Beilage zum Berliner Voltsblatt.

Nr. 232.

Kommunales.

Stadtverordneten- Versammlung.

Sizung vom Donnerstag, den 3. Ottober. Der Stadtverordneten- Vorsteher Stadtv. Dr. Stryd röffnet die Sigung nach 5 Uhr mit einer Reihe geschäftlicher

Mattbeilungen.

Der Stadtv. Kunert theilt mit, daß er sein Mandat nieberlegt, weil er seinen Wohnfiz nach Breslau   verlege.( Rufe: Dh! Dh!)

Nach Eintritt in die Tagesordnung werden eine Anzahl Betitionen, Anstellungs-, Penfionirungsgesuche und ein Natura­lationsgefuch gefchäftsordnungsmäßig erledigt.

Hierauf folgt die Wahl des ersten Stellver treters für die Abgeordneten der Stadt Berlin   zum Rom­munal- Landtage. Gewählt wird Stadtv. Michelet   mit 43 St. gegen Stadtv. Solon  , der 35 St. erhält.

Der Eigenthümer Herrling, Alt Moabit 79, hat das Anfuchen um Benennung der Straße 29, Abtheilung VII des Bebauungsplanes gestellt. Der Petitionsausschuß empfiehlt, ras Gesuch dem Magiftrat zur Berücksichtigung zu überweisen. Die Versammlung ist damit einverstanden.

Der Austausch von Terrain zur Straße 76 gegen Hädtischen Grundbefiß in der Schulstraße und der Verkauf einer städtischen Barzelle an der Perlebergerstraße wird debatte­los genehmigt.

Der Verkauf eines Trennstücks des Gemeinde­grundstückes Kottbuser Ufer 4, das einen Umfang von 2178 qm enthält, zum Preise von 90 M. für den qm wird vom Magiftrat beantragt. Die Versammlung verweist die Borlage an einen Ausschuß.

Einige unwesentliche Magistratsvorlagen werden debattelos

angenommen.

Eine Rechnung wird dem Ausschuß für Rechnungsfachen

überwiesen.

Damit ift die Tagesordnung erschöpft. Schluß 7 Uhr.

Es folgt eine nicht öffentliche Sigung.

Lokales.

den

Im nenen Reichs- Kursbuch für die Monate Ottober and November mit den neuen Winterfahrplänen ist zum ersten ale die geplante einheitliche Bezeichnung der schnellfahrenden Rüge durchgeführt. Statt Elzüge, Kurierzüge, Schnellzüge hibt es jegt einfach immer Schnellzüge" Die Neuerung ist erfreulich wezen der Vereinfachung; die frühere Unterscheidung war dem Fachmann kaum klar, dem Laien blieb sie gänzlich unverständlich. Ihm war nur eine offenbar und von Interesse: in allen drei Arten von Zügen mußte er mehr bezahlen. Einigen Sinn hatte die Scheidung nur in Baden, wo die sogenannten Elzüge zwar schneller fuhren sowie fürzere und seltenere Auf­enthalte hatten, aber doch zu den gewöhnlichen Personenzugs­praisen beförderten. Nur die Schnell- und Kurierzüge hatten Dort erhöhte Preise. Die neue Ausgabe des amtlicheu Kurs­buches enthält nun auch den vollständigen ungarischen Zonen­tarif für den Personenverkehr. Demzufolge giebt es auf ben ungarischen Staatsbahnen zwei Zonen für Nachbarverkehr: eine bis zur ersten Nachbarstation, die zweite zur zweiten Nachbarstation. Die erste 3one foftet 10, 15 30 Kreuzer für die drei Klassen, die zweite 15, 22 und 40. Die erfte Zone des Fernverkehrs wird durch Enifernungen bis 25 Kilometer gebildet und kostet 25, 40 und 50 Kreuzer für Befonenzüge, und 30, 50 und 60 Kreuzer für Schnellzüge. Die 2. bis 11. Zone des Fernverkehrs steigt um je 15 Rilo­meter, so daß die 11. 3one die Entfernungen von 161 bis 175 Kilometern umfaßt. Die 12. und 13. Zone umfassen je um 25 Kilometer mehr, so daß die 14. Zone alle Entfernungen von 226 Kilometern und darüber hinaus in fich begreift. Das Eyftem der Preise ist ebenso einfach: die 1. 3one toftet z. B. bruter Klasse Personenzug 25 Kreuzer und jede folgende um 25 Kreuzer mehr; die zweite 50 Kreuzer, die 12. 3 Gulden. Die 13. foftet 3,50 Gulden, die vierzehnte und legte 4 Gulden; für diesen Preis kann man also durch das ganze Nek der un­marifchen Staatsbahnen fahren. Doch mit einer Beschränkung: über Budapest  , beziehungsweise Kehlenfeld hinans werden birefte Foh farten nicht ausgegeben; auf diesen Stationen find von den Weiterreifenden stets neue Karten zu lösen. Die erfte Alaffe foftet das Doppelte von der britten; die zweite Klasse foftet bis zur 12. Bone 60 pCt. mehr als die dritte; für die 13. Zone beträgt die Erhöhung etwas mehr als 50 pбt., für die 14. Zone 45 pet. Schnellzüge toften 20 pet. mehr, so daß der höchste Sat 1. Klaffe der 14. Zone Schnellzug 9 G. 60 Kr. beträgt. Damit ist das ganze System erschöpft. Wie man sieht, ift das Wesentliche der Neuerung: Herabjegung der Taren, Bermeidung von großen Preisen für weite Entfernungen und Einfachheit der Berechnung. Nicht aber zahlt man, wie man fich etwa vorstellt, für Strecken von sehr verschiedener Entfernung ein und denselben Preis. Sonft enthält das neue Kursbuch feine Aenderungen; die Karten find noch gleich unge­nügend und die Fahrpreise sucht man an den meisten Stellen immer noch vergebens.

