9n Xebemgefakr 3>ie Qefchichle einer lieberlcJuremmung/ Ton Sterin michaelis
Warst du schon>emalz in Lebensgefahr? In richttger Lebens- gefahr, mein« ich, so daß man dem Tod ws Gesicht glotzt und der Tod wieder zurück! Denn Lebensgefahr und Lebensgefahr ist zweierlei. Man braucht fa nur, ein« Wunde an der Lippe,«ine Kirsche in den Mund zu stecken, so ist das«in« Lebensgefahr. Denn in diese Kirsche kann ein« Mücke mit Leichengift hineingestvchen haben und dann ist es aus. Schluß und vorbei. Aber damals mit chicks, war das«in« Gefahr! Eigentlich ändert» halb... Denn zuerst... Ach diese Strohköpfe hatten sich gewünscht, daß ich Shimmy tanzen lernen sollte, also rein in ein Auto und fort mit uns. Irgendwo machten wir hall und tanzten. Grammophon und Proviant und Zelte und den sonstigen Kram hotten wir mit. An- fang? konnte ich diese Art Musik nicht oertragen, aber schließlich wurde ich genau so verrückt wie die andern. Wir tanzten die ganze Nacht, der Mond ging auf, und der Mond verschwand wieder. Wir tanzten noch immer. Aber, drei Tage und drei Nächte tanzen, genug... Während meine Jungen schliefen, kragt« ich bloß mit einem Stock in den Sand: Ade, lebt wohl, go to hell! Und weg war ich. Na. so kam ich nach Clairmont. Du weißt, verschiedene hundert Kilometer von San Franziska nordwärts. Ging dort in ein Kino. Cowboyfilm, nicht wahr? Neben mir sitzt er, chicks. Ich schwärme für Cowboys. Ihre Muskeln sitzen, wo sie sitzen sollen, ich habe auch einmal«wen Cow- boy gemalt. Himmel, Herrgott, sah er aus— ohne Kleider selbstredend. Nun also, neben mir im Kino sitzt ein Kerl. Großer Klachel. Er hat eine vollkommene Landkarte im Gesicht. Frankreich — der Mund, und England, das hing herunter, und dann noch etwas Flim- merndes, so daß ich denken mußte: Spanien . Ja, wirklich, die baskische Provinz. Kennst du Basken? Herr- liche Leute. Temperament. Dann hatte er auch noch etwas ganz Helles, Leuchtendes. Island oder dort hoch oben. Und richtig, stimmt. Sein Großvater war Rusie. Ich habe so gerne, wenn man spüren kann, daß das Blut durch viele Flüsse gelaufen ist, ehe es ins Meer hinausftrömt.— Glaubst du, daß er mir auch nur einen halben Blick geschenkt hat? Keine Rede. Ich aber ziehe den Blei- stift heraus, und das bedeutet... Na, später habe ich ihn wohl hundertmal gezeichnet. Er war so voll Gift und Galle. Hatte eben seine Scheidung in Ordnung gebracht. Warum sich auch so von dem Frauenzimmer lumpen lasten? Na, ich schaue mir den Cowboyfilm an und denke an ganz was anderes, das neben mir sitzt. Plötzlich höre ich einen Schrei. Nicht ganz so schlimm, wie wenn sie zu Hause in Dänemark das Weih- nachtsschwein abstechen und ich den Kopf in eine Waschschllstel stecken mutz, um nicht vom Schlage getroffen zu werden, aber immerhin arg genug. Und dann steht auch schon alles in Flammen. Ich bin genau so schäbig wie die andern Menschen, wenn es mein liebes Leben gilt, und denke nur: Raus, che ich ersticke! Dann wird mir ganz komisch im Kopf, ein bißchen so wie schläfrig, du weißt schon, wie knapp vor einer Ohnmacht. Und weiß von nichts mehr, ehe ich wieder im Freien erwachs. Wer hat mich aus den Flammen hinausgettagen? Hicks? Glaube nur nicht, daß er vor mir kniete und mir Kosenamen zu- flüsterte. Weit entfernt. Er war wieder rein, wieder und immer wieder. Wie viele mag er damals gerettet haben! Nicht auszu- denken! Bei