Deutsche Freiheit Nummer 72
Das bunte Matt
Mittwoch, de» 28. März 1984
tt ftttt von X p. tletrsnger
Beim Postbeamten Gaston Dupont war es zeitlebens viel einfacher. Sein Mittwoch glich dem Montag, und dieser stets dem Freitag. Ein schönes gleichmäßiges Leben. Nichts änderte sich von Woche zu Woche. Nurchas Hemd und der Eckenkragen. Tad Taschentuch zweimal wöchentlich. Das war alles. Es war ein Mann mit gleichmäßigem, imponierendem Tem, perament. Mit festen Ansichten gegen die Zustände in Paris  . Mit finsterer Miene gegen die jeweilige Regierung. Mit unerbittliche* Gleichgültigkeit gegenüber dem zahlenden Puv- likum. Nichts konnte ihn im Lebe» wirklich aufregen. Daran stirbt der Mensch. Regelmäßig. Unweigerlich. Sie sind es auch. Am Atelier der Lederwäntelfabrik Freres Bourcier ar-> beiteten die Mädchen Antoinette. Suzanne, Juliette und noch zwanzig andere. Sie nähten Knöpfe an die Lebermäntel. Sie setzten Futter ein. Manchesmal sangen sie bei dieser Arbeit. Oft gab es Streit. Jeder Tag war anders. Am tollsten der Montag. Denn der Sonntag wirft einen langen Schatten in die Fabriken, Büros, Warenhauser. Das Atelier war in einem ehemaligen Konzertsaal. Auf der Bühne standen zwei Zuschneidertische. Die Zuschneider waren Jean und ich. Wir malten mit weißer Kreide. Auf schwarzen, braunen und dunkelgrünen Fellen. Wir malten Schultern, Aermel, Rücken. Bei jedem neuen Dutzend brummte Jean: Das waren nun mal früher Schafe! So etwas kann nur Schafen passieren, wirklich wahr! Sich schlachten, gerben, färben, zuschneiden, nähen und als Mantel tragen zu lassen! Was soll man schon dazu sagen?" Wie bitte?" fragte ich. Oh, ich meine nur so. Nichts besonderes," grinste Jean. Das war ein Kerl! Irgendwie und mit irgendwas mutz sich doch'einer seine Arbeitszeit vertreiben, nicht wahr! Im Saal saßen die Mädchen. Auch verheiratete Frauen. Tie Luft roch nach Puder, Leder, Achselhöhlenschweiß, Staub und Arbeit. Herr Bourcier ärgerte sich im Kontor. Mit der Tipse. Man hörte sie beide laut lachen. Im Saal brannten sechs Lampen, trübe. Die Mädchen trugen ausgeschminkte, angeschminkte Gesichter. Es war Mon­tag. Eine gähnte. Der ganze Saal gähnte. Bon einem solchen Montag will ich berichten. So begann es jedesmal: Antoinette. was hast du gestern angestellt?" rief Andree durch den Saal. Hell. Zwitschernd. Alle wachten auf. Endlich! Ich war tanzen. Mit meinem Albert. Mein Albert tanzt gut. Es war sehr, sehr schön!" Suzanne, ein kleines freches Ding, rief Jean zu: Sie gähnen jetzt schon zum fünften Male! Sicher haben Sie den ganzen Sonntag bei Ihrer Frau gelegen. Sie sind ja noch ganz krumm!" Die Frauen an der Nähmaschine kreischten auf. Die Mäb- che« brüllten los. Die dicke Frau Roger keuchte und schnaubte wie ein überhitzter Dampfkessel. Sie bemerken aber auch alles, Suzanne," bestätigt« Jean breit und vergnügt.Sie sind zwar noch sehr jung, aber schon ganz anständig orientiert. In Ihrem Alter spielen Mädchen gewöhnlich noch mit Puppen. Wer ist denn Ihr Lehrer, Kleine?" Robert heißt er!" quietschte die junge Juliette.Ich habe sie gestern alle beide gesehen. Sie waren schwimmen. Er hat sie küssen wollen, aber sie hat sich nicht lassen, hahaha!" Das ist nicht wahr! Du lügst! Du bist eine Lügnerin. Du! Ich habe ihn nur ärgern wollen. Er hat mich geküßt." Unter dem Gejohle aller stellte Antoinette die Frage: Hals geschmeckt?" Suzanne gab keine Antwort. Hat er dich wieder in die Lippen gebissen wie vorige Woche, dein Robert?" suhr Antoinette fort zu fragen.Er scheint ein fürchterlicher Küsser zu sein! Mein Gott! Deine Lippen sind immer drei Tage lang geschwollen!" Ich danke für die freundliche Nachfrage," sagte Suzanne
