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Fretheil

Nr. 163 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, den 18. Juli 1934

An den Reichskanzler!

Drei Tage nach Ihrem Mordfest ließen Sie durch Ihre Gangsterpresse lügen, die Gesamtzahl der auf Ihren Befehl Ermordeten betrage 46.

Nun haben Sie im Reichstage 77 Ermordungen zugegeben und auf Ihre Verantwortung genommen.

Die Art, wie Sie das taten, beweist, daß die wirkliche Zahl

der Opfer mehrfach größer ist.

Chefredakteur: M. Braun

Das neue

Reichs- Menschen=

jagdgesetz

Seite 3

Zwangsarbeit für SA

Uns intereffiert nicht, wieviel Banditen aus Ihren Reihen Femcfurcht

durch Banditen abgeschossen worden sind. Wer sich Hitler  zum Führer, zum Herrn über Leben und Tod erwählt, hat nicht mehr als ein schändliches Ende verdient.

Wir fordern von Ihnen Aus.unft, wieviel anständige, von den Untaten Ihrer Banden unbelastete Bolksgenossen abgeschlachtet worden sind. Nach unseren Informationen find mindestens einige hundert in keinerlei politische Aktionen verwickelte Männer und Frauen in den Tagen der legten Monatswende von Ihren Sorden gebett, gejagt, gefoltert, geschändet, getötet worden. Sie sind für alle diese Schandtaten, für alle diese Morde verantwortlich. An Ihren Händen klebt das Blut unſchul­dig Ermordeter. Sie wissen es und schweigen aus feiger Furcht.

Die freie Presse, die sich von Ihnen weder kaufen noch fesseln läßt, wird aber keine Ruhe geben.

Wir fragen Sie, den Verantwortlichen für Massenmorde, den Führer von Massenmördern:

Wo bleibt die Totenliste? Wie hoch ist die 8ahl Ihrer Todesopfer?

Deportation für unzuverlässige Elemente Lutze, Papen   und Goebbels Berlin  

, 17. Juli.

höherer Schupobeamter Haussuchungen abhielt, fand man dort Fotografien von Severing, Grzesinsky und Weiß. Die Folge waren neue Verhaftungen, von denen man natürlich in Schupokreisen alles andere als begeistert ist.

Im übrigen wissen eingeweihte Kreise hier ganz genau, daß der Kanzler Herrn von Papen buchstäblich an­gefleht habe, Vizekanzler zu bleiben. Er habe ihm sogar

zenskind der Hitlerregierung. Viele von den SA.- Leuten, In der SA. gärt es, die SA. ist und bleibt das Schmer­haftet worden waren, erhielten in den letzten Tagen die die im Zusammenhang mit der Blutaktion vom 30. Juni ver­Freiheit wieder. Man versucht vergebens von diesen bis­herigen Etüßen des braunen Systems etwas darüber zu erfahren, was sie in der Haft erlebt haben. Sie schweigen. Gie wissen, warum. Bei ihrer Freilassung mußten sie sich Genugtuung für die schmähliche Behandlung angeboten, de­schriftlich verpflichten, über die Vorgänge bei und nach ihrer Verhaftung nichts zu verraten. Aber die blutigen Spuren, die sie in ihren Gesichtern und an ihren Händen nicht ver­bergen können, reden eine deutliche Sprache über die Be­handlung, die sie erfahren haben.

Tag für Tag müssen sie sich bei den Behörden melden, jede Wohnungsveränderung müssen sie dort sofort angeben. Was Wunder, daß die Erregung in den Reihen der SA. groß ist und auch viele erfaßt hat, die direkt mit den Er­eignissen des 30. Juni nichts zu tun haben. Ein Geda.ite beseelt

Flucht in den Reformismus? bejecit alle dieſe jungen Kente: Rachel

Wir eröffnen mit diesem Aufsatz eine Diskussion über die politischen Folgen des 30. Juni. Als nächster Beitrag wird ein Aufsatz aus den Reihen des illegalen Roten Stoßtrupp  " erscheinen.

Redaktion der Deutschen Freiheit".

In Deutschland   ist der Nebel gefallen, den Goebbels mit Jeiner Propagandamaschine und die braunen Generäle mit ihren SA.- Horden über den innen, wirtschafts- und außenpolitischen Vorgänge zu breiten vermochten. Miß­trauen und Furcht, die vor Nachbar, Freund und Bruder nicht haltmachten, beginnen zu schwinden. Und nun stürzen in das Blichfeld aller, die sehen wollen, tausend und aber tausend Dinge. So vieles, was ver­borgen blieb, stürmt auf die Menschen ein, türmt sich vor ihrem Horizont auf und vergrößert sich durch die Viel­gestaltigkeit und Ungewohntheit des Eindrucks. Das große Schweigen ist gebrochen!

