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Fretheil

Nummer 95-2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 25. April 1934 Chefredakteur: M. Braun

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Aus dem Inhalt

Bomben in Salzburg  

Seite 2

Deutscher   Arbeitecbcief

Seite 3

Kein Geld für Arbeitslose

Seite 4

60 136

Japans Imperialismus

Seite 7

Furcht vor der kommenden Revolution

Göbbels   warnt vor Verzweiflung- Polizeiliche Rüstungen- Oberleutnant Schulz verhaftet! Die Zeitſchrift Deutſche Preſſe( Nr. 16) veröffentlicht Licht, richtet das deprimierte Bolk auf und macht es grufe Gestern und heute

nunmehr den Wortlaut der merkwürdigen Rede, die der Reichspropagandaminister Dr. Göbbels  Rede, die der vor der deutschen   Presse gehalten hat. Diese Veröffentlichung ent­hält Stellen, die sonderbarerweise in der Tagespresse nicht gedruckt waren. Es sind Aeußerungen, die sehr im Gegen­satz zu dem sonstigen kämpferischen und optimistischen Temperament des Dr. Göbbels   stehen und einen recht müden und beinahe resignierten Eindruck machen. Er sagte u. a.:

Ste, meine Herren, sollen dem Bolte den Mut stärken, das Volt fräftigen und es auf: richten. Denn man muß ja dieses Volk kennen, um es richtig zu führen. Wir, die wir es kennen, die wir aus ihm hervorgegangen sind, und die wir 14 Jahre lang in un mittelbarster Tuchfühlung mit ihm umgegangen sind, wir wiffen, wie ein gutes, aufmunterndes Wort manchmal Hunderte und Tansende und wenn man die Zeitungen und die öffentliche Meinung nimmt, Hunderttausende Menschen wieder aufrichten kann...

Es fann ja auch nicht bezweifelt werden, daß wir einiges fchon erreicht haben, daß wir bei gutem Willen und Anspannung aller Kräfte auch noch einiges er: reichen werden, und daß wir deshalb keinen Grund haben, immer nur auf den Schatten zu sehen, sondern, daß wir auch einmal verpflichtet wären, auf das Licht zu schauen, das durch den Aufbruch einer neuen Zeit über Deutschland   wieder aufgegangen ist... Sehen Sie: Es ist ganz absurd, zu glauben, daß das, was wir heute tun, nun der Regierung zuliebe getan wäre. Sie können heute über diese Regierung denken, was Sie wollen, Sie fönnen bei ihr Fehler entdecken oder ihr Fehler andichten, wieviel auch immer, wenn Sie Patrioten find, fönnten Sie nicht wünschen dürfen, daß diese Regierung einmal gestürzt würde; denn nach dieser Regierung wäre in Deutschland  nur Verzweiflung. Es gibt deshalb für denkende Patrioten keine andere Möglichkeit als die, dieser Regierung zu helfen. Die Regierung mag. unternehmen, was sie will, man mag mit hundert Punkten ihres Programmes nicht übereinstimmen, ich kann mir nicht denken, daß hinter dieser Regierung etwas Beiieres fäme.

Das also sagt Dr. Göbbels   der Presse: Viele von Ihnen halten uns zwar für ein Uebel, aber bedenken Sie, daß hinter uns noch ein viel größeres Uebel kommen wird.

Vor einem einigermaßen sachkundigen und skeptischen Publikum kann er unmöglich mit den Fahnensprüchen und Festreden über den Siegeslauf des dritten Reiches" auf allen Gebieten herausrücken. Er muß zugeben, daß es recht mies steht, und es bleibt ihm nur der Wunsch an die Presse: macht aus schwarz weiß, verwandelt Schatten in

lig mit den bolfchemistischen Schrecken, die folgen werden, wenn es nicht uns, die Hitlerdiktatur erträgt. So weit ist man also schon nach einem Jahr Regierungsherrlichkeit!

Am 1. Mai ist der nationale Feiertag. Die größte Massenkundgebung der Welt. Die meisten und die längsten Fahnen, die es je gegeben hat. Zwei Millionen Menschen sollen auf dem Tempelhofer Feld versammelt sein. An­geblich lauter begeisterte Leute, die der SA.   und der SS. diszipliniert und freudig gehorchen. Wie aber sieht es die Polizei? Sie trifft Vorbereitung, als gälte es, Berlin  vor diesen so zufrieden und zukunftsgläubig versammelten Massen zu schützen. Ja sie traut nicht einmal der SA  . Ein Polizeiaufgebot wie nie wird mobilisiert. Der Polizeioberst Dillinger erklärte vor der Presse:

Da die Befehlsbefugnis bei einer Stelle konzentriert sein muß, werden die SA- Formationen in diesem Bereich der Polizei unterstellt sein. Auch Reserven werden zur Ver: fügung stehen. Ueber das Feld zieht sich ein Befehlsnez, nämlich Wachttürme, die untereinander telefonisch ver: bunden sind. Aber diese Maßnahmen genügen noch nicht: Die Polizei umgibt das Aufmarschfeld, um nötigenfalls helfend(!) einzugreifen, wenn etwa ein örtlicher Unfall oder ein 3 wifchenfall das erfordern sollte.

