BUNTE WELT

Nr. 13

Unterhaltungsbeilage

Eine Auferstehung

" Jest bin ich also tot. dachte der Ar­beitslose Karl Huber. Er hatte die Fugen der Tür und des Fensters seines fleinen Stabinetts mit gegen verstopft, den Gasschlauch aus der Küche durch ein Mauerloch zu ſeinem Bett geleitet und aufgedreht. Abschiedsbriefe hatte er feine hin­terlassen. Wozu auch? Er wußte nicht, an wen er sie hätte schreiben sollen. Niemand war da. Niemand, dem er etwas sagen konnte. Er lebte mitten in der großen Stadt, ein Ein­samer, ein Verlassener.

Das alles war immer deutlicher gewor­den. Seit der Aussteuerung war es ganz klar. Man ging durch Straßen. Zu beiden Seiten stehen Häuser. Die Häuser haben zahllose Oeffnungen: Fenster, Tore, Portale, mäch tige Spiegelscheiben, in Konzertcafés jammert die Jazz. Im Kino spielen sie einen neuen Tonfilm. In den Auslagen der Delikatessen geschäfte liegt Prager   Schinken. Braune, ge­bratene Gänse harren der Fresser. Käse in roten Leibchen ist da, Geheimratsläse nennt man ihn, Würste, Sardinen. Im Schautaſten des Warenhauses sind bunte, schillernde Kra­watten und Seidenhemden. Pyjamas und steife, reiniveiße Kragen. Alles ist geöffnet: die Tore, die Portale. Aber nicht für die Karl Hubers. Für sie ist alles verschlossen. Jede Gasse ist eine Schlucht. Links und rechis ragen Felswände, steil, undurchdringlich, feste, stei­nerne, Fronten, glatt. feindselig. Café? Kein Geld. Kino? Kein Geld. Geheimratstāje? Kein Geld. Man geht, rennt in der Schlucht mit leerem Herzen und leerem Magen. Sie freuzt eine andere Schlucht und noch eine und wieder noch eine. Die Steinmauern find fest und ohne die kleinste Pforte.

Die, die noch Geld haben, nennen diese vielverzweigten Schluchten Stadt. Sie fahren in Autos und Straßenbahnwagen. Sie füsen mit einem Mädel im Konzertcafé. Sie schauen den neuen Film an. Sie essen Geheimrats­taje. Die Neonröhren leuchten für sie. Für die Karl Hubers ist es finster, ganz finſter.

Da war er heute nach Hause gekommen und hatte die Gashähne aufgedrehi. Hatte sich hingelegt und gewartet. Wer da eigentlich die Gasrechnung zahlt? Wahrscheinlich wird das auf Verlustkonto gebucht. Soundio viele Kubikmeter Gas Todesraum für die, die nicht mehr einen halben Kubikmeter Lebens raum haben. Und dann kriegt man givei Kubikmeter Sargraum. Koche, brate, bade mii Gas, steht auf den Plakaten. Und so du nichts mehr haft zu fochen, braten und backen mit Gas, dann stirb mit Gas...

Za, sterben. Nun war ec also wirtlich tot. Er hatte noch das Zischen des Gases ge­hört. Leichenmujit, lezte Fanfare des Dies: seits, die ins Jenseits hinübertönt. Hein Hahn wird nach ihm trähen. auch der Gashahn nicht, der brächte es überhaupt nicht zusam

Von Walter Süß.

1934

Abteilung B II 27

men, auch wenn er wollte. Unsinn. Man triegt zu effen, gut und reichlich. Die Abtei­wurde also bewußtlos, starb. Und nun war fungen zerfallen in fleine Gruppen, es ſoli man tot. Sonderbar. Man glaubte doch ganz nett sein, Gärten, fleine Häuschen, nicht an ein Weiterleben nach dem Tode. Und Badebassins und so. Es ist ein ganz förper­jetzt lag man da und wußte: ich bin tot. haftes Leben. Ein Alter, der schon lange da Also doch. Vielleicht gar: Gott, Himmel. ist, hat mir das erzählt, aber ich habe es nicht Geefe. Hallelujatonzert. Ob sie schon genau verstanden. Beiläufig so: Alles hat Sarophone... Und Selbstmord war dann man hier, was man vorher wollte und er­eine Sünde, nicht? Ja, war eine Sünde. In sehnte. Also vor allem vieles und gutes Fref= der Schule hatte er es doch so gelernt. sen, das wollten wir ja alle am meisten. Bist du oft vor Kinos gestanden und haft hinein gewollt? Hier wirst du Kinos haben, so viele du willst. Schönen Mädels nachgeschaut? Alle, nach denen du dich gesehnt haſt, wirst du hier haben, alle werden sie kommen..."

