Serlzn im Spiegel der �Provinz Das Fazit einer Heimreise:/ Von ßvieb Dveuße
„Guten Tag!— Na, inn haben Sie solange gesteckt—?" Die flrage bekam ich von verschiedenen Bekannten zu hören, als ich neulich„mal wieder zu Hause" war.—„In Berlin !" Die meisten schwiegen darauf nach einem sehr, sehr langgezogenen„So---!" (es war mindestens so lang, wie ihr mißtrauisches Gesicht, das sie dabei aussetzten), sie schwiegen verlegen und kauten sichtbarlich an einem inneren Groll. Ich hütete mich, zu lachen. Denn: mein Zuhause liegt in Hannover , in der Lüneburger Heide . Und die meisten meiner dort wohnenden Bekannten sind hannoversche Bauern von altem Schrot und Korn, sind zumindest durch Geschäftsverbindungen mit ihnen verklettet oder, wenn sie Beamte sind, durch Abstammung und Herkommen gleicher Gesinnung mit ihnen. Für die ist Berlin das, was dem Frommen die Hölle sein mag.... Berlin ist Preußen! Worum? De? hannoverschen Bauern ein und alles ist sein Besitz, sein Hof: er ist sein Stolz, seine wahre Neligion, der er olles opfert: Zeit, Arbeitskraft, Frau und Kinder. Für den Hof wird gestrebt und gegeizt. Der Bauer gönnt sich nichts. Alles seinem Hof. Für den Hof wird sich geschunden, der älteste Sohn ist Erbe, der zweite wird Lehrer, die anderen, wenn sie nicht ein- heiraten, bleiben zeitlebens Knechte oder ziehen in die Stadt: die Töchter heiraten einen Erben— oder sie bleiben Mägde. Der hannoversche Bauer hängt mit ollen Fasern an seinem Besitz. Daher der Groll gegen Berlin !—?— Ja! Denn Berlin ist Preußen, Preußen ist B i s m a r ck,— und Bismarck hat IdW Hannover annektiert und den blinden König Georg V. ent- thront! Daher die gejühlsbegründcte Solidarität mit den Cumber» ländern, die Itifit; ihren„Besitz" verloren haben, und die Abneigung gegen die Preußen— gegen Berlin , der Hochburg der„Saupreißen" (wie man auch in Hannover sagt). Dazu: der hannoversche Bauer ist immer frei gewesen, Großgrundbesitz und Leibeigenschaft hat es in Hannover nie in dem Maße wie beispielsweise in Pommern oder Ostpreußen gegeben. Der hannoversche Bauer war Herr, er war niemandes Untertan und liebte nicht, sich kujonieren zu lasse». Des- halb haßte er die preußischen G a m a s ch e n k n ö p f e, die sich bald in Landratsämtern und Behörden zu tummeln begannen oder die„von oben"(aus Berlins ) Verordnungen erließen und das preußische(deutsche) Ideal hochhielten, wie Tucholsky es so gekennzeichnet hat: das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. Das deutsche Verhängnis: vor einem Schalter zu stehen! In de» Landrats- ämtern hockten die Preußen. In den Städten waren sie auch, und vor allem in Berlin . Jede Stadt war überhaupt so'n Stück Berlin . Was war überhaupt Berlin ? Kaum jemand war dagewesen. Berlin —: die Preußen!
