requlirt durch die Expansion und Kontraktion der in- dustriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht de- stimmt durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das wechselnde Ver- hältniß, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, worin sie bald absvrbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmäßigen Pcriodenwechsel, der außerdem im Fortgang der Akkumulation durch stets rascher aufeinander folgende unregelmäßige Oscillatiouen durchkreuzt wird, wäre es in der That ein schönes Gesetz. welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen Verwerthungsbednrfnissen regelte, so daß der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewegung der Popu- lationsmenge abhängig machte.... Bevor in Folge der Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber- und abermal abgelaufen, worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und entschieden sein muß". Wie unterscheidet sich also Marx' Theorie von der Lassalle's? Dadurch, daß jener auf Thatsachen, nicht auf Dogmen bauend bei seiner Untersuchung die Existenz der ständigen industriellen Reservearmee nie aus dem Auge verliert. Weil diese Reservearmee stets vor- Händen, darum wird auch nicht einmal das Existenz- Minimum dem Arbeiter garantirt und darum ist die Gestaltung seines Lohnes nicht von der Volksvermehrung, sondern nur von der ktets schwankenden Nachfrage, die das Kapital erhebt, abhängig. Nun? Welche Lehre ist richtiger und zugleich ge- eigneter, die Basis einer sozialistischen   Agitation zu bilden? Es ist lustig, daß, wenn wir jetzt auch offiziell den Wortlaut unseres Programms der tieferen Auffassung von Marx anpassen wollten, unsere Gegner über In- konsequenz und Versimpelung zu schreien beginnen. Ich dächte, sie hätten allen Grund, davon still zu sein.
Aus England. Das Bureau für Arbeitsstatistik. a. e.   Die Glanzzeiten des englischen Fabrikinspek- torates sind längst vorüber; die Berichte der Beamten, die einst mit unerschütterlichem Muthe auf der Seite der Arbeiter kämpften, athmen heute eine tödtliche Lange- weile; man ist mitunter versucht, sie noch unter die deutschen Arbeiten zu stellen, nur selten und gleichsam widerwillig liefern sie noch Waffen für die Sache des Proletariats. Die englischen Enqueten stehen heute ebenfalls nicht mehr auf der alten Höhe. Die altgewordene engli- sche Bourgeoisie fürchtet die Arbeiter und legt sich daher lieber auf das Vertuschen wie auf die Feststellung unan- genehmer Thatsachen; sie ahnt, daß ihr Ende herannaht und sie hat daher die alte Objektivität verloren gegenüber der Klasse, in der sie selber ihre Erbin sieht. Man durch- blättere nur die Enquete über die Ursachender Depression von Handel und Produktion" und man wird dcntlich gewahren, daß auch die englische Bourgeoisie eine andere geworden ist: nicht nur vielfach zu Schutzzöllen und Retorsionsmaßregeln bereit, sondern auch allen Arbeiter- organisationen und allen Arbeiterschutzmaßregeln im Grunde des Herzens feindlich gesinnt. Was die englische Bourgeoisie in der Zeit ihrer Welthaudels-Monopols- stellung den Arbeitern gewährte, das würde sie heute, wo ihr die fremde Konkurrenz immer auf den Fersen folgt und sie oft sogar aus dem Felde schlägt, gern wieder ungeschehen macheu wenn es angesichts der Macht und Schulung des Proletariats noch ungeschehen zu machen ginge. Unter den derart veränderten Verhältnissen hat auch ein Institut zu leiden gehabt, das Nützliches und Großes hätte wirken können und das nun zwischen Leben und Sterben dahinsiecht: die arbeitsstatistische Abthei- lung des Handelsamtes. Die Vereinigten Staaten haben bekanntlich schon lange ihrearbeitsstatistischen Bureaus" in den Einzel- stauten und es ist ganz natürlich, daß in England viel- fach Anregungen zu ähnlichen Einrichtungen auftauchten. 1876 verlangte der Sekretär des parlamentarischen Komitees der englischen Gewerkvereine und einer der eifrigsten literarischen Vorkämpfer der Trades Unions, George Howell, in dem damaligen Zentralorgan der Gewerkschaften(The Beehive) ein derartiges Bureau für das Vereinigte Königreich. 1885 betonte der be- kannte Großunternehmer und ökonomische Schriftsteller Sir Thomas Brassey   die Nothwendigkeit einer Arbeitsstatistik als Grundlage jeder Sozialreform in eiucm in der Picadillyhalle von Unternehmern und Arbeitern besuchten Meeting.*") Der einmüthige Anschluß an seine Ausführungen gab den direkten Anstoß zu der von dem bekannten bürgerlichen Radikalen Charles Bradlaugh   in der Unterhaussitzung vom 2. März 18�6 vorgeschlagenen und auch angenommenen Resolution: daß nach der Meinung des Hauses sofort Schrite gelhan «erden sollten, um in diesem Lande eine voUstälrdige
) Bergt. Dr. Joachim, Institute für Arbeitsstatistik. Leipzig  und Wien  , Franz Deuticke. 1890.
