(Schluß.) Schwerfällig erhob sich Felix und folgte dem Landjäger ins Dorf. Im Spritzenhaus wurde er eingesperrt. Nach kurzer Zeit kam der Landjäger wieder und verlangte Papiere. Felix zog sein Sold» buch hervor. „Warum sind Sie über die Grenze gekommen?" „Ich weiß es nicht!" „Sie haben wohl was ausgefressen?" „Nein!" „Warum sind Sie so blutig?" „Weil ich mir auf der Mauer die Hände zerschnitten habe!" „Was wollen Sie eigentlich in Deutschland ?"' Felix überlegte. Er wußte selbst nicht recht, was«r tun wollte. Die Verwandten, die er hier hatte, waren arm, zum Teil mußten sie auf der Grube ihr Brot verdienen, zum Teil waren sie arbeitslos. Visher hatte er noch gar nicht daran gedacht. Der Landjäger schüttelte den Kopf. Felix kam in die Kreisstadt vor den Richter: drei Tage Ge- fängnis wegen unerlaubten Grenzübertritts. Er nahm dos Urteil mit einem Staunen im Gesicht auf. Es waren drei lange Tage. Tage, in denen die Sekunden durch- lebt wurden, in denen die Minuten einen Teil der Zeit ausmachten, die Stunden langsam durch den Tag schlichen. Mit dem Gefühl eines Makels verließ Felix die Zelle. Den Gesetzen war Genüge getan, aber etwa» an seiner sittlichen jkrast war gebrochen. Er war weniger denn je innerlich fähig, den Begriff Vaterland und Staats- autorität anzuerkennen. Haltsuchend ging er zu seinen Verwandten und fühlte, daß Fremdes zwischen ihm und ihnen lag; er sah den Kampf, den sie um ihre Existenz kämpften, fühlte, daß sie fürchteten, auch ihm noch helfen zu müssen und zog weiter. Zum Abschied hatten sie ihm noch einen Zivilanzug geschenkt. Er war schlechter als seine Uniform, aber Felix war nun nicht mehr gleich als Deserteur er- keniitlich. So machte er sich auf die Arbeitssuche. Unermüdlich ging er unzählige Wege. Aber bei den Gruben lagen riesige Halden, in den Hochöfen waren die Feuer erloschen. Essen reckten sich starr zum Himmel. Monate-, jahrelang hatte keine Rauchfahne mehr von ihnen gewinkt. Auf den Arbeitsnachweisen drängten sich Memschenmassen, mit stumpfen, versunkenen Gesichtern auf die Bettelpfennige wartend, ohne Hoffnung, durch eigene Kraft, durch Arbeit Lebensunterhalt und Lebenssinn zu finden. Felix hatte die Empfindung, als ob alles tot wäre und alles still« stände. Er hatte Hunger und ging nicht betteln, weil er furch- tete, zu einem von denen zu kommen, die in langen Reihen standen und selbst nichts hatten. Als er dann aber auf den Straßen den Ver- kehr sah und die Fülle der Auslogen in den Geschäften, wollte er nicht glauben, daß so unermeßlich viele Kräfte brach und tot lagen. Er sah die eleganten Autos, die Frauen, in kostbare Pelze gehüllt, leuchtend schreiend« Reklame für Theater, Kinos und Vergnügungs- statten, er sah in die Fleischereien und Bäckereien, wo die Tische und Regale unter der Masse der Waren zu brechen schienen, und durch alles hindurch sah er die dumpf brütenden oder aufbegehrenden Männer, die sich auf den Nachweisen ballten, sah die hungernden Kinder und die oerliärmten Frauen. Da riß es ihn heraus und trieb ihn auf die Landstraße. Auf der Landstraße. Felix wanderte ruhelos von Ort zu Ort, vor sich das breite, graue Band, das endlos durch die Landschaft zog. Er hatte kein Ziel mehr. Den Körper leicht nach vorn gebeugt, mit pendelirden Bewegungen, ging er nur immer vorwärts— ohne Wunsch— ohne Ziel. Das Wenige, das er zum Essen brauchte, erbettelte