BUNTE WELT

Nr. 45

Gerdy Kelemen:

Unterhaltungsbeilage

Die Zigarettendose

Das Schiff glitt ruhig und gleichmäßig Eine Zeitlang nach dem Krieg lebte er ins offene Meer. Langsam wurde das gol- mit seiner Frau in verschiedenen Heilanstal­dene Leuchten des Tages matter, silbrige ten, die Unruhe trieb ihn von einem Land in Schleier sentten sich über die grünblauen das andere schließlich hoffte er in der ge­Wellen, die um das Schiff spielten, wie Mar- liebten Luft des Mittelmeeres Erleichterung mor von weißen Schaumadern durchzogen. zu finden und wurde mit seiner Frau auf mein Schiff gebracht.

Der Kapitän in seiner weißen Uniform Tehnte müßig an der Reeling, seine hellen, grauen Augen lagen weit draußen auf schma­len, dunklen Streifen, in dem sich Meer und Himmel einten. Vielleicht dachte der Kapitän, daß es gut sein müßte, dort drüben, wo das Land lag, endlich Ruhe zu finden. Als er jung war, hatte es ihn fortgetrieben, er war stark gewesen in seiner Einsamkeit auf dem Meer, mit seiner wilden, unbegrenzten Sehn­sucht. Doch nun, da er älter und seine Sehn­sucht müder war, schien es ihm, als hätte er das Leben versäumt, als wäre es vielleicht das Glück gewesen, an der Seite seiner stillen, blonden Frau zu leben, mit seinen beiden Kindern, die immer wieder verschlossen und fremd geworden waren, wenn er sie wieder­sah. Gedankenvoll griff er nach seiner Biga­rettendose. Doch plötzlich merkte er, daß er nicht allein war, neben ihm stand Forsini, sein jüngster Offizier.

,, Rauchen Sie?" fragte der Kapitän und reichte ihm die Tabatière. Danke, nein, Ka­pitän. Aber diese Zigarettendose ist ja herr­lich!" Bewundernd betrachtete der junge Offi­zier die schwere, in barocker Manier verzierte Golddoſe, aus kleinen Rubinen erhob sich auf ihrem Deckel eine Krone, und auf der Innen­seite waren die Worte eingraviert: Für treue Dienste!" ..Ja diese Dose" sagte der Kapi­tän ,,, begleitet mich immer. Sie spielt in alle meine Handlungen, mit falter Ironie starren mich die Worte an: Für treue Dienste!" ,, Mit Ironie Kapitän?"

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,, Ich habe darüber noch nie gesprochen. Forsini. Doch Sie sind jung vielleicht ist die Geschichte dieser Dose eine Lehre für Sie, vielleicht zeigt sie Ihnen, wie närrisch es ist, zu glauben, man forme selbst sein Schicksal, man müsse bestimmte Handlungen begehen, um eigene Wünsche zu erfüllen, um Gutes zu tun... einer bleibt bei der Frau, die er liebt und später scheint es ihm, es wäre sein Glück gewesen, Forscher zu werden und mit wilden Negerstämmen zu leben glaubt er bringe Hilfe, und was er verursacht ist Unheil und Tod. Wir sind alle Narren.

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einer

Ich hatte während meines Kriegsdienstes einen Freund, er hieß Arthuro Merlino und war ein tapferer, zielbewußter Mensch, groß und mager, mit fühlen, verschlossenen Zügen, aber mit Augen, die in starkem Feuer glänz­ten. Bei einem Angriff zeichnete er sich durch Scharfsinn und blißschnelle Entschlußkraft aus und erhielt als persönliche Auszeichnung Sr. Majestät diese Zigarettendose mit der In­schrift: Für treue Dienste!" Bei dem näch­sten Gefecht aber traf ihn ein Rückenschuß. Es gelang den Aerzten, sein Leben zu erhal­ten. Doch es gab keine Heilung für ihn seine Wirbelsäule blieb gelähmt.

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Ich sah seine Frau bei dieser Gelegenheit zum erstenmal. Sie schien sanft und traurig und war von einer eigenartigen Schönheit, sehr blaß, mit seltsam hell leuchtender Haut, rötlichbraunem Haar und dunklen Augen, die beschattet von Tangen, dunklen Wimpern lagen, manchmal aber plötzlich aufflammten in wildem, mühevoll gebändigtem Lebensdurst. Arthuro verbrachte die Tage bei heiterem Wetter an Deck, in seinem Rollstuhl sitzend, düster und schweigsam. Lilian pflegte ihn auf­opfernd, suchte ihn zu erheitern, plauderte und scherzte mit ihm. Er lächelte selten. Doch wenn sie sich von ihm entfernte, wurde er unruhig, seine fiebrig flackernden Augen folg­ten ihr. Qual und Hilflosigkeit spiegelten sich in seinen mageren Zügen.

