Heute Neuwahl in Bulgarien . Die Regierung der Reaktion gefährdet. Sofia , 20. Juni. (Eigenbericht.) Am heutigen Sonntag wählt da- bulgarisch« Volk nach vierjähriger Paus«— die letzte am 29. Mai 1927 gewählte So« branje ist eines natürlichen Todes gestorben— wieder ein neues Parlament. Seit dem blutigen Staatsstreich vom 9. Juni 1923 unterwirjt sich die Regierung der„Demokratischen Vereinigung ", die kürzlich mit den rechtsradikalen„Liberalen " um Smilow eine Koalition einging, nunmehr zum dritten Mole dem Urteil des Volkes. Zweimal tonnte sie unter der t a t- u n d s ch l a g k r ä f t gen Mitwirkung der Polizei und bei der völligen Zer- splittcrung der Opposition mit absoluter Mehrheit in die Kammer einziehen. Diesmal indessen haben sich die Machthaber unter wesent- lich schwereren und ungünstigeren Umständen dem Volke zu stellen, da sie sich einet fast geeinten Opposition gegenüber befinden. Mit Ausnahme der Sozialdemokraten und K o m m u- nisten, die mit selbständigen Listen austreten, sowie eimger unbedeutender bürgerlicher Gruppchen hat sich die Opposition zu einer Kampfgemeinschaft, dem„Bolksblock", z u- sa in mengeschlossen, dem die im Volke am stärksten oer- wurzelte Bauernpartei, die Demokraten um Malinow, die Radikaldemokraten und die gemäßigten Nationalliberalen ange- lzören. Dieser„Volksblock", der eine äußerst lebhafte Wahlpropa- ganda entfaltet und in besonders gefährdeten Bezirken Terrorabwehrorganisationen geschaffen hat, besitzt durchaus günstige Aussichten, der Regierungskoalition eine Wahlniederlage zu bereiten. Andererseits scheint die Regierung fest entschlossen zu sein, den ihr zur Verfügung stehenden Polizei- und Verwaltungsapparat am Wahltage schrankenlos gegen die Opposition loszulassen. Die. messten oppositionellen Blätter, in denen schon jetzt die Proteste gegen den immer stärker werdenden Wahlterror ganze Spalten füllen, spiegeln die große Besorgnis wider, daß das Land am nächsten Sonntag eine Wahl erleben wird, wie sie Bulgarien bisher noch nicht zu oerzeichnen hatte.„Dieser verbrecherische Terror", schreibt der sozialistische „Narob" wörtlich,„treibt das Land einem neuen Bürger- kriege zu." Wie werden die Wahlen auslaufen? Es ist diesmal schwieriger denn je. den Ausgang des Wahltampfes prophezeien zu wollen. Soviel aber kann vorausgesagt werden, daß die Regierungs- koalition trotz aller Gewalttätigkeiten eine starke Schwächung ihrer Position erleiden wird. Ihr gefähr- lichster Gegner ist der„Volksblock". Der oppositionelle Demokraten - führet Malinow , der der Kristallisationspunkt dieses Blockes ist, wird trotz seines Mißerfolges bei der jüngsten Kabinettskrise als der kommende Ministerpräsident bezeichnet. Die Kommunisten, die als �mabhängige" Arbeiterpartei firmieren und in der letzten Kammer vier Mandate hatten, dürften einen nicht unerheblichen Stimmenzuwachs erfahren. Ihr bester Agitator ist das u n g e- heute Elend der ausgepowerten Kleinbouernwassen. Die Sozial- demokraten, die mit ungebrochenem Kampfesmut allein in die Wahlen gehen, dürsten ihre bisherige Stellung— in der letzten Sodranje saßen zehn sozialistische Abgeordnete— behaupten.
