Morgenausgabe
Nr. 269
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49. Jahrgang
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Freitag
10. Juni 1932
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Die Reichsregierung bedarf nach der Verfassung des Vertrauens des Reichstags. Wird dieses Vertrauen nicht gemährt, so muß sie zurücktreten.
Der Regierung der Barone, die seit wenigen Tagen ins Amt gesetzt ist, wäre das zur Amtsführung erforderliche Vertrauen des Reichstages todsicher verweigert worden. Um dieser sicheren Niederlage einstweilen zu entgehen, hat sie ihren Auftraggeber zur Auflösung des Reichstags und zur Anordnung von Neuwahlen veranlaßt. Sie ist damit einer eingehenden Befragung über ihre Absichten und Ziele auf parlamentarischem Boden ausgewich e n. Dafür hat sie Zuflucht in einer das Volk und ihre Vorgänger beschimpfende allgemeine Proflamation gesucht.
Und nun
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Nun ist sie vor den Reichsrat getreten, vor die Vertretung der Länderregierungen und der preu Bischen Provinzen, wo am Donnerstag der Innenminister dieser Adelsregierung sich mit einer Rede einführte, An öligen Verschwommenheiten bietet diese ein getreues Spiegelbild der zwar anspruchsvollen, aber ideenlosen Politik, die das Kabinett der Barone dem deutschen Volke zu bieten wagt.
Drei Dinge kann man aus der langen Rede als politisch wichtig herausschälen:
1. Der Reichsinnenminister Freiherr von Gayl betennt sich offen zur Monarchie als deutschem Staatsideal. Er verspricht aber gleichzeitig die Verfassung der Republik als Minister zu schüßen und erklärt darüber hinaus jedes Gerede über Absichten zur Wiederherstellung der Monarchie als Geschwäg". Ja, der Herr Baron ver bittet sich jeden 3 weifel an seiner Verfassungstreue!
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2. Der monarchistisch- republikanische Verfassungsminister beabsichtigt die von seinem Vorgänger als militärähnlich verbotenen Gewalthaufen der SA. und SS. wieder zuzulassen. Er betrachtet es sogar als Aufgabe der Regierung, die machtvolle nationale Bewegung der Gegenwart als eine Staat und Volk erhaltende Kraft zu
merten und zu benutzen"!
3. Der gleiche Freiherr von Gayl wehrt sich auch im Namen seiner freiherrlichen und sonst geadelten Ministerkollegen gegen den Verdacht, reaktionär zu sein. Zum Beweise dessen spricht er von seinen Schüzengrabenerlebnissen, von einer damals gewonnenen Erkenntnis, daß der Heimat ärmster Sohn auch ihr getreuester war" und erklärt, daß diese Erkenntnis ihn auf seinen ferneren Wegen nicht verlassen werde. Zu diesen drei Dingen, die wir aus der langen programmatischen Rede herausheben, ist mancherlei zu sagen. Ob das Kabinett der Barone reattionär ist, entscheidet es nicht selbst. Darüber urteilt das Volk, das in seiner erdrückenden Mehrheit republikanisch ist und nichts wissen will von Monarchisten, die ihre Herzensmeinung zur Dispos sition gestellt haben. Dieses Volt, vor allem seine arbeitenden Schichten in Stadt und Land, hat nichts gemein mit der her a blassenden Freundlichkeit der Ostelbier, die ihm schöne Worte sagen über Schüßengrabengemeinschaft und dergleichen, die aber in ihrer ersten Regierungsproffamation es als ,, moralisch zer mürbt" beschimpften und seine ungeheuren seelischen und moralischen Opfer mit dem Vorwurf beantworteten, die Nation zu einem Wohlfahrtsstaat" herabzuwürdigen.
Das Volk, besonders das arbeitende Volk, hört nicht gern, wenn monarchistische Barone das Wort des Sozialdemokraten Bröger zitieren, daß Deutsch lands ärmster Sohn auch sein getreuefter sei. Mit solchen Sägen läßt sich niemand von Baronen einlullen. Wohl aber fieht das Volf, besonders das arbeitende Bolk, daß der ärmste und getreueste Sohn der Republik in diesem Gayl- Schleicher- Bapen- Kabinett keine Vertretung hat und daß die so lyrisch besungene Schüßen graben fameradschaft tatsächlich im Reichskabinett dargestellt mird durch eine Rafinofameradschaft feubaler Herrentlub Offiziere! Diese Tatsache ist ein
Gayls Programm.
