Nr. 234.
Donnerstag, den 7. Oktober 1886.
UL. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt"
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erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Bostabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Bf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
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als Nationalökonom.
II.
Unfer Mitarbeiter schreibt uns weiter:
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Ist der
Das Rapital leiftet der Beschränkung und gesetzlichen Normituna der Arbeitszeit stets entschiedensten Widerstand. Um ihre Regelung findet ein beständiger Rampf zwischen Rapital und Arbeit statt; ersteres ist viel eher geneigt, eine Lohnerhöhung zu bewilligen benn eine solche Errungen schaft ist den Arbeitern leicht wieber zu entreißen als einem gefeglichen Maximalarbeitstag zuzustimmen, welcher ein von der Willtür des Unternehmers abhängiger Loha regulator im Intereffe der Arbeiter sein würde. gefegliche Normalarbeitstag in England etwa von selbst" gekommen? Nein, er ist von den Arbeitern unter Benugung bes politischen Parteikampfes erkämpft worden! Niemals begiebt bas Rapital fich freiwillig ber Herrschaft über ben Arbeitsmarkt; von selbst" giebt es das Vorrecht der Arbeitsgeit und Lohnregulirung nicht auf, wie es benn überhaupt zu teiner feinen Interessen entgegenstehenden Maßregel fich be tennt. Jebe Einschränkung feiner Privilegienwirthschaft muß ihm entweber burch die Macht ber Arbeiter toalition, ober durch die Gesetzgebung erst aufge zwungen werben.
M
Die Wissenschaft der herrschenden ökonomischen Richtung allerdings hat nicht umhin gekonnt, bie Nothwendigkeit der Arbeitsverkürzung zu betonen. So erklärt Lujo Brentano ganz unumwunden: daß die Arbeiter aller Rulturstaaten, wo bie Produktion hoch entwidelt ist, ftreben müssen, Ver Türzung der Arbeitszeit zu erringen. Als einzigen Bortheil", ben sie vom Maschinenwesen ziehen tönnen, nennt er bie Einschränkung der Arbeit und fügt hinzu: In demselben Maße, wie die Erfindung neuer Maschinen menschliche Arbeit noch mehr überflüssig macht, müssen die Arbeiter Ver Türzung der Arbeitszeit fordern. Die Frage nach der Länge bes Arbeitstages ist demnach eine Frage nach dem Stande ber Bivilisation. Also fordern müssen die Arbeiter, erringen, b. b. erkämpfen müffen sie die Berkürzung ber Arbeitszeit, benn was in dieser Hinsicht die Wissen faft ber fapitalistischen Dekonomie als selbstverständlich nothwendig zugeben muß, baran ist das Rapital in seiner Praxis burchaus nicht gebunden.
Schon jest übertrifft nach Dr. Engel's Berechnung bie auf der ganzen Erbe vertheilte Dampfkraft( etwa 34 Millionen Dampfpferdeftärken im Jahre 1878) bie Probultivität der gesammten männlichen Arbeitskraft( Frauen, Rinder und Greise ausgeschlossen) um das breifach e.
Radbrud verboten.
Feuilleton.
Ludmilla.
land das Verhältniß der Maschinenkraft zu den Arbeiten im Jahre 1817 30 zu 1 betrug; im Jahre 1871 aber schon betrug es 133 au 1.- Unb sein Landsmann Mr. W. Hoyle, eine gute Statistische Autorität, versichert, baß, wenn Jeber in England seinen Antheil an der Arbeit Leiftete, bie Bevölkerung bei einer täglichen Durchschnitts. arbeit von einer Stunde und fünfzehn Mis nuten Ueberfluß an allen Lebensbedürfnissen haben müßte!
