Morgenausgabe
Nr. 212
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46.Jahrgang
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Jolatisdal
Vorwärts
Berliner Bolksblatt
Mittwoch
8. Mai 1929
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Die Parteifonferenz der ruffischen Kommunisten. Von Peter Garwy.
Stalins milde verwegene Jagd in der linkskommunistischen Richtung wird fortgesetzt. Die Parteifonferenz der KPDSU. hat den bisherigen Stalinschen Lintsturs ,, einstimmig" und pollinhaltlich" gebilligt. Diese Einstimmigkeit" wurde durch die Stalinschen Methoden der Parteidemokratie" im voraus gesichert. Der Parteiapparat, der sich feit 1921 in der eifernen Hand Stalins befindet, hat sich auch diesmal als zuverlässiges Werkzeug der persönlichen Dittatur glänzend bewährt. Die Barteikonferenz wurde in erster Linie berufen, um den Sieg Stalins über die Rechtsoppofition zu besiegeln. Diesem Sieg muß ohne Zweifel eine große internationale, als auch innerpolitische Bedeutung eingeräumt werden.
Die letzten schwachen Reste des Widerstandes der Führer der Rechtsopposition wurden bereits am Vorabend der Parteifonferenz in der geheimen Plenarsizung des Zentralkomitees und der Kontrollkommission gebrochen. Die Barteikonferenz ist ohne jedes Eingreifen der Rechtsopposition verlaufen. Bucharín und Tomski wurden zwar in das Präsidium der Konferenz gewählt, aber sie haben tein einziges Mal das Wort ergriffen. Merkwürdigerweise blieb auch Stalin selbst ganz im Schatten. Es war ein Meisterstück seiner Parteistrategie. Anstatt selbst aufzutreten, hat Stalin die beiden Führer der Rechtsopposition Rytow und Kalinin . die rechtzeitig zur Stalinlinie zurückgekehrt sind, als seine Borfämpfer vorausgefchickt, um die Linkspolitik zu verteidigen. Beide haben das Bertrauen des Dittators gerechtfertigt. Nur 11 glanom wurde aus dem Bolbureau entfernt und durch einen der treuesten Mameluten Stalins, Baumann, erfeßt. Troti bemühte sich bekanntlich seit jeher Stalin als einen Nationalbolschewisten" und Verräter an der Welt: revolution" hinzustellen. Jetzt versucht Stalin die„ Unehrlich feit" dieser Beschuldigungen dadurch zu beweisen, daß er selbst gegen die ,, reformistische" Einstellung der Rechtsoppofition ins Feld zieht. Kalinin. der in Stalins Auftrag auf der Konferenz auftrat, hat der Rechtsopposition die Vernachläffigung der internationalen Berpflichtungen" der Partei und der Sowjetmacht vorgehalten. Gleichzeitig wurde in der, Prawda" der Rechtsopposition vorgeworfen, daß sie die Stabilisierung des Weltkapitalismus anerkenne und die gesamte Taftit des Weltproletariats darauf einstellen wolle. Unter der, Kapitulation vor der Sozialdemokratie", die der Rechtsopposition vorgehalten wird, scheint Stalin ihren angeblichen Verzicht auf den weltrevolutionären Butichismus zu verstehen. Die Maitattit der Komintern beweist übrigens, mas unter den ,, internationalen Verpflichtungen" zu ver= stehen ist.
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Aber der Schwerpunkt der Barteifonferenz lag auf dem innerpolitischen Gebiet. Drei Fragen standen auf der Tagesordnung: der fünfjährige Wirtschaftsplan. die Bauernpolitik und die Reinigung des Sowjet- und Barteiapparates. Da die Rechtsopposition, um dem Schicksal Troykis zu entgehen, feine Fraktion bildet fein geschriebenes Programm aufstellt und feinen offenen Kampf führt, so ist ihre Erledi gung im Kampf um diese Fragen schwieriger. Durch die ausmeichende Haltung der Rechtsopposition wurde die Stalinsche Mehrheit veranlaßt, ihr eigenes pofitives Brogramım haarscharf zu formulieren, um die Rechtsoppofition zu zwingen, entweder Farbe zu bekennen, oder sich der Linkspolitik der Mehrheit bedingungslos zu unterwerfen.