Die mit dem 1. Oktober in Kraft getretenen Winter­fahrpläne der Eisenbahnen bringen für den Verkehr mit Berlin   mancherlei Veränderungen. Zwischen Berlin  und München   ist ein neuer Tagesschnellzug eingerichtet, welcher 7,15 ab Berlin   abgeht und über Leipzig  , Hof, Bamberg  Abends 8,20 in München   ankommt und noch Anschluß an die von bort ausgehenden Nachtzüge hat. Der Abend- Schnellzug mach München   ist auf 9,20 Uhr Abends später gelegt worden, wodurch neue Anschlüsse von Stralsund  , Kopenhagen  , Peters burg, Königsberg  , Danzig  , Bromberg  , Bofen erreicht werben. Für Breslau  , sowie Ober- und Niederschleften von großer Wichtig­Teie ist die Einlegung eines neuen, mit weittragenden An fblüffen versehenen Schnellzuges der Linie Berlin  - Sagan­Breslau Oberberg. Derselbe geht 2,40 vom Bahnhofe Friedrichstraße   ab und trifft um 8,30 Abends in Breslau  , um 12,50 in Doerberg ein. Sowohl in Breslau   als in Berlin   er möglicht dieser Bug sehr wichtige Anschlüsse, die bis jetzt ver­mist wurden. Auf der Strede Berlin   Rostod War­nemünde ist ein Früh- Personenzug von Berlin   nach Warne­ münde   und ein Nachmittagszug in umgekehrter Richtung hin­augetreten. Der Tagesschnellzug Berlin  - Neustrelit­Stralsund bleibt auch vom 1. Oftober ab bestehen. Zwischen Bremen   und Uelzen   ist ein Schnellzug eingelegt norben, welcher in Uelzen   an den Schnellzug Hamburg  - Uelzen Stendal- Magdeburg- Leipzig und umgekehrt und über Stendal  nach und von Berlin   anschließt. Berlin   ist dadurch um zwei Stunden Bremen   näher gerüdt.