Verstehen wir Herrn Polizeioberst Dillinger verkehrt? Nein, die Deutsche Allgemeine Zeitung" ist noch deut­licher:

" Zum Schluß richtete der Kommandeur der Berliner  Schutzpolizei   eine unmißverständliche Warnung an unbotmäßige und verbrecherische Elemente ( in der DAZ." fett gedruckt), die sich vielleicht dem Glauben hingeben könnten, daß ihnen ein solcher Tag gewisse Chancen für lichtschene Betätigung gäbe."

Nach einer Berliner   Korrespondenz des Prager Tageblattes" ist der früher wegen Fememordes zum Tode verurteilte und später begnadigte Oberleutnant Schulz am Montag von der Polizei verhaftet worden. Selbstverständlich wurde diese sensationelle Verhaftung blattes  " hat den Führer der nationalsozialistischen geheim gehalten. Die Redaktion des Prager Tage­ Schwarzen Front  " Dr. Otto Strasser   befragt, welche Hintergründe die Verhaftung des Oberleutnants Schulz habe und Dr. Strasser hat erklärt:

Die Verhaftung Paul Schulz  ' ist eine Bestätigung mehr für unsere Nachrichten über die stark anschwellende oppositio­nelle Bewegung in der NSDAP., jener Bewegung, die nicht nur eine nationale Revolution gemacht haben, son­Fortsetzung siehe 2. Seite

Betrogener Mittelstand

V. Rentelns Rücktritt

Berlin  , 28, April.

Der Präsident des Deutschen   Industrie- und Handels­tages, v. Renteln, der gleichzeitig Führer des Reichs­standes des deutschen   Handels war, ist von seinen Aemtern beurlaubt worden. Man führt diese plötzliche Verände rung auf Meinungsverschiedenheiten mit Reichswirtschafts­minister Schmitt zurück, dem für den ständischen Auf­bau der Wirtschaft ein so rasches Tempo, wie es Renteln  

vorschwebte, unerwünscht ist.

Theodor Adrian von Renteln   war noch vor Jahres­frist einer derjenigen nationalsozialistischen Führer, von denen in der Oeffentlichkeit am meisten gesprochen wurde. Ursprunglich wetteiferte er mit Baldur von Schirach   um die Führung der Hitlerjugend  , erlag aber dem stärkeren Einfluß der befferen Beziehungen. Als dann nach dem Ausscheiden Gregor Straffers im Dezember 1982 der wirtschaftliche Appa­rat der NSDAP  . wie auch sonst manches in der Organisation sich aufzulösen beaon grind nig einn mpf bund des gewerblichen Mittelstandes, der in den ersten

Monaten des neuen Regimes zeitweilig sich gebärdete, als habe er allein die nationale Revolution" gemacht. Der ein­zige sichtbare Erfolg dieser Mittelstandesbewegung blieb es aber, daß Herr von Renteln Präsident des Indu= strie- und Handelstages, also der Spißenvertretung der deutschen   Handelskammern wurde und neben ihm noch andere bevorzugte Rameraden rings im Lande nach Liqui dierung ihrer unrentablen Geschäfte versorgte Handels­fammerfunktionäre wurden. Von den sachlichen Zielen der vielgerühmten Mittelstandsbewegung wurde dagegen nichts errechit. Warenhäuser und Konsumvereine blieben und wur den sogar vom Staate unterstüßt. Der Kampfbund" wurde im August vorigen Jahres aufgelöst und in zwei mitglieder­reiche, aber bedeutungslose Organisationen gespalten eine für die alten Kämpfer", die sogenannte Hago", und eine für die neueren Mitglieder. Seitdem war Rentelns Stellung erschüttert und unwesentlich geworden. In dem organischen Wirtschaftsaufbau" des Reichswirtſchaftsministers Schmitt mit seinen zwölf Fachgruppen war für den Industrie- und Handelstaa schon fein rechter Platz mehr. Das Ausscheiden von Rentelns zieht den Binlanzstrich unter den Betrug am Mittelstand, den der Nationalsozialismus   nach seiner Macht ergreifung in wahrhaft- grandioser Weise verübt hat,

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An der Spitze der heutigen deutschen   Regierung steht ein Mann, der sich in früheren Lebensjahren als Zeichner und

Aquarellist betätigt hat. Die hehre Kunst schwebt also über

der deutschen   Politik.

