Z!r. 13». 4S. Jahrgang*1, Mittwoch, 13. Wrz 1SZ2
Der Weg zum Leihamt Eine Statistik der Not
Wer die Not der Weltstadt Berlin und ihrer Bewohner kennen lernen will, hat dazu viele Möglichkeiten. Er kann viele Wege gehen, die ihn zu seinem Ziele sichren. Einer dieser Wege endet beim staatlichen Leihamt. Wer noch im Besitz von be- leihungsfähigen Dingen ist, wer hosten kann, liebgewordenes Eigen- tum später wieder einlösen zu können, der findet oft den Weg zum Leihamt, dessen Zinsen auf IVi Pro;, monatlich festgesetzt worden sind, während sie früher 2 Proz. betrugen. Im Gegensatz zu diesem niedrigen Zinssatz ist durch Gesetz vom 1. Oktober 1926 der Zins- und Gebührensatz der Privatpfandleihen auf 2 bis 4 Pro;, monatlich festgesetzt worden, wobei der höchste Satz bei Darlehen bis SO M. Und der niedrigste Satz bei Darlehen von über SOO M. zur Anwendung gelangt. Das staatliche Leihamt verzeichnet in seinem letzten Jahres- bericht, der in dem Verwaltungsbericht der Preußischen Staatsbank enthalten ist, einen langen Strom Hilfsbedürftiger. Dieser Strom ist mit der Zunahme der Krise von Jahr zu Jahr gestiegen. Zur Zeit der Scheinblüte von 1927 waren dem staat- lichen Leihomt 123 476 Pfänder mit einem Durchschnittswerl von 41 M. je Pfand neu anvertraut worden. 1930 war die Zahl be- rests auf 195263 Pfänder mit einem Durchschnittswert von SO M. je Pfand gestiegen Im letzten Berichtsjahr, 1931, erhöhte sich die Zahl der neuen Pfänder auf 209469. Der Durchschnittswert des einzelnen Versatzstückes aber ist auf 42,67 M. gesunken Das ist «in sichtbare» Zeichen fortschreitender Verar- mung. Weite Schichten din Bevölkerung haben den größten Teil ihres wertvolleren Gutes eingebüßt. Jetzt kommen die minder wertvollen Sachen an die Reil)«. Und dann stt der Tag nicht mehr fern, wo der Wert der Pfänder nicht mchr groß genug ist, um überhaupt noch beieihungsfähig zu sein. Dann hat dl« letzte Elendsetappe begonnen. So lernt auch das Leihamt die Auswirkungen der Krise kennen. Durch die Kürzung des Zinssatzes sind seine Einnahmen ge- funken. Dafür wurde den Angestellten, wie leider überall, ein Teil ihres Gehalts abgezogen. Seitdem eine so große Wertminde- rung der Pfänder zu verzeichnen ist, zeigt auch die aus den Der- kaufen verfallener Pfänder gewonnen« Einnahme des Leih- omts«in« rückläufige Bewegung, so daß der Lerwaltungs»
bericht bereits die Frage aufwirft, ob das staatliche Leihamt in der Zukunft mit seinen geringen Zins- und Gebührensätzen auskommen könne. Es wird dabei auf die Lage der Privatpfandleihen hinge- wiesen, die trotz der höheren Zins- und Gebührensätze iininer un- günstiger wird. Schuld seien hieran die Lage des Geldmarktes, die Schwierigkeiten der Kreditbeschasfung, das Zurückgehen der Waren- preise und die ständig zunehmend« Verschlechterung des Absatzes verfallener Pfänder. Es ist die alt« Geschichte: wenn die Waren billiger werden, dann sind sie, gemessen ani Volkseinkommen, immer noch viel zu teuer, meist sogar unerschwinglich. Interessant ist die Statistik des staallichen Leihamts, die die Berufsklassen erkennen läßt, aus denen sich die Darlehns- suchcr zusammensetzen. An e r st« r S t e l l e stehen die Rentner und Personen ohn« Beruf, die zusammen mit 27,49 Proz. bei einer Gesamtzahl von 57 573 vertreten sind. Unter dieser großen Zahl ül«wiegen die Frauen und Mädchen mit 49 788 bei weitem die Männer. Es handelt sich hier um die absinkende Kleinbürger- und Kleinrentnerschicht, die von den Krisenwirkungen besonders hart betroffen wurde. An zweiter Stelle stehen die s e l b st ä n d i- gen Gewerbetreibenden, wie Händler, Kausteute, Hand- werkor, Landwirte usw., die mit 22,76 Proz. vertreten sind. Ihre Gesamtzahl beträgt 47 585. Die Arbeiter, die in der Statistik in drei Gruppen getrennt aufgeführt werden, kommen mit 21,76 Proz. erst an dritter Stelle. Von ihnen haben ins- gesamt 45 596 die Hilfe des Leihomts in Anspruch genommen. Diese iin Verhältnis zur Einwohnerzahl geringe Ziffer ist eben daraus zu erklären, daß der Arbeiter von vornherein weniger besitzt als die bereits erwähnten Schichten. Und ohne Besitz kann niemand das Leihamt in Anspruch nehmen. Die übrigen Darlehnssucher finden sich unter den Angehörigen der freien Beruf«, der Beamten, der Künstler. Den kleinsten Anteil stellten die Aerzte, Rechtsanwälte und andere Vertreter wissenschaitlichcr Berufe mit 3,80 Proz. Das entspricht dem verhältnismäßig kleinen Anteil dieser Berufsschichten an der Gesamtbeuölkerung. Früher gab es Leute, die den Weg zum Leihamt als etwa? .Eiüehrendcs' betrachteten. Bei sortfchrestender Verschlechterung dar Wirtschaftslage wären Tausende froh, wenn sie noch diesen letzten Weg zur Hilfe beschreiten könnten.