=

D

Für die Entwickelung des Eisenbahnwesens fehren ist wichtige Erinnerungstage wieder; in den ersten Otober­

Freitag, den 4. Oktober 1889.

tagen des Jahres 1829, also jekt vor 60 Jahren, begründete| George Stephenson   in England durch die Wett­fahrten bei Rain- Hill die Herrschaft der eisernen Roffe." Als Stephenson   eine Gesellschaft reicher englischer Raufleute zum Bau einer Lokomotivbahn von Liverpool   nach Manchester   zu bewegen gesucht hatte, geriethen die zunächst betroffenen Land­striche und Städte in die gewaltigste Aufregung und die " Times" eröffnete cine Subffription zur Organisirung eines Aufstandes gegen die geplante Neuerung in den von der Loko­motive bedrohten" Gegenden. Stephenson   wurde einfach für geistes frank ei flärt und es als seine Absicht ausgeschrien, Fuhr­leute, Kanalbefizer und Schiffsknechte zu ruiniren. Stephenson  aber verfolgte mit zäher Energie feine Idee, und schon im Jahre 1826 befehligte er die erste Eisenbahn- Armee zwischen Liverpool   und Manchester  . Dreieinhalb Jahre später, in den. erften Dfiobertagen des Jahres 1829, fanden dann die be­rühmten Wettfahrten bei Rain- Hill statt. Am 1. Ottbr. 1829 harrten in der Ebene von Rain- Hill Tausende von Menschen des sonderbaren Schauspiels jener eisernen Roffe, deren Athem das Feuer und deren Lebenskraft der Wasserdampf war. Die Probefahrten dauerten vier Tage und der Sieg, den er mit der Lokomotive Rodet  " in jenen Tagen erfocht, begründete feinen Ruf für immer und machte das schnaubende Dampfroß zum zuverläfffgften Vermittler des Weltverkehrs.

Das in der Sternwarte der Urania vor Kurzem aufgestellte neue Fernrohr ist das größte und vollkommenste Instrument seiner Art, welches Berlin   befigt. Dasselbe steht unter einem Kuppelbau von 8 Metern Durchmesser, der durch einen Drud gegen einen elektrischen Knopf seine Spalten felbstthätig öffnet und in diejenige Richtung leitet, nach welcher man mit dem Teleskop ausblicken will. Der sonst gebräuchliche fogen. Beobachtungsstuhl ist hier vermieden, dafür wird mittelst einer mechanischen Vorrichtung der ganze Fußboden, auf dem der Beobachter steht, zugleich mit allen auf ihm befindlichen Nebenapparaten in die betreffende Augenhöhe emporgehoben, auf welche das Instrument jeweilig eingestellt ist. Man glaubte hier diese Art von Mechanismus zur Vervollkomm nung des aftronomischen Sehens erfunden und zum ersten Mal hergestellt zu haben; doch hat sich hinterher erwiesen, daß man auf dem Lick Observatory   in Kalifornien   gleichzeitig aenau auf denfelben Gedanken tam und ihn in ähnlicher Weise ausführte. Was nun das Riesenfernrohr selbst an­langt, so ruht die dasselbe tragende Säule auf einem glockenförmigen Untersag, der mit drei Füßen auf einen eingemauerten eifernen Träger steht, und zwei

