Berfahrens gegen Barmat lawinenartig an. Die Sammelstelle all dieser Informationen war das Knollsche Bureau. Von hier aus setzte der Verleumdungsfeldzug gegen die republikanischen Barteien, in erster Linie gegen die Sozialdemokratie, ein. Sämtliche Rechtszeitungen veröffentlichten nicht allein geheim zu haltende Tatsachen aus dem schwebenden Berfahren, sondern auch amt. liche geheime Schriftftüde, deren Geheimhaltung unbedingt gegeben war: so ein Rammergerichtsbeschluß über die Ent haftung Barmats; Schriftstücke, die aus dem Kabinett des Ministerial Direktors Abegg vom preußischen Innenministerium stammten. Es| stellte sich heraus, daß der Gewährsmann des deutschnationalen zurüdgenommen wurden.
Begen Rußmann und Knoll wurde im Zusammenhang mit den im Bureau des letteren aufgefundenen Abschriften amtlicher Schrift. ftücke ein Strafverfahren wegen Gewahrsamsbruch und Attenbeseitigung eröffnet. Die Gerichtsverhandlung endete mit dem Freispruch beider, da die belastenden Aussagen
Diese Süd regierung( fie wurde 1927, nach der Auseinandersehung der Ruomin Tang mit den Kommunisten, nach Nanting verlegt) war und ist der Sammelpunkt der freiheitlichen Volkskräfte des Landes, und ihre Nationalarmee fämpft seit Jahren um die Einigung Chinas . Der Reihe nach erledigte fie, in Borstößen nach Norden unter dem Oberbefehl des jugendlichen Tschiang Kai Schet, die Streitkräfte abenteuernder Hordenführer wie Wu Pei Fu , Sun Tschuan Fang, Tschang Tsun Tschang.
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Nur Tschang Tsolin, der Herr von Befing und der Mandschurei , miderstand bisher, wenngleich in immer chwächer werdender Position, den Anstürmen der Nationalarmee und der ihr verbündeten Boltsarmee"( Kuomin Tschun) des christlichen( getauften) Marschalls Feng Yu Hsiang. Nur das Eingreifen Japans ( das den Machthaber von Peking und der Manschurei schirmte und sich dienstbar machte mie einst die Engländer den stupiden Trottel Wu
Bei Fu) verhinderte noch im vergangenen Jahre ben end
gültigen Sieg der Volks- und Nationalarmee über Tschang solin. Auch die jetzige Nordoffensive war in Gefahr, an Japans Intervention in Schantung zu scheitern, und nur der flugen Vorsicht Tschiang Kai Schels und der hervorragenden Disziplin der( aus der chinesischen Westprovinz Kansu stammenden) mohammedanischen Reitertruppen Feng Yu Hsiangs war es zu danken, daß auch die geringsten Anlässe zu weitereichende grundlose Borstöße Japans in feine nordchinesische rem Vorgehen der Japaner vermieden wurden. Denn weiter= Interessensphäre" würde wahrscheinlich die in pazifischen Dingen sehr reizbare Eifersucht des Yankeeimperialismus ver
hindert haben.
Jetzt öffnen Betings Tore fich vor dem Anmarsch der National- und Volksarmee. Als erste Ankömmlinge fieht die schicksalsreiche Stadt Feng Yu Hsiangs Moslemfavallerie, die oft im chinesischen Bürgerkrieg Lügows wilde verwegene Jagd wiederholte. Wo einst die Throne der Mongolen- und Chinesentaiser standen, brachen und stürzten, herrscht fortan die Kuomin Tang, die tapfere Schar Sun Yat Sen's und des chinesischen Freiheitskampfes. War bisher der blutleere Körper der jetzt verjagten Betingregierung von den Fremdmächten offiziell anerkannt und auch im Bölkerbund als alleiniger Repräsentant Chinas anwesend, so werden nun auch diese formalen Rechte auf die Kuomin- Tang als Inhaber der Betinger Regierungsgemalt übergehen. Hatte doch schon die englische Note vom Dezember 1926, nach dem tapferen Kampfe der Südregierung anläßlich der von den Engländern angeftifteten Blutbäder in Schanghai und Schamien, das Geständnis abgelegt, daß die tatsächliche Vertreterin des chinesischen Volkes doch die Süd( damals Kanton-) Regierung sei.
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Wieder ist Peking die Hauptstadt des chinesischen Reiches: ein bedeutungsvolles geschichtliches Ereignis! Nicht das mangolische Hintergelände wird ihm diesmal seine Rolle und Bebeutung zumeffen sondern die Nachbarschaft Rußlands , des großen, rätselvollen Zukunftsfaktors östlicher Geschichte. Tschang Tsolin, der einst, in den Glanztagen seiner Macht, ebenso wie die Südarmee, doch vom Norden her. China unter einer einzigen Herrschaft zusammenfassen wollte, ist erledigt. Erledigt jogar als Türhüter der Mandschurei . Diese Wacht über sein Interessengebiet wird Japan fünftig selbst üben müssen. Manche, vielleicht sehr schwere, weltpolitische Berwicklungen und Gefahren können sich daraus ergeben. Für China selbst bleibt uns die berechtigte Hoffnung. daß mit der Einnahme Betings der Bürgerkrieg sein Ende