dieser Gelegenheft bekam er auch ein paar eklige Wunden am Hals. Na, du kannst dir denken, daß ich bemüht war, diese Wunden zu heilen. Seine Brauen jedoch..., adieu damft. Er rettete so viele, daß Clairmont ihn nachher zum Ehrenbürger machte. Das will was heißen. Also, du kannst dir vorstellen, ich konnte nicht sofort Clairmont und Hicks und seine Brandwunden verlassen. Und so kam es dazu, daß wir uns für eine Zeit bei diesem alten Paar einmieteten. Hicks hatte wahnsinnig zu tun. Er sollte das ganze Straßenbahnwesen renovieren, und da Clairmont mal oben, mal unten liegt, du ver- stehst, Hügelauf und hügelab, gab es ein Nivellieren und Sprengen ohne Ende. Ich verschaffte mir einen Overall, denn es dauerte keine fünf Tage, so sagte Hicks:„Nicht zehn Pferde kriegen mich mehr raus ohne dich!* Hicks ist zum Kommandieren geboren. Zank gab es daher keinen zwischen uns, und wenn ich auch schon manchmal«inen gesehen hatte, der meinem Typ mehr entsprach, so braucht« ich mich nur in den Arm zu zwicken und zu sagen: Kino! Das genügte. Hatte er mein Leben gerettet, so konnte ich ihm wohl ein paar Wochen widmen. Nicht wahr? Abends arbeiteten wir an dem großen Reservoir, das, wie Hicks meinte, sechstausend Quadratmeilen bewässern könnte, falls man einen von den Nebenflüssen ablenken würde, so daß er nach Osten statt nach Westen ginge. So was kann man nämlich machen. Manchmal waren wir auch bei der Schleuse draußen, und Hicks sagte immer, es fei«in Skandal, daß das alles diesem«inen ver- soffenen Schleusenwärter anvertraut würde. Nun, die Schleusen funktionierten ja automattsch, nur wenn es hoch oben einen furchtbaren Wolkenbruch gegeben hatte und der Druck allzu gewaltig wurde, mutzte man«ine öffnen, um den Wasserstand auszugleichen. Vielleicht ein paarmal im Jahr. Wir vertrugen uns glänzend. Eines wußte er: wäre er über und über vergoldet gewesen, heiraten niemals... lieber scheintot im Massengrab. Hicks hatte die Gewohnheit, mir Briefe zu schreiben, wenn ich vor ihm zu Bett gegangen war. Ich erwachte also jeden zweiten Morgen mit einer kleinen Epistel, die er mir an das Nacht- Hemd oder ins Haar gesteckt hatte. Ach, es war herrlich, einfach bezaubernd... Bitte zuhören, jetzt kommen wir zu den Gefahren. Also, Hicks und ich, wir liegen im Bett und schlafen. Oder vielleicht nicht ganz. Nur so... Da sagt Hicks:„Was stt denn das?" Ich horchte auf.„Ja, was ist das? Es klingt so komisch. Vielleicht Regen?" „Geh mal runter und sieh nach", sage ich. Hicks geht die Treppe hinunter. Die beiden alten Gespenster, bei denen wir gemietet hatten, waren eben für«in paar Tage ver- reist, wir befanden uns gapz allein im Haufe. Hicks bleibt lange fort, dann kommt er wieder und sagt:.Kirsten, jetzt darfst du mir kein Geschrei machen. Sei ganz ruhig, dann werde ich uns zwei schon noch herausbringen." Als ob ich je«in Geschrei gemacht hätte! Ich beiße die Zähne zusammen und sage:„Na schön..." Ich merk« aber Hicks an der Stimme an, daß etwas nicht geheuer ist.„Was ist los, Hicks?" Er schnaubt durch die Nase:„Zieh dich an, nimm das Wärmste, was du hast." Ich frage ganz sanft:„Geliebter, Herr der Schöpfung, möchtest du nicht da» Licht anknipsen?" Da hör» ich auch schon, wie er den Schalter umdreht. Umsonst. Ich weiß also, jetzt ist was los..Köre mal, Hicks, wenn etwas geschehen ist, so könntest du mir doch«in Wörtchen darüber, jagen!"
