7tr. 535» 45. Iahrgeng
1. Beilage des Vorwärts
Gonniag. ii. Xotembtr 1923
»ABW mm'#
Drei Foimlien von Arbeitslojcn omrden dieser Tag« besucht, di« chaussrauen haben uns vorgerechnet, wie sie mit ihrem Etat fertig werden, denn es gell festzustellen, wie sich die auf bestnnnlle Waren beschränkte Teuerung des Jahres 1S28 in diejen chauschaUen, die wit den bescheidensten Mtteln rechnen müssen, auswirft Diese Tsierung beschränkt sich zumeist aus drei Artikel: Sartoffetn.«Sc- Möse und Obst. Hier sind wm trief« drei Ciats. Beinahe ein normales Einkommen. Ein bißchen beengt ist es schon m der kleinen, sauberen Küche. Demi außer den«gentlichen Inhabern der Wohnung sitzt da noch der Schwager mit seiner Frau und seinen, vierjährigen Jungen. Sur alle diele Menschen stehen Küche und zwei Zimmer zur Der- sugung. Die Auntner sind vor ganz kurzer Zeit erst mit neremjien -Kräften renoviert morden, die Möbel verraten den Wohlstand des besser gestellten 2lrbeiters. Der Mann mar zuletzt Angestellter einer Organisation, hatte ein gutes Gehalt und bekommt darum nun üuch eine hohe Unterstützung, freilich nur für sich und die beiden Kinder. Die Frau hat auf ihre llirterstutzung verzichtet und ist k"rz«luschloslen wieder zu ihrem allen Beruf zurückgekehrt: sie naht Westen fjjr einen Zroischeimicister. Da hat sie in der letzten Woche nach Abzug aller Bersicherm�an usw. immerhin 16 M. verdient b« zehnstündiger täglicher Arbeitszeit. 28,35 M bringt der Mann an Unterstützung ntich Hause, und so kommt eine Summe von wochenllich 44L5 TU als Einkommen der Aamllie zusammen, fast ein richtiges Arbeitseinkommen, las freilich sonst der Familienvater allein nach Hause bringen sollte. Aehnlich sieht auch der Etat aus. A M. kostet die Miete, ohne d!«.Hauszinsstauer, 12.20 M. be- kommt alle Monate die Dolksfürsorg«, Mann und Frau sind im Kreide nkerverband, 3.70 M. werden noch alle Monate als Fahr- lleld geopfert, damit der neunjährige Junge weiter sein« wellliche Schul« besuchen kann, sogar Radio hat der Mann noch und hört nicht mal schwarz! Auch die Zeitung wird bezahlt, und so kommen
alle Monat« fast SS BL fester Ausgaben zusammen. Für den reinen Lebensunterhall bleiben immerhin noch überZV M. die Woche. Das reicht kaum, trotzdem die Mutter, weil sie an die Maschine ge- fesselt ist, nicht immer die gültigsten Ernkaufsgelegenheiten wahr- nehmen kann und den richtigen Markthalle preis zahlen muß. Gebäck und Brot. Fett, Milch, Heizung(nur in der Küche wird bisher geheizt) kosten ungesähr 16 M., an Fleisch wird täglich eln halb« Psund gelaust, zmn Sonntag ein Pfund, bei Gemüsege- richten werde» drei Pfund Knochen gebrauchl, zum Sonntag wird ein halbes Pfund Würstchen geholt,„sonst gibt es bei uns ja kein« Wurst". Der„Große" ist neun Jahre all: er hat schon begntfen, daß lvurstslulleu bei dem Arbeitslosen ein Feiertagsgericht sind. Es ist klar, dos Geld reicht hier doch nicht zu, trotzdem wirklich nicht üppig gelobt wird. Roch mögen klome Ersparnisse aushelfen— der Mann ist ja„erst" seit End« Juki erwerbslos. Wenn die erschöpft sind, wirf) die tapfere Fron statt der 10 Stunden täglich 12, 14, 16 S tu reden an der Maschine sitzen. proletarisiert. Merkwürdi.g gemig sieht dir Stube aus. Bor der defcklen Tapet« hängt eine Art Gabelm, am Fenster steht die aufgeklappte Nähmaschine, ein brmes Bett, ein großes Knderbett, ein Ehaiselongue dienen ots Schlafgelegenheiten. Der rrnüze Tisch ist mit einer Scuntdecke belegt, eine große, gobelirrbezogene Klubgarnitur macht förmlich ein verkrmrrtes Gesicht in dieser Umgebung, und eine liebenswürige Frau sitzt uns gegeir» über und erzählt ihre Geschichte, während der Jüngste, dreiomhalb Jahre alt, um uns horumspielt. Das ist die Borgeschichte. Der Mann, Elektroingenieur, hotte dos Unglück, zu gewissenhaft zu sein. Als er merkte, daß seine Firma von