Wie kann bei einem solchen Verhältniß der menschlichen Arbeitskraft zur Maschinentraft unter der Herrschaft bes Rapitalismus bavon die Rede sein, daß wie Herr Dr. Siemens behauptet die Befriedigung der durch die Fortschritte der menschlichen Rultur erzeugten neuen Be dürfnisse so viel neue Arbeitskräfte erhetfchen würde, daß bas gegenwärtig bestehende Migverhältniß dadurch wieder ausgeglichen werden würde"? Das ist unter der manchester lichen Voraussetzung, von welcher Dr. Siemens ausgeht, ein wiefacher Nonsens. Erstens fann unter ben obwaltenben Verhältnissen von einer Angewöhnung neuer Bedürfnisse für die Masse der Arbeiter gar nicht in dem Maße die Rede sein wenn überhaupt wie Dr. Siemens an nimmt. Die tapitalistische Produktionsweise ist in noch viel höherem Grabe, als der Befriedigung wirklich vorhandener Bedürfnisse, ber Angewöhnung neuer entschieben ungünstig; fie weift den Arbeitern eine Richtung nach unten und nicht nach oben an; ia, fie for. Richtung nach unten und nicht nach oben an; ja, fie for bert geradezu von den Arbeitern einen sehr hohen Grab vox Bedürfnißlosigkeit und würben die Bedürfnisse ber Arbeiter auf trodenes Brob und Raffee, ein Lager von Streu und eine Rleibung von Sadleinwand eingeschränkt,
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man barf überzeugt sein, ihr Lohn würde auch nur eben hinreichend sein, diese Bedürfnisse zu befriedigen.- Nein, nein! Die tapitalistische Produktionsweise fann die Mißverhältnisse, welche fie geschaffen und welche ja thatsächlich die Bedingungen ihrer Existenz find, sicht felb beseitigen. Sie hat die Ausnutzung der Arbeitstraft und damit auch die Armuth der Maffen zur unerläßlichen Boraussetzung. Da heißt es für die Arbeiter fämpfen und für die Gesetzgebung gründlich reformiren, wenn ber physischen und geistigen Degeneration ber Maffen Einhalt geschehen soll! Da fann fich's lediglich darum handeln, bie Produktionsweise zu ändern, bas Rapital aum dienenden Produktionsweise zu ändern, das Rapital aum dienenden Arbeitsinstrument zu machen, jedes Arbeiters Leistungsertrag ficher zu stellen. Erst damit wird eine bem leberwiegen ber Maschinentraft wirklich entsprechende Arbeitszeitverkürzung möglich; erst damit tritt die Bedürfnißfrage in bas Stadium ihrer Lösung nach den Vorschriften der Sozial gerechtigkeit!
awei Personen, die mit gleicher Gluth unb bem nämlichen Lächeln auf den Lippen tanzen. Welches Gefühl ber [ 2 Schande verbirgt sich nicht bisweilen unter einem nach der neuesten Mode gearbeiteten Frad!
Novelle von Polevvi. ( Aus dem Russischen übersetzt von Dr. Carl Pinn.) Aber ben graufamen Wurm in meinem Innern, der mir das Herz bluten ließ, fannte ich allein. Ich fühlte, baß ich, ber ich mich in die hohen Rreise brängte, feine Berechtigung dazu mitbrachte, weber eine solche, wie fie bie Herkunft, od wie sie das Bermögen verleiht. Die vor nehme Welt tennt teine anbere, und wenn man sich ihr anfchließt, ohne jene zu befizen, so muß man fich bazu be quemen, the Slave au fein und zwar ein fo elender, ein fo bebauernswerther Stlave, baß man, wofern man Seele, Seift, Gemüth befißt, feine Fähigkeiten vergeffen und es als ein ganz besonderes Glüd betrachten muß, dieses Gemüth burch die Selbstfucht verzehrt, diesen Geist nur noch durch bie Beschäftigung mit Fragen ber Schidlichkeit beschäftigt, bicfes Herz immer unempfindlicher werben zu sehen. In ben befferen Kreisen, wo für den ersten Blid in Bezug auf Freude Gleichheit zu bestehen scheint, giebt es ja eine große Anzahl der verschiedensten Abstufungen, und nirgends tommt Hoch und Niedrig in eine so nahe Berührung mit einanber, wie ba. Wer weiß, wie theuer es mehrere von benen, die bei ihm verkehren, zu stehen kommt, wenn fie fi in einem vornehmen Gespann nach dem dem Thorwege feines glänzenden Hauses begeben? Wer weiß, wie bitter biefer feine Eitelkeit büßt, der des Abends fich in eleganter Toilette in feinem Salon gebrüftet hat und bes Nachts burch bas unerbittliche Schulbenregister gepeinigt wird? Jener, ber möglicherweise in dem Augenblide, wo er ben Ballfaal verläßt, ins Schuldgefängniß fortgeführt wird, oder nach einem herrlichen Mahle das Schreckensgefpenft des Hungers für den nächsten Tag vor fich steht. Welch' ein schreckliches Elend, doch nirgends so scredlich, wie in der prunkenden Heuchelei ber vornehmen Welt! Welcher Ab grund gähnt oft in ein und derselben Quadrille zwischen
Allein ich war in ben Strubel der Welt fortgeriffen und opferte diesem Berrbilde in meiner Berblendung alles: meine Ruhe, meine Pflichten, meine Bulunft. Ich machte Schulben, auf die ich mich bei meinen schwachen Hilfsquellen nicht einlassen durfte und empfing einen Brief von meinem Datel, worin er, meine Verlegenheit ahnend, mir drohte, mir für immerbar meine letzten Er ftenzmittel zu entziehen. Da blieb mir nur noch ein einziger Ausweg übrig bas Waffer ber Newa .
