Ar. 190• 46 Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Mittwoch. 24. Vpril 1929
Hochburgen des Profits. -IS proz. Dividende bei Glanzstoff.— Kast-14 Millionen Reingewinn.
In einem fast unaufhaltfamen Aufschwung hat sich die Kunst- seideninNtstrie oller Länder in dem einen Jahrzehnt nach dem Kriege zu den profitreichsten Industrien aufgeschwungen. Den von Jahr zu Jahr steigenden Massenbedarf an Kunstseide haben die Industriemagnaten aber nicht durch möglichst billige Preise gefördert, sondern waren im Gegenteil mit der typischen industrillcn Ergstirnigteit darauf bedacht, aus der Konjunktur und der Massen- kaufkraft io viel herauszuschöpsen, wie nur möglich war. Die Wetterzeichcn, die sich bereits seit Anfang d. I. am Kunstseidenhimmel abzeichnen, haben jedoch auf das letzte Betriebsjahr des Glanz st offkonzerns noch keinen Einfluß gehabt, dem es gelang, seine Ernte von 1928 ohne Schaden einzubringen. Der Konzern der Dereinigten Glanzstoffabriken in Elberfeld - Barmen ist zurzeit noch der mächtigste Herrscher in der deutschen .Ki'nstseidenindustrie und zugleich eine der einflußreichsten Kapital- mächte in der Weltkunssseidenproduktion. Seit dem Jahre 1924 hat dieser Konzern Jahr für Jahr seine Produktion steigern, seine Gewinne und Dividendenzahlung«« erhöhen und dementsprechend auch seine Kapitalmacht ausbauen können. Während der Konzern noch 1924 mit 30 Millionen Mark Kapital arbeitete, beträgt es jetzt bereits 75 Millionen, wobei festuiftellen ist, daß— eine sehr seltene Tatsache— allein die offenen Reserven an die Höhe des Kapitals heranreichen. Die sprunghafte Entwicklung dieses Kunstseideriesen zeigt fol- gcnde Tabelle: 1924 1925 1926 1927 1928 in Millionen Mark Betriebsgewinn... 11.1 12,4 14,2 21,2 28,1 Reingewinn..... 4,5 5,9 6,9 10,7 13,8 Dividendensumme... 3,0 4,5 6,3 10,8 12,2 Dividend« in Proz.. 10 15 15 18 18 Tantiemen..... 0,45 0,68 0,62 1,0 1,23 Der Reingewinn dieses Konzerns hat stch also trotz der Jahr für Jahr herausgeschraubten Abschreibungen in diesen fünf Iahren fast verdreifacht, während die an die Aktionäre geflossenen Dividendengelder seit 1924 sich glatt vervierfacht haben. Natürlich hielten auch die Tantiemen für den Aufsichtsrot und die leitenden Beamten mit dieser«befriedigenden Entwicklung"' Schritt. Obwohl das Jahr 1927 schon ein« außerordentliche stark« Konjunktur brachte, konnten die Bereinigten Glanzftoffwerke im letzten Jahr ihren Rohgewinn von 21 auf 28 Millionen, also um rund ein Drittel weiter erhöhen. Wenn die sehr hohe Dividende mit 18 Pxoz. gleich ge- blieben ist, so nur deswegen, weil diesmal auch das um 15 Mil- lionen erhöhte Kapital mit zu verzinsen war. so daß bei gleicher Dividende rund 3 Millionen mehr on die Aktionäre abflössen. Wir hatten bereits im letzten Jahr darauf hingewiesen, welche enormen Nebengewinne den Aktionären noch aus den Kursgeschenken bei den Kapitalerhöhungen in den letzten Iahren zugeschanzt wu?- den. Da die Glanzstossverwaltung ein begreifliches Interesse hat, ihre Dividenden nicht über eine gewisse Höhe hinaus zu steigern, ein Teil der Aktionäre aber sicher so gut wie die Berwalhmg weiß, daß die ausgewiesenen Gewinne mich nicht entfernt den tatsächlich erzielten Profiten entsprechen, so hält die Verwaltung ihre Aktionäre durch halbgeschenkte Aktien bei Kapitalerhöhungen schadlos.