Die Barteifonferenz hat einstimmiq" den fünfjährigen Wirtschaftsplan in seiner marimalen Rariante angenommen. Damit mird die verhängnisvolle Politik der forcierten Ueberindustrialisierung auf Kosten der Bauern'chaft gebilligt Die hochkavitalistischen Länder West europas und Ameritas einzuholen und zu über holen". Dies ist das Ziel des fünfiährigen Wirtschaftsplanes. Krnschanowsti hat in seinem Vortrag den fünfjährigen Wirtschaftsplan als„ Poesie des Sozialismus", als Konzert über die Entwicklung unserer Industrie" hochgepriesen. Aber umsonst bemühte er sich gleich Ryfow zu beweisen, daß diefes Ronzert" feine 3utunftsmufit und daß diefe Poesie des Sozialismus" teine Utopie ist.
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Schwierigkeiten noch nicht überwunden.
Das deutsche Schriftstüd, das auf Beriangen, Moreaus, des Gauverneurs der Bant von Frankreich , ihre Vorbehalte zu der Youngschen Formel festlegen sollte, ist zunächst nur der eingefeßten Kommission vorgelegt worden. Die Einigung in der Konferenz, die manche schon für Dienstag erwarteten, wird noch einige Tage auf fich warten laffen. Auch bei vorsichtigster Fassung der deutschen Borbehalte wird wohl nicht jede Diskussion darüber ausbleiben. Ein Teil davon allerdings, wie gerade der Verzicht auf die Berpfändung gewiffer staatlicher Ein nahmen, die Abschaffung aller Dames Kontrolle organe und die Erleichterung der allgemeinen Handelsbeziehun gen, wird wohl nicht auf unüberwindlichen Widerstand stroßen. Anders verhält es sich aber schon mit der deutschen Forderung nach
Einfügung einer Revisionstlausel. Hier scheint die frana zösische Delegation opponieren zu wollen unter dem Vorwand, daß diese Revisionstlaufel, die sich ihrer Natur nach nur auf den transfergeschüßten Teil der deutschen Zahlungen beziehen fann, jede Kommerzialisierung unmöglich mache. Eine Streitfrage fcheint auch das Problem der Verteilung der deutschen Zahlungen unter den einzelnen Alliierten werden zu sollen. Die deutsche Delegation ist hieran nicht direkt interessiert, doch kann die Einigung erschwert werden. Die Alliierten haben, wie verlautet, schon jetzt den Vorsitzenden Owen Young aufgefordert, ihnen anzugeben, wie er sich diese Verteilung dente, da die von ihm und Dr. Schacht vorgeschlagenen Summen neue Konzessionen verlangten. Man darf wohl in diesem Schritt der Alliierten einen neuen Versuch sehen, amerikanische Zugeständnisse zu erlangen.
Funktionärversammlung der Berliner Sozialdemokratie.
Mit den Borgängen auf dem Wedding und in Neukölln im| ein Blutbad unter der Arbeiterschaft anzurichten zur höheren Ehre Anschluß an die Maifeier der organisierten Arbeiterschaft be- Mostaus. fchäftigte sich gestern abend in den Kammerfälen eine überfüllte Bersammlung der Berliner Parteifunktionäre. Der Versammlungsleiter, Genosse Litte, sprach den bei den Unruhen unschuldig ums Leben gekommenen Opfern das tiefste Mitgefühl aus. Ganz besonders gedachte Litke der zwei erschossenen Bartei genoffen, denen er ehrende Worte widmete. Die Verfammlung hörte den Nachruf stehend an. Dann referierte
Genosse Künstler
über das Thema:" Die Blutschuld der Kommunisten am 1. Mai." Er führte aus:
Jeder organisierte Arbeiter erkennt jetzt nach dem Putsch, daß| gewissenlose und unverantwortliche Leute in der Leitung der Kommunistischen Partei eine schwere Blutschuld auf sich geladen haben. Die organisierte Arbeiterschaft wendet sich mit grenzenlosem Abfeu von dieser Art Arbeiter, politiker" ab. Troß der bewaffneten Aufstände von 1921 und 1923 hat die Kommunistische Partei nichts gelernt; die Katastrophenpolitit, von Rußland übernommen, hat cuch jeht wieder zu den blutigen Vorgängen auf dem Wedding und in Neukölln geführt. Es zeugt gerade nicht von großem Mut, daß die Pied und Genossen jezt, nachdem ihr politischer Bankrott und ihre Schuld an dem Blutvergießen offenbar sind, Sozialdemofraten als Arbeitermörder hinstellen. Unsere Partei und ihre Führer werden es mit Würde zu ertragen wissen, von Leuten beschimpft zu werden, die mit vollem Bewußtsein die Arbeiter in den Aufstand gehegt haben.
