BUNTE WELT

tr. 43

Unterhaltungsbeilage

Das Kind Gloria

Das Kind Gloria ist zehn Jahre alt. Es sieht aus wie ein schlacksiger Junge. Mit lan­gen dünnen Beinen, die nicht den geringsten Ansatz von Waden verraten. Nie weiß Gloria, wohin sie mit ihren Armen soll. Sie sind immer im Weg, am liebsten schwenkt sie sie in der Luft herum. Auch das Gesicht der Zehnjährigen ist erfüllt von knabenhaftem Schalt. Alles lacht dacin: die runden schwarzen Augen, der frische Mund, die blanken Bähne. Das Haar, schwarz, seidig, stets mit Del und Eidotter gepflegt, trägt Gloria wie ein Page. Kurz geschnitten, in die Stirn. Sicher wird das Kind Gloria einmal ein hübsches Mädchen werden.

Doch wenn auch nicht genug Freier werden sich um ihren Besiz reißen. Das heißt, weniger um den Besitz ihrer selbst, als um den ihrer Mitgift. Denn das Kind Gloria ist eine Millionen- Erbin, Wieviele Millionen es einmal sein werden, läßt sich heute noch gar nicht sagen. Da diese, angelegt in festem und flüssigem Na­pital, sich ständig vermehren durch die Arbeit Unzähliger, die hiefür nur geringen Lohn er­halten. Doch von all den Kompliziertheiten, die bereits heute ihre kleine Eristenz umgeben, ahnt das Kind Gloria noch nichts. Zwar ist es ein be­wußtes, aufgeweďtes und anspruchsvolles Kind. Zum Beispiel erscheint es ihm selbstverständlich, daß man im Winter in einem herrlichen Palais in der Fifth Avenue   in New York   wohnt. Daß man im Frühling, begleitet von Mammy, der dicken schwarzen Negerin, einer englischen und einer französischen   Erzieherin sowie Mr. Kay, dem Lehrer, an die Riviera reist. Daß man den Sommer am Strand Kaliforniens   oder auf irgendeiner Farm, wo sich alles vor dem Kind Gloria ehrfürchtig verneigt weil es nämlich die zukünftige Besitzerin dieser und noch vieler anderer Farmen ist verbringt.

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Aber auch im Winter behagt es dem kleinen Mädchen nicht dauernd an derselben Stelle. Es wird dann widerspenstig und ungehorsam. Von einem anderen Kind, das keine Millionenerbin ist, würde man sagen, es sei ungezogen. Von diesem sagt dies feiner. Wenn Gloria schmollt, ruft man den Arzt. Der stellt fest, die Kleine sei nervös. Das beste wäre, mit ihm ins Ge­birge zu fahren. Darauf hat Gloria nur gewar­tet. Es gibt herrliches Gebirge in Nordamerika  . Doch das Kind Gloria will in die Schweiz  . In St. Moritz   gefallen ihm die Konditoreien so gut, und nirgends läuft es sich besser Schlitt­schuh als auf dem See vorm Grand Hotel  . Dort treffen sich in jedem Winter die reichen und bes| rühmten Leute der ganzen Welt. Sie verbrin­gen den Tag mit Rodeln, Ski- und Schlittschuh­laufen. Wenn die Sonne finkt, veranstalten sie fogenannte Coctail- parties, und abends in strengster Exklusivität ihre Gesellschaften. Hers ren und Damen streifen dann die Sportanzüge ab und erscheinen in Frad und großer Toilette. Es wird vorzüglich gegessen, getrunken, danach getanzt, geraucht, geflirtet. Spät geht man schlafen, doch das schadet nicht. Steiner von diesen

Stizze von Grete Livius

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1934

dort muß im Dunkel eines Wintermorgens| primitiven und traurigen Liedern ihrer Rasse. aufstehen, an die Maschine oder ins Büro gehen. Mammy hat Gloria die ersten Schritte gelehrt Reiner von diesen dort weiß, was Hungern und und das erste Lallen. Sie hat das Fieber ver­Frieren heißt. Sie legen sich nach ihren Amüse  - trieben, wenn die Kinderkrankheiten kamen, sie ments in die wohldurchwärmten Betten eines hat gewacht, unermüdlich. Niemals fagt zentralgeheizten, gutgelüfteten Bimmers. Sie Mammy, wie es Glorias wirkliche Mutter so oft schlafen sich aus, solange wie sie Lust haben. tut: Ich habe keine Zeit, mein Kind. Geh', Dann baden sie und lassen sich massieren. Frisch spiel mit deinen Puppen". Mammy Hat immer und duftend geht es später in den Früh Zeit. Und nichts auf der Welt scheint sie mehr stüdsraum, dort nimmt man einen Lunch, be- au interessieren, als die Sorgen dieses Kleinen stehend meist aus Kaffee, Sahne, Eiern, Fleisch, Herzens. Die Negerin Mammh weiß, daß ihre Fisch und Jam, trinkt hinterher ein Glas schlich- Gloria einmal zu den reichsten Frauen der Welt ten Wassers um seine Sympathie für eins gehören wird. Aber nicht deshalb liebt dieser sachen Lebensstil zu befunden und jest folgt schlichte Mensch das kleine Mädchen. Mammh das gleiche Programm wie am Tag vorher: hat Wohnung, Essen und Trinken. Auch ein Rodeln, Sti-, Schlittschuhlaufen etc. Es ist paar ersparte Dollars. Mehr braucht sie nicht. gar nicht einfach, ein solches Leben zu bewälti- Sie liebt Gloria, weil sie ein eigenes Kind nicht gen. Darum behaupten ja auch die reichen Leute, haben konnte. Immer mußte Mammy arbeiten, sie hätten es nicht leicht. schwer arbeiten. Da ging das bißchen Jugend schnell vorbei. Kein Mann begehrte Mammy zum Weibe. Und so war es ihr versagt, selbst Mutter zu sein. Alle Güte, die in der dicken, schwarzen Negerin schlummert, alle tief verbor gene mütterliche Liebestraft erhält Gloria mun geschenkt. Instinktiv empfindet das Kind die Echtheit dieses reinen Gefühls, in seiner Ana hänglichkeit und seinem unbegrenzten Vertrauen liegt Glorias Dank.