Bon der.glänzenden Kunstseidenkonjunktur der letzten Jahre haben also Unternchiner, Direktoren und Aktionäre gleich viel gehabt. Wenig Nutzen brachte sie bei den immer noch überhöhten Preisen den Verbrauchermassen und am allerwenigsten den 14 000 Mann Belegschaft bei Glanzstofs. Die Unternehmer, die immer behaupten, daß sie ihre Belegschaften gern an Konjunkturgewinnen teilnehmen lassen wollen, halten hier die beste Gelegenheit, ihre Worte auch einmal in die Tat umzusetzen. Wie der Konjunkturgewinn der Glanzstoff- arbeiter und Arbeiterinnen aussah, zeigen die Lohnsätze, die noch im vorigen Frühjahr, also in einer Zeit, wo bei Glanzstofs Hoch- betrieb herrschte, gezahlt wurden. Bei den Fach- u r b e i t e r n in der Spinnerei betnkg der Stundenhöchstlohn 99 Pf. und in der Wäscherei 85 Ps. Diese Stundenlöhne waren aber die höchsten bei den qualifizierten männlichen Arbeitnehmern und gingen bei den Arbeiterinnen bis auf 71,5 Pf. im Akkord zurück. Die Löhne der gelernten Arbeiter blieben also zwischen 150 und 190 M. im Monat. Die Arbeiter und Arbeiterinnen bei Glanzstoff hoben also an dem Inhalt ihrer Lohntüte auch nicht das geringste davon zu spüren bekommen, daß in der Welt eine Konjunktur für die Glanzstoffprodukte herrschte, wie sie sich so bald nicht wiederholen wird In dieser Zeit sind nicht einmal ihre Reallöhne so gestiegen, daß sie einen Vergleich mit der Friedenszeit aushalten können. Seit Anfang d. I. hat sich das Blättchen in der Kunstseiden- industrie gewendet. Don England ausgehend hat sich ein starker Preisabbau auf den euroväilchen Kunstseidenmärkten durchgesetzt. der sich auch in Deutschland so unangenehm bemerkbar machte, daß unsere Kunstseidenmagnaten sehr schnell von ihrem hohen Pferde herunlersleigen mußten. Es ist noch in Erinnerung, zu welch heftigen Zusammen- stößen es in dem deutschen Kunstseidekartell anläßlich der neuen Preisvereinbarungen kam. Der Vertreter des in der Kunstseide immer stärker hervortretenden Farbentrusts warf den anderen Mitgliedern des Kartells den Kartellvertrag sozusagen als einen Fetzen Papier vor die Füße, indem er erklärte, daß sein Unternehmen sich künftig überhaupt keinen Preisbindungen mehr unterwerfen werde, solange noch ausländische Unterbiewngen erfolgen. Natürlich blieb Glanzstofs die Antwort auf diese Her- aussorderung nicht schuldig und erklärte, daß sein Konzern seiner- seit? rücksichtslos alle Äampfpreif« des Farbentrust» unterbieten werde. Die Suppe wurde allerdings nicht so heiß gegessen, wie sie damals gekocht wurde, aber in der kartellosen Zeit der letzten Monate mußten die Kunstseidenindustriellen notgedrungen recht erhebliche Preisermäßigungen zugestehen, schon um der vordringenden Auslandsware den Markt streitig zu machen. Es wäre aber gänzlich verfehlt, anzunehmen. daß es nun etwa der Kunstseidenindustrie schlecht ginge. Sie hatte sich in den letzten Jahren in Deutschland eine derartig hohe G e- winnquote einkalkuliert, daß sie auch bei den jetzt herab- gesetzten Preisen noch mehr als auf ihre Kosten kommt. Der Ab- schluß bei Bemberg und Glanzstoff für das laufende Jahr wird diese Tatsache bestätigen.,
Amerikanische Agrarkritik. Amerikaner über die deutsche Landwirtschast.