Seltsame Erziehungsmethoden Für was ein Sedist den Herrgott verantwortlich macht. Der 43jährige frühere Bankdirektor Julius Erdhütter aus Potsdam hatte sich vor dem Potsdamer Schöffengericht wegen Sitt- lichkeitsverbrechen an Kindern unter 14 Iahren und wegen tällicher Beleidigung und Körperverletzung zu verantworten. Der Angeklagte betreibt seit Jahren in seinem Hause Luisen- st r a ß« 8 7. ja. Potsdam ein Re ije bü r.o.: Schon lange munkelt« man in Potsdam , daß bei dem Angeklagten, der unverheiratet ist, auffallend viel Knaben verkehrten. Eines Tages inserierte der Angeklagte:„Suche Schuljungen für leichte Arbeit." Zahlreiche Knaben von Potsdamer Beamten und Arbeitern meldeten sich bei ihm. Was diese Knaben dort im Reisebüro erlebten, war toll. Kaum war ein Junge eine Stunde im Büro beschäftigt, bemängelte der Angeklagte seine Arbeit, legte den Jungen über sein Knie und schlug ihm vier- bis neunmal und noch mehr mit einem Rohrstock über die stramm gezogene Hose. Der Gerichtskorridor wimmelte jetzt von Knaben und deren Eltern. Ein lOjähriger schwächlicher Junge will 17 Schläge erhallen haben, ein lljähriger hat 23 Hiebe gczähll. Die Knaben bekunden, daß der Angeklagte zu ihnen gesagt hätte:„Wer sich von mir 25 Stuck überziehen läßt, erhall einen schönen, bunten Prospekt." Und die kleinen Knaben gingen auf das sellsame Angebot ein, da offenbar das geographische Interesse der Knaben die Schmerzen der Schläge vergessen ließ. Es kam vor, daß dieser entartete Mensch die Kinder nach den Züchti- gungen liebkoste und sie mit Kaffee und Kuchen bewirtete. Der Angeklagte beslrettct, aus sadistischen Neigungen gehandell zu haben. Er will nur„aus erzieherischen Gründen die Knaben gezüchtigt haben", da ja ,cher Herrgott schon das Gesäß zum Prügeln bestimmt hätte". Als der Angekkagte auf sein Innenleben näher eingeht, hebt er hervor, daß er aus einer streng religiösen Fmnllie stamme und schon im Elternhaus furchtbare Schlage erhalten habe. Der Staatsanwall beantragte ein Jahr sechs Monate Gefängnis und zwei Jahre Ehrverlust. Das Gericht nahm einfach« Äörperver- letzung in elf Fällen und Beleidigung in einem Fall an und erkannte auf insgesamt' zehn Monate Gefängnis. Eine Bewährungsfrist wurde nicht ausgesprochen. Schupo spielt Johann Strauß . Im Wintergarten konnte kaum ein Apfel zur Erde fallen, so zahlreich hasten sich Freunde und Bekannte zum Wohl- tätigkettskonzert des Schupoorchesters eingefunden.„Ein Vormittag in Wien " beutelte sich das Konzert, das vor allem Johann Strauß brachte, daneben Schubert und Haydn . Schuberts Ouvertüre zu „Rosamunde" bot den Auftakt, es folgten die„12 deutschen Tänze" von Haydn und dann wollte das Singen und Jubilieren der Geigen kein Ende nehmen. Fledermaus und Zigeunerbaron , An der schönen blauen Donau und Radetzky-Marsch . all die Perlen altwienerischer
Musik, inst Schwung und Stimmung vorgetragen, versetzten das Haus in fröhlichste Laune. Alexandra Mexandrownas perlende Koloraturen zwstscherten mit den österreichischen Dorfschwalben, jubelten im Frühlingsstimmen-Walzer. Vom Walzertakt gings zur „Annen-Polka" und„Pizzicato-Polka". Das Perpetuum mobile, dieser prächtige Straußsche Scherz, feierte seinen gewohnten Triumph. Musiker und Sänger hatten den nicht endenwollcnden Beifall mit Recht verdient. Wiederaufnahme des Halsmann-prozesses. Der wahre Mörder gefunden? wie«. 