Er antwortet nicht. Ich taste nach memen Kleidern Während ich die Strümpfe einrolle, hör« ich ein wildbrausendes Geräusch— das ist nicht Regen, nicht Sturm, dos sind nicht Blätter, die von den Bäumen fallen.„Hicks, was ist los?" Er ist fort. Unten an der Treppe. Ich rufe:„Hicks!" Er schreit zurück:„Bleib, wo du bist." Ich runter zu ihm. Die unterste Stufe schwimmt schon im Wasier. Hicks brüllt:„Es steigt mindestens zwei Zoll in der Minute." Ich schleiche wieder hinauf, setze mich und nehme Kaugummi in den Mund. Nun, ich war mir klar darüber, daß etwas bei den Schleusen passiert war. Aber doch nicht was! Zwei Stunden später stand das Wasser im ersten Stock. Stühle und Tische schwammen herum. Hjzfs hatte einen Krug Wasier und Brot gefunden. Das nehmen wir auf den Dachboden mit. Hast du einmal den Niagara gesehen? Ich habe unter den Fällen gestanden und bin über sie gegangen. Der Lärm dort ist wirklich nicht ohne Größe: im Vergleich zu dem Getöse dieser Nacht kam er mir jedoch wie ein Kinderspiel vor. Das Wasser stieg und stieg— nichts zu machen. Wir kletterten auf das Dach hinauf. Gott sei Dank war es nicht flach, wie sonst überoll in den United States , sondern ein richtiges Satteldach, wie bei uns zu Haufe. Da sahen wir nun. Es wurde kälter und kälter. Grabesdunkel.
Das Wasier stürzt vorbei. Bald hören wir Pferde schreien. Sie schreien.... ja, die Menschen schreien zwar auch, aber das Schreien der Pferde hing sich fest in meinem Gehirn. Ich höre sie noch, wenn ich davon spreche. Hicks hielt mich wie in einem Schraubstock, denn ich wollt« ja auf und davon, um zu helfen.„Bist du verrückt, Kirsten? Du kommst keine zehn Meter weit, so hast du schon einen Balken im Kopf." Heulende Hunde, jammernde Kinder. Kein Stern am Himmel. Keine Spur von Licht. Schwarz. Schwarz. Und da? Wasser unter uns.(Schluß folgt.) Chinefifche Weisheiten Eines Weisen Schlaf ist besser als eines Unwissenden Ahnenkult. Punku-Wong, der Weltschöpfer, machte den Mann aus Gold, die Frau aus Holz; Konfutfe gab beiden das Herz. Der Regenbogen ist die Versöhnung des Himmels mit der Erde. Denn auch die Erde ist eine Frau, die geschmückt sein will. Hundert Söhne und tausend Enkel verleihen Unsterblichkeit. Ein Lied der Weisheit verleiht Göttlichkeit. In hundert Dingen unangenehmer Natur liegt noch kein Grund zu schlimmen Befürchtungen, spricht der Weise. Die Sorge, die dich heute beschäftigt, befreit dich von dem Leid, das du nicht gewahr wirft. Der Vater erlebt an einem törichten Sohn seine eigens Schande. Wenn du einen Brief geschrieben hast, so lege ihn auf die Erde, ehe du ihn dem Boten gibst: denn die Erde ist gesegnet Gesammelt und bearbeitet von Walter Meckauer .