E» war sicherlich ein reizvoller Gedanke, eimnal a m« r i k a- nische Agrarsachoerständig« über die deutsche Agrarkrise urteilen zu lassen. Dieser Gedanke wurde im vorigen Jahr durch eine Kommission verwirklicht, die sich mit der Absatzfrage für land- wirtschaftliche Erzeugnisse beschäftigte und der Vertreter der deut- schen Landwir schaft, der Industrie, der Banken usw. angehörten. Durch Vermittlung der Federol Reserve Bant in New Pork er- klärten sich amerikanische Sachverständige unter Führung von Mr. G. F. Warren, Professor für theoretische und praktssche Land- Wirtschaft an der Cornel-Unwersität, zu einer Untersuchung der deut- schen Agrarverhältnisse bereit. Dos Ergebnis derselben liegt jetzt in einer zusammenfassenden Abhandlung vor. Die Arbeit der ameri- konischen Sachverständigen beschränkte sich auf die deutsche Lieh- und Milchwirtschast. Das Gutachten enthält aber Darlegungen, die von allgemeiner Bedeutung sind. Die Kommission geht bei der Ueberprüfung der Situation in der deu! schen Land«>>rtschaft von der Tatsache aus, daß sich in der ganzen Welt seit Jahrzehnten einschneidende Veränderungen vollzogen haben. In der Entwicklung der landmirtschaftlichcn Wissenschaft und in ihrer Anwendung aus die praktische Landwirtschast sind gewaltige Erfolge erzielt worden. Die Arbeitsleistung pro Kops konnte durch Anwendung vdn m o t o- r i s ch e r Kraft und durch neue Maschinen, aber auch durch Fort- schritte auf wissenschaftlichem Gebiet und durch praktische Anwendung planmäßiger Betriebssührung stark ge» steigert werden. Seit dem Jahre 1909 hat sich die Erzeugungsmenge pro Kopf der in der nordamerikamschen Landwirtschaft Beschäftigten um rund 33 Proz. gesteigert. Die zunehmende Spezialisierung der Landwirtschaft führte zu großer Leistungsfähigkeit und verbesser. ter Qualität. Die Tierernährung veränderte sich durch andere
Fütterung des Geflügels und auf Grund der Erkenntnis des Wertes der Leguminosen bei der Fütterung von Milchkühen. Man lernte die Anwendung von gemahlenem Kalkstein für den Anbau von Leguminosen. Im Staate Illinois wurde im Jahre 1904 nur ein einziger Waggon Kalk(!!). verbraucht, im Jahre 1924 dagegen 800000 Tonnen. Die Auswahl des Zuchtmaterials bedingte ein? erhebliche Verbesserung der Oualüät der Milchkühe und des Geflügels. Der genossenschaftliche Warenhandel nahm bedeutend zu und die Standardisierung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und ihre Veleihung mit Hilfe von Lagerscheinen marschiert. Die Kommission bringt die vielen Einzeloeränderungen zu guter Letzt a u f solgendeFormel: Die Nachfrage nach Milch, Eiern, Früchten und frischem Gemüse ist gestiegen. Die Verbraucher verlangen bessere Qualiiälen. Diese Veränderung wird einerseits mit der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung, anderesei's mit der größeren Anwendung der Maschinen, mit der Verdrängung der menschlichen Arbeit durch mechanische Arbeit in Beziehung gesetzt. Die oben angezeigten Verschiebungen zeigen sich auch aus einigen Gebieten in Deutschland . Auf anderen Ge» bieten konnte Deutschland die entsprechende Umstellung nicht in Angriff nehmen. In Amerika paßte sich der Landwirt den Ver- änderungen allmählich an. Der deu sche Landwirt aber wurde plötzlich vor eine oeränderte Situation gestellt, die er nicht zu meistern verstand. Die Rückständigkeit der deutschen Landwirtschaft, die teilweise Ablenkung unserer Land- wirte von der Berufsarbeit durch politische Agitation um» schreibt die Kommission in höslich-diplomatischer Weise wie folgt: Lehn Jahre hindurch bestand das große Problem für Deutschland darin, überhaupt nur Nahrungsmittel irgendwelcher Art zu be- schaffen. Diese Lage machte jede Weiterentwicklung der Landwirt-
schaft unmöglich. Die Generation junger Leute, deren Erfahrungen sich auf diesen Zeitabschnitt beschränken, hat nie Gelegenheit gehabt sich gründlich auf die Bedürfnisse der Gegenwarl e i n z u st e l l e n, in der die Verbraucher der ganzen Welt bessere Qualitätsware verlangen als je zuvor. Jeder weitere Fortschritt vermehrt die Schwierigkeiten für alle, die sich nicht die neuen Erkenntnisse zunutze machen wollen oder können." Das Gutachten empfiehlt dann eine ganze Reihe von Maß- nahmen, die sich auf die Umstellung der produktionstechnischcn Grundlage und der Absatzwege erstrecken. Von einer produktions- technischen Umstellung erwartet die Kommission eine„bessere und rationellere Ernährung der zunehmenden Bevölkerung, eine Steige- rung der landwirtschaftlichen Gewinne und eine Abnahme der