22. ZNörz. Die in der ganzen Well bekannlgewordeue Affäre des Studenten Philipp Halsmann ans Riga , der in Zons - brück wegen Valermordes vernrteill und dann begna- digt worden war. lebt fehl wieder auf. Der Verteidigung Halsmanns ist es gelungen, eine pollzeiliche Ermitltnngsaklicm durchzusehen, die voraussichtlich zur Wiederaufnahme des Versahrens vor Gericht führen wird. Bei der neuen Aktion handelt es sich darum, nachzuweisen, daß Philipp üzalsmann gar nicht der Mörder seines Vaters war und daß dieser Mörder vielmehr-n der Person des Vagabunden Johann Schneider zu suchen sei. Schneider hatte, wie erinnerlich sein dürfte, sich seinerzeit freiwillig als der wahre Mörder des alten Halsmann gemeldet. Später widerrief er aber sein Ge- ftändnis mit der Behauptung, daß er zurzeit der Tat gar nicht in Tirol gewesen sei, sondern in der Kaserne de? Fremdenlegion in Weißenburg im Elsaß . Der junge Halsmann. der zur Zeit in Paris studiert, rastete aber auch nach seiner Begnadigung nicht, llnermüd- lich forschte er mit seinem Verteidiger weiter und mm ist ihnen die überraschende Feststellung gelungen, daß IohannSchneider zur Zeit des Mordes nicht in Elsaß-Lothringen gewesen ist. Die Verteidiger haben das darauf bezügliche Akten- Material nun dem Untersuchungsrichter vorgelegt und dieser hat die Polizei beauftragt, Johann Schneider auszuforschen und einem ein- gehenden Verhör zu unterziehen. Man nimmt an, daß es Schneider nicht gelingen wird, fein Alibi aufrecht zu erhalten. In einem Brief, den er an einen Wiener Freund gerichtet hat, erklärt Philipp Hals- mann, daß er nicht rasten werde, bi? es ihm gelungen fei, sich von dem entsetzlichen Verdacht des Aatermordes völlig reinzuwaschen.
Buchmacherrazzia in Marieudors. Als gestern die Trabrennbahn in Mariendorf ihre Frühjahrs- saison eröffnete, war auch das Spielerdezernat des Berliner Polizei- Präsidiums auf der Trabrennbahn in voller Stärke erschienen, um hier Umschau nach wilden Buchmachern zu hallen. Es wurden— teilweise nach aufregender Flucht und Verfolgung— 15 Personen zwangsgestellt, das bei ihnen vorgefundene Well- Material beschlagnahmt und die Personalien festgestellt. Gegen die wilden Buchmacher wird ein Strafverfahren eingelestet werden.
Billigere Molle ab Sonnabend Ob um vier oder fünf Pfennig, ist noch nicht Nar. Die gestern von uns an die Regierung gerichtete Forderung, die umstrittene Bierpreissenkung schnell einer endgiilligen Regelung zu- zuführen, ist in einer Verordnung vom 22. März jetzt erfüllt. Die schon verfügte Senkung der Bier st euer— für Berlin um 7 M. je Hektoliter— tritt mit dem 22. M ärz in Kraft. Die früheren Bestimmungen über die Bierpreissenkung sind abgeändert worden. Jetzt gilt folgende Endregelung: Selbswerständlich ist, daß die Steuersenkung um 7 M. von den Brauereien an die Gastwirte und von diesen in den Ausschankpreisen an die Konsu- menten weiterzuleiten ist. Darüber hinaus haben die Brauereien von sich aus den Bierpreis— alle Bestimmungen bezichen sich auf deutsches Bier mit mehr als 11 Proz. Stammwürzengehalt— um weitere 2,25 M. je Hektoliter zu senken, und zwar auch a b 22. Mär z. Schließlich wird eine Kürzung des Schanknutzcns der Gastwirte um ebenfalls 2,25 M. verfügt. Insgesamt ergibt sich also eine Verbilligung des Bieres um 11,50 M. je 5) c k t o l i t e r. Ob es richtig war, die Gastwirte ebenso stark zur Verbilligung heranzuziehen wie die Brauereien, wollen wir dahingestellt sein lassen; zur Klärung dieser Frage sind so wochenlang Verhandlungen zwischen den Interessenten und den Regierungsstellen geführt worden. Auffällig ist, daß der S ch a n k n u tz c n s ch e m a t i s ch um den gleichen Betrag gekürzt wird, während die frühere Verfügung des Preiskommisjars eine gewisse Stasselung vorsah. Immerhin ist für die b i l l i g st e n Lokale bestimmt worden, daß der Schanknutzen dann, wenn er durchschnittlich nicht höher als 20 