%

von den Füßen sind Schrauben, mittelft deren die Säule vertikal gestellt werden kann. Legtere trägt die Büchse für die Stundenachle und diese wiederum die der Deklinationsachse, an welcher schließlich das Fernrohr fißt. An den Achsen find geeignete Vorrichtungen angebracht, damit dieselben mit mög­lichst geringem Gewicht in den Büchsen gehen. Am unteren Ende der Stundenachfe fißt der Stundenkreis, auf der Dekli­nationsachse der Deflinationskreis. Beide Kreise werden mit Hilfe von Nonien( Vorrichtungen zur Bestimmung folcher Theile einer geraden Linie oder eines Kreisbogens, die zur unmittelbaren Meffung mit dem Meßstabe zu flein   find) ab­gelesen, und zwar der Stundenkreis auf zwei Sefunden, der Detlinationsfreis auf zehn Bogensetunden. Die Ablesung des letzteren geschieht vom Okularende des Fernrohrs aus." Lez­teres felbst ist im Wesentlichen aus drei Theilen zusammen­gefeßt: einem gegoffenen Mittelstück, das mit der Deflinations­achse in Verbindung steht, und zwei Stücken Stahlrohr zu beiden Seiten; es hat eine Länge von rund 5 Metern. Das nach dem bekannten Frauenhofertypus aus zwei Linsen zu­fammengesette Objektiv hat eine freie Deffnung von 325 Milli­metern, fann aber durch eine vor demfelben angebrachte Iris­blende auf jede Größe bis auf 80 Millimeter hinab abge= blendet werden. Okulare sind dem Fernrohr von 70- bis zu 1300maliger Vergrößerung beigegeben; außerdem gehört noch dazu für Sonnenbeobachtungen ein Polarisations­Helioskop, mittelst dessen man die Helligkeit des Sonnenbildes bis zum völligen Verschwinden moderiren kann. Die Beleuch tung des Instrumentes wird durch 3 Glühlämpchen bewerk­stelligt, von denen das eine den Stundenkreis, das zweite den Deklinationsfreis, das dritte endlich das Gesichtsfeld, die Fäden, die Mikrometer- Trommeln u. f. w. beleuchtet. Die Be­wegung des Fernrohrs je nach der täglichen Drehung des Him­mels wird durch ein elektrisches Laufwerk bewirkt. Das In­strument ist gänzlich mit Ausnahme eines Stückes in der unmittelbaren Nähe Berlins   ausgeführt worden, und zwar in der Werkstatt von Karl Bamberg zu Friedenau  , welche astro­nomische, geodätische und nautische Instrumente jeder Art her­Stellt und unter anderen größeren Arbeiten das Universal­Transit auf der Berliner Sternwarte, den Refraktor der Stern­warte zu Düsseldorf  , einen Spektrometer für das astrophyfi talische Observatorium zu Potsdam   und die Instrumente für die Urania geliefert hat. Auf Wunsch des Herrn Dis

-

-

rettor Dr. Meyer ward das elektrische Triebwerk nach der Konstruktion des Prof. Thury( unter Verwendung einer Edison­schen Bobine) in der Société génévoise pour la construction d'instruments de physique zu Genf   ausgeführt, die bereits mehrere derartige Triebwerke angefertigt hat. Die Zuleitungen und die Regulirung der elektrischen Ströme bis zum Instru ment wurden von der Firma Reifer u. Schmidt in Berlin  , die Beleuchtungseinrichtungen für die Kreise, das Gefichtsfeld, die Fäden, die Trommeln 2c. in der Bamberg  'schen Werkstatt her­gestellt. Die Ausführung des Instrumentes nahm, die Vor­arbeiten, Fernrohr Konstruktions- Beichnnngen u. f. w. mitge rechnet, eine Zeit von anderthalb Jahren in Anspruch, bie eigentliche Arbeit an demselben dauerte ein Jahr. Die Her ftellung des Objektivs mit Glasbeschaffung, Untersuchung und wiederholter Rühlung erforderte anderthalb Jahre, während das Schleifen und Polieren der Linse selbst nur etwa ein halbes Schleifen und Bolieren der Linse selbst nur etwa ein halbes Jahr währte.

J

Die Zahl der noch in Gebrauch befindlichen Oel­lampen dürfte troß der zahlreichen verschiedenen Beleuchtungs­methoden in unserer Stadt doch größer sein, als man gewöhn­lich annimmt. Einem hiesigen Klempnermeister wurden von zwei hiesigen Bankinstituten zusammen einige sechszig der be­fannten alten Schiebelampen übergeben, damit er diese für die bevorstehende Brennperiode wieder in Stand sebe. Die Lampen haben an Stelle des alten Delkaftens aus Meffing einen glä­fernen Delbehälter erhalten, in welchem das grünschillernde Rüböl bei fünftlicher Beleuchtung gar nicht übel aussieht. Man hält die Dellampen für die bei Bureau- und Kaffen­arbeiten am wenigften gefährlichen.

Der gemaßregelte antisemitische Rechtsanwalt ist der Berl. 3tg." zufolge der Rechtsanwalt Dr. Stein. Als Grund der Ausschließung wird dem erwähnten Blatte ange­geben, daß Dr. Stein von einer blödsinnigen Frau, die seine Mandantin war, 12 000 M. geliehen hatte, die er hinterher nicht zurückerstatten konnte. Dr. Stein berichtigt diese Mit theilung dahin, daß er das Darlehen von 12 000 m. nicht für fich, sondern für einen Mandanten empfangen und dasselbe aus

6. Jahre.

eigenen Mitteln gedeckt habe, als dieser es nicht habe zurück­erstatten können. Ferner sei die Mandantin nicht für geistes­frank erklärt gewesen, als sie ihm das Darlehen gegeben, auch nicht von ihm dafür gehalten worden; einer ihrer Verwandten habe sogar gegen ihre Entmündigung protestirt. Daß die Man­dantin zur Zeit der Hingabe des Darlehens blödsinnig war, be­streitet also Herr Dr. Stein nicht.