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Die Vorsehung gewährte mir nur einige Freudentage in biefen verhängnißvollen Jahren. Paulinens Bater, ber mit seiner Familie ins Ausland reifte, hielt fich einige Tage in Petersburg auf und ich fab fie wieber. Sie war, wie es fchien, überrascht, mich so wieder zu finden. Ich war nicht mehr der linfische, menschenscheue junge Mann, ber in Moskau einen Ritter von der traurigsten Gestalt bar ftellte. Alles in meinem Aeußeren, in meinen Manieren und meiner Sprache war verändert. Sie gerieth nicht mehr in Verlegenheit, wenn fie mich neben sich sehen hieß, noch auch, wenn Sie meine Liebe bemerkte. Drei Tage hindurch ging ich weber auf einen Ball, noch in eine Abendgesellschaft; ich blieb in ihrer Gesellschaft, ich loftete brei volle Tage ber irdischen Seligkeit.
Aber diese Erscheinung ließ mich schmerzlicher als je den ungeheuren Abstand ermessen, ber mich von dem reichen jungen Mädchen trennte. Würbe fie fich mir opfern wollen, wie meine Mutter fich meinem Vater geopfert hatte? Nieber gebeugt durch diese Ueberlegung richtete ich mich lediglich burch unvernünftige Träume wieber auf.
Da erfuhr ich plöglich, als ich auf's Aeußerste durch meine Gläubiger eingeengt war, als ich schon auf meine offizielle Beschäftigung hatte verzichten müssen, als ich im Rretse meiner Freunde und Bekannten den schändlichen Egoismus immer mehr zum Durchbruche kommen sah, ben Tob meines Dafels und gleichzeitig erhielt ich die Mel bung, daß ich sein ganzes Vermögen erbe. Der Uebergang
Politische Uebersicht.
freifinnigen Bartel der Abg. Klot aufgeftelit.
Zur Be liner Ecsazwahl für den Reichstag ist von der
Lothar Bucher , der intime Freund von Laffalle und Nodbertus ist, nachdem sein Bergältniß zu Busmand schon lange ertaltet war, nunmehr endailtig aus dem Auswärtigen Amie und aus dem Staatsdienste überhaupt ausgeschieden. Ueber den Lebensgang des vielgewandten Mannes fchreibt man der Bresl. Big." bei dieser Gelegenheit: Von Haufe aus nichts weniger als Regierungsmann, faß der Oberlandes gerichtsaffeffor Bucher aus Stolp in der preußischen National versammlung vom Jahre 1848 auf den Bänken der Demo tratie, und er war es, ber in öffentlicher Stebe die gegen das Minifterium Brandenburg gerichtete Dent chrift des Hauses bet Staatsanwaltschaft empfahl ,,, auf daß fie ihre Schuldigkeit thue". Herr Bucher gehörte zu jenen Steuerverweigerern, welche mit Schulze Deligich angellagt und von eirer Reihe Anwälten, unter ihnen von dem heutigen Gch. Juftigrath Dorn in Leipzig und- Herrn Stieber, dem späteren Bolizeidirektor, vertheidigt wurden. Sämmtliche Angetlagte wurden freige sprochen, mit alleiniger Ausnahme von Lothar Bucher . Der felbe entzog fich der bbüßung der langwierigen Freiheits ftrafe, indem er unmittelbar von der Anllagebant, noch vor Verkündigung des Urtheils, eine Reise nach England antrat. Mit scharfem, Iritischen Blid, der mehr die Schattenfeiten als das Licht des englischen Verfaffungslebens erfaßte, schoteb Bucher von London aus seine feffelnden Briefe über den Barlamentarismus, wie er ift" für die damals demokratische at Btg." Dirselben find auch in Buchform erschienen und enthalten unzweifelhaft bereits die Reime zu den späteren Wandlungen des Flüchtlings. Bucher tritt hier als schneidiger Begner des Liberalismus, des