Viele Worte aber wenig Realitäten.
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Der Reichsrat hielt am Donnerstagnachmittag seine übliche wöchentliche Bollfigung ab, in der sich der neue Innenminister Freiherr v. Gayl vorstellte.
Reichsinnenminister Freiherr von Gayl führte nach ein leitenden persönlichen Worten der Erinnerung und des Dantes an die Mitglieder des Reichsrats, dem der Minister fast elf Jahre als Bevollmächtigter seiner Heimatprovinz Ostpreußen angehört hat, folgendes aus:
Wenn ich nicht im Reichsrat der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Brennpunkten unseres öffentlichen Lebens nahegestanden und in ihm eine hohe Schule des politischen Lebens durchgemacht hätte, wäre ich dem Rufe des Herrn Reichspräsidenten nicht gefolgt. Nachdem ich nun den Schritt, veranlaßt und gestärkt durch die langjährige Mitgliedschaft im Reichsrat, gewagt habe, ist es mir eine besondere Ehre und Freude, der Minister zu sein, dem die Pflege der Beziehungen zu den deutschen Ländern vornehmlich obliegt und der in erster Reihe berufen ist, unter Ihnen den Vorsitz zu führen. Ich habe erkannt, daß die stärksten Kräfte unseres Volkes in dem Heimatboden und der Liebe zur angestammten Heimat wurzeln, daß die Eigenart der deutschen Stämme etwas Heiliges ist, was des Verständnisses und liebevoller Pflege bedarf, und daß der kulturelle Hochstand unseres Volkes nicht der Befruchtung von einer 3entrale, sondern der Mannig faltigkeit des Lebens in den einzelnen deutschen Ländern sein Dasein verdankt. Wir werden daher die Eigenart des Eigenlebens der
deutschen Länder selbstverständlich nicht antasten.
Für Preußen erwarten wir besonders das rasche Zustandefommen einer verfassungsmäßigen Regierung, von der wir hoffen, daß fie in den großen Fragen der Nation mit der Reichsregierung übereinstimmen und in lebendiger Fühlung mit uns arbeiten wird.
Reichsreform anfassen. Es ist noch nicht die Zeit gegeben, auf diesem Gebiet eine Stellungnahme der Reichsregierung
Aus dieser Ueberzeugung heraus werde ich die Aufgabe der
nach unbestrittener Ansicht weitester Kreise aller politischen Richtungen reformbedürftig.
Verfassungen sind nicht starre Ideole, sondern lebendige Wesen und der Entwicklung unterworfen. Wir werden auch an diese Aufgabe mit Ernst und Eifer herangehen.
Zweierlei aber muß ich in diesem Zusammenhang besonders
betonen:
Das Gerede von einer geplanten Aenderung der Verfassung in der Richtung der Wiederaufrichtung der Monarchie ist ein förichtes und darum schädliches Geschwätz.
Ich würde mir erbärmlich vorkommen, wenn ich auf dem Ministerfessel versuchen würde, meine persönliche, nicht nur angeborene und anerzogene, sondern in langen Jahren auch selbsterworbene Ueberzeugung zu verleugnen, daß ich die Monarchie für die angemessenste Staatsform für ein Volk inmitten des Herzens von Europa halte und daß ich, geschichtlich gesehen, mir hauses um das deutsche Volk stets dankbar bewußt bin. der Verdienste des bisherigen Königs- und Kaiser=
Kampfes um Sein oder Nichtsein, die Frage der StaatsIch bin aber der Ueberzeugung, daß in diesen Zeiten des form, Republif oder Monarchie, teine Frage ist, die unsere Zeit, geschweige denn die gegenwärtige Reichsregierung zu lösen hat. Wir sind mit dem ganzen Volk heute so mit Lasten und Nöten schwerster Art beladen, daß wir erst versuchen müssen, dieser Bürden ledig zu werden, ehe wir überhaupt die Möglichkeit haben, uns mit der Staatsform zu befassen.