eineni unserer großen Elektrokonzern« überteuert wurde, machte«r eine Zusammenstelpmg der Prelle mit anderen Angeboten. Sein« Firma kaust« nun billiger, ober als sie sich spoter mit dem selbe» Elektro- konzern tusiomärte, wurde er hinausgeekelt. In der nächsten Siel- lung tollte er dem Hairpwktionär einen Elektrizitätswerks mit, daß dort in lÄ'.engefähnVnder Weise gearbeitet würde; er wurde entlasse»— sein Ztochs olger war orfügsamer, bis er dafür ins G«• f ä n g n i s gehen mußt«, lltoch ein solcher„Beiniebsunlall" passierte ihm, und nun steht er aus der schwarzen Liste, die es ja ossl- ziell gar nickst gibt. Aber ein paarmal schon haben sich ihm gegen- über gute Kollegen und Arbeitsgenossen verfchnappt: sie mußten „erst mal nachsehen, ob st« rhu einstellen dürften". Zweieinhalb Zahre geht das Elend schon. Dann gelingt es dem Mann, bei einer kleineren Firma eine Stellung zu finden. Räch stirem halben Jahr wird sie van jenem große» Konzern aufgekanft, und wieder steht der Marm aus der Straße, und das glänzende Zeugnis ist kaum ein Trost für diese Entlassung. Run bezieht er 3 7,8 V M. U n t e r st ü tz u n z, denn es sind außer dem kleinen Jungen noch zwei schulpflickstig«
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Modchen von 13 und 11 Jahren zu Haus«: die 14jähr»ge ist Haus- locht er gegen ein kleines Taschengeld, aber so bekommt sie wemz- stens die Kost und kann sich ihre Schuhe allein machen lafscu.„Für Kleidung muß ich sorgen und sie soll doch anständig gekleidet gehen." Run«stwickell die Frau ihren IVirtschastsplan.„Morgens gibt es Haferflocken für ate Kinder, zur Schule bekommen sie«in gestrichenes Brot mit. Ich kaufe alle Woche ein halbes Pfund gute Butter, ein halbes Pfund Gänseliesen und ein Pfund Rückenfett, zu den Bratkartofsetn nehme ich Rohschmalz und Talg zum Schwitz- mehl. Fleich gibt es bei uns überhaupt nicht, höchstens koche ich ans Schwarten und Sopssleisch Sülze. Bis jetzt haben wir möglichst von Fischen getebt, ober die werden jetzt auch z» teuer. Alle Wache lege ich zehn Heringe«in, mein Mann kriegt alle Tage Hering und Kartoffeln zmn Frühstück, damit er durchhalten kann, deiur Brot wird zu tener, wenn wir die Kartoffeln zwar auch auszählen müssen, denn mehr als alle Tage fünf Pimrd kann ich für uns nicht kaufen! Natürlich gibt es mir Gerstenkaffee, selbst Milch ist eine Delikatesse. Obst gibt es gor nickst. Die beiden Mädel bekommen zum Glück von der Stadt Mittagbrot . Bon den Goschäftsleuten de? Umgegend kann ick) nicht kaufen, ich muh auf jeden Pfennig sehen und gehe doruni zum Markt oder sogar bis zmn Alexanderplatz zu den großen Warenhäusern. Zwei oder drei Groschen sitid dabei immer zw sparen." Dam, kommt der Mann nach Hause. Der ist, als Rs- prä f entati onsperfon der Familie, noch wirklich gut und sauber abgezogen, denn er ist �den ganzen Terg unterwegs, m der.Hosfnung, durch alte Beziehungen, kleine Vermittlungen,„Echnürsenkeige- schäste", wenigstens hier und da einige Groschen zu verdienen, dem, man ist nun schau einen Monat mit der Miete im Rückstand. ober fünf Mark hat er sich dafür erst zurücklegen können und 26 braucht er bis zum Ersten!„Wenn ich wir die Möglichkeit hätte. zwei Jahre lang durchzuhalten, nur zwei Jahre lang, dann würde ich mir schon eure Existenz als Vertreter und Berater bm-an können. Doch ich fürchte, meine tapfere Frau bricht bis dahin zusammen." Das»hohe Einkommen�. Wir sitzen um den Tisch in der großen Stube und rechnen den Etat noch Wahrhaftig, da hat diese Familie, deren Hniptkrnähre? doch erwerbslos ist. über 400 M. Einkommen, netto! Da hat mwr es wieder mal! Die Frau verdient allein 100 M. durch Zeitung- ou-tragen, die beiden Töchter dringen zusammen 110 M. nach Hause, der Vater bekommt 39 M. Unterstützung, die dritte Tochiar hat auch 49 M. Unterstützung und der Junge