er sich von den Bauern. Nachts legte er sich in Feldscheunen oder schlief in den Asylen der großen Städte. Sein ganzes Denken und Wollen richtete sich nur auf einen vollen Magen und ein Dach für die Nacht. Selten bekam er für Stunden oder gar Tage etwas Arbeit bei einem Bauern. Dann hoffte er wieder, dachte daran, daß es auch ein anderes Leben gab als ruhelos von Ort zu Ort zu ziehen. Bald ging es aber wieder in Sonnenglut oder Regen, Frost und Schnee von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, und überall waren fremde, oft feindliche Menschen. Seine Heimat wurde die Landstraße ohne Ende, neben ihm die weißen Steine und Wume Freunde, die ihn begleiteten; ihn, den Bauernsohn, berührte nicht, wie auf den Feldern der Roggen oder dt« Kartoffeln standen, ob das Halmenmeer rauschte, die Wälder wogten und raunten. Er achtete höchstens noch auf die Kohlrüben- oder Möhrenselder,� um feinen Hunger einmal gründlich zu stillen. In stillen Nächten kam dann die heiße, quälende Sehnsucht nach der Heimat und den Eltern. Der Vater antwortete auf seine Briefe nicht. Oft nahm er sich vor, wieder westwärts zu wandern, um zu den Verwandten zu gehen. Er hoffte, dort die Mutter und die Geschwister wiederzusehen. Wer er schämte sich seiner zerrissenen Kleidung, schämte sich, als Landstreicher vor die Seinen zu treten. 400— 500— 500 Meter— bis Brühlau, 7,7 Kilometer— vor sich«in graues, breites Asphaltband, neben sich weiße Steine, grüne Chaussecbäume mit leider meist unreifen Früchte». Ein wandernder Erwerbsloser bittet——. Keine Nacht im eigenen, selten überhaupt im Bett, häufig unter dem großen Sternen- zeit im Heuhaufen— so gingen die Wochen und Monate dahin. Es wurde Herbst und wurde Winter. Er blieb in größeren Städten: Ein armer Erwerbsloser bittet.... treppauf— treppab, oder er stand auf den Höfen: Noch der Heimat mächt ich wieder... Dort auf dem Friedhos, da steht ein Kreuz..... Die heisere Stimme echote von den Mauern. An den wunden Füßen bildeten sich große, blaurote Frostbeulen. Meist ging er hungrig schlafen. Die gebrochene, heisere Stimme fand nur an den Häuferwänden ein Echo, sein Elend rührte nur selten einen Menschen. Heimkehr. In einer kleinen schmutzigen Herberge bekam er einen Brief von seiner Schwester. Die erste Antwort auf seine ungezählten Grüße. Wie oft hatte er nicht gegessen, um in die Heimat zu schreiben, sehn- süchtig ein« lieb« Nachricht erwartend. Nun hielt er den Brief wie etwas Unbegreifliches in den Händen. Marie schrieb, daß sie m einigen Wochen heirote, und die Mutter halle dem Brief einige fast unleserliche Zellen beigelegt. Cr fühlte, wie das Zuhause mächtig noch ihm griff. Heimweh und Sehnsucht zwangen ihn mit j«ner Naturgewolt, die auch die Zugvögel zwingt, heimwärts zu fliegen. Felix ging nicht wiegenden Schrittes— nein— er taumelte über die langen Chausseen ostwärts. Mutter— Muttsr— zu Hause sein-- geborgen-- ausruhen-- ausruhen--. Er
fühlte sich der Mutter so nahe, und doch— wi« viele Städte und Dörfer, wie viele, unzählig viele weiße Steine—— 700-- 800 Meter-- Hunderte von Kilometern-- was für eine endlose Straße lag zwischen ihm und der Mutter. Die bloßen Füße brann- ten durch die Löcher der Schuhe auf Oer Straße. Immer wieder das graue Band, die Steine, fremde Dörfer, fremde Städte— tagelang — wochenlang— ihm schien die Entsernung nicht abnehmen zu wollen.
