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Im Land der schwarzen Berge

Von Dr. Anton Sieberer

Ein Dußend Autobusse und Gesellschafts­autos fahren täglich die weitausholenden Ser­pentinen der Lovcenstraße hinauf. Diese Straße ist ein ehrenvolles Kulturdenkmal Altösterreichs. Der Straßenbau ist ja die ruhmvollste Betäti­gung des Doppeladlers im bosnisch- herzegovini­schen Offupationsgebiet gewesen, und wir ver­geffen heute, froh der Früchte, die noch wir ge­nießen, daß der dauerhafte Unterbau von dem bitteren Schweiß der Zwangsarbeit und des Ro­bot gefittet ist. Wir wollen uns aber nicht die Stimmung verderben lassen durch traurige Be­trachtungen, denn eben sind wir dabei, uns zu einem der großartigsten Aussichtspunkte empor­tragen zu lassen, die das südliche   Europa besitzt.

Der Blick von unten nach oben, nach dem unglaublichen Ziel eines Autospaziergangs, hat schon manchen luftreisenden Spießer das Gru­seln gelehrt, und die Sage weiß von älteren Damen zu berichten, offenbar sportungewohnten Bürgerinnen der kleinen Provinz, die angesichts der schmalen Zickzacklinie zu ihren Häupten auf die Weiterfahrt verzichteten.

Erst beschränkt sich der Inhalt des Hori­zonts auf den blauen Edelstein des innersten Zipfels der innersten Bocca von   Cattaro und auf seine imposante Fassung aus nacktem wei­Ben Fels. Aus der Fuge zwischen Stein und Meer wächst ein schmaler grüner Bolster, auf dem in Abständen die dünnen weißen Striche der Dorfzeilen fißen. Unmittelbar uns zu Fü­Ben aber flebt ein scharfbegrenzter ansehnlicher Häuserfled,   Cattaro.

Mit einem Male gleitet der Blick über ein Päßlein, dessen Höhe wir so nebenbei erklettert haben, und fällt auf ein ganz andersartiges Bild; da drunten liegt die fruchtbare Ebene von  Tivat, die an das mittlere der drei Becken der Bocche anschließt. Langsam und stetig hebt sich der Körper über das Hügel- und Buchtengewirr, bis endlich das Auge in ein unendlich reiches und großartiges Tiefenbild taucht, wie es sonst nur Flugzeug und Adler schauen dürfen.

chen vor den zahllosen Kaffeehäusern bevölkern. Die eleganten Pärchen passen recht wenig zu den ebenerdigen Häusern, zwischen denen sie wans deln in der kristallenen Abendluft südlicher­Berge. Doch   Cetinje ist ein Ort regster Baus tätigkeit, und es verspricht, in einem Jahrzehnt sich ein Kleid zurechtgeschneidert zu haben, das zu seiner Rolle besser paßt. Ein paar Bau­steine zu diesem Kleide sind ja schon vorhanden, denn schon Nikita hat ein paar stattliche öffent­liche Gebäude in das Schafhirtendorf hinein­stellen lassen.

Auge erst nach langer vergeblicher Anstrengung nur ganz verstreut spärliche verdorrte Grasreste aufzuspüen vermag neben den harten dornigen Büschlein, die unsere Beine unbarmherzig zer­stechen und zerfraßen. Wie zum Hohn werden jene toten Halden, die   Gott im Zorn erschaffen, bon niederen, aus Steinen geschichteten Mauern fein säuberlich in Besitzparzellen geschieden. Aus den mit allerhand Trödelkram west­Diese Mauern, in manchen Gegenden sind es europäischen Bourgeoisiegeschmacks vollgestopf Reihen von Steinpyramiden, sollen offenbar ten Monarchenzimmern und aus sonstigen glor andeuten, daß der eine Besizer nicht will, daß reichen Resten hat sich   Cetinje ein fieines die Schafe des Nachbarn die Steine auf seinem Museumsrepertoire gezimmert. Ein unters Grund fressen. nehmungslustiger stattlicher Schlaufopf in Nationalkostüm, konzessionierter Führer durch die Sehenswürdigkeiten Cetinjes, umscheicht beutegierig Hotels und Kaffeehäuser und lauert Fremden auf; feiner, sei er nun im Hotel Stadt Paris, in Stadt   London, in Stadt New   York oder im Grand   Hotel eingefehrt, und wäre er auch nur eine Stunde lang in   Cetinje geblieben, ist noch seinen spähenden Augen und seinen Ans schlägen entgangen. Er ist unheimlich in seiner Allgegenwärtigkeit; ein westeuropäischer Detek tiv fönnte von diesem durchtriebenen Sohn der schwarzen Berge, der außerdem noch beim Ait­kauf von Erzeugnissen heimischen Kunstfleißes oder von ziselierten alten Pistolen und Dolchen mit Eifer vermittelt und verdient aller= hand lernen.

Nach dem Becken von Njegus steigt die Straße noch einmal und erst von ihrem end­gültigen Höchstpunkt dringt der Blick ins Herz von Montenegro. Das Land der schwarzen Berge offenbart sich von hier aus als ein un­absehbar wogendes steinernes Meer. Nur sind die schwarzen Berge alles andere als schwarz. Der Fels ist hier nicht mehr so trostlos ausge­waschen und restlos ausgebrannt, wie manche der weißgrauschimmernden Bergrücken Dalma­  tiens oder der Herzegowina; die auch nicht ein einziges grünes Stämmchen auf vielen Qua­dratkilometern zählen. Am niederdrückendsten stimmt der Karst dort, wo Tanggestreckte, unge gliederte Massen zur leblosen Oberfläche noch die tote Form fügen. Die montenegrinische Bergwelt aber ist vielgestaltig, und selbst auf kleinerem Raum ist unrubiges Auf und Nieder das herrschende Formprinzip.