Der Arbeitslose Karl Huber schlug die Augen auf. Er lag auf einer einfachen Pritsche, in einem großen Saal. Ueberall stan­den Pritschen. Endlose Reihen nach allen Seiten. Die Enden des Saales waren nicht zu sehen. Graues, maties Licht lag darüber und die Decke des Saales wurde unsichtbar in die sent Gran, verschwand darin. Man fonnte glauben, die eigene Pritsche sei Mittelpunkt einer Unendlichkeit von Pritschen.

Auf jeder Pritsche lag ein Mensch. Die Menschen lagen still und rührten sich nicht. Einige hatten Stride um den Hals oder häß liche, rote Sirangulierungsfurchen.

Einige waren unförmig aufgeſchivemmt, Wasserleichen. Einige haiten Schußlöcher im Schädel. Und der Zunge nebenan hatte ger schnittene Pulsadern. Er konnte noch feine zwanzig Jahre alt sein. Note, vertruſtete Wunden waren an seinen Handgelenken.

..Entschuldigen Sie", sagte der Arbeits­lose Karl Huber. Ich bin toi, nicht wahr?" Der Junge nicte.

Ja, wir sind alle tot. Sie sind erst an gekommen, nichi? Ja, also das ist das Zen­feits. Sieht anders aus als in der Neligions­stunde, was? Abteilung B II. Sammelstation für Selbstmörder aus Not. Bir müssen un­unterbrochen vergrößern. Jeden Tag ein paar tausend neue Pritschen Profeten aus Europa  . Schwarze aus Afrika  . Gelbe Sulis aus den reistojen Tälern des Jangife. Die Kurve steigt, wissen Sie...

Der Arbeitslose Start Huber machte eine müde Bewegung.

Ja. Es werden immer mehr. Ich weiß. Ich habe es auch nicht mehr ausgehalten Hunger. Keine Hoffnung. Man rennt durch steinerne Schluchten. Der Winter fommit. Und einmal kann man nicht mehr weiter. Nuc fcef­sen will man, fressen. fressen. Und man hat nichts. Man dreht das Gas auf..."

Der Junge lächelte.

Da werden wir nicht lange beisammen bleiben. Kamerad. Du fommit auf Abteilung B 11/27. Ich glaube wenigstens, es ist 27. Bart' einmal: Lysol 24, Pistole 25. Er tränken 26. ja, Gas ist 27. Jch fomme auf 30. Selbstmord durch Messer."

..Wie ist das alles. Kamerad?"

Ich weiß es selbst nicht genau. Bin noch nicht lange bier. Ob es ewig dauert. weiß nie mand. Es gibt hier feine Zeit, weißt du. Man

.. Aber die sind doch noch unten. Leben noch. Sind noch nicht tot."

Troßdem. Der Alte hat mir das irgend wie erklärt. Hier sind die Träume Wirklich­feit. Alles, was man gewollt hat, als man noch unten war, wird hier törperhaft. Der Gedante wird Materie. Wart' einmal: Und das Wort ward Fleisch, heißt es in der Bibel. Also, so ist es. Mir ist es nicht ganz klar. Aber der Alte weiß es: Alles, was wir wollten, gibt es hier, weil wir es wollten. Und alles, was wir nicht wollten, gibt es nicht, kann es nie geben."

Der Arbeitslose Karl Huber lächelte. ..Dann bin ich glücklich", sagte er.,., Wenn ich das gewußt hätte ich hätte es viel frü her getan."

"

Der Junge zudte die Achsein. Das habe ich dem Alten auch gesagi, Stamerab, Und da hat er geweint. Ich habe nicht begriffen, warum. Und dann hat er ge sagt, daß wir alle unglücklich sind. Ich habe ihn ausgelacht. Aber er war ganz iraurig. Es gibt feinen Stampf hier, hat er mir geant tortet. Es tam ihn hier nie geben, weil wir ihn nicht gewollt haben. Sonst wären wir unten geblieben. Bären nicht gegangen, jon­dern hätten gefämpft. Gefämpft bis zunt Ende. Bir hätten geholfen, die Welt zu er obern. Wir hätten die rote Fahne wehen ge­seben über den Trümmern der Givingburgen. Aber wir sind desertiert. Wir haben die ande ren zurückgelassen und sie müssen allein fämpfen. Wir sind Fahnenflüchtige. Und das frigt und feißt in uns. Selbstmörder, Deser­teuce...

Weißt du, ich glaube jest fajt, daß der Alle recht hat. Wir hätten nicht sterben sollen. Wir hätten marschieren müssen. Marschieren zum letzten Gefecht. Wir wissen nichts mehr von unten. Unten werden fie fämpfen. Und wir dürfen nicht dabei sein. Siehst du, das ist es: wir werden nicht dabei sein, Kamerad. Sie werden die Joche in Trümmer schlagen. Denn fie haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben die Welt zu erobern. Das hat Kar! Marx gejagi. Abteilung A 217, Tod dura Mierenleiden. Sie werden die Welt erobru