Aber waren es denn wirklich aufgeklärte, organisierte, flaffenbewukte Arbeiter, die in den Aufruhrgebieten gegen Staatsgewalt und Polizei mit der Waffe in der Hand auftraten? heute fann man feststellen, daß sich Lumpenproletarier der Aktion der Kommumsten bemächtigt hatten. Damit ist der bündige Beweis erbracht, daß es der Leitung der Kommunistischen Partei nicht möglich war, die Maiaftion und ihre Anhänger in der Hand zu behalten. War schon die Ansehung von Demonstrationen auf dem Alexanderplatz und dem Potsdamer Plaz ein Verbrechen, so wurde das Verbrechen um so größer, als sich gezeigt hatte, daß die Maifeiern der organisierten Arbeiterschaft in würdevollster Weise verlaufen waren. Bewußt hat die fommuniffische Bezirks leitung den Feiertag des organisierten Proletariats dazu benutzt,
widlung. Der Wirtschaftsplan ift gewiß eine schöne Dichtung, aber der Warenhunger, die Brotkarten, das Schlangestehen, der Lohndruck, die Einschränkung der Anbaufläche ist die traurige Wahrheit.
Noch viel verhängnisvoller sind die Beschlüsse der ParteiBekanntlich bewertet die Rechtsopposition diesen groß- fonferenz in der Bauernfrage. Die Feststellungen der zügigen Wirtschaftsplan als eine gefährliche Ueber Rechtsoppofition, daß die Zwangskollektivierung der Bauern spannung der schwachen Produktionskräfte des russischen wirtschaften, die Ausnahmesteuern und die Preisschere nicht Bolkes. Die Wirtschaftsforderungen der Rechtsopposition Sozialismus, sondern Kriegsfeudalismus bedeuten, selbst rühren zwar nicht an der Wirtschaftsutopie des Bolsche wurden durch die Parteifonferenz als eine fulafische Abwismus. Sie verlangen nur die Berlangsamung des weichung", als Berneinung des Klaffentampfes im Dorfe, als Industralisierungstempos, um die Inflation, den Rerzicht auf die sozialistische Umbildung der Landwirtschaft Rufammenbruch der Währung und des Staatsstats, den beiseite geschoben. Die Parteitonferenz beschloß, die Soziali Bruch mit der Bauernschaft und den Sturz der Diftatur zu fierung der Landwirtschaft mittels der Kollektivierung der vermeiden. Aber auch diefe an sich bescheidenen Forderungen Bauernwirtschaften und der Gründung von Staatsgütern mit der Rechtsoppofition, die auf die Wiederkehr der Nep allen Mitteln zu forcieren. Den bemittelten Bauern, den hinauslaufen, wurden durch die Parteikonferenz als, Rapitu-..Kulati" wird der Kampf auf Tod und Leben erflärt. Die lierung vor dem Kapitalismus" hingestellt und vermorfen Bauern scheinen vergessen zu haben. führte Kalinin u. a Immerhin bedeutet die Billigung des fünfjährigen Birt aus, daß Grund und Boden in Sowjetrußland nationalischaftsplanes die Fortsetzung des aussichtslosen Rampfes des fiert sind und sie halten es für ihr privates Eigentum. Nun Utopismus gegen die eisernen Geseze der ökonomischen Entgelte es, ben Bauern in Erinnerung zu bringen, daß die
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Seit Monaten. Schon arbeitete man darauf hin, in immer mehr und mehr gesteigerten Aftionen bei den Erwerbslosen, bei den Betriebsrätewahlen, im Berein mit den Unorganisier ten einen großen Schlag gegen die organisierte Arbeiterschaft, in der man die Sozialdemokratie treffen wollte, zu führen. In ihrer Presse und in anderen Berlautbarungen, ist das vor dem 1. Mai oft genug gesagt worden. Bereits im Anschluß an die Maifeier im vergangenen Jahre schrieb die Rote Fahne", daß diese Feier die legte gewesen sei. die ruhig verlaufen ist, Die Maiaktion in diesem Jahre ist also das letzte Glied in der Kette der Verbrechen, die die Kommunisten und die Sendlinge aus Moskau an der Arbeiterschaft begangen haben.