kriegt ats Lehrling 49 M. im Monat. Aber scchz Mäuler sind freilich dafür sott zu machen, 47 M. Miete gehen ab, dazu für Fahrgeld fast 17 M. Der Vater bezahlt so!n«r Verbands beitrag regelmäßig, denn er ist schon zwei- nwl ausgesteuert worden, seit dem 1. Juki ist er arbeitslos, wer weiß, ob er Arbeit kriegt, ehe die Ilnterstützungsdaue? abläust. Das macht auch 4,50 M. Do bleiben nicht eimrrol 60 M. im'Moirot für Nahrung und Kleidung pro Nase— und die Kinder müssen doch auch ein paar Gros her, Taschengeld haben! Dabei werden täglich zwei Brote gebraucht, wenn Mutter kohl kocht, braucht sie 7 bis 10 Pfund. Hülsenfrüchte muß sie anderhalo Pfund kochen, und täglich braucht sie ein Pfund Margarine und ein viertel psund gute Butter, und für die Kinder braucht sie täglich dreiviertel Psnnd Wurst als Belag, denn iiüt ganz kahlen Stullen wollen die Kinder nickst zur Arbeit gehen. Sonntags gib! es Fleisch— zwei Pfund für die ganze Familie! Den ganzen Tag ist Mutter unterwegs» um hier und da einzukaufen. Das Sormtogsfieiich ist ausprobierisrmaß«r
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D�oman von Georg von der Vring. oopzuixbt 1327 dz- X II. Spaeth Verlag, Berlin . .„Höre jetzt emen Vergleich, Albering." «Los, fuhren."' «Ein Maler will eine rote Sternblume malen. Er emp- findet sie so: gleichlange, gerade, aus der Mitte in die ganze Runde schießende Strahlen. Er malt das und hält so ihr Wesen fest." „Ich kenne dich. Atter." «Der gelbe Kreis in der Mitte ist Gott . „Oder das Geld."« � «Er ist Gott . Die purpurroten Blätter sind die Voller. Sie strahlen rund um Gott in einer schönen Farbe." „In der Farbe des fließenden Blutes/ höhnt Albering und schüttett Schweißtropfen in den Straßensand. Blitz- schnell wendet sich das Gesicht eines Vordermannes her, welcher schreit: ,Mut sollt ihr saufen!/ Wir schreiten hin, und ich bin hartnäcktg und fahre fort: «Gle�chHeit ist das Wesen der Blumenblatter wle der Volker. Also sind sie von Gott geschaffen. Kleine Mwelchungen kommen vor, doch die Gleichheit ist es, welche die wunder- volle Blume, welche Menschheit heißt, schafft. Jedes Blattchen hat eine andere Lage zur Mitte, ist aber genau dorthin gerichtet. Jedes Volk hat seinen..Platz an der Sonne. und eines jeden Platz— das heißt Bestimmung—'st von dem der anderen Völker verschieden." �Detn Vergleich humpelt verdammt. Gerade bei Mar- Sueriten gibt es oft größere Blumenblätter, die den anderen Licht und Raum wegnehmen. Und so hast du Unsinn ge- redet, kleiner Suhren." Der Schweiß kitzelt mich vor den Ohren, und mir fallt ein:„Solche Blumen entarten, sind den anderen unterlegen und gehen unter."... „Richtig, die Wett entartet und verdirbt. Und nun Schluß, wir sind da." � Die Kolonne ist in die Nähe der Kapelle gelangt. Im Schatten der Luiden steht ein Kruzifix. Das große Hol;- kreu- l->hn' t-biei im Grosboden, und Lindenblüten hang-n l über Jesu Angeslchu Der Schnitzer aber ist ein Pfuscher ge- »eseit. Er stellte einen Sott her. der nicht ernwal ern Halb- 1
gott ist. Er hat sich sein Modell aus einem Barbierladcn ge- holt und die Figur rosa anstreichen lassen. Ein echt franzö- sischer Christus ist es, das erschwert die Sache, doch wird unser Divisionspfarrer auch hier seine Instruktionen zu de- achten wissen. ,�att" wird befohlen und„Wegtreten". Man wischt den Schweiß vom Gesicht oder läßt ihn laufen, je nach Geschmack, und steckt Gras in den Mund. Der Exerzierplatz wartet vor uns. Es sind Untrautäcl'er. die sich von der Straße im langsamen Schwung in ein Tal hinunter- ziehen, wo zwischen irgendwelchen Bäumen ein Bach oder eine Pfütze aufblitzt. Dahinter eines Waldes Wölbung. Das Exerzieren beginnt. Zu breiten Schwarmlinien aus- einandergezogen, trampeln, rennen wir über den Ackerboden und werfen uns nieder. Wir liefen sehr gern diese kurze Weile auf Disteln, die uns durch die Hose in die Oberschenkel stechen. Eine Spinne klettert aufs Visier. Gefreite laufen heiß und schwitzend von Mann zu Mann und prüfen den Anschlag. Der Leutnant sprengt vor der Front hin wie ein General auf einem Schlachtbild von Gravelotte. Wir hoben keinen Feind vor uns. Oder bist du es, du Sonnenherd, der unsere Rücken sengt und uns Wasser aus den Poren jagt?