und genaue Sammlung und Veröffentlichung von die Arbeit betreffenden Statistiken zu sichern." Bradlaugh steckte damals in seiner begründenden Rede dem statistischen Bureau sehr weite Ziele: es sollte zunächst für alle einzelnen Industriezweige des Vereinigten Königreiches  (England, Schottland  und Irland) die Zahl der Betriebe und der be- schäftigten Personen, den Betrag des darin ange- legten Kapitals, die Fortschritte oder Rückschritte, sowie die Gründe etwaiger Kouzentrirung in be- stimmten Orten und Distrikten feststellen; es sollte serner die Gefährlichkeit bestimmter Be- rufe, die Unfälle, Krankheiten und Lebensgewohnheiten in den einzelnen Arbeitszweigen untersuchen; ebenso die Arbeiterwvhnungen, mit besonderer Ausscheidung der vom Unternehmer gegründeten Wohnungen; weiter sollte es Aufstellungen machen über Aktien- gesellschaften, Genossenschaften, Unternehmungen mit Gewinnbetheiligung der Arbeiter; über die höchste Kapitalsverwendung im Groß- betrieb und die niedrigste im Kleinbetrieb in jeder Branche und über die durchschnittliche Anlage; über das Anlage- und Betriebskapital, über den Werth der verwendeten Rohstoffe, über den Gesammtbetrag der Löhne, des erzielten Produktes und des Profites für das Kapital; dann sollte aber besondere Aufmerksamkeit den be- sonderen, individuellen Löhnen gewidmet werden: höchste, niedrigste und Durchschnittslöhne, Löhne für Männer, Frauen, Jungen und Mädchen sollten genau geschieden iein; in welchen Zeitabständeu(wöchentlich oder in längeren Fristen) die Lohnzahlungen erfolgen, ob Vcrkaufsläden des Etablissements existiren, wo die Arbeiter bei langen Lohnfrislen etwa Kredit nehmen müssen; welche Arbeitszeiten bestehen, wieviel Tage im Jahre ein Arbeiter Beschäftigung findet, über das alles hatte nach Bradlaugh das neue Departement zu berichten. Auch Haus halt u n gs- budgets sollte es aufnehmen und die Familien mit auskömmlichem, dürftigem und unzureichendem Ein- kommen dabei scheiden, unter besonderem Nachweis, wieviel Mitglieder erwerbsthätig sind. Dazu sollten genaue Angaben über die Geiverkschafts- und Kassen- organisation kommen: welche Beiträge hier gezahlt wurden, welche Gelder sich ansammelten, wieviel für Lohnkämpfe. Krankenunterstützungen und andern Bei- hülfen ausgegeben wurde; in welchem Verhältniß in den einzelnen Berufen Gewerkschaftler und Nicht- Unionisten sich mischen, unter Vergleichung der gut und der schlecht organisirten Gewerbe. Weiter sollte eine genaue Uebersicht über die Sparkassen, nach der Höhe der Einzahlungen und dem Berufe der Ein- zahler, gegeben werden; endlich sollten soweit als möglich ähnliche aus- ländische Statistiken zum Vergleiche herangezogen werden. Der Plan sah sehr schön aus und der sehr ehren- werthe Herr Mundella, damals Chef des Haudelsamtes, erklärte sich auch bereit, die nöthigen Maßnahmen zu treffen, um dem längst dringend gefüllen Bedürfniß ab- zuhelfen. Im Handelsamt saß als Vorstand der städtischen Abtheilung Sir Robert Gissen, durch seine Schön- särberversuche bei allen in- und ausländischen Kapitalisten wohl angeschrieben, und ihm unterstellte man den neu- gebackenenLabour(Arbeits-) Korrespondent", Herrn John Burnett, der lange Jahre in der Gewerkvereinsbewegung thätig und einflußreich gewesen war. An seinem Eifer und seiner Objektivität wollen wir keinen Augenblick zweifeln; nach den bisher erzielten Resultaten müssen wir aber annehmen, daß