Der Sinbre Tlovelle aus einem franstöfilchem Seebade/ Ton ColeUe
Das Eindringen in die kleine Villa war so leicht, daß der Ein- brecher sich fragte, weshalb und aus welcher übertriebenen Vorsicht er so lange gewartet hatte. Schon im Vorraum machte sich die trostlose Feuchtigkeit bemerkbar, die in regnerischen Sommern die am Meer gelegenen Villen durchdringt. Die Eingangstür des Wohn- zimmers fand er offen, ebenso die des Eßzimmers, und die weit offenstehende Kellertür unter der Treppe verriet die Hast, mit der das kleine rothaarige Dienstmädchen, dessen Fottgehen er eben beobachtet hatte, davongelaufen war, um zum Tanz oder in eine geschützte Mulde in den Dünen zu eilen. Ein einziges dreikäsehohes Dienstmädchen... was brauchte Madame Casiart mehr in ihrer winzigen Villa aus rosa Stuck und grünem Mosaik in dem sandigen Gärtchen, wo dürftige Tamarisken sich gleichförmig im Seewind neigten wie langhaariges Gras in einem Wasierlauf. Der Einbrecher schloß sorgfältig die offenen Türen: er konnte das Klappen der Türen nicht leiden und beabsichtigte dieses scheußliche .Auwel", das Madame Casiart für die Sommermonate gemietet hatte, schleunigst zu durchsuchen. Er warf einen raschen Blick in das Wohnzimmer— Weißlack mit buntem Leinen— es machte nicht den Eindruck, als ob die Mieterin hier ihre Ersparnisse ver- steckt hätte. Der Mann ging gemächlich in den Zimmern umher, ohne Licht beim Schein der hellen Nacht und ein dämmriges Grau, das durch die geschlossenen Jalousien drang. Ein einziges Mal wagte er seine elekttische Taschenlampe aufleuchten zu lassen; der Schein fiel auf die Photographie einer schönen Frau im enganliegenden Ballkleid und mit langen Handschuhen, die in Zöpfen geflochtenen Haare als Achter um den Kopf gelegt.„Das ist die Casiart in ihrer guten Zeit, die hat sich nicht schlecht oerändert!" Seft 14 Tagen führte er in diesem größenwahnsinnig gewordenen Fischerhafen mit seinem über Nacht entstandenen Kasino aus Zement und Pappe das einsame Leben eines Forschers: er studierte die Ge- wohnheiten der Badegäste, besonders der weiblichen, verzeichnete genau die Stunden ihrer Spaziergänge, ihre täglichen Aufenthalts- zeiten beim Pferdchenspiel und in den Tanzlokalen. Die einzige Ausbeute feit seiner Ankunft war eine goldene Börse, ein werttoser Ring, der im Waschraum liegen geblieben war und ein Hand- täschchen mit 100 Frank, ein dürftiges Entgell für seinen ge- wissenhaften und durchsichtigen Lebenswandel. In tadelloser Kleidung besuchte er das Kasino, stets bemüht, möglichst unbemerkt zu bleiben: er schloß sich an niemand an, denn er kannte die Schwächen seiner Syntax und die farbige Knappheit seines Wort- schatzes und vertraute auf fein gutes Aussehen des stattlichen Vierzigers mft vollem Haar. „Nur gerade so viel", sagte er sich,„um den Verkäuferinnen in der Konditorei und der alten Schachtel Casiart zu imponieren." Er beobachtete sie seit 14 Tagen, sie, die er ebenso wie alle anderen„die alt« Närrin" nannte, die hagere Siebzigerin, die sich die Erscheinung einer längst aus der Mode gekommenen jungen Frau bewahrt hatte, mit dem flachen Rücken, in dem steifen Korsett und den Schullern eines preußischen Grenadiers. Ihre Batisthüte. ihre