Ein merkwürdiger Titel. Gegen den Instrumenten­macher Herrn Richard Hamm in Friedrichsberg, Kronprinzen­straße 21 wohnhaft, schwebt ein Verfahren wegen angeblicher Verbreitung verbotener Schriften. Gestern erhielt nun Herr Hamm in diefer Sache Vorladung zu einem Termin am 10. Oftober. Das wäre nun weiter nicht auffällig. Sonderbar aber ist der Titel, den Herr Hamm   in diesem amtlichen Schriftstück verliehen erhalten hat. Während die Adresse ein­fach an den Herrn Richard Hamm" lautet, heißt es in der Vorladung wörtlich: G. 1372/89. In der Straffache gegen den Sozialdemokraten Richard Hamm wegen Verbreitung verbotener Schriften" u. s. w. Handelt es sich hierbei nur

-

um etnen Schreibfehler eines reichstreuen Kopisten?

61 Familien ohne Wohnung. An dem Neubau Georgen firchstraße 65 fand am Montag eine große Menschen­ansammlung statt, die eine seltsame Veranlassung hatte. Der Bauherr A. hat in seinem Neubau zum 1. Oftober 61 Woh­nungen vermiethet, die nun bezogen werden sollten; doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten". Die Baukommission hat die vermietheten Räumlichkeiten in einem nicht bewohnbaren Zustande getroffen, was zur Folge hatte, daß polizeilicherseits den Miethern untersagt wurde, die ver mietheten Wohnungen zu beziehen. Man kann sich die Angst und Aufregung vorstellen. Es find meistens arme Leute, die ihre alten Wohnungen räumen mußten und in die neuen nicht einziehen durften. Nur den Bemühungen des Polizeilieutenants jenes Reviers foll es zu danken gewesen sein, daß noch in letter Stunde als Retter in der Noth ein Bautommiffarius erschien und die Wohnnngen mit Ausnahme der Keller und der zwei Seitenflügel zu beziehen gestattete; doch dürfte kaum die Hälfte untergebracht werden von denjenigen, die befugt waren, laut Kontrakt am 1. Oktober einzuziehen. Die Schuld trifft hier einzig und allein den Bauherrn, der bemüht war, seine Woh­nungen zu vermiethen, ohne dafür Sorge zu tragen, daß die­selben zur bestimmten Zeit auch bewohnbar waren.

Wie der nunmehr verhaftete Nicolai de Savine seine Flucht aus dem Eisenbahnkoupee bewerkstelligt hat, barüber gelangen jegt folgende anscheinend aus sicherer Quelle stammende Mittheilungen in die Deffentlichkeit: In dem Roupee faß, fo berichtet man, der eine eskortirende Beamte neben de Savine, während der zweite Transporteur dem Russen gegenüber Blaz genommen hatte. Bald nachdem der Zug Bosen verlassen, wendete sich Savine an den neben ihm fizen­den Beamten, diesen um ein Stück Papier   ersuchend, und als jener seinem Wunsche nachkam und in die Tasche hineingriff, Sprang der Abenteurer plößlich auf, stieß blizgeschwind die Koupeethür auf und schwang sich auf das Trittbrett. Auf diesem kletterte er dann bis an das Ende des Zuges, und ob wohl seine Begleiter ihm sofort nacheilten, vermochten sie doch den Flüchtling nicht einzuholen, der sich, auf dem Trittbrett des letzten Wagens angelangt, von demselben herabließ, zu Boden stürzte und gleich wieder auffprang. Den anscheinend durch den Sprung im Gesicht Verlegten fahen die Beamten hinwegeilen, sie zogen sofort zwar die Nothleine, diese aber war durchschnitten und so gaben sie mittelst Nothpfeife Signale, bis der Zug zum Stehen gelangte. Ehe dies jedoch der Fall, war der Flüchtling bereits über alle Berge.