Spaniens Verfassung. Iorifieaeatworf ohne Franenwahlrecht. Madrid , 20. Juni. Die Kownnssiov zur Ausarbeitung dar neuen Verfassung, welche aus den hervorragendsten spanischen Juristen besteht, hat ihre Ar- bsiten abgeschlossen. Der Berfassungsentwurf sieht die Schaffung einer Abgeordnetenkammer und eines Senats vor. Der Senat soll nur beschränkte legislative Befugnisse haben. Di« neu« Berfassung trägt unitarischen Charakter, doch sollen gewisse Dinge, namentlich sozialpolitische, zugunsten einzelner Landesteil« ab- getreten werden. So soll z. B. K at al o n i e n d i e w i r t s ch a f t- liche Autonomie im Rahmen det Staatsverfassung bewilligt bekommen, vorausgesetzt, daß sein Volt dem zustimmt. Die Rechte des Präsidenten der Republik sind dem französischen System nachgebildet. Der Verfassungsentwurf sieht die Trennung von Kirche und Staat vor, wobei die religiösen Kongregationen die Möglichkeit haben sollen, im Larkde zu bleiben unter der Bedingung, daß sie sich den Vereinsgesetzen fügen. Für die Wahlen wird das allgemeine Wahlrecht vorgeschlagen, wobei dem Parlament die Möglichkeit bleibt, sich für ein bestimmtes Wahlsystem auszusprechen. Während die jüngeren Mitglieder der Kommission sich für die Be- willigung des Frauenwahlrechts ausgesprochen haben, soll die Mehrheit dies als verfrüht bezeichnet haben, so daß es im Berfassungsentwurf keine Erwähnung findet.
Das Waffenlager im Schloß. Milde Strafen für bewaffnete SA. -Havfen. Breslau . 20. Juni. Bei einem Ausmarsch von SA. -Trupps nach Iäschtawitz beiBreskau hatte die Breslauer Polizei im Schlosse Jäschkowitz, wo 450 Mann(!) untergebracht waren, Ende vorigen Jahres ein großes Wassenlager von Seitengewehren, Karabinern, Revolvern, Dolchen und Spaten entdeckt. Es wurden seinerzeit etwa 300 Personen verhaftet, darunter der Pächter aus Schloß Jäschkowitz. Gutsbesitzer Oelffen. Bei der jetzigen Verhandlung erklärte Oelffen, er habe nicht gewußt, daß die nationalsozialistischen Sturmabteilungen Waffen mitbringen würden. Von den übrigen Angeklagten wurden sieben freigesprochen und drei wegen verbotenen Waffenbesitzes zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt. Der Gerichts- Hof begründete fein auffallend mildes Urteil damit, daß die dem Gericht vorgelegten Waffen nicht ausreichten, um etwa 450 SA.>! Leute als einen bewaffneten chaufen anzusehen. Der Staatsanwalt hatte gegen sieben Angeklagte je vier Monate und gegen einen An- geklagten sechs Monate Gefängnis beantragt.
Niedergeschossen! Die Kolgen der politischen Verwilderung. Neiße . 20. Juni. Gestern abend kam e» vor dem Partellokal der Rational » s o z i o l i st e n zu einem Zusammenstoß Mischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Bereit» am Tage vorher hatte sich eine Messer st echerei zwischen beiden Parteien abgespielt. Der gestrige Zusammenstoß war bedeutend schwerer und führt zu einer Schießerei, bei der der nationalsozialistische chandlungs- gehilf« Müller erschossen wurde. Bon wem der tödlich« Schoß ausgegangen ist. konnte noch nicht ermittelt werden.
Es passiert nichts in Vrannschwetg.
»Hier Gemeindevorsteher? Nazihorden terrorisieren Orffchast. Erbitte polizeilichen Schuh!"
»Hier brannschweigische Staatspolizei? Nor ruhig Blut. Es wird schon nichts passieren."
Als die Polizei ausblieb— und nichts passierte?
»Na sehen Sie, wir haben doch ganz recht gehabt: Es ist feinem Nazi was passiert."
Nicht Seipel, sondern Buresch.