Von ihrem höchsten Punkt fällt die Straße ab nach dem ovalen Becken von   Cetinje. Nasen­rümpfend fährt der Europäer, von dem Wort Hauptstadt mit falschen Illusionen genährt, durch die ländliche Hauptstraße.

Hauptstadt eines mächtigen Reiches ist  Cetinje heute freilich nicht mehr, dafür ist es aber Verwaltungszentrum einer ungleich grö­Beren Banovina geworden. Im Dorf   Cetinje wimmelt es am Abend von bergnügungsluftigen jungen Beamten und von feschen Offizieren feiner Majestät des Königs, die in Gesellschaft schickgekleideter Mägdelein auf der hellerleuch teten Haptstraße Korso halten oder die   Tisch­

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uns und wir erreichen einen Punkt, von wo aus  Cetinje liegt nun wieder hinter und unter sich ein unerwarteter Blick auftut in den bauma und wasserreichen Talgrund der   Rijeka. Das hinter aber glänzt der Skutarisee und kehrt uns das sympathischere seiner zwei Gesichter 311. Denn während das Ost- und das Nordufer ents lang ein einziger breiter Fiebersumpf hinläuft, ist das Südwestufer steil und vielgestaltig. Aber nicht genug, daß bergige Buchten diesem Teil des Sees ein reiches Relief geben, unweit des Uferrandes steigen in steilen Regeln fleine Inseln aus dem Wasser. Wo ein Flußlauf zum See führt und sein slacher Talboden auf ein paar hundert Meter die Steilfüste unterbricht, da ist auch schon wieder ein Stück Sumpf da. An einem solchen Punkt liegt das Städtchen Virpazar, ein um einen geräumigen Platz vers sammelter spärlicher Häuserhaufen. Wir trauen unseren Augen nicht, als hier etwas unseren Weg kreuzt, was es in ganz Montenegro und

Bald aber verläßt die Straße den Rand des Riesenkessels und bahnt sich ihren Weg in ein flaches Hochbecken. Njegus, das erste mon­tenegrinische Dorf, und etliche abseits gelegene ffeinere Weiler liegen in diesem nach hiesigen Begriffen fruchtbaren Stück Wüste. Zwei Häu­fer, äußerlich wenig verschieden von den anderen armseligen Hütten, beanspruchen das Hauptin- Zum Thema Mensch Albanien sonst nicht gibt, ein Bahngeleiie.

teresse: das ,, Grand Hotel" und der Palast", in dem der große Nikita geboren wurde.

Kennen Sie dieses verrückte Gefühl, das einen überfällt,

wenn man mitten ins Gewühl von lauter Mitmenschen gestellt-

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In Zelenika am Anfang der Bocche haben wir die letzte Eisenbahn gesehen. Und die Schienen, die uns hier so überraschen, fie mögen noch so schmal und schmächtig sein, sie begleiten uns dazu noch bis auf die Höhe des Sutormans passes und überwinden dabei einen Höhenunter schied von 800 Metern, ja, sie steigen mit uns auf der andern Seite wieder hinunter bis ans Meer, bis zum Holzbudenhafendorf   Antivari. Die richtige Stadt   Antivari oder vielmehr Bar, Und dann legt man fünfzig Heller, die in der liegt ein paar Kilometer landeinwärts. Sie

plötzlich Durst hat nach einer guten Tat?

Mit rührender Sorgfalt wird das bißchen Erde gehegt, das sich hier findet; in Mulden find winzige Terrassen gebaut; keine Krume, die nicht zusammengescharrt und auf ein zum An­bau bestimmtes Fleckchen getragen wird. Wohl taum anderswo in   Europa ist Bauernarbeit so hart wie im Karst. Nirgendwo kommen sobiele Tropfen Schweiß auf ein Getreidekorn, auf ein Korn Mais, auf eine Gabel Heu. In West­  europa sind Landstriche, die vor zwanzig Jahren noch bebaut waren, heute Brachland, weil das in die nächsten Hände, die sich entgegenstreden. Verhältnis zwischen Ertrag und Mühe zu un­günstig schien. So ist es vielen, vielen Hektar früheren Ackergrundes in den Hochtälern der  

französischen Alpen ergangen. Würde hier in den Randländern der   Adria ein ähnlicher Maß­stab angewendet, so gäbe es bad keine Karst­bauern mehr.

Rocktasche stecken

Damit scheint vorläufig alles getan. Und dann

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schau'n wir uns heiter die nächsten Auslagen an.

Denn so find wir,( mit kleinen Unterschieben): doch er reicht nicht weit. doch keineswegs

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Der Geist ist willig, Das Fleisch ist schwach,

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zufrieden.

Von der Anspruchslosigkeit und Ausdauer der menschlichen und tierischen Bevölkerung des Karsts in seinen trostlosesten Regionen macht man sich schwerlich einen Begriff. Schafe wer- Wir sind ganz gut, den da auf Weidepläße getrieben, wo unser Zeit.

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liegt am Fuß eines Hügels, der die großartigen scharfprofilierten Ruinen einer weitläufigen alten türkischen Festung auf seinem Scheitel trägt. Rundherum aber dehnen sich weite Olivenhaine, die den Ruf genießen, zu den schönsten und stattlichsten ganz   Europas zu ge

hören. Uralte verfrüppelte Riesen tragen herra liche jugendfrische Kronen.

Der alte montenegrinische Küstensaum ist nicht lang. Wohl oder bel müssen wir drum über die Grenze. Jm Süden schreckt die alba­nische Fieberküste, im Norden lockt die paras doch nur von Zeit zu diesische Riviera des allerfüdlichsten Bipfels von  Dalmatien. Die Wahl ist nicht schwer.