Und dann der Kammiß! Die Preußen.„Mutter, die Preußen kommen!" riefen die Kinder. Und dann wa.rey hie Soldaten damit gemeint.„Er dient bei den Preußen," hieß es. Die Preußen: das war der M il i- tarismus, der Kommiß. Widerwillig unterworfen sich die Bauernsöhne dem Drill in der Militärzeit. Der hannoversche Bauer war ein Feind des Militarismus. Und gar des preußischen! Wie sollte es auch anders sein? Er wußte von früher, die Zeche mußte er bezahlen, wenn es zum Krieg gekommen war. Sein Besitz wurde verwüstet. Ihn: ging's am ehesten an den Kragen. Und nachher fand sich keiner, der ihm Millionen Staatsgelder gab, die bekamen die Junker, um nötigenfalls Bauern zu legen, landlos und hörig zu machen.... Wie kann ein Bauer Militari st werden? Das macht man so: ihm wird vorgeschwaselt. dieser und jener„Feind" oder der„Erbfeind" bedrohe seinen Besitz, wolle den rauben. Deshalb machten sie l570 gegen Frankreich mit. Mit den Preußen. Zögernd nur, drei Biertxl gezwimge»— aber sie mochten mit, genau wie die Bayern . Württemberger und Sachsen. --- Und nachher war das Deutsche Reich geboren. Deswegen wurde das Kriegs- beil gegen die Preußen nicht begraben. Im Gegenteil. Das Deutsche Reich, das waren.hier wieder die Preußen, nur in anderer Aufmachung. Und wieder Berlin .... Sie bogen den Föderalismus, dem sie zu huldigen glaubten, in Kirchturmspalitik mn, sie waren gegen den Einheitsstaat, aus manischem Haß gegen die Preußen, in den sie sich nun schon hinein» gefressen litten. Eigenartige„Politik", die sie trieben! Die sich (wie ich es hier schon mal berichtet habe) darin äußerte, daß sie ihre Housgiebel g e l b w e i ß strichen und sich g e l b m e i ß e K o te r hielten— und noch, heute halten. Wer nicht nach ihrer Pfeife tanzte, wurde geächtet. Gewerbetreibende, Lehrer. Bürgermeister waren durch Geschäfte und so mit ihnen verfilzt. Wer wollte nicht nach ihrer Pfeife tanzen? Die Dörfer waren zu 90 Proz. gelbweiß. die Kreisstädte zu mindestens 60 Proz., die größeren weniger. Denen haben die Bauernfrauen das ober auch im Weltkriege heimgezahlt. „Jä, jetzt hefst wi de Witten Westen an!" Vorher habt ihr Groß- städwr euch über uns und unsere Ansichten und Sitten lustig ge- macht und über uns die Nase gerümpft— jetzt bekommt ihr keine Kartoffeln von uns.... Nach dem Weltkrieg wurde nichts besser. Der sichtbare Ausdruck des Kommißstiefels, die Beamten, waren dieselben geblieben, waren kaum verändert. Noch immer ließen sie am liebsten jeden strammstehen, der mit ihnen, zu tun. hatte.(Mit einzelnen Aus- nahmen, hauptsächlich der Bahnbeamten.) Dann: m Berlin , in den Städten hatte sich etwas.getan.: Die Revolution. Wie alles, was aus den Stqdten kam, wurde das mit Mißtrauen ausgenommen. Man verhielt sich abwartend, ja, aber— waren da nicht Leute aus ihrem„Besitz" verjagt..? Bolschewismus, Ent- eignung— Schlagwörter, die eifrigst kolportiert wurden.... Die Vereine heimattreuer.Hannoveraner, deren Versammlungen fast nur der Gesellig/eit gedient hatten, wurden politisiert und natia- nalistisch aufgemöbelt. Da war in Lüneburg der„Verein heimattreuer. N i« d e r s a ch s e n".(Nebenbei die Begriffe Heimat. Treue, Niedersachsen wurden von der Lokalpresse mit Ge- duld und Ausdauer gewälzt, zu Gemeinplätzen ausgewälzt...) Zweck der Vereins war die Pflege niedersächsischer Kultur. Auf den Heimatabenden wurden. Vorträge. gehalten, abgehalfterte Offiziere kritisierten die Geschichte— und schimpften natürlich auf die Preußen (die Hauptsache!),— und so nebenbei schimpften sie auf die Revo- luzzer, Sozis und Gleichmacher... Zwischendurch mixten sie ihren Sentiments einen Schuß Hudenhaß bei....