— Laufen— hinlegen, laufen— hinlegen. Das heißt: hinanarbetten an den Feind. Die Sonne nimmt es in Kauf. Es ist eine internationale Sonne, ein glühender Welten- fchlund, er sengt französische Aecker und deutsche Soldaten. Wir zählen die Minuten. Die Sonne steht steil über der Helmspitze und scheint dennoch»wig zu steigen. Pausen- los geht die' erste Stunde hin. Hinunter den Äcker bewegt sich die Sckiwormlinie. Kehrt morsch! Hinauf zur Höhe— Marschrichtung: die Kapelle— steigt, klimmt, rennt sie, gefolgt von Leutnant Brause, desien Pferd naß und voll Schaum ist. Der Leutnant steigt ab, ein Gefreiter führt den Gaul zu den Linden hinauf. Ich denke mir. der Gefreite klopft da oben dem Pferd die nassen Schenkel, reißt einen Zweig ab und verscheucht damit die Stechfliegen. Der Gefreite ist zugleich ein Befreiter. Der Gaul und er bewegen sich gemütlich ums Kruzifix. Der rosa angestrichene Christus scheint sich halb zum Spaß dort oben aufgehängt zu haben. Er hängt doch so graziös, und die Lockenhaare und das Tuch um seine Lenden sind wohlge- ordnet. Sein Kreuz hat er aus Jux etwas schiefgeschüttelt. Hingegen macht er ein crnsfhoffir, Gesicht. Was für Oe- danieii mag er nackzhängen?— Usberhaupt keinen, denn er ist ja aus Holz.
Woran denkt der Pferdehalter?— Er denkt: da sind mir fein entronnen, du aller Kompaniegaul, nun friß, ich mehre dir die Fliegen. Ich würde dies Geschmeiß ganz anders noch zerquetschen, ober ich fürchte, dir weh zu tun. Woran denkt der Gaul?— Er denkt: das Gras ist hier so saftig wie nur irgendwo. Nur fröstelt mich. Bis ihn der Gefreite wieder in die Sonne führt, wo das Gras ebenso saftig ist wie nur irgendwo. Dort unten schwärmt die 4. Kompanie weiter: sie bildet eine lange Linie mit zwei Schritten Abstand von Mann zu Mann. Am rechten Flügel, naß wie eine durchweichte Windel— der Schreiber Lurtjebam. Am linken Flügel, das Gesicht rot wie ein Zwerghahnkamm, der nasse Bart wie die gelben Federn des Hähnchens— der Schuster Hahn. Zwischen Schreiber und Schuster die übrigen hundert, unter ihnen Suhren. Man muß es zugeben, der Kompanieführer schont sich nicht, er rennt mit. Aber er hat kein Gepäck, keine Patronentaschen, kein Gewehr. Wenn ich„Grasaffe" zu ihm jage, so ist das wenig. Ich bin drauf und dran ihm zu wünschen, daß er verrecke. Von meiner Oberlippe lecke ich Salz, Salz und Salz. „Hinlegen!" Die Sonne kreist um meinen Schädel, die Ellbogen bohren sich in die Erde. Ein hungriges Blümchen fresse ich ah. Der Helm und der Schweiß verdecken mir die Sicht. Wenn ich nun liegen bliebe? „Auf," Alle reißen sich hoch, keiner bleibt liegen, alle stürzen vorwärts. Was denken sie im Vorwärtsstürzen?— Sie denken dasselbe mie ich, st« denken: Oual. Was denkt Albe- ring, mein Kamerod?— Was Klees, was Lurtjebam. was Pfeiffer?— Alle dasselbe: Qual! Dort ist�ein Platz ohne Disteln und Steine, da donnere ich hin!— denkt zum Beispiel einer. Jetzt sind des Leutnants Beine ganz nahe, wuchtig auf- gestanden und Kopf hoch!— denkt ein anderer. Pfeiffer, der Hund, bleibt zurück, wir fallen wieder mal auf!— denkt der dritte. Ach Gott, laufen wir los! Komme ich mit, Schwärm- linie?— denkt der vierte. Die Hetze im Käfig ist zu Ende, und die Kampanie tritt neben der Kapelle aus. Daß vier Stunden vergangen find, erscheint als ein Wunder. Döse Gedanken uinqrollen noch die Kapelle— aber welch ein freundlicher Sonnenstrahl, Schattenstrahl» daß es zwölf ist!(gartse�ung folgt)