Lebensmitteleinfuhr". Was die amerikanische Kommission sür die landwirtschaftliche Rationalisierung empfiehlt, ist zum größten Teil nicht neu. Der Schwerpunkt der ganzen Untersuchung liegt vielfach auf psycho- logischem Gebiet. Die Meinung der Sachverständigen aus Amerika wird hoffenUich den geistigen Umstellungsprozeß in der deutschen Landwirtschast beeinflussen, der notwendig ist. wenn wir zu einer produktionstechnischen Umstellung kommen wollen. Der deutsche Landwirt muß aus der Atmosphäre der politischen Hetze der letzten Jahre heraus, sonst gibt es keine Ueberwindung der Agrarkrise. Nach einer geistigen Umstellung wird der deutsche Landwirt auch erst das Marktproblem richtig begreisen können. Dazu nur einige Bemerkungen. Die Kommission stellt die größere Nach- frage nach Milch, Eiern usw., nach Qualitätsware fest und begründet sie durch die zunehmende Maschinenarbeit und die wach- sende Kaufkraft der Bevölkerung. Der verringerte Verbrauch on Roggen, Weizen und Kartoffeln und das Bestreben, die Ernährung mehr aus Aleisch, Eier und Gemüse umzustellen. also die Vernachlässigung von Kohlehydraten zugunsten der Eiweiß» nahrung, hängt zweifellos mit der Mechanisierung unserer Industrie zusammen. Diese erfordert weniger Muskelarbeit, demzufolge weniger Kohlehydrate in der Ernährung, dagegen Auf- sllllung schneller verbrauchter Energiereserven, also Umstellung in der Ernährung auf Eiweihstofse. Diese Umstellung kann nur voll- zogen werden, wenn die Kaufkraft der Bevölkerung genügend stark ist. Eine Steigerung derselben ist die erste Voraussetzung für die Oualitätsproduktion in der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft hat also alle Ursachen die durch bestimmte Veränderungen der Arbeits» oerfahren bedingte Verknüpfung zwischen Qualität»- Produkten und Massenkaufkraft scharf im Auge zu behalten. 300 Millionen Karstadt -Llmsah. Oivivende unverändert 42 Prozent. Die Verwaltung des K a r st a d t- Warenhauskonzcrns gibt von ihrer Bilanzsitzung jetzt die wichtigsten Afsschlußzijsern bekannt: Der© esamt u m f stz, der im vergangenen Jahr von,. 175 auf 277 Millionen gestiegen war. hat sich 1928 weiterhin� auf 300 Millionen erhöht. Der Rohgewinn aus Waren wird mit rund 84 gegen 75,7 Millionen ausgewiesen, während Unkosten, Zinsen und Steuern rund 70,5 Millionen erforderten Der Rein- g e w�i n n entspricht mit 10,6 Millionen fast dem Ergebnis von 1927,' wäre aber erheblich höher gewesen, wenn er nicht durch hohe Sonderabschreibungen gekürzt worden wäre. Der Geschäftsbericht der Gesellschaft steht noch aus.
Reichstag und Lokomotivkrise Der Verkehrsausschuß des Reichstags beschäftigte sich am Dienstag mit der Forderung der L o k o m o t i v- industrie nach größeren Reichsbahnaufträgen. Der Ausschuß hat seine Stellungnahme in einem größeren Berich: a» das Plenum niedergelegt. Darin wird betont, daß es volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich von der Reichsbahn richtig wäre, n' ch l e r st die letzten Reservebestände a n Lokomo''ven aus- z u s ch ö p s e n. sondern rechtzeitig und m ö g l> ch st' gleich- mäßig für den notwendigen Bedarf Ersatz zu schassen Reichs- kredite kämen ober für die Lokomotioindustrie in Änbetracht der bekannten Lage der Reichsfinanzen nicht in Frage. Angenommen wurde ein Antrag, wonach die Reichsbahngesell- schaft ihre Lieserindustri« so mit Aufträgen versehen soll daß ein Grundstock on Beschäftigung gewährleistet wird. Ob diese Entschließung des Rcichstagsausschusses Herrn Dorpmüller veranlassen wird, feine hartnäckige und unverständliche Haltung in dieser Frage aufzugeben, muß noch seinen letzten Äeußerungen allerdings bezweftelt werden. Die Gewinnabschlüsse bei Siemens und Stralauer Glas. Die Siemen» Glas A.-G. und ihre Tochtergesellschaft, die Strolauer Glashütt«, haben im letzten Jahr einen wesentlich höheren Absatz erzielen können. Trotzdem konnten die Handelsunkosten be! der Siemens Glashütte gesenkt werden. Die Dividend« bleibt trotz wesentlich gesteigerter Erträge bei beiden Ge- jellschasten unverändert mit 9 Proz. bestehen. Höhere Dividende bei Zellen u. Guillaume . Die F« l t e n u. G u i l l a u m e A-G. in Köln-Mülheim wird nach den Beschl'sssen des Aussichtsrats ihre Dividende für 1928 von 6 aus 7� P oz. heraufsetzen. Der Auftragsbestand bei diesem größten deutschen Kabelunternehmen soll, wie wir hören, auch zurzeit noch sehr gut sein.
Anzug-Stoffe «mgUther Fabrikate von Weltruf- nur bot Koch& Seeland Oertraadtcnatraße 30—21*
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