Wie nach einem langen, bösen Fiebertraum lag Felix im Grenz- walde der Heimat. Er wartete auf die Nacht. Zu langsam oersank ihm die Sonne, erlosch das Tageslicht. Es war, als zögerte der feurige Ball, die Herrschaft dem Dunkel zu überlassen. Immer noch einmal leuchteten die Strahlen in den Baumwipfeln, dann malte sich das purpurne Rot in die kleinen Wolkenflocken, die wie große Bluts- tropfen über dem Horizont hingen. Allmählich kroch das Nachtdunksl aus dem Dickicht, der Vögel Lied erstarb. Das Nachtschweigen be- gann. Nur in einem Teich läuteten tieffchwingend die Unken. Felix wanderte durch den schweigenden Wald. Brütend stieg der Ruch des Verwesens aus dem Boden empor. Die Grenzsteine hatte er glücklich hinter sich. Langsam näherte er sich dem Heimatort«. Angst und Erregung hämmerten gegen seine Schläfen. Vor ihm lag, vom Mondlicht übergosien, das Dorf. Das blaue Licht geisterte über die Dächer
der Häuser und um den Turm der Kirche. Ihm kam alles unwirklich und traumhaft vor. Immer näher kam er. Trotz der späten Stunde herrschte im Ort reges Leben. Aus den Fenstern des Gasthofes quoll helles Licht. Auf der finsteren Dorfstraße standen und gingen junge Paare, lachend und scherzend. Hin und wieder bewegten sich Menschen durch die hellen Kegel des Gasthoses. gespensterhaft vom Licht umflutet. Felix schlich ans Fenster. Die Bläser trompeteten, die Baßgeige brummte und die Klarinette überschrie Trompete und Geige. Eine erhitzte Menge schob sich durcheinander, das Stampfen und Schlurren der tanzenden Schlüte drang durch die Musik. Felix starrte wie gebannt durch die wrasenblinde Scheibe. Die Hochzeller drinnen schrien Juhu und drehten sich wirbelnd welter. Schließlich erstarb die Klarinette, die Trompete schwieg, und die Baß- geige verstummte. Die Knäuel lösten sich auf, da sah er— den Vater, die Muller, die Brüder und in Kranz und Schleier seine Lieblings- schwester Marie. Felix konnte sich von dem Bilde nicht loslösen. Er merkte nicht, daß immer mehr Menschen sich vor den Fenstern ansammelten und ihn umstanden. Plötzlich schrie eme der neben ihm stehenden Mädchen auf.„Jesus Maria!— Der Felix!" Erschrocken wand sich Felix aus dem Gedränge und eilte in Richtung der Grenze davon. Er hörte die Bewegung hinter sich, und dann plötzlich dreimal hintereinander kurz und befehlend:„Stoj!" Beim letzten Rufe wandte er sich blitzschnell um. Er sah den Stahllauf, auf dem das Mondlicht spiegelte, fühlte noch den dumpfen Schlag gegen die Brust und sank wie trunken zu Boden.--
Die Heimaterde trank sein Blut, während die Hand der Mutt«r über die erbleichende Stirn glitt.„Zuhause" murmelten die ersterbenden Lippen.--
Mianiis... 3)ie Stälfel um das£and der Sehnfuchl/ Ton 3>r. A."Weinberg
Palmen streben empor an der brandungsgesäumten Küste eines lauen Meeres, dahinter breiten sich goldfarbene, schnittreife Felder, Gärten mit allen nur erdenklichen Fruchtbäumen, Berge mit licht- grünen Flanken, mit blitzenden Firngefchmeiden um die Gipfel... Menschen, herrlich und hoch gewachsen, in bunten Kleidern, blond, blauäugig, schrellen durch die Fluren, gehen bedächtig zwischen den silberplattierten, goldgefirsteten Häusern... Spiel ist chr Tagewerk, Sorgen sind ihnen fremd, für Hunger und Not gibt es kein Wort in ihrer wohlklingenden Sprache. Das ist Allantis gewesen, von dem P l a t o als erster berichtet. Und jetzt ist es, so vermutet die Nerofilmgesellschaft, anläßlich einer Filmexpedition in die Sahara, wieder entdeckt worden. Ausgerechnet, während man Aufnahmen für einen Film machte, der in Atlantis spielt. So berichtet die„Stuttgarter Illu- strierte" in der Nummer 21 vom 22. Mai 1932. Wenn'« kein Reklametrick ist--- Daß eine Fllmexpedition, vom Zufall gesegnet. Funde macht, die für unsere Archäologie sehr wertvoll sind, dos kann ohne weiteres geglaubt werden. Gar oft haben Außenseiter Dinge ge- und er- funden, die der Menschhell ein erkleckliches Stück wellergeholsen haben.