Stickereikleider, die langen rosa- und orchideensarbenen Schleier flatterten wie Fahnen auf der Mole, und die Gymnasiasten, die hinter ihr hergingen, beschleunigten die Schritte, um ihr Gesicht zu sehen, einen geschminkten Totenkopf mit unter der Wangenhaut herabgesunkenen Parafsinknoten, der auf einem in Fischbein und Tüll gezwängten Halse saß. Sie war ihm zuerst in der be- suchtesten Konditorei ausgefallen, behängt mit Schmuck und rosa angemalt, wie eine rissige Wachssrucht. Er hatte gewartet, bis die genäschige Alte mit einer Tüte voll Mohrentöpfen sich entfernt hotte. Als sie Aergernis und Heiterkeit erregend den Laden oerlassen hatte, kaufte er Sandkuchen mit Mandeln.„Soll ich sie ins Hotel Sejour schicken? Für Herrn...?" „Herrn Paul Dagueret." ..D Apostroph?" Er lächelte die blonde Verkäuferin nachlässig an:„Ganz wie Sie wollen, Fräulein: ich lege keinen Wert darauf." Von dieser vornehmen Gleichgültigkeit verleitet, erlaubte sich die blonde Verkäuferin einige Scherze über Madame Casiart und be- dauerte, daß solche Brillanten... .Ach habe nichts bemerkt", unterbrach sie kühl Herr Dagueret. „ich bin kein Kenner." Zu dieser Stunde sucht« er in den Zimmern der ollen Casiart weniger ihre Brillanten, von denen sie sich niemals trennte, als den wohlverdienten Lohn für seine ausdauernde Arbeit.„Und wenn es nur ein« goldene Kette wäre oder diese dicken Knüppel von Armbändern, die sie über ihre dürren Arme wirft", murmelte er, indem er vorsichtig den hellen, geschmacklosen Raum durchstöberte, in welchem Madame Casiart ihren persönlichen Geschmack durch allenthalben angesteckte Bandschl«is«n und Blumen aus gemalter Brotkrume bekundete... Er lieh den Strahl feiner elektrischen Taschenlampe suchend über ein Möbelstück gleiten, ließ ein Kreuz von Aquamarinen achtlos
liegen, nahm aber einen goldenen Bleistift, der gut und gerne SO Franken wert war. In demselben Augenblick hörte er die Tür des Gartenzaunes in den Angeln kreischen und gleich nachher das Geräusch des öffnenden Schlüssels in der Haustür. Schon kamen schwere Schritte die Treppe herauf, als er sich endlich entschloß, sich hinter den zugezogenen Vorhängen der Balkontür zu verstecken. Er fühlte sich unbehaglich und oerärgert. Kein einziges Mal in all den Tagen war die alte Närrin vor Mitternacht aus dem Kasino nach Haufe gekommen. Durch den Spalt der Vorhänge sah er sie aus und abgehen und hörte sie undeutlich vor sich hinbrummen. Sie gab sich keine Mühe mehr, die eckigen Schultern gerade zu halten: sie ging gebeugt und ihre Kinnloden bewegten sich leer und kauend, wie die einer Greisin Sorgfältig nahm sie den Backfischhut vom Kopf, zog die Haarnadeln aus dem Haar, und der Gefangene sah das brandrot gefärbte Haar in noch reichlicherer Fülle den fahlen kärglichen Scheitel umkränzen. Sie streifte das Abendkleid ob und bedeckte die griesliche, von der Seeluft rotgesprenkelte Haut und die welken Fallen des Halses mit einem bänderverzierten Schlafrock. Das erhitzte, wie für die Bühne geschminkte Gesicht unter den gelösten Haaren erhöhte Herrn Paul Daguerets Unbehagen. „Was tun?" fragte er sich,„was sein muß, mutz eben sein... aber.!. so eine alle Ziege ist kein Spaß, Donnerwetter