Wien . 20. Juni.(Eigenbericht.) Dem niederöstereichischeu Candes Hauptmann Dr. B a r es ch. der am Sonabendmittag nach dem Verzicht Seipel» mit der N e u b i l> dang des Kabinetts betraut wurde, ist es abends nach kurzen Besprechungen mit den Alehrheitsparleieu gelungen, eine Regierung zustandezubringen. Seinem Kabinett gehört als Vize. tanztet und Minister des Aeußeren Dr. Schober an. Finanz. minifter wird prosessor Redlich, der früher Vrofeffor für Der- wallungsrechl an der Mener llniversiläl war und zur Zell an der amerikanischen havard-llmverfilät tätig Ist. Redlich war im letzten Parlament des kaifertichen Oesterreich Abgeordneter und war bereit z früher Minister. Zm übrigen fetzt sich das Kabine« wie die Regie- rung Ender zusammen. Seipel. der am vormittag mit seinem Auftrag zur Reu- bildung der Regierung endgültig scheiterte, heckte n. a. icke Ab- ficht, das Außenministerinm selbst zu übernehmen. Angesicht» diefer Erklärung lehnten die Landbündler weitere Verhandlungen ab. Seipel gab daraufhin feinen Austrag zurück.
Eine Regierung Seipel hätte, zumindest innenpc-littsch, eine wesentlich« Aenderung gegenüber dem früheren Kabinett Ender bedeutet, und, falls Schober das Außenministerium hätte abgeben
müssen, wahrscheinlich auch eine oubenpolitische Schwenkung bedeutet. Auf«ine solch« Kombination, die auf die sozialdemokratische Arbeiterschaft provokatorisch gewirkt hätte, hätte unsere Partei mit schärfster Opposition geantwortet. Seipel» Plan ist gescheitert, well das gemäßigte Bürgertum erkamit hat, daß in der jetzigen kritischen Situation eine derartige innere Zuspitzung für Oesterreichs Wirtschaft verhängnisvoll fem würde. Somit ist, im Grlmde genommen, derselbe politische Hufstand wiederhergestellt, wie er vor dem Ausbruch der Krise am Mittwoch bestand: denn Buresch bedeutet gegenüber Ender keine Kursänderung. Di« Koalitionsbasis des neuen Kabinetts bleibt dieselbe, auch der allgemeine Regierungskurs bleibt der gleiche, so daß sich auch die Haltung der Sozialdemokratischen Partei gegenüber dem neuen Ministerium nicht von ihrer Haltung gegenüber dem Ministerium Ender unterscheiden wird. Der wesentliche personelle Unterschied ist der Eintritt des Professors Josef Redlich in das Kabinett. Redlich, der als Lolkswirtschaftler und Finanzpolitiker einen großen Ruf auch im Auslande genießt, soll durch seinen.Eintritt der neuen Regierung einen gewissen Glan,; verleihen, von dem man sich in Wien günstige Wirkungen auf den stark erschütterten Kredit Oesterreichs im Aus- lande verspricht.