Höher als die Form steht der Staat der Deutschen , den zu retten unsere einzige Pflicht ist. Ich denke als Verfassungsminister nicht daran, unser Volk durch Aufrollung der Frage der Staatsform in neue Berwirrung zu bringen,
auszusprechen. So dringend diese Reform auch ist und so sehr sie zusammenhängt mit den notwendigen Maßregeln zur Vereinfachung und Verbilligung der öffentlichen Verwaltung, so liegen heute dringendere Aufgaben vor, deren Lösung die Stunde gestellung des Kabinetts und meiner Person. Wir müssen bieterisch fordert. Das bedeutet kein Aufschieben auf die lange Bank. Die Reichsregierung kann aber die dringenden Fälle ihrer Aufgaben
nur schrittweise lösen.
Das gleiche gilt von der Verfassungsreform. Die Weimarer Verfassung , die Grundlage unseres öffentlichen Lebens, deren Hüter ich als Reichsinnenminister pflichtgemäß bin,| ist seit ihrem Bestehen vielfach durch die Gesetzgebung durchlöchert und
deutiger als alle schönen Redensarten, die nicht einmal mehr in den zurückgebliebensten Gegenden des Reiches vollen Glauben finden.
F
und ich verbitte mir deutlich jeden Zweifel in meiner in die Hand des Herrn Reichspräsidenten gelobten Berfaffungstreue. So wie ich denken der Herr Reichskanzler und die übrigen Mitglieder des Kabinetts unter bewußter und pflichtgemäßer Hintansehung aller persönlichen Anschauungen und Gefühle. Zum zweiten ein Wort über die angebliche reaktionäre Eindie nun einmal in der Oeffentlichkeit erfolgte Abstempelung als reaktionär mit Würde und einem gewissen Humor tragen, bis das deutsche Volk einmal erkennt, wie falsch diese Kennzeichnung gewesen ist. Wir wissen, daß man Vergangenes nicht wieder herstellen kann, wie man Ruinen nach alten Plänen und Bildern wieder aufbaut. Wir wollen helfen, daß unser Volk lebt und einer besseren Zukunft entgegen geht. Darum wollen wir einen organischen Fortschritt und feinen Rückschritt. Wir sind keine
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| Bankerott. Die an anderer Stelle verzeichnete Erklärung der Stadt Duisburg - anti ,, margistischer" Oberbürgermeister ist der frühere Reichsinnenminister Jarres! über Das Mißtrauen gegen diese reaktionäre mon die Einstellung der Zinsenzahlung ist ein archistisch- nationalistische Regierung fonnte im Alarmruf, den auch das Kabinett der Barone nicht Reichstage zwar noch nicht bestätigt werden. Aber es beüberhören kann. Die Regierung Brüning hatte wenigsteht und wächst mit jedem Tage. Vertrauen genießt sie stens gewußt, daß unbedingt etwas geschehen muß. Die allein bei den Gefolgsmannen Hitlers , die der Baron von Hintermänner der Barone aber haben bisher nur erkennen Gayl als„ Staat und Volk erhaltende Kraft" werten und be- lassen, daß eine neue Liebesgabe an Groß= nußen will. Vielleicht läßt ihm sein Amt noch so viel Zeit agrarier für den Kartoffelschnaps wichtigerübrig, einmal nach Frankfurt a. d. Oder hinüberzufahren. jei als das Schicksal der Erwerbslosen. Er fann dort die neuesten Ausbrüche dieser erhaltenden Kraft" an den blind wütigen Zerstörungen feftstellen, die dort am Eigentum der Verbände der ärmsten und getreuesten Söhne der Heimat von der ,, machtvollen nationalen Bewegung" Hitlers angerichtet wurden.
Mehr noch: das Reichskabinett will nach Gayls Verſicherung am Umbau der Verfassung arbeiten, die ihm dringend notwendig erscheint. Die Not des Landes sollte allerdings je de Regierung zunächst veranlassen, die Grundlagen der Verfassung: nämlich die Lebens fähigkeit des Landes zu sichern. Gemeinden, Kreise, Länder schreien geradezu um Hilfe vor dem finanziellen
Wohlgeformte Reden können die Not nicht bannen. Die wirkliche Schüßengrabengemeinschaft der Millionen in Krieg und Frieden erprobter Arbeiter wird aber das Kabinett der Barone immer wieder an ihre Pflicht erinnern, an die Opfer des Kapitalismus zu denken. Diese Gemeinschaft der Kämpfer wird ihre Ansprüche auf Grund der Verfassung immer wieder anmelden und wird dafür sorgen, daß das Kabinett der Kasino Ge= meinschaft von der Bildfläche verschwindet, je schneller, desto besser!
Die Staatsgewalt geht vom Volte aus. Das Volk hat das Wort!