(Nebenbei: Vielleicht beschäftigen sich die Archäologen auch einmal mit dem Film; man kann es nie wissen!?) Aber, daß es sich um Atlantis handelt— das wird, und mit Recht!, gründlichst bezweifelt. Denn: Es ist schon zu oft entdeckt worden, und immer haben an dem brennenden Dornbusch der Offenbarung die Dornen gestochen, während aus dem Brand der Offenbarung nur zer- schwelender Rauch geworden ist:„Es war halt wieder einmal nichts!" Was ist Allantis eigentlich? Wie über alles, was Menschen- geist ersinnen kann, so gehen auch darüber die Meinungen bis zum schroffsten Widerspruch auseinander. Wenn wir gleich fröhlich zu- geben:„Wir wissen es nicht!"— Das ist wohl das beste, weil bis jetzt noch jede Meinung infamerweise bestechende Gründe für sich hat und wirklich vorhandene Gegengründe— nicht anerkennt. Das letztere zu tun ist die einfachste Weise, wissenschaftlichen Unbequem- lichkeiten aus dem Wege zu gehen. Das Fundament des Atlantisproblems ist der Bericht des Platv, enthalten in seinen Alterswerken„T i a m i o s" und„K r i- t i a s". Doch— und das ist es, von wo die Verwirrung der Geister ihren Ausgang nahm— handelt es sich nicht um den Bericht eines Augenzeugen. Die Quelle ist trüb. Etwa so, wie wenn die NSDAP , von ihrem Sozialismus spricht. Mit allem Nachdruck aber muß hier betont werden, daß Platos Bericht die einzige vor- handene Quelle ist! Die wenigen antiken Schriftsteller, die sich mit Atlantis überhaupt befassen, beziehen sich mittelbar oder unmittel- bar auf Plato. So ernst, daß sich seit dem Beginn der großen Entdeckung»- fahrten zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts so viele und durch- aus ernste Männer der Wissenschaft wie auch Phantasten aller Grade und aller Variationen damit beschäftigt haben— so ernst wäre der Bericht des Plato nie von der Menschheit genommen worden, wenn nicht noch manches andere dazugekommen wäre. Der Drang nach Gold, der lange vor dem Drang nach Wissen und viel stärker als dieser die Menschheit von jeher beherrscht, der neben dem Suchen nach den Gewürzinseln auch alle jene rätsel- haften Länder Ophir, Saba, Chryse, Tartessos, Eldorado zu suchen antrieb. Und noch intensiver als beide: Die Sehnsucht nach dem Paradies, nach dem Garten Eden, nach Utopien, dem Lande Nirgendwo, nach der gesegneten Insel Thüle, den Gestaden der Phäaken, nach dem Schlaraffenland, nach den Gärten der Hespe - riden und den Inseln der Seligen. Es ist ein Fluch, der an uns Epigonen hastet: Immer müssen wir nach dem Glück suchen, immer müssen wir das graue Elend der Gegenwart schleppen und im innersten Winkel der Gedanken- schublade ist noch ein glimmerndes, blitzendes Körnchen zu finden. das den Zähnen nagender Zellmäuse entgangen ist, das nun un- heimlich in der Nacht der Not zu glitzern anfängt, so lange glimmert und blitzt, bis alles ringsum in der Fülle eines unbekannten Lichtes aufflammt und unser armseliges Leben in die lichtdurchfluteten, glückdurchsonnten Hollen eines besseren Märchendaseins versetzt. Weil wir im Räume, wo sich die Dinge blutig stoßen aneinander, so oft unsere Wünsche an die Leine legen müssen, so lassen wir sie um so lieber im Reiche der Gedanken herumstromern. Und Atlantis ist so das Land geworden, in dem der faustische Mensch zum Augen- blick sagen möchte:„Verweile doch, du bist so schön!" Im Anfang war das Wort Atlantis! Nein! Für uns Epigonen heißt es: Im Anfang war die Druckerschwärze. Rund 1700 Bände füllen die Bibliographie der 8ociöt6 des Stüdes Atlantdennes in Paris . lind etliche hundert Theorien sind in chnen enthalten, darüber, wo das Land unserer
Sehnsucht zu finden ist, wo es gefunden wurde, und warum es doch nicht dort, wo es gefunden wurde, war. Es gibt keinen Punkt der bekannten und gewohnten Erde, dem nicht die Ehre zuteil geworden wäre, Allantis gewesen zu sein. Die modernsten Theorien zielen ab auf: Amerika , Noroafrika, Spanien , eine untergegangene Insel im Atlantik sowie Ostasien . Wenn aus die vernünftige Gestallung der europäischen Wirt- f ch a s t so viel Vernunft, so viel Willenskraft aufgewendet würde wie aus die Enträtselung van Allantis— die ganze Krise wäre schon längst zum wesenlosen Schemen geworden! Alle. Wissenschaften werden von den Allantomanen belästigt. Die Beschäftigung mit dem Kuckucksei, das seit zwei Jahrtausenden im Neste zünftiger Wissenschaft wie im Wlerhorst freischwebender Phantasie