spitz.Er versteht? sicherlich besser als dein alberner Albert, ätsch!" Geht der Krach wieder los!" ertönte die Stimme der dicken Frau Roger.Müßt ihr denn jeden Montag die Qualitäten eurer Freunde gegeneinander ausspielen? Sie, Antoinette, können sich auch nicht beklagen! Ihre Augen sind auch nicht von Pappe heute, wissen Sie!" Oho!" protestierte Antoinette.Das ist aber stark! Wirk- lich! Msine Mutter war mit uns den ganzen Abend zusam- men. Wir sind nie allein. Ich darf nur mit meiner Mutter ausgehen." Die Arme!" flötete Suzanne und machte einen mitleidigen Augenaufschlag.Ach, die Arme! Und sie hätte so gerne ge» wollt!" Antoinette sprang auf. Halt dein Maul, fille!" Halten Sie das Ihre, Fräulein!" Arbeite!" Arbeite du!" M....!" Dieses Wort schlug ein wie eine Bombe. Ah!! Haben Sie das gehört!" frohlockte Suzanne.Haben Ties gehört! Sie hat M.... gesagt! Hah! So ein ver- dorbenes Ding da! Hoch! Hätten Sie der so etwas zuge- traut!" Jean grinste mich an:So etwas kann nur Schafen passieren, wirklich wahr! Was soll man schon dazu sagen." Wie bitte?" fragte ich. Oh nichts!" meinte er. Ein toller Bursche, nicht wahr! Man muß sich doch irgendwie seine Zeit vertreiben. Im Saal ging es schön zu. Die Arbeitsstücke lagen schon längst unbeachtet auf den Tischen. Die Frauen feixten, die Mädchen lachten laut und vergnügt. Eine stand an der Tür, es war Josette. Sie blickte durch das Schlüsselloch, um die Ankunft des Herrn Bourcier rechtzeitig zu signalisieren. Jean legte die Kreide hin und sagte:.Hetzt komme ich dran!" Er stellte sich an die Rampe und feuerte die beiden Streitenden an: Immer feste, meine Kinder! Immer feste! Eure Freunde kenne ich zwar nicht, aber sie gemessen trotzdem meine vollste Hochachtung. ES sind unerschrockene Männer, der Albert und der Robert. Sie haben großen Mut. Sicherlich suchen sie bei euch die Aufregung mehr als die Liebe. Also los, genieren Sie sich nicht, meine Damen! Zeigen Sie, was Sie können!" Antoinette zeigte es bereits. Sie hatte sich weinend über den Tisch geworfen. Zwei Mädchen bemühten sich um sie. Sie wollten sie beruhigen. Aber Antoinette heulte bittere, kraft- lose Tränen. Ihre kleine runde Nase war ein kleiner roter Pilz geworden. Ueber das blasse Gesicht, in der Puderschicht, zogen sich Rinnen. Kanäle der Wut eines kleinen machtlosen Mädchens. Naja, das habt ihr davon," sagte die kluge Frau Roger. Naja, das ist jedesmal das Ende. Naja, nun kriegt sie wieder ihre Nervenkrise." Ich habe nicht angefangen," sagte Suzanne weinerlich und zog zitternd Luft. Natürlich hast du angefangen," sagte Juliette.Wir haben es doch alle gesehen. Du fängst jedesmal an! Ja! Das ist nicht schön von dir! Nein! Die arme, arme Antoinette!" Das war zu viel für Suzanne. Nun legte sie auch loS. Sie weinte ein gräßliches Hundegeheul. Aus den großen braunen Augen rann ein mächtiger Wasserfall. Jean sagte:Mein Herr, so sind die Frauen!" Frau Roger sagte zu Frau Durant:Naja, so sind die Mädchen." Die kleine bucklige Madeleine sagte zu Frau Touchon: Alles nur wegen der Männer!" An der Tür rief Josette:Achtung! Herr Bourcier kommt!"