die Wirk- samkeit des neuen Amtes vollständig brach gelegt ist und sein Schöpfer, Herr Bradlaugh, gesteht das so- eben auch in einem recht lamentablen Artikel in der New Review" ein. Schon das Memorandum, das Herr Giffen   am 21. September 1886 dem Unterhaus vorlegte, goß be- denklich viel Wasser in den Wein des Bradlaugh  'schen Programms. Das Memorandum nannte nur folgende Aufgaben des Bureaus: 1.Ausgrabung einiger älterer offizieller und nicht- offizieller Lohnslatistiken, um ein einigermaßen voll- ständiges Bild des gesellschaftlichen Fortschrittes in Bezug auf die Lohnarbeiterklasse zu bieten" solche Ausgrabungen waren bekanntlich schon immer Herrn Giffens Lieblingsbeschäftigung; 2. Ergänzung dieser Statistiken durch ähnliche aus- ländische; 3.ähnliche Angaben über Ersparnisse und die allgemeine Lage derselben Klasse, über Lebensmittel- preise und andere Materialien, welche die Volksmassen besonders betreffen, zu sammeln und zu sichten"; 4.vollständigere Berichte über Löhne, Arbeits- zeit, Nachfrage nach Arbeitskraft und das Zahlen- verhältniß der Beschäftigten in den einzelnen Lohn- klaffen zu erhalten"; 5.statistische Daten über Preise. Produktion und Kosten der Lebenshqltung zu beschaffen". Selbst dieses sehr eingeschränkte und sehr unbestimmte Programm ist aber in keiner Weise erfüllt worden, weil das Schatzamt, das auch in England für Heeres- und Marineausgaben verschwenderisch freigebig ist, für ein bloßesArbeits"-Departement keine Mittel zur Ver­fügung hat! Die Beamten desselben sind wenig zahl- reich, sie sind noch mit anderen Arbeiten belastet, und so kommt es z. B., daß die beiden Parlamentsdrucksachen,
welche für die Textilindustrien Angaben über die Arbeiter, Arbeitszeiten und Löhne am 1. Oktober 1886 machen, erst im August 1889 und im Juli 1890 erschienen, und zwar, wie Herr Giffen beide Male klagt, wegen des Mangels an genügenden Kräften, um die Arbeit auszu- führen", wegen desUnzureichenden des Beamtenstandes". Wenn man nun dieselben Aufnahmen gar noch für ein paar andere Industrien hätte machen müssen, das Jahr- hundert wäre zu Ende gegangen, ehe wir über die Löhne von 1886 offiziell etwas erfahren hätten! So hat sich die Thätigkeit des arbeitsstatistischen Departements denn darauf beschränkt, einige sehr lücken- haste Mitthcilungen über das Schwitzsystem in London  und Leeds  , über die Nagelschmiede und Kleinkettenmacher und über die Einwanderung fremder Arbeiter und Paupers nach England zu machen ferner(hauptsächlich nach alten Haudelskammerberichten!) Löhne zusammenzustellen für die Zeit von 1832 bis 1853, und dann wieder von 1855 bis 1883. Dazu traten dann einige Berichte über das Ausland, besonders über die belgische Enquete, eine Reihe zerstreuter Notizen imJournal" des Handels- amtes(Board of Trade Journal), Notizen, die schon wegen ihrer Unzulänglichkeit für das allgemeine öffent- liche Leben ohne Bedeutung sind. Einen guten Anlauf nahm das Arbeitsamt mit dem Versuch, Haushaltungsbudgets für Arbeiter zu sammeln. Aber es blieb weit hinter dem Ziele zurück. Aus 730 im Jahre 1887 ausgesandte Fragebogen erhielt man im Ganzen 36 Antworten, von denen zwei ganz und gar nicht zu gebrauchen waren. Um die übrigen 34 zusammenzustellen, brauchte das Departement dann iVa Jahre! Nur eine Veröffentlichung ist bis jetzt regelmäßfF� erschienen: der Bericht und die statistische Uebersicht über die Gewerkschaften. Aber was für Uebersichten und was Berichte sind das! 1887 sandten nur 18 Trades Unions Mittheilungen an Herrn Burnett, obwohl er 150 darum ersucht hatte. 