bebrütet wird, hat bei manchen Zeitgenossen einen wahren Komplex herangezüchtet. Und in vielen Gehirnen ist die Ver- schmelzung zwischen Atlantis und dem Dritten Reiche so innig geworden, daß das Drille Reich zur Kopie des arischen Allantisreiches wurde. Das uralte, verschüllete Wesen, von dem in den Wortpurzelbäumen des RSDAP. -Programms die Rede ist, ist atlantisches Ariertum, ist jenes Urchristentum, das nach H. Wirth schon 3000 Jahre vor Christus bei den Vorfahren unserer„roten Brüder" in Amerika in höchster Blüte stand. Die Heimat des Menschen ist der hohe Norden, und am nordischen Wesen muß ein- mal noch die Welt genesen. Träger und Alleminhaber der Ge- nesungsmedizin sind natürlich die Nazis! Was tut's, wenn die ernsten Wissenschaften, Geologie, Paläontologie, Germanistik, orten- talische Sprachforschung, Biologie, Zoologie, Botanik, Psychologie (diese und noch ein Dutzend anderer braucht man, um dem Problem ernsthaft zu Leibe gehen zu können!) Punkt für Punkt mll sicher begründeten Beweisen die Unsinnigkeit und Unhallbarkeit der Wirth- schon Theorien dartun: Die Zahl seiner Gläubigen wächst— es ist so schön, seine Knechtskomplexe in erträumtem Herrentum abzurea- gieren! Micht auf die Entschleierung des Rätselblldes kommt es diesen Besessenen an. Sie suchen nur ein Fundament für ihren Tempel, in dem der Heilige Chauvinismus verehrt wird, mag auch die wirkliche Wissenschaft zur Prostituierten dieses Teufels- gottes werden. Das Wunder war von je des Glaubens liebstes Kind! Und wenn sich auch alle Balken dieses Hypochekenbaues krümmen— Hauptsache ist: Die Fassade hält, die Gläubigen opfern, hysterische Derwische und Derwischinnen tanzen um den goldenen Stier! Das Schlimmste daran: Derartige Halbwissenschast ist so ver- lockend, daß die wißbegierigen Laien hinter dem holden Aufputz die Wahrheit nicht erkennen und deshalb echte Wissenschast nicht mehr davon unterscheiden können. Zum Teil sind auch die Männer der Wissenschaft selbst daran schuld. Manche von ihnen versallen im Entdeckerrausch darauf, ihre gewiß wichtigen Forschungsergebnisse als allein richtig auszurufen. So ist es unter anderem Fro- b e n i u s passiert, 1910 apodiktisch zu verkünden:„Ich habe At- lantis entdeckt!" Und ein ähnliches Mißgeschick ist Borchardt zu- gestoßen, dem man nachweisen konnte, daß die von chm als At- lantis bezeichnete Stadt— eine römische Siedlung war. Dennoch: Alle diese Männer haben sich um die Erforschung der Vorgeschichte verdient gemacht, weil sie zwar im Ziele geirrt, auf dem Wege dazu aber mll aller wissenschafllichen Mühe gearbeitet und, wenn auch nicht Allantis gefunden, so doch wichtige archäologische Pro- bleme der Lösung nähergebracht haben. Zur Zeit wird von verschiedenen privaten und öffenllichen Forschern sehr viel in Lydien von der kleinen Syrte aus landein- wärts gearbeitet. Soviel kann darüber heute schon gesagt werden: Es dürste mll Sicherheit die Aufdeckung einer vorphänizischen Kultur gelungen sein— ob es aber Atlantis ist, was da aus dem salzigen Sande der Sahara »m Fuße der Djedel Ahggar oder Hoggar(von Ptolemäus noch Montes Tale genannt, auch Berge. des lybifchen Stammes der Attala), herausgebuddelt wird— das ist entschieden ungewisser als die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung und der Invalidenrenten durch den Herrenklub. Aus der Sehnsucht nach dem Märchenland des Glückes ist ein archäologisches Problem geworden, das eine untergegangene Stadt, ein untergegangenes Land und Volk sucht. Und dann weitete e» sich wieder aus: Aus der Stadt, aus dem Land, aus dem Volt wurde die Menschheit insgesamt, wurden die Fragen nach der Her- kunft der Kultur, der Sprache, der Schrift, der Religion, der Wirt- schaftsorganisation, wurden Fragen von kosmischer Perspektive und kosmischer Tiefe, wurde die große Sphinx der P h i l o s o p h i e über- Haupt. Kann ihr das.Geheimnis entrissen werden? Was hätte die Menschheit davon? So wie sie heute ist: Sehr, sehr wenig! Denn leider:„Wenn sie den Stein der Weisen hätte— der Weise mangelte dem Stein!" So wie sie morgen sein muß: Alles! Denn. In der Vergangen- hell liegt das Gesetz für die Gegenwart werdende Zukunft.