Guter Rat Das geht an dich und mich und jeden: Mehr sein, weniger reden?. weniger sagen, fragen, klagen, mehr die Wärme nach innen schlagen? unsere Zungen in Züchten halten, nicht immer die ewig alten Sätze und Plätze wiederkäuen, Phrasen und Fratzen in allem scheue«, langsam prüfen, sich gern bescheiden, alles schnelle Borurteil meiden, uns genügen im Unentbehrliche», uns vereinfachen, uns verehrlichen, Eins vom Kinder- zum Greisenleben: Weise, weise zu werden streben. Christian Morgenster» <Aus dem Nachlaß). Beethoven   heilt Rheumatismus  Eine neue medizinische Lehre: Melofherapie Di« Versuche durch Musik zu heilen sind nicht neu. Man weiß, daß Musik auf einen Menschen besänftigend oder an-' regend wirken kann. Wenn wir lesen, daß der Zorn Sanls durch den Klang der Harfe Davids besänftigt wurde, so ist das durchaus wahrscheinlich. Auch die Geschichte von Orpheus  , der die wilden Tiere mit Hilfe von Musik zähmte, ist glaubhaft. Wer jemals Bach, Haydn   oder Mozart   gehört hat, kann verstehen, daß sie den Teufel, der in den Men» schen versteckt ist, zähmen können. Auf Grund dieser Tat- lachen schreiben jetzt französische und amerikanische Neu- rologen auf ihre Visitenkarten einen neuen Titel:Melo- therapheut". In Frankreich   ist dieser Tage ein Institut für Melotherapie eröffnet worden, und es gibt auch schon zwei Schulen, die französische   und die amerikanische. Die eine legt mehr Wert auf die Wahl des Instrumentes, die andere mehr auf die Wahl des Komponisten. In Frankreich   ver- tritt man die Theorie der Instrumente. So wird die Geige zur Anregung, das Cello zur Beruhigung, die Flöte gegen Jähzorn, der Konterbaß gegen Neurasthenie und das Wald- Horn zur Abmagerung oerwandt. Die Amerikaner sind mehr für musikalische Duschen. Sie benutzen Schubert gegen Schlaflosigkeit, Brahms   gegen Neurasthenie und Beethoven  ist degradiert, er wird nämlich nur zur Heilung des Rheu- mas gebraucht. Im übrigen werden überhaupt nur Klassiker verwendet. Diese ganze Lehre ist auf einer streng wissen- schaftlichen medizinischen Basis aufgebaut, und die Institute stellen Interessenten lange Gutachten zur Verfügung, i» denen Fälle beschrieben werden, die schon mit Hilfe der Melotherapeutik geheilt worden sind.
50 Fahre einsam auf einem Berggipfel Auf einem Berge westlich von Peking   steht das Kloster Tje-Tai-Tse. Schon seit Jahrzehnten ist es von den Mönchen verlassen und nur ein Einsiedler ist der einzige Bewohner deS Berges. Dieser Buddhisten  -Mönch feiert jetzt ein seltsames Jubiläum. Im Jahre 1884, also vor 50 Jahren, stieg er aus der sündhaften Ebene empor zum Kloster Tie- Tai-Tse mit dem heiligen Gelübde, diesen Berg niemals lebend zu verlassen. 50 Jahre währt der Frieden inmitten eines wilden Chinas  ? ein Kaiser wurde gestürzt, Kriege, Pest und Bruderkämpfe zerstörten das Land. Bon ferne dröhnen auch heute wieder Japans   Kanonen hier oben aber sind 50 Jahre vergangen, ohne daß sich irgendein wichtiges Ereig- nis eingestellt hätte Die Bauern der Umgegend nennen den Mönch ihren Bienenkönig, well er eine herrliche Bienen- zucht angelegt hat und von dem Tausch seines Honigs gegen andere Lebensmittel seine Tage fristet. Seit 60 Jahren schläft der Einsiedler in seinem eigenen Sarg und erwartet so die Erlösung von der sündigen Erde.