Die hehre vielleicht, aber anscheinend nicht die schöpfe­rische. Die Pläne zu den großen nationalsozialistischen Parteipalästen auf dem Münchener   Königsplats lassen er­kennen, daß Adolf Hitler   gern der Perikles von Isar- Athen sein möchte. Große Regenten haben den Flor ihrer Staaten nach blutigen Kriegen durch prächtige Bauten gemehrt; und wenn von einem sonst nichts zu sagen war, rühmte man ihm nach, daß er irgendeine Kathedrale oder ein schönes Schloß in die Welt gesetzt habe. In diesem Stil wird heute drüben staatliche Kunst geschaffen; klassisch gewordene Unvoll­endetheit wird langweilig korrekt gemacht, wie man edlen Rheinwein durch Zucker ,, verbessert".

Die originale nationalsozialistische Kunst ist noch nicht zu sehen da die Bewegung immerhin vierzehn Jahre alt ist, wäre das aber nicht zuviel verlangt. Die großen Kundgebun­gen haben ihren effektvollen Stil, das ist nicht zu bestreiten. Aber es sind doch sehr vergängliche Leistungen für auf­geregte Nerven in flüchtigen Stunden. Das von Adolf Hitler  persönlich geschaffene Parteiabzeichen ist unbestreitbar schauerlich.

Aber wir hören nun, daß ganz von unten her eine natio­nalsozialistische Volkskunst heranwachse. Alfred Rosenberg  hat es soeben versichert, der Kulturinspekteur der Bewegung; als ehemaliger Architekt übrigens fast so etwas wie ein Be­rufskollege des Architekturzeichners Hitler  . Er sagte von dieser angeblichen neuen Volkskunst auf dem 28. deutschen  Sängertag:

,, In der nationalsozialistischen Bewegung, in der SA.   und HJ. sind heute ganz neue Lieder entstanden. Man weiß nicht, wer sie gedichtet, wer sie komponiert hat."

Sieh mal einer an... Ganz neue Lieder, und man weiß nicht, wer sie gedichtet und komponiert hat? Stimmt ja gar nicht, Herr Rosenberg! Von Ihrem Horst Wessel  - Lied zum Beispiel weiß man doch auf jeden Fall, daß der Text von Horst Wessel   stammt. Und die Melodie... Ja, auf die hat nun freilich weder die SA  , noch die HJ. ein Patent. Denn

lange vor Horst Wessels Dichtung sangen die Kommunisten auf diese Melodie einen Text, in dem es hieß: ,, Hat auch ein Severing den RFB. verboten, wir leben sowieso, Rot Front   ist noch nicht tot." Und noch viel früher gehörte die Melodie zu einem Text, der begann: ,, Vorbei, vorbei, sind all die schönen Stunden..." 20

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Mit dem Horst Wessel  - Lied ist es also nichts. Aber es gibt ja noch andere. Zum Beispiel das viel gesungene ,, Brüder in Zechen und Gruben..." Hier ist es nun gar nicht zu ver­heimlichen, daß das ein russisches Revolutionslied ist und in der deutschen   Arbeiterbewegung aller Richtungen gesungen wurde nach dem Text: ,, Brüder, zur Sonne, zur Freiheit. Aber die Nationalsozialisten waren großzügig und haben nicht nur die Marxisten enteignet. Von der viel gesungenen roten Front, die zu Brei geschlagen" werden soll, wäre zu sagen, daß sie einem schwermütigen Soldatenlied des Welt­kriegs entstammt, das den Argonner Wald   besang. Und das ,, Hakenkreuz am Stahlhelm" mit dem Refrain von der ,, Sturmabteilung Hitler" hat man der Brigade Ehrhardt   ab­

genommen.

Man weiß also über all diese Lieder eine ganze Menge; nur Herr Rosenberg möchte es im Interesse einer national­sozialistischen Kunstlegende nicht so genau wissen. Mit der Legitimierung des Nationalsozialismus durch seine angeb. lichen Liederschöpfungen ist es vorläufig noch eine schwache Sache. Es gilt davon:

Wo man singt, ist man noch lang nicht bieder, böse Menschen klauen fremde Lieder.

Argus.

Schutzhaft- Beschlagnahme

Schutzhaft

Essen, 23, April. In Essen   wurde der Seher einer Zeitung in Schutzhaft genommen, weil er bei der Wiedergabe des Glückwunsches des Reichspräsidenten an den Reichskanzler hinter das Wort Möge" ein Fragezeichen gesetzt hatte.

Mainz  , 23. April. Die in Mainz   erscheinende Wochen­zeitschrift Der Katholik" ist in der Ausgabe vom 22. April beschlagnahmt worden.