M. je Hektolller war, nur um 2 M. zu kürzen ist. Die Herabsehung der Ausschankpreise bei den Gastwirten hat am 26. März zu erfolgen. Rein rechnerisch ergibt sich aus der Ermäßigung des Hektoliterpreises um 11.50 711. eine verbilligung der Molle f/» Liter) um genau 4 Pf. Nun wird aber in einer— etwas unklaren— Bestimmung gesagt, daß die Gastwirte den Preis für eines ihrer„Gemäße", die weniger als einen halben Liter fassen, den Preis um volle 5 Pf. senken sollen. Das kann nur bedeuten, daß die Molle statt um 4 um 5 Pf. verbilligt wird, daß dafür aber der Beck) er etwas teurer verkauft wird, als sich nach dem Hekwllterprcis ergibt. Dadurch wird eine gewisse Unübcrsichtlichkett über die Preis- sentung erzeugt, da kein Gastwirt genau sagen kann, wieviel Mollen und wieviel Becher er ausschenkt, zumal für den Gast setzt der An- reiz besteht, mehr Mollen(verhältnismäßig billiger!) als Becher zu trinken. Vom 26. März ab müssen auch in allen Lokalen Preis- tafeln aushängen, auf denen die Preise am 8. Dezember 1931 und die jetzt gültigen Preise verzeichnet sind. Wenn einzelne Gast- wirte ihre Ausschankpreise schon in der Zeit vom 1. Oktober bis 7. Dezember 1931 herabgesetzt haben, dann kann ihnen auf An- trog die entsprechende Ermäßigung ihres Schanknutzens erlassen werden. Die Senkung der Flaschenbierpreise und der Weiß- bierpreise bleibt in der am 4. Februar verfügten Höhe be- stehen; darüber hinaus sind die Verlaufspreise um den anteiligen,. Bettag aus der Steuersenkung zu ermäßigen. Ausgenommen von- oll diesen Bestimmungen sind lediglich Automatcn-Restau- rants, für die eine Sonderregelung infolge ihres mccha- nischen Betriebs(Münzeinwurf) ergehen muß.
Siudent tödlich verunglückt. An der Ecke K u r f ü r st e n d a m m und F a s a n c n st r a h e wurde gestern der 21 Jahre alle Student Leopold F a e h s e r aus der Marchstt. 12 in Charlottenburg von einer Straßenbahn der Linie 176 erfaßt und mehrere Meter mitgeschleist. Der Verunglückte wurde mst schweren Verletzungen in das Wilmersdorfer Kranken- Haus nach der Achenbachstraße gebracht, wo er einige Zell nach seiner Ausnahme starb. Die Leiche wurde beschlagnahmt. Ein zweite«; schwerer Verkehrsunfall ereignete sich gestern nachmittag auf der Kreuzung Heer- und W i l- Helmstraße in Spandau . Dort fuhr der 3öiährige Kaufmann Heinrich Kruse aus Magdeburg mit seinem Motorrad gegen ein Privatauto. Kruse blieb mit einem doppelten Schädelbruch bewußtlos auf dem Fahrdamm liegen. Durch die Feuerwehr wurde der Schwerverletzte ins Spandauer Krankenhaus gebracht. * Aus dem 4. Stockwerk des Hauses Kaiserdamm 113 stürzte sich gestern abend die 27 Jahre alte Studentin Hilde S p. auf die Sttaße hinab. Die Selbstmörderin wurde ins Westend- krankenhau» gebracht, wo die Aerzte trotz der riesigen Sprunghöhe keine allzu schweren Verletzungen feststellen konnten. Nervenzerrüllung ist das Motiv zur Tat. Zuwelencinbrecher führten in der Nacht zum Dienstag im Hause Frankfurter Allee 303 bei der Juweliersirma Lehmann einen verwegenen Einbruch aus und erbeuteten Schmuck- fachen im Werte von etwa 5000 M. Clli Beinhorn in Australien . Die Fliegerin Elli Beinhorn ist am Dienstagnachmittag. von Köpang kommend, nach der Ueber- fiiegung von 600 Kilometer Seestrecke, an der Nordküste Australiens glatt gelandet. Damit hat die Fliegerin das australische Festland erreicht. Stadl in Konkurs. Don der Schlesischen Bodenkredit-Aktienbank wurde beim Amtsgericht Koben a. d. Oder die Verhängung des Konkurses über die Stadt Köben beantragt. Di« Verschuldung der Stadt wird mit 400000 M. angegeben. Gläubiger sind neben dem Staat vor ollem Breslauer Banken.