Die Sigungen der kommunistischen Bezirksleifung in Berlin haben im Beisein des aus Moskau abaesandten Manuelffi stattgefunden, der die Berliner verpflichtete, die Arbeiter froh des Demonstrationsverbots und gegen ihren Willen auf die Straße zu bringen.
Die ständige Hetze in ben fommunistischen Zeitungen, in Flugblät tern und in den Bersammlungen hat es denn auch zuwege gebracht, daß, nachdem die Maifeier der organisierten Arbeiterschaft würdig und still beendet war, am Abend der Tumult auf dem Wedding und in Neukölln losging. Aber nicht ein tommunistischer Führer stellte sich an die Spize der Aktion, selbst der Leiter des Generalstabs, der Reichstagsabgeordnete Ende, faß am Mittwochabend in eleganter Begleitung in der Erzelfiordiele in der Königgräßer Straße! Andere kommunistische Führer, so 3. B. der Stadtverordnete rig Lange- Neukölln , hatten sich Erholungsurlaub geben lassen. Kommunistische Bezirksmitglieder haben die Aufforderung ihrer Parteigenoffen, den 1. Mai burch Arbeitsruhe zu begehen, damit beantwortet, daß fie telephonisch die Auskunft gaben: Wenn sich die Leitung nicht um fie fümmere, hätten fie auch keine Beranlassung, den Barolen zu folgen. Solche Telephongespräche sind von den kommunistischen Stadträten Dr. Schminde und Lude vom Neuköllner Bezirksamtsgebäude aus geführt worden.
Wie sich diese kommunistischen Prominenten verhielten, so vers hielt man fich auch am Herstellungsort der Roten Fahne". Während alle Berliner Blätter am Morgen des 2. Mai
Nationalisierung feine leere Phrase sei. Die Handels. symtschka( Bündnis) mit der Bauernschaft, die bis jetzt in der Form der Nep. bestand, soll in die Produktions symtschla verwandelt werden, d. h. die sozialistische Planwirtschaft“ foll auch auf das Flachland ausgedehnt werden.
Also die sozialistische Offensive" auf der ganzen Linie! Um diese Politit zu ermöglichen, ist es vor allem notwendig, die Partei, den Staatsapparat, die Gewerkschaften, die Genoffenschaften usw. von den ,, nichtwerftätigen Elementen", von den Troglisten, von den Rechtsoppositionellen, mit anderen Worten von allen ,, Unzuverlässigen" rücksichtslos zu säubern. Die Parteikonferenz hat deswegen die große Reinigungsattion bestätigt, die im Juni beginnt, und deren eigentliches Biel ist, die Partei und den Staatsapparat noch enger als b. her zu verschmelzen und in der sand Stalins zu vers einigen.
Stalins Kurs auf den Kriegsfommunismus wird fortgesetzt. Er hat über die Rechtsopposition gefiegt aber die Rechtsoppofition rechnet darauf, daß die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung über Stalin siegen wird, und daß dann die Stunde der Rechtsoppofition schlagen wird.