Soweit es meine dienstfreie Zeit er­laubte, bemühte ich mich um ihn, anfangs aus dem Gefühl alter Freundschaft, später ohne mir darüber klare Rechenschaft zu geben oder doch höchstens im Glauben, daß eine allgemeine Menschenfreundlichkeit gebiete, den schweren Dienst der jungen Frau zu erleich tern. Es schien mir, daß Lilian in meiner Gegentvart heiterer. und ungezwungener wurde.

Unsere Reise führte nach Griechenland  , Syrien  , Palästina, Aegypten  , Tunis   und Algier  . Die Zeit, die wir in einem Hafen lagen, war für den Kranken die schlimmste, die Stunden, die Lilian zumeist in meiner Begleitung an Land ging, schienen ihm unerträglich. Auch physische Schmerzen stell­ten sich wieder ein, schließlich weigerte er sich, seine Kajüte zu verlassen.

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Abendgang

Von Detlev von Liliencron  

Noch nicht November und der erste Schnee; es drückt den Wald das erste Winterweh. Auf seinen Wegen wandert wohl der Tod; wohin er schreitet, sterben Leid und Not. Da orgelt plötzlich, fern, ein Hirsch im Holz, und in Gedanken seh ich, wie er stolz die Stangen hebt und seiner Nüstern Hauch erwärmend hinzieht über Blatt und Strauch. das Leben wacht, doch als ich um mich schau, da schläft am Wege eine alte Frau. Der Aft, den sie gesammelt, preßt wie Stein; auf ihrer schweren Bürde schlief sie ein. Sie schläft für ewig. Soll ihr Rückenjoch, so fest gebündelt, in den Himmel noch? Der Abendpurpur flicht den Kranz der Ruh und füßt den Staub ihr ab von Saum und Schuh.

1937

Lilian", sagte er eines Tages, bitte, gebe eine Stunde hinauf an Deck. Ich habe mit dem Kapitän zu sprechen. Er winkte mir, wir folgten erstaunt. Lilian streifte mich mit einem sanften Blick und ließ uns allein.

,, Du bist mein Freund, Antonio.... sagte der Kranke. Ich weiß es. Du wirst mir helfen, wenn auch der Dienst, den ich von Dir verlange, hart und erschreckend ist."

Was kann ich für Dich tun, Arthuro?"

fragte ich. ,, Sieh, Antonio_" erwiderte er. ,, Glaubst Du, daß ein Leben wie das meina irgendwelchen Sinn hat? Ich bin unheilbar. Ich bin unbeweglich und kann nichts, nichts von all dem tun, was mich freuen würde. Ich bin eine Last für jeden in meiner Um­gebung, vor allem für meine Frau. Verstehst Du, welchen Dienst ich von Dir verlange?" Ich wich stumm zurück.

,, Dort oben", flüsterte er, und seine Hand wies auf eine Lade, liegt mein Revol ver. Tag und Nacht denke ich an ihn, doch ich kann mich nicht erheben, um ihn zu holen. Nur Du kannst ihn mir geben, Antonio- ich bitte Dich!"

Ich suchte ihn zu beruhigen, doch eigente lich war er ja ganz ruhig, viel ruhiger und zielbewußter als ich. Und was ich entgegnen konnte an Tröstendem und Ablenkendem schien mir selbst schal und verlogen. flüsterte er,

,, Du hast nichts zu tun als dort in die Lade zu greifen und mir den Revolver zu reichen. Niemand wird wissen, wieso ich zu ihm gekommen bin."

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,, Ich kann nicht verlange das nicht von mir!" schrie ich und verließ ihn hastig. Doch so oft wir allein waren, kam er darauf zurück. In harten, trostlosen Worten sprach er von der Hoffnungslosigkeit seines Lebens und von der Qual, seiner schönen, jungen Frau im Wege zu stehen. Er nannte es egoistisch und feige, daß ich, sein einziger Freund, ihm den Dienst versagte, um den er mich bat.

Ich widerstand monatelang. Doch im Grunde dachte ich mehr und mehr, welche Er­lösung der Tod für einen sein müßte, der dem Leben nur mehr zuschauen durfte, und den alles quälte, was er sah. Und welche Befreis ung auch für eine junge Frau voll Anmut und Lebenshunger.... Ich hatte mit Lilian nie darüber gesprochen. Doch ich wußte, wie sie unter ihrem Opfer litt, wie jede ihrer Bes wegungen gehemmt war und voll geheimer Sehnsucht auszubrechen.

Mehr und mehr ergriff mich ihr Schick­sal, immer häufiger suchte ich ihre Nähe und dachte nach, was ihr Freude bereiten könnte. Sie hatte manchmal ein leichtes, zärtliches Lächeln, ich war glücklich, wenn es über ihr

Gesicht glitt, doch es schien, als könnte selbst dieses Lächeln nie ganz frei werden, immer ers Tosch es flüchtig und schmerzlich. Oft, wenn Arthuro schlief, kam sie zu mir auf die Kom mandobrücke, weiß gekleidet, das rötlichblonde Haar flatterte im Wind, während sie über das Ded ging. Sie lehnte neben mir, den schma

natas