ja!" Er mochte weder Lärm noch Blutvergießen leiden und sein Unbehagen wuchs von Sekunde zu Sekunde. Aber Madame Casiart ersparte ihm weitere Angstgefühle. Mit einer raschen Drehung des Kopfes wandte sie sich, von einer plötzlichen Ahnung erfaßt, dem Vorhang zu, schob ihn auseinander, stieß einen Schrei aus. der kaum lauter war als ein Seufzer, und das Gesicht mit den Händen verhüllend, trat sie drei Schritt zurück. Er wollte gerade diese unerwartete Bewegung benützen, um die Flucht zu ergreifen, als sie ihn, noch immer die Hände vor dem Gesicht, mit flehender, affektierter Stimme ansprach: „Warum haben Sie das getan? Warum?" Er stand aufrecht zwischen den auseinandergeschobenen Bor- hängen, barhaupt— im entscheidenden Augenblick verliert man immer Hut oder Mütze an den Händen Handschuhe, die Haare in Unordnung. Mit der hohen gläsernen Stimme gewisser alter Leute fing sie wieder an zu sprechen: „Sie hätten das niemals tun dürfen!" Sie streckte die Hände aus, und er sah verblüfft, daß sie ihn ganz ohne Furcht mit verliebten hingebenden Blicken betrachtete. „Na, das ist gut, das ist der Höhepunkt", schoß es ihm durch den Kopf. „War es nötig", flötete Madame Casfart,„Gewalt anzuwenden? Hätten Sie sich nicht ganz einfach am Strand oder im Kasino vorstellen können? Können Sie glauben, daß ich nichts bemerkt, nichts erraten habe? Es wäre ein leichtes für Sie gewesen... Aber so nicht, so nicht...!" Sie reckte sich, schob die Haare auf dem Scheitel zurecht und drapierte würdevoll wie ein alter Clown den Schlafrock um ihre hagere Gestalt. Der Mann schwieg betreten, und erst nach langem Schweigen antwortete er mechanisch: „Wenn mir jemals einer..." Sie unterbrach ihn mit zitternder Stimme: „Nein, nein, sagen Sie nichts. Sie können nicht ahnen, wie tief erschüttert ich bin: ich bin... mein makelloser Ruf... ich war niemals verheiratet. Man nennt mich zwar gnädige Frau, aber... Ihre Anwesenheit hier... O Gott, sehen Sie nicht, in welcher Erregung ich bin. Auf dies« Weise erreichen sie nichts bei mir: das schwöre ich Ihnen!" Jede Bewegung, jeder Seufzer entfachte dos aufreizende Feuer ihrer Diamanten, aber den Einbrecher berührte das nicht; ihn ergriff der Zorn des gesunden und im übrigen unsinnlichen Mannes. Er war nah« daran, vor Wut zu bersten, dieser liebestollen Greisin zu sogen— und in welchen Ausdrücken zu sagen!— was er hier suchte. Er trat einen Schritt vor und erblickte in einem Spiegel sein Bild, das schmeichelhafte Bild eines schönen und weiß Gott vornehm aussehenden jungen Mannes in schwarzem Anzug. „Sogen Sie mir, daß ich Sie wiedersehen«erde, aber zunächst nicht in meinem Hause", zierte sich die närrische Alte,„geben Sie mir Ihr Wort als Gentleman." Er wirkte vornehm, solange er den Mund nicht aufmochte. Eine Art von Snobismus benahm ihm das Verlangen zu fliehen, havd- greislich zu werden, ein Snobismus, der gleichzeitig den tollen Irrtum der alten Frau und den Augenblick seines eigenen Dasein» respektierte, in dem es dem Leben eines edlen Romonhelden glich. Er verneigte sich so gut er konnte und antwortete mit sonorer Stimme: „Mein Ehrenwort, gnädige Frau!", sprach's und entfernte sich unverrichteter Ding«. DäutSch tOv Marie Colmers.