Ein Schredduh". Eine bis jetzt noch nicht ganz auf­geflärte Schießaffäre hat sich vorgestern Nacht in der elften Stunde in der Greifswalderstraße und zwar in einer Droschte abgespielt. Am Königsthor hatte ein junger Mann mit einer Dame eine Droschke zweiter Klasse bestiegen und dem Kutscher den Auftrag gegeben, nach der Generalstraße nach Neu- Weißen­see zu fahren. In der Greifswalderstraße und zwar vor dem Gebäude, in welchem sich die Zentral- Roßschlächterei befindet, hörte der Droschkenkutscher plößlich zwei schnell hintereinander fallende Schüsse, deren Schall aus seiner Droschte gekommen war. Er hielt sofort an, sprang vom Bock und riß die Thür feines Wagens auf. Er hatte sich in seiner Vermuthung, daß in seiner Droschke geschossen worden sei, nicht getäuscht; diese war dicht mit Pulverdampf erfüllt. Herr und Dame lagen in heftiger Fehde und schimpften fürchterlich. Der Rutscher rief Hilfe herbei und, unterstüßt von zahlreichen Bassanten, zwanz er das Paar, die Droschke zu verlassen und thm auf die nächste Polizeiwache zu folgen. Hier erzählte der Kuischer den Vorfall. Bei der Visitation fand man nun in den Taschen des jungen Mannes, der Anfangs jede Auskunft verweigerte, einen Revolver, der indessen nur mit Plakpatronen geladen war. Auf die Frage, warum er denn geschossen habe, meinte er, er habe seine Braut, als solche bezeichnete er die junge Dame, nur durch einen Schreckschuß" in Angst versehen wollen, weil sie ihm nicht gehorchen mochte. Da das eigenthümliche Brautpaar erklärte, daß es sich ganz gut vertrage und sich nur gezankt habe, so wurde über den ganzen Vorfall nur ein Protokoll aufgenommen, nach welchem bas Paar eine Anflage wegen groben Unfugs und der Bräu tigam eine solche wegen unerlaubten Waffentragens zu gewär tigen haben wird. Der Kutscher   erhielt, als die Parteien die Wache verließen, sein Fahrgeld, dann verschwand das Pärchen im Dunkel der Nacht.

Auf eine eigenthümliche, höchst seltene Art wurde am Dienstag durch eine unverantwortliche Unvorsichtigkeit einer Dame mit ihrem Regenschirm einem Herrn eine Körperverlegung zugefügt. Beide famen in der Friedrichstraße sich entgegen, beide schienen es sehr eilig zu haben, denn beide gingen in schnellem Tempo an einander vorüber. Während der Herr feinen Regenschirm zur Seite bog, hielt die Dame ihren Schirm ohne jede Rücksicht auf das ihr entgegenkommende Publikum fteif über ihren Kopf. Plöglich schrie der der Dame gegenüber befindliche Herr laut auf. Eine Spize eines Stabes des Regenschirms der Dame batte sich dem Herrn in die Ohr­muschel eingehalt, so daß dies Ohr desselben einriß und das Blut mit Heftigkeit aus demselben hervorquoll. Bevor der Herr fich von seinem Schreck erholte, war die Dame bereits aus dem Gesichtskreis verfchwunden.

Das ganze Mobiliar eingebüßt hat vorgestern während des Umzuges die Modiftin J. E. Die Dame wollte von der Lothringerstraße nach der Perlebergerstraße umsiedeln und gab einem mit einem kleinen blau gestrichenen Möbelwagen in der Lothringerstraße haltenden Fuhrmanne den Auftrag, ihre Sachen in der alten Wohnung abzuholen. Der Wagen, mit einem hellbraunen Pferde bespannt, fuhr vor, und der Fuhrmann, ein etwa vierzigjähriger Mann mit dunkelblondem wolligen Haar und kleinem Schnurr- und Backenbart, machte sich an die Arbeit des Aufladens. Dabei half ihm ein großer, schlanker Mann mit dunklem Haar und starkem dunklen Schnurrbar. Als Alles verpackt war, gab die Dame dem Fuhrmann ihre