Die reichste» Männer der Welt Oben von links nach rechts: Oelkönig Rockefeller senior: sein Sohn Jonny, der ebenfalls über mehrere hundert Millionen verfügt? der Maharadscha von Baroda  , der reichste Fürst von Indien  , seine Schatzkammer allein enthält riesige Millionenwerte? Autokönig Ford, dessen Vermögen allerdings durch die Weltwirtschaftskrise um einen starke» Prozentsatz vermindert wurde? Wasil Zaharoff, gebürtiger Grieche, Beherrscher der englischen Rüstungsindustrie, der reichste Mann Europas  ? Ethel Ford, der trotz der Krise seiner väterlichen Fabrik unter den Millionären der Ver- einigten Staaten noch immer mit an der Spitze liegt. Isnten von links nach rechts: John Pierpont Morgan  , der große Weltbankier? Baron Mitsui, Teilhaber des ge- waltigen japanischen Handelshauses? Andrew Mellon  , der frühere Schatzsekretär der Vereinigten Staaten  , der über gewaltige Aktienposten verfügt, und der jetzt wegen Steuerhinterziehung unter Anklage gestellt wurde? Exkaiser Wilhelm ll auch nach dem Sturz einer der reichsten Männer der Welt: der bolivianische Zinngrubenkönig Don Patino, der auch in der Tiplomateukarriere seinen Ehrgeiz befriedigte und Thomas Lamont, Mitinhaber der Morganschen Bankunternehmen.
Die 20 Telefone des Paschas Ein jetzt aus Süd-Marokko nach Paris   zurückgekehrter Beamter erzählt von einem seltsamen Pascha, der in einem kleinen Orte Süd-Marokkos lebt und eine schon krankhafte Borliebe für das Telefon hat. In seinem Palais stehen nicht weniger als 20 Apparate, die aber da es in dieser Gegend Marokkos   noch kein« Telefonanlagen gibt sämt- lich ohne Anschluß sind. Dieser kleine Fehler stört den glück- lichen Telesoninhabcr aber wenig. Lächelnd nimMt er den Hörer von einem Apparat, betrachtet ihn liebevoll und meint:So habe ich den Apparat gern. Wenn ein Anschluß vorhanden wäre, würde man doch nur dummes Zeug schwatzen, und übrigens, mit wem sollte ich schon tele- sanieren..." Amsterdam   bekommt ein Ginheitsdenkmal Die Stadtverwaltung von Amsterdam   hat soeben de« merkwürdigen Beschluß gefaßt, alle in der ganzen Stadt verstreuten Denkmäler berühmter Persönlichkeiten abtrage» zu lassen und an ihrer Stelle ein einziges riesiges Monu- ment zu schaffen, das alle die großen Männer in einem sym- bolisieren soll. Es wird den NamenDenkmal der große» Taten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" tragen. Der Magistrat hat einen großen Architektenwettbewerb für die beste Lösung des Bauwerks ausgeschrieben. Die öffent- liche Meinung Hollands   über diesen Beschluß ist sehr geteilt, und eine Bürgerdeputation der Stadt will in den nächsten Tagen bei der Königin vorstellig werben, um gegen bie^ Mißachtung der Tradition zu protestieren.
Wissen s>ie schon
... wer der reichste Mann deS Altertum? war? Nicht Krösus  , wie es allgemein heißt, sondern der erste römische Kaiser Augustus  , der Besiegcr von Antonius und Kleopatra  . Er besaß nach den gewonnenen Kriegen ein Vermögen von mehr als 20 Milliarden Sesterzen.  (1 Sesterze 20 Gold- Pfennig.)