Dann: eine Entwicklung, die schon weit vor dem Kriege«in- gesetzt hatte, die immer mehr weiter trieb, wurde nicht verstanden: Die Entwicklung Deutschlands vom Agrar- zum Industrieland. Nur 26 Proz. aller Deutschen sind in der Landwirtschast tätig. Die Industrie baut sich auf den Schultern, auf Kosten der Landwirt- schost auf. Wer hat schuld? Von wo kommt das alles? Von Berlin ! Berlin eine Stadt? Keineswegs. Berlin ist Zentrale der Jndustrialisierungsmaschinerie. Don dort kommt alles Unheil! Die Nazis und die Kommunisten. In jüngster Zeit. Die Nazis treten auf. Geschickt benutzen sie die Gegensätze, schlachten sie für ihre Propaganda aus und suchen die Kluft noch zu vertiefen. Die Stadt, überhaupt Berlin : das sind die Juden!„Die alte Einheit ist durch orts- und stammesfremde Elemente zerstört... Der christliche Glaube war Halt, die Kirche geistige Heinrat... Das ist nun alles anders geworden... muß die Gefahren zeigen, die dem Hof(!) und seiner Kultur und damit unseren Dörfern drohen durch Materialis- mus und Entsittlichung... muß warnend auf die unheilvollen Einflüsse zersetzender städtischer Kultur hinweisen..." Wer schreibt das? Ein Lehrer an der Heide-Volkshochschule in Hernrannsburg. Es könnte auch ein Nazi geschrieben hoben... Jetzt: S ch i e l e s P o� i t i k. Schiele, das ist doch einer von
uns. Und nun—; hohe Futtergetreidezölle, Sondergeschenke en Gutsbesitzer, in Gestalt von Osthilsen... Die Lauern links der Elbe zahlen Steuern bis zum Weißbluten, ihre Schweinezucht, die sie mit Mühe und Fleiß aufgebaut haben, wird infolge der Schiele- Politik, die alles den Junkern in den Rachen stopft, unrentabel, geht zum Teufel. Es gärt wieder gewaltig. Schiele(natürlich in Berlin !) kann ihnen gestohlen bleiben. Die Nazis? Die Rechts- Parteien sind bei ihnen in Mißkredit gekommen. Ratlosigkeit bei den Bauern, und die Kommunisten wittern Morgenluft! Berlin im Spiegel der Provinz. Da schreibt jemand für eins große, weitverbreitete Provinzzeiwng Berichte aus Berlin . Kein Wort vom arbeitenden Berlin , von den Nöten, mit keinem Satz ersteht Merlin, wie es wirklich ist. Er verbreitet sich über die Abreise der Marlene Dietrich und schreibt:„... wird diesmal Marlenes Abschied zum Volkstrauertag!" Wieviele Berliner haben eigentlich von dem„Volkstrauertag " was ge- merkt? Aber in der Provinz lesen sie das und glauben'? auch. Und der diesen Leuten den Zerrspiegel vorhält, ist keineswegs ein armer Zeilenschinder, sondern jemand, der Interviews von Reichsministcrn erhalt und nach Paris und sonstwo zum Bericht- erstatten geschickt wird. Wer wundert sich da noch, daß meine Bekannten ein langes Gesicht machen, wenn von Berlin die Rede ist?
Sine Pension in Herlzn W Querschnitt/ Von Fritz JGucifer
U c b e r Pensionen im allgemeinen. Was in Paris das Ilötel xorui, ist in Berlin die Pension. Wenn man durch die Straßen von Berlin W. geht und den Blick die Häuserfronten entlangstreifen läßt, fallen einem die zahllosen Schilder wie„Pensiön Sowieso" oder schlicht und traulich„Familien- Pension" ins Auge: in Ergänzung dessen noch die Untertitel wie „mit allem Komfort, Bad, Tischtelephon" oder„mit und auch ohne Pension"— Pension mit und auch ohne Pension, das gibt es nämlich auch, denn Pension ist sowohl Gattungsbegriff, als auch Begriff für vollständige Verpflegung. Die ist Frühstück, Mittag- und Abendessen. Also man kann in einer Pension nicht nur gut wohnen, sondern auch ebenso gut essen— das heißt, man kann— wenn man— und das ist nicht immer so— aber es kommt vor — und— eigentlich ist es besser, wenn man- über Dinge nicht spricht, die man oft gezwungen ist zu tunc Natürlich gibt es gewältige Unterschiede in der Pensionsbronche — und eine Branche ist es—, aber diese Unterschiede sind für den Uneingeweihten nicht immer gleich erkenntlich: man merkt sie bald, aber selten früh genug. Rein sachlich gibt es drei Arten yon Pensionen. Die erste ist eine dem mittleren Hotelbetrieb sehr ver- wandte; mehrere Etagen, Hauszentrale, eni Eßzimmer mit