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Dort also gefällt es dem Kind Gloria. Man begegnet ihm mit Süße und Freundlich feit, man sagt ihm, es sei ein reizendes fleines Mädchen, und da Gloria außer ihrem ameri­fanischen Englisch auch noch perfekt französisch und deutsch   spricht, fühlt sie sich in der inter­nationalen Gesellschaft völlig zu Hause. Leute, die in ihrer Heimat erzählen, jenseits der Grenze wohnten Feinde", die auf solche Weise verhindern wollen, daß sich die arbeitenden Menschen aller Länder kennen lernen, ver­ständigen und gegen ihre gemeinsamen Aus­beuter verbinden, fühlen sich selbst nirgends wohler als in den Hallen der großen europäischen  Hotels. Sie haben meist von früher Jugend an die Sprachen ihrer Feinde" gelernt und reden sie ausgezeichnet. Man stellt wohl gegen seine Feinde" Bomben, Gas und Kampfflugzeuge her, doch man diniert mit ihnen in vorbildlicher Einmütigkeit. Bei einem guten Burgunder und dem blauen Rauch eine Havanna   lassen sich alle Gegensäße wobei es in diesen Fällen nur um Gegenfäße geschäftlicher Art geht aus der Welt schaffen. Und wenn man gar zum Schluß der Diskussion zwischen eisgekühltem Martel und brasilianischem Mokka auf die empörende, sich ständig steigernde Anmaßung der Arbeiter im besonderen und des Plebs im all­gemeinen zu sprechen kommt- so gibt es weder zwischen dem deutschen Herrn Krupp noch dem französischen   Herrn Schneider- Creuzot auch nur die geringste Meinungsverschiedenheit. Die Bourgeoisie aller Länder ist immer internatio­nal geeinigt, wenn es gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in der ganzen Welt geht.

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Was weiß das Kind Gloria davon? Nichts. Es reist ein Kind. Ihm gefällt das Meer im Sommer und der Schnee im Winter. Und im übrigen liebt es niemanden so sehr wie Mammy und Onkel Rop. Mammy, das ist die dicke, pechschwarze Negerin, die Gloria behütet hat, vom Tag ihrer Geburt an. Die den kleinen Körper badete und pflegte, die das Kind abends in den Schlaf sang, wenn es weinte, mit den

Aber auch Onkel Rop wird stets von dem Kind mit heller Begeisterung empfangen. Onkel Rop ist ebenfalls ganz anders als Papa und Mama, die Großtante und die übrigen Vere wandten. Onkel Rop sagt nie: Guten Tag, mein Kind, wie geht es dir? Machst du gute Fortschritte bei Mr. Kay?" Onkel Rop sagt: Halloh, kleiner Affe, komm in den Garten, wir wollen uns raufen. Bei euch in den Zimmern gefällt's mir nicht. Ich kann nun einmal diese stinkfeierliche Atmosphäre nicht leiden". Gloria fühlt mehr, als daß sie es versteht, was Onkel Rop damit meint. Doch sie folgt ihm freudig. Wunderbar ist es dann draußen. Sie jagen sich und spielen miteinander, ohne Rücksicht auf die kostbaren Blumenbeete, geschaffen zum asthe­tischen Anblick, aber nicht, um mit festen Sports schuhen darauf herumzutrampeln. Sollen sie sich doch das Zeug an den Hut stecken," ruft Onkel Rop unbefümmert, auf jedes Salate beet würde ich mehr Rücksicht nehmen, als auf diese überzüchteten Dinger." Unnötig zu ers wähnen, daß Gloria ganz derselben Ansicht ist. Immer stimmt sie in allem mit Onkel Rop überein. Papa, den sie so selten sieht, würde nie­mals mit ihr im Garten umhertollen. Er ist stets gemessen freundlich, und Gloria merkt es wohl oh, ihr fann niemand etwas vor­machen daß seine Gedanken immer bereits wo anders sind, wenn er mit ihr redet. Papa sieht sehr schön aus. Niemals hat ihn Gloria anders als mit glänzenden Schuhen und for rekt sigenden Anzügen gesehen. Onkel Nops Schuhe glänzen niemals. Was eine Bügelfalte ist, weiß er höchstens dem Namen nach. Und darum kann ihn auch die ganze Familie nicht

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