1888 wandte sich Burnett an 312 Ge- werkschaften, 207 rührten sich nicht; die 105 Einsendungen waren vielfach wegen ihrer Unvollsländigkeit ganz unver- wendbar, so daß in dem schließlichen Bericht 87 Vereine. aufgezählt sind. 1889 konnte Burnett über 104 Vereine mit 373 904 Mitgliedern berichten, d. h. höchstens über ein Viertel aller organisirten Arbeiter, und nur ein Viertel bis ein Drittel der bekannten Organisationen! Die amerikanischen   Berichte sind ja auch vielfach sehr unvollkommen und sehr lüderlich; aber so lodderig wie in England wird die Arbeitsstatistik denn doch nur in wenigen Einzelstaaten gepflegt. Herr Burnett trägt, wie schon erwähnt, nicht die Schuld daran; es fehlt ihm an Hilfskrästen und Mitteln, und es fehlt ihm die Vollmacht, Antworten und Mit- theilungen fordern zu können. Und die englische Bourgeoisie wird es kaum sehr eilig haben, aus der vielleicht einmal unangenehmen Arbeitsstatistik etwas Ordentliches zu machen. Auch sie drückt sich jetzt gern um die Feststellung der Wahrheit herum._
Landstraßenproletariat. n. Sage und Dichtung haben von jeher das Vaga- bundenleben in jeder Form mit einem poetisch-roman- tischen Schimmer zu umweben gesucht. In Tausenden von Liedern haben die Sänger aller Zeiten dem sehn- süchtigen Wanderdrange Ausdruck verliehen, welcher die im Sklavenjoche des alltäglichen Wirthschaftsgetriebes dahinvegetirenden Millionen unwiderstehlich ergreift. Fernab von dem Zwange und der Enge des gleichmäßigen häuslichen Einerleis, frei und ungebunden durch die weite Welt zu schweifen, erschien ihnen voll zauber- hasten Reizes. Was freilich in Wahrheit hinter den sagenumwobenen Helden des Alterthums, den kühnen Abenteurern und Rittern der höfischen Zeit, den Spielleuten, Minne- sängern undfahrenden" Schülern der jeweiligen Kultur- Perioden steckte, wissen wir längst sehr genau, seitdem Ursache und Zweck ihrermärchenhasten" Wanderzüge erkannt sind. Was waren sie anders, jenegöttergleichen" Königssöhne ohne Land, jene verwegenen Strauchritter ohne fette Zehnten, jene von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt schweifendenfahrenden" Gesellen mit leerem Beutel, als der Abschaum von Existenzen, welchen der dunkle Drang" nach Brot auf die Landstraße hinaus- trieb! Welchen anderen Zweck verfolgte ihr unstätes Räuber- und Nomadenleben, als den, sich eine neue Existenz zu schaffen oder zu erkämpfen! Daß Viele hier- bei kläglichen Schiffbruch litten, allmählig Gefallen an ihrem wilden Handwerk fanden und als Banditen und Marodeure zu einer stehenden Landplage wurden, ändert an der Thatsache nichts. Sie waren die Vorläufer der gewaltigenReservearmee", welche das heutige kapita- listische Wirthschaftssystem zu Hunderttausenden auf die Landstraßen treibt, wo ebenfalls ein großer Theil un- widerstehlich festgehahen wird und im Elend ver- kümmern muß. Aber keine der bisherigen Wirthschaftsformen hat in dem Maße die Zunft derLandstreicher und Vaga- banden" anschwellen gemacht als die kapitalistische. Und ganz natürlich, beruht doch ihr ganzes System auf einer ununterbrochenenFreimachung" der Blassen von den Produktionsmitteln, auf der fortschreitenden Proletari- sirung der Arbeiterklasse. Dennoch muß die brutale und gewaltsame Expropriation der Bauern, Klosterinsassen