vielen großen und kleinen Tischen, ein Salon mit Klubsesseln und einem im„Dienst am Gaste" zermarterten Klavier. Die zweite Art ist eine etwas großzügigere Aufmachung van Zimmervermieierei— Gemrinschaftstelephon, Gemeinschaftscßzimmer, Gemeinschaftssalon, mit einem Wort, bis aufs Schlafen alles in Gemeinschaft mit der Pensionswirtin. Das Privatleben von Wirtin und Gäste verschmilzt in diesem Falle zu einer undefinierbaren Masse, die manchem Gaste dann schon unverdaut im Magen liegen blieb. Uebcr die dritte und letzte Art läßt sich ebenso viel als wenig sagen. Ich glaube, es genügt, wenn ich erkläre,, daß in diesen Pensionen stets Zimmer frei sind..... Im gewöhnlichen werden alle drei Arten von Pensionen von Damen mittleren und reiferen Alters beinhobert und bewirtschaftet, die Preise richten sich nach Lage der. Pension, Größe der Zimmer, Komfort, noch der Valuta der Gäste, ob Dauermieter oder Durch- reisender, nach de» guten oder schlechten Zeiten und nicht zuletzt, ob „besetzt" oder„leer" ist. Und man wundert sich, daß alle diese Pensionen, deren Zahl Legion ist, existieren können, wundert sich, daß es so viele Leute gibt, die das Pensionsleben dem privaten Ziminermieten vorziehen und möchte einmal wissen, wer diese Leute sind. Wic sieht es nun in einer Pension der hier erstangeführten Gattung aus? Der Inhaber. Inhaber in diesem Falle ist keine alleinstehende Dome, sondern ein Ehepaar, ein richtiggehendes Ehepaar mit Trauschein und allen Schikanen behördlicher Legitimität. Sie gehören v c r s ch i e- d c n e r N a t i o n a l i t ä t an. Er versteht ihre Muttersprache nicht, sie nicht die seine. Daher verständigen sie sich in einer Sprache, die sie mehr als mangelhaft beherrschen: nämlich Deutsch . Sie ver- ständigen sich, ja— aber sie verstehen einander nicht in dieser ihnen beiden fremden Sprache. Für Gäste und Personal mag wohl die Sprache als bloßes Verständigungsmittel ausreichen, aber zur Ver- mittlung von Gedanken und Gefühlen in der Ehe genügt dies noch lange nicht, wo doch Seelenharmonie, in der Ehe einzig und allein durch gegenseitiges gänzliches Verstehen geschaffen werden kann. Dieser Mangel kann auch nicht dadurch behoben werden, wenn sich die Ehepaare zu beiderseitigem besserem Verständnis nicht ansprechen, sondern anbrüllen. Der Ton macht die Musik. Und dieser Ton macht keine sehr schöne. Musik, sondern ein Geräusch, ein sehr un- angenehmes Geräusch, das in erster Linie den Ehepartnern selbst auf die Nerven fällt. Sie werden gereizt, und alle vier Wochen sind sie derart mjt Explosivstoff geladen, daß sie sich ent laden müssen. Die unmittelbaren Ursachen dazu bilden oft genug nur ganz geringfügige Anlässe, die aber vollends genügen, das Pulverfaß in die Luft fliegen zu lassen unh unter dieser Detonation die ohnedies armen, abgequälten Nerven der Penfionsgäste Zü erschüttern. Die von ollen Zimmermietern und dem Personal kurz be> nannten Krach? versetzen dann die ganze Pension in eine wahre Kriegsstimmung. Nur gayz wenige„Einwohner" können sich in die Neutralität flüchten, die übrigen ak'er werden direkt oder indirekt in den ehelichen Kampf miteinbezogen. Es bilden sich nun unter diesen wieder Zwei Parteien, von denen die. eine aus feiten des Mannes, die andere auf seiten der Frau zu stehen Hot. Diese Stellungnahme aber birgt für manche» Gast eine große. Gxfahr� denn ist er nicht
wirklich ein„guter", vor ollem aber pünktlich zahlender Gast, setzt ihn nach erfolgtem Friedensschluß je nach seiner Parteinahme entweder der Wirt oder die Wirtin hinaus. Noch gefahr- voller ist es natürlich für die, welche sich sowohl auf die ein« als auch auf die andere Seite stellen. Sie werden dann nämlich von beiden Teilen hinausgeworfen. Gewöhnlich sind dies die sogenannten Friedensvermittler, die freilich eher olles andere als den Frieden vermitteln. Diese Krachs aber sind sehr wohltuende Evolutionen und reinigen wie hochsominerlichc Gewitter die Lust. Ist dann wieder alles„beim alten", kann man sich getrost der Ruhe