Hitlers   Palastrevolte kam nicht als Blitz aus heiterem Himmel, über dem ganzen Land lag seit Monaten eine unheimliche Schwüle, dessen Entladung nicht ausbleiben konnte. Aber mit einem Schlage wurde die Morschheit des Systems offenkundig und grell wurden dabei die Kreise beleuchtet, die darauf warten, die braunen Parvenüs ab­zulösen. In den Reihen der faschistischen Anhänger geht indes der Geist der Zersetzung um, die Zusammenbruchs­Symptome häufen sich. Was liegt näher, als die erste furchtbare Erschütterung des dritten Reiches" bereits für ein vernichtendes Erdbeben zu halten und gespannt den Einsturz des ganzen Baues zu erwarten? Nichts ist ver­ständlicher als die Erwartung der unterdrückten Kreatur, daß jetzt Schlag auf Schlag folgt und die zweite, die von Papen angedeutete konservative Revolution" dem Rest des braunen Spuks ein schnelles Ende bereitet.

Diese psychologische Situation ist für den Faschismus bedenklich. Sicherlich bedenklicher als die Gefahr, die ihm von der Seite droht, die eine totale Restaurierung des Konservativismus durchzusetzen wünscht. Aber ebenso klar ist, daß dieses Erwachen der eingeschüchterten Volks­chichten keine Blattform abgeben kann, auf der sich irgendwelche Aktionen aufbauen. Man sieht die innere Ohnmacht der faschistischen Gewalthaber, deutet selbst ihre Bluttaten nur als Schwäche, aber die immer stärker werdende Ablehnung gipfelt doch lediglich in der Bereit willigkeit, je de Ablösung der herrschenden Zustände als eine Erleichterung zu akzeptieren. Ueber die Negation hinaus gehen die Dinge jedoch nicht. Man wartet nun gläubig der weiteren Ereignisse, die da kommen sollen und hofft auf die Konsequenz und Rache der und Rache der Konservativen. So gleichen denn die Nachrichten aus dem Reich Borboten eines zweiten und größeren Gewitter Sturmes und selbst die zum Teil recht kritisch arbeitenden illegalen Gruppen stellen ihre Berichte mehr oder minder unbewußt auf eine derartige, sich vielleicht überstürzende Entwicklung ab.

Görings Gestapo   ist auf der Höhe. Sie hat ihm Kenntnis davon gegeben, daß fie Spuren einer Terrororganisation entdeckt hat, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die er mordeten Kameraden zu rächen.

Der Aufbau dieser Verbände hat viel Aehnlichkeit mit dem. der Organisation E. und jener Fehmeorganisationen, die Rathenau   und andere führende Republikaner der Weimarer  Epoche umgelegt haben. Die Gefahr für Hitler   erscheint des­halb ganz besonders groß, weil man jetzt dabei ist, Tausende von SA.  - Leuten auf die Straße zu werfen und dem Elend preiszugeben, die bisher auf Staatskosten gelebt hatten und sich einbildeten, besondere Vorrechte genießen zu dürfen.

Görings Absicht ist es nun, alle unruhigen und verdäch­tigen Elemente zu einer Art Zwangsarbeit auf das Land oder zur Ausführung von Staatsarbeiten für den Zeit: raum von mindestens einem Jahr in die Provinz zu ver pflanzen.

Sie sollen als Bezahlung nur Naturalien, wenig oder gar keine Barentschädigung erhalten. Mit anderen Worten eine Art Deportation! Vor allem wolle man dadurch verhindern, daß die in Ungnade gefallenen SA.  - Leute sich in den Großstädten und in den Industriezentren mit dem margistischen Proletariat verbrüderten.

Interessant ist, daß der neue Stabschef Lube Wert darauf legt, wie sein ermordeter Vorgänger Hauptmann Röhm, Mitglied der Reichsregierung zu werden. In diesem Be­streben wird er von seinen Unterführern unterstützt.

Auch die preußische Polizei macht Göring   Sorge. Als man in der Nacht vom 3. zum 4. Juli bei einer Anzahl

Diese Stimmungsberichte erreichen die Emigration zu einem Zeitpunkt, wo sich weite Kreise von ihr in einer psychologischen Krisis befinden. Der zermürbende Ein­fluß des Erils schafft sich Geltung und ist denkbar ge­eignet, einem neuen Jllusionismus Tür und Tor zu eignet, einem neuen Jllusionismus Tür und Tor zu öffnen. Wenn es im Reich die Fülle der ungewohnten Eindrücke ist, die alles in der Vergrößerung erscheinen Eindrücke ist, die alles in der Vergrößerung erscheinen läßt, dann sind es für die Emigranten oft Wunschträume, die an die Stelle der objektiven Wertung treten. So nur ist es zu verstehen, daß allüberall von der in absehbarer Zeit erwarteten Rückkehr ähnlich gesprochen wird, wie von der Beendigung des Weltkrieges zu der Zeit, als die deutsche   Armee im Herbst 1914 vor Paris   stand. Daß es sich dabei meist um jene handelt, die vor Jahresfrist in einem Anfall von Fatalismus der Emigration Ewigkeits­dauer prophezeiten, ist gewiß kein Zufall. Es sind seelisch Entwurzelte, die bei aller Tarnung ihres Wesens immer Entwurzelte, die bei aller Tarnung ihres Wesens immer wieder von ihren Gefühlen geleitet werden und Kindern gleichen, die bei der nächtlichen Wanderung durch den Wald singen, um ihre Furcht zu verbergen.