tonftitutionellen Systems, des Freihandels auf, aber freilich nicht zu Gunsten eines auto fratischen Königtbums, sondern einer start fozialistisch gefärbten Demokratie. Indeffen, Bucher wurzelt mit feiner ganjen Bildung in vormärglicher Beit; er steht geistig jener fungbegelfchen Schule nabe, welche sich der abfoluten Reitit rühmte und in welcher die eigenthümlichsten Meta morphosen nicht zu den Seltenheiten gehören. Man braucht nur an Bruno Bauer สิน Denten, ber als rabilaler Himmelsftürmer begann und als Mitarbeiter ber Wagener'ichen Staats- und Gesellschaftslegilons endete, der Rreuzeitung" und Redakteur bes reattionären aber niemals hatte zugeben mögen, daß er fich irgend geändert habe. Die Neue Mera" brachte neues Leben unier die Exilirten. Lothar Bucher fam nach der Amnestie nach Berlin und bewarb fich um eine Rechtsanwaltsstelle. Doch der Justiz minifter batte tein Amt für den alten Demokraten. Mubfelig erwarb fich Bucher durch schriftstellerische Arbeiten sein Brod. Er trat zuerst in das Wolff'iche Telegraphenbureau ein, bis ihm ber Ministerpräsident von Bismaid eine Hilfsarbeiterftelle verlieb. Das war in den ersten sechssiger Jahren, als Bucher noch in innigfter Freundschaft mit Frans Biegler und Ferdi nand Laffalle lebte. Er galt noch immer als deren Befinnungs genoffe, und erhielt auch zugleich mit ihnen die Aufforderung
von der Verzweiflung des Elends zum Genusse des Glückes war ein so plöglicher, daß ich im ersten Augenblid weniger Freude als Beftürzung darüber empfand. Armer alter Datel! Lange Beit hatte ich eine Deiner Hauptforgen ge bilbet. Noch einige Tage und ein Polizeibericht hätte viele leicht wer weiß? als Antwort auf Deine legten Be ftimmungen die inhaltsschweren Worte en halten: Anton N. ist durch Selbstmord aus dem Leben geschieben", und wir würden uns im Jenseits wiedergetroffen haben.
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Gott sei Lob! Es ist vorüber. 33t habe ich nur noch einen Gebanten: ich bin in Mostaus, in Paulinen's Nähe.
Die Morgenröthe bricht heran. Adieu, büftere Er innerungen! Sei gegrüßt, neues Leben! Pferde! Und
nun vorwärts!
Wie wird fie überrascht sein! Denn sie weiß nichts von meinem Glüdwechsel. Ich habe ihr nicht geschrieben, nicht einen Augenblick babe ich meine Abre se von Peters burg verzögern wollen. In ihrer Familie glaubt man noch, baß ich ber arme Anton von ehemals bin, und ich will the mit meinem Herzen, das ihr immer gehört hat, die ererbten Befihz hümer zu Füßen legen. In diesem langen fechs jährigen Beitraume habe ich ihr nicht von meiner Liebe ge fprochen; aber fiets gebachte ich ihrer und sie erinnerte fich meiner; ihr Blid bai's mit gefagt.
Ich höre bas Glodengeläute ber angespannten Pferbe. Reine Mufit der Welt föante einen solchen Reis für mein Ohr haben. II.
Ich war auf biefes erfreuliche 3usammentreffen mit Pauline nicht gefaßt; gleichwohl war dieses Wiedersehen für mich peinlich.
Mein Gespann hat im Fluge 20 Werst zurückgelegt. 3d babe mich in aller Eile angekleidet und, vor das Haus von Paulinens Vater angelanot, war ich ganz erstaunt, daß es noch so früh sei, daß die Thüre und Fenster dieses gee liebten Hauses noch verschlossen waren und alles schlief. Nur der alte Portier war bereits wach und fegte das Trottoir. Er hat mich erkannt und sich mir ge nähert.