der nächsten vier Wochen hingehen. Der Wirt erzählt seinen Gästen neue, alte und noch ältere Witze, die Wirtin, weniger leutselig und demokratisch, zeichnet ihre Gäste mit wenigen Ausnahmen dadurch aus, daß sie sie geslisseM- lich übersieht und den Verkehr mit ihnen aus ein Minimum von Höf- lichkeit beschränkt. Aber es kann einem auch gelingen, sehr in ihrer Gunst zu stehen, und dann muß man sehr daraus bedacht sein, sich diese seltene Gunst auch zu erhalten. Was den Wirt betrifft, wäre noch zu sagen, daß sich sein Verkehr mit den Gästen nicht nur auf rein geschäftlicher Basis bewegt. Das will heißen, daß er geschäfts- tüchtig genug ist, seinen Kästen nicht nur als Wirt zu erscheinen, sondern vor allem als ihr Freund, väterlicher Berater, als der Mann, der in der Sorge um ihr körperliches und seelisches Wohl nachts kein Auge schließen kann. Er weih für alles Rat, sowohl in geschäftlichen als auch in noch komplizierteren Fragen. Dazu ist es notwendig, daß er von allen'Angelegenheiten, die seine Gäste bc- treffen, weiß. Und er ist tatsächlich von allem so gründlich unter- richtet, daß er als die kompetenteste Persönlichkeit des Hauses an- gesehen werden darf. Das Personal. Die nächsthöhere Instanz in der Pensionsbetriebsleitung ist der Buchhalter(und nicht, wie vielleicht irrtümlich angenommen werden darf, die Direktrice). Dieser Buchhalter, der deshalb so ge- nonnt wird, weil er a u ch die Bücher jührt. hat in erster Linie die verantwortungsvolle Aufgabe, die telephanischen Anschlüsse klaglos herzustellen, in zweiter Linie allwöchentlich Sonnabends den Gästen die Rechnungen zu präsentieren. Die übrige Zeit, wo er nicht buch- haltet oder Rechnungen aus den Büchern schreibt, verbringt er im Zustande eines gesunden Schlafes. Dazu ist das Büro glänzend ge- schaffen: sein Fenster führt in einen Lichthos, also kein Straßenlärni, und vor allem lackt der breite, weiche, samtene Fauteuil zu sried- lichem Schlummer am Tage. Wenn nicht hin und wieder das Tele- phon den sich der wohligen Ruhe Ergebenden stören würde, wäre das Glück vollkommen. Die Schlafsucht dieses Buchhalters erklärt sich aus dem Umstand seiner Jugend. Dem jungen Manne ist es dank seiner Stellung, die ihn in unmittelbare Berührung mit ver- schiedentlicher Weiblichkeit zwingt, nicht immer oergönnt, die Nacht- ruhe zu genießen. Gleich nach ihm, in fast derselben, aber doch um einige Grade untergeordneten Nangstellung, kommt die Direktrice, eine „gute" Vierzigerin, hünenhaft, durchaus repräsentativ, weder ge- schieden, noch verwitwet, keinesfalls ledig, sondern normal glücklich oerheiratet an einen Mann, der einige hundert Kilometer von ihr entfernt in Frieden sein Brot ißt. Die Dame steht mit allen Gästen aus freundschaftlichem Fuße. In wenigen Tagen Hot man ihre Ehe- und Familienverhältnisse heraus, weiß man, daß sie an verdrängten Komplexen leidet, und einige Tage später ist man mitten in einem heillosen Tratsch, au? dem man sich nur durch Flucht aus der Pension retten kann. Was nun das übrige Personal betrifft, so ist darüber kein be- stimmte? Bild zu fixieren. Denn man kann nie so viel Hausgehilfinnen an sich vorüberziehen sehen wie in einer solchen Pension. Der Wechsel vollzieht sich fast so rasch wie der der Gäste. Nur die Stelle der Köchin ist diesem Wechsel seltener unterworfen. Die Köchin, auch Mamsell genannt, ist gegen Kritiken bezüglich ihrer Kochkunst sehr empfindlich. Wiewohl man als Gast sie selten zu Gesicht bekommt, fühlt man dennoch sehr stark ihr Vorhandensein, besonders in dem Falle, wo man unüberlegterweise«ine nicht untadelige Bemerkung über irgendein Gericht fallen gelassen hat. Ihre beleidigte Standes- chre schreit dann nach Sühne. Sie ist absolute Anhängerin der Vergeltungstheorie. Sie gibt einem die Antwort nicht durch entrüstete Worte, sondern durch das Schnitzel oder Filet, das man unbedingt zu zahlen und daher auch zu essen verpflichtet ist. Und damit wären wir bei den Gästen angelangt, über die ei» andermal einige, gesagt werden soll.