Hakenkreuz bei Goit. Der letzte Ausweg der Hitler-Wisienfchast. Im Rahmen der a k o de m i s ch- p o li ti sch« n Debatten an der Universität Berlin, die auf Initiattoe einiger Professoren, besonders des Genossen Heller, geschassen wurden, um politisch: Fragen sachlich unter Studenten zu diskutieren, fand eine Dis- kuffion über das Thema Sozialismus statt. Es sollte einmal grundsätzlich die Stellung Oer Sozialdemokraten und der Nationalsozialisten geklärt werden. Der Nationalsozialistisch« Studentenbund halle keinen Studenten gefunden, der sich an die Aufgabe gemacht hätte, die Stellung der NSDAP , darzn- legen. So hatte man sich den„A n g r i f s"- R e d a k t e u r Dr. von Leers geholt. Der größte Hörsaal der Universität war überfüllt, als der erst« Redner, der Vorsitzende der Sozialistischen Studentenschaft, Genosse Groß, das Wort ergriff. Er gab eine kurze Analyse der gegen- wärttgen Wirtschaftslage und entwickelt« im Anschluß daran die sozialistischen.Forderungen. Hunderte von Studenten, die sich sonst ihr Wissen über unsere Partei und die Gawerkschastsbewegung aus Hugenberg» oder Hitler-Blättern holen, begriffen hier vielleicht zum ersten Male den beispiellosen Kampf der Arbeiterklasse. Am Schluß setzte er sich mit den nationalsozialistischen Kritikern unserer Be- «Kgung auseinander, die trotz allen Geschreis die gegenwärtige Wirtschaftsordnung erhallen wollen. Dr. v. Leers bemüht« sich, in Gegenwart des Rektors sachllch zu bleiben. So fiel denn von der Judenfrage kein Wort. Dafür brachte er lange geschichlliche Betrachtungen und wandt« sich gegen den Internationalismus der Sozialdemokratie. Marx ist noch ihm der heimatlose Literat, der die Arbeiterbewegung in eine falsch« Bahn gelenkt habe. Da ihm Groß schon den Kernpunkt seines Wirischaftsprogramms„Brechung der Zinsknechtschaft" und die immer wiederkehrende Unterscheidung zwischen schaffendem und raffendem Kapttol widerlegt hotte, siel seine Verteidigung de» Gott- fried Federschen Geldsystems sehr schwach aus. Für die sozialistische Studentenschaft bedeutet diese Veronstol- tung einen großen Erfolg, da hier vielen indifferenten Studenten in ungehinderter Diskussion der Pstudosozialismu» der Nationalsozialisten gezeigt werden konnte. Es stellte sich wieder einmal mehr heraus, daß wir kein« sachlich« Auseinandersetzung mit den Nazis zu scheuen haben. Es wäre nur zu begrüßen, wenn
der Rektor noch öfter Universitätsräume für solche Beranstaltungen zur Verfügung stellen würde. Die Diskussion offenbarte den geistigen Tiefstand der Nazi- studenten. So erklärte einer:„Wir Nazistudenten kämpfen nicht für irdische Güter. Mögen die Marxisten für mate- riell« Güter kämpfen. Wir kämpfen für die Befreiung der deutschen Seele. Mit uns ist Gott (!), daher wird mit uns der Sieg sein."
Teierower Landfriedensbruch-Prozeß. Geld» und Gefängnisstrafen. Teterow (Mecklb.), 20. Juni. (Eigenbericht.) In dem vor dem hiesigen Gericht geführten Landfrieden»- bruchprozeß gegen 40 Kommuni st en wurde der Haupt» angeklagt« Ouandt zu 6 Monaten Gefängnis verurteill. Ein Teck der Angeklagten erhiell Strafen Mischen acht und zwei Wochen Gefängnis. Etwa zwanzig wurden zu Geldstrafen von 15 bis 60 Mark oerurteilt. Sieben Angeklagte wurden frei- gesprochen. In der Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende des Gericksts, daß die Kommunisten nach der Ansicht des Gerichtehofes von vorn- herein die Absicht gehabt hätten, die nationalsozialistische Versamm- lung zu sprengen. Da« sei durch Zeugenaussagen bewiesen worden.
Nlmuovelle vor dem Reichsrai. Bayerische Anträge abgelehnt. Die Ausschüsse des Reichsrats haben in den letzten Tagen die erst« Lesung der sell 1928 angestrebten Novelle zum Licht» spielgesetz abgeschloffen. Wie wir erfahren, sind in dieser ersten Lesung die bedeutungsvollen Anträge Bayern « auf Stärkung der Länderkompetenzen gegenüber der Reichszensur abgelehnt worden. Die zwelle Lesung der Novell « ist auf den Herbst vertagt worden, da eine Erledigung der Vorlage durch den Reichstag bestenfalls im Oktober erfolgen kann. Der Reichsrat selbst hall am Mittwoch, dem 24. Juni, nach- mittags 5 Uhr,«ine Vollsitzung ab, in der kleiner« Vorlagen zu erledigen find.