Brauchten diese Diskussionen nur als Fieberbarometer gewertet zu werden, so würden sie nicht allzu bedenklich gewertet zu werden, so würden sie nicht allzu bedenklich stimmen, denn ähnliche Reifen hat jede Emigration durch­

ren Gegenstand von Papen in den kritischen Juni- und Juli­tagen war. Papen aber habe bestimmte Konzessionen auf innen-, außen- und wirtschaftspolitischem Gebiet verlangt. Vor allem aber habe er die Amtsenthebung des Reichspro­pagandisten Dr. Goebbels  , zum mindesten eine fühlbare Verminderung seines Einflusses gefordert. Hitler   habe sich, wie immer in fritischen Situationen nicht entscheiden kön= nen, und so sei die Frage Papen- Goebbels immer noch in der Schwebe.

Furcht vor den ,, Lobsprüchen" Ausbreitung der Verbote ausländischer Zeitungen

Berlin  , 17. Juli. In starkem Gegensatze zu den Behaup­tungen der deutschen   Presse, daß die Rede Hitlers   im Aus­lande einen überzeugenden, ja überwältigenden Eindruck ge­macht habe, steht die Vermehrung der Verbote ausländischer Zeitungen. Während bisher nur die deutschsprachigen Zei­tungen schifaniert wurden, kommen nun auch die fremd= sprachigen an die Reihe. Daily Telegraph  " und Heraldo de Madrid" sind für vierzehn Tage, Daily Expreß  " für eine Woche in Deutschland   verboten. Die letzte Sonntagnummer des Temps" ist beschlagnahmt worden, ebenso die Wochenausgabe des Manchester Guardian"; die dänische Zeitung Politiken" wurde seit dem 1. Juli schon mehrmals fonfisziert. Der Korrespondent des katholischen spanischen Blattes El Debate" hat eine Verwarnung erhalten. Für das Montagmorgenblatt der Basler Nachrichten" ist ein Zensurverfahren noch nicht erledigt, so daß die Zeitungs­ballen in Berlin   auf sich warten lassen. Die Freitagnummer des Basler Blattes gelangte in Deutschland   nicht in den Straßenhandel. Das Verbot des" Pester Lloyd" ist auf vier­zehn Tage ausgedehnt worden.

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Eine Gruppe Nationalsozialisten hat an der Invaliden­straße in Berlin   einen 3eitungsfiosk, der auslän­dische Blätter verkaufte, in Brand gesteckt. Der zerstörte Kiosk befindet sich an einem verkehrsreichen Punkt des nörda lichen Stadtzentrums unweit des Stettiner Bahnhofes. Wie wir weiter vernehmen, hatten die Täter bei Hitler die Forde= rung gestellt, den Verkauf aller ausländischen Zeitungen in Deutschland   zu unterbinden, und leiteten auf eigene Faust eine Aktion ein, als dem Verlangen nicht entsprochen wurde.

gemacht. Ernster sind die Begleiterscheinungen, die er­kennen lassen, daß der ideologische Umbruch, den die Emigration vorzunehmen hatte, längst nicht restlos voll­zogen ist. Es hat sich gezeigt, daß dieses erste Wetter­leuchten für viele zum Signal wurde, mit neuem Oppor tunismus zu jonglieren. Die Debatten, die sich um die Möglichkeiten innerhalb einer konservativen Diktatur entsponnen haben, knüpfen vielerorts dort an, wo sie im Frühjahr 1932 aufhörten, als Schleicher zur Formierung einer neuen Front eingeladen hatte. Man hält wieder einmal nach ,, Machtpositionen" Ausschau! Und was selbst einem Leipart vor zwei Jahren als faule Kompromißlerei erschien, gilt vielen heute als die Chance. Von den Konservativen werden gewisse gewerkschaftliche Be­wegungsfreiheiten erwartet, die Leiter, auf der man zum Staatsapparat emporklimmen kann, wird sichtbar. Es fehlt groteskerweise sogar nicht an Vergleichen mit dem 20. Juli, menn von dem Verpassen der Gelegenheit ge­sprochen wird, die man in einer Aufforderung zur Mit­arbeit der Arbeiterschaft" erwartet.

Das Entscheidende liegt nicht in der Naivität, die viel fach in solchen Diskussionen zum Ausdruck kommt, son­dern in der Tatsache, daß bei einem so bescheidenen Anlaß