Dienstag, den 20. November 1934
Kanonier Zarathustra
Friedrich Nietzsche als Soldat
Von Friedrich Nietzsche existiert eine Fotografie aus dem Jahre 1868, die den Propheten des Uebermenschen im bunten Rock eines Kanoniers des 4. Feldartillerieregimentes zeigt, ein Bild, das wie eine Satire anmutet. Zarathustra als Kanonier! Der Uebermensch meldet sich gehorsamst zum Stalldienst! Tücke des Objekts, daß gerade diese militärische Fotoidylle erhalten blieb! Eine Hand in die Hüfte gestemmt, das lange Schwert gezückt, die unwiderstehliche Pickelhaube auf einem Teetischchen neben sich, so steht Nietzsche , der Allzermalmer, da, den bebrillten Blick forsch auf den Kameramann gerichtet, der offenbar gerade sein Unvermeidliches:„ Bitte, recht freundlich!" losließ. Nein, Elisabeth Förster , die betriebsame Schwester des Philosophen, hätte diesen ernüchternden Kitsch aus Großvätertagen ruhig dem Ofen anvertrauen können! Es wäre eine natürliche, ja notwendige Korrektur gewesen, neben den vielen unzulässigen, die sich diese Pythia des dritten Reiches" als Verwalterin des geistigen Erbes ihres Bruders und Leiterin des Nietzsche - Archivs in den letzten Jahren geleistet hat. Aber als Freundin Hitlers fühlte sie sich verpflichtet, ihren großen Bruder in dem Wichs der deutschen Wahrhaftigkeit vorzuführen, ihn, den leidenschaftlichen Hasser deutschen Ungeistes, ihn, der sich stets als Abkömmling einer polnischen Adelsfamilie gefühlt hat. Schrieb er nicht 1888 seinem Freunde Georg Brandes nach Kopenhagen ? Meine Vor fahren waren polnische Edelleute( Niezky); es scheint, daß der Typus gut erhalten ist trotz dreier deutscher Mütter". Im Auslande gelte ich gewöhnlich als Pole; noch diesen Winter zeichnete mich die Fremdenliste Nizzas als comme Polonais". Man sagt mir, daß mein Kopf auf Bildern Matejkos( eines polnischen Malers) vorkomme..." Freiwilliger Nietzsche, treten Sie vor! Er war als Soldat nicht glücklich. Nachdem er wegen seiner kurzsichtigen Augen wiederholt als dienstuntauglich vom Militärdienst enthoben wurde, wurde er schließlich 1867 einberufen, da der Feldzug vom Jahre vorher und auch die böse Cholera große Lücken in die Reihen der Armee gerissen hatte. Diesen beiden Umständen dankt er seine kurze militärische Laufbahn. Mitten aus seinen philologischen Studien gerissen, beklagt er bitter sein Schicksal in einem vom 4. Oktober 1867 datierten Brief an seinen Freund Mushak e. ,, Wir sind selten des Schicksals Herren, aber glauben es zu sein, wenn lange Zeit uns günstig war. Dies soll keine Einleitung zu einer Tragödie, sondern nur die Vorbemerkung zu einer Zwischenaktmusik sein, die ich in diesem Leben nicht mehr zu hören hoffte. Trommeln und Pfeif... kriegerischer Klang: das Schwert schwebt nicht über meinem Haupt, ern an iner Se. diese Feder in maine Hand wird in Kürze ein Mord gewehr sei mit Notizen und Entwürfen bedeckten Papiere werden wahrscheinlich etwas Modergeruch annehmen. Der Kriegsgott hat meiner begehrt, d. h., man hat mich für tauglich zum Freiwilligendienst befunden, während ich noch bei meiner Abreise zur Philologenversammlung in Halle im Glauben stand, daß dieser Kelch an mir vorüber. gegangen sei. Mit großer Mühe habe ich durchgesetzt, daß ich wenigstens einen Versuch machen darf, ob man mich in einem anderen Ort, als Naumburg ist, und bei einer anderen Truppengattung als Artillerie annehmen will. Miẞglückt der Versuch, so beginne ich am nächsten Mittwoch die hiesigen Kanonenzu umarmen als Zärtlichkeit."
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Es ist so einfach
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wurde, wirst Du vielleicht nachfühlen... In den ersten
Wochen hatte ich noch den Stalldienst durchzumachen: morgens um 5.30 Uhr war ich im Pferdestall, um Mist hinauszuschaffen und das Pferd mit Striegel und Kartätsche zu putzen. Jetzt ist mein Dienst durchschnittlich derart, daß ich von 7 bis halb 11 Uhr und von halb 12 bis 6 Uhr abends
beschäftigt bin, und zwar den größten Teil dieser Zeit mit Fußexerzieren." Recht eindringlich schildert Kanonier Nietzsche in einem Brief an Rohde( Dezember 1867) sein Leben... Rohde werde fragen, was er, Nietzsche, eigentlich mache, wenn er nicht mit gelehrten Dingen beschäftigt ist. Er exerziert. Ja, mein lieber Freund, wenn Dich einmal von Admon in einer frühen Morgenstunde, sagen wir zwischen 5 und 6 Uhr, nach Naumburg geleiten und in gefälliger Weise die Absicht haben sollte, Deine Schritte in meine Nähe zu lenken, so erstarre nicht über das Schauspiel, das sich Deinen Sinnen darbietet. Plötzlich atmest Du die Atmosphäre eines Stalles. Im halben Laternenlicht erscheinen Gestalten. Es scharrt, wiehert, bürstet, klopft um Dich herum. Und mitten drin, im Gewande eines Pferdeknechtes, heftig bemüht, mit den Händen Unaussprechliches, Unansehnliches wegzutragen oder den Gaul mit dem Striegel zu bearbeiten mir graut es, wenn ich sein Antlitz sehe es ist beim Hund meine eigene Gestalt... Zu anderen Tageszeiten steht er, emsig und aufmerksam, am gezogenen Geschütz und holt Granaten aus der Prote oder reinigt das Rohr mit dem Wischer oder richtet nach Zoll und Graden usw.... Ich versichere Dich bei dem schon erwähnten Hund, meine Philosophie hat jetzt Gelegenheit, mir praktisch zu nützen. Ich habe in keinem Augenblick bis jetzt eine Erniedrigung verspürt, aber sehr oft wie über etwas Märchenhaftes gelächelt. Mitunter auch raune ich, unter dem Bauch des Pferdes versteckt, Schopenhauer , hilf!..."
In einem anderen, vom 1. Februar 1868 datierten Brief an Rohde klagt Nietzsche : ,, Elender Mensch, sage ich zu mir, du hast nicht zwei Stunden des Tages und selbst diese mußt du dem Mars opfern, der dir sonst das Leutnantspatent verweigert. Ach, lieber Freund, was ist ein reitender und fahrender Artillerist für ein Unglück stier, wenn er literarische Triebe hat? Mein alter Kriegsgott hat eben die jungen Weiber, nicht alte verschrumpelte Musen gern.. Wenn ich Dir sage, daß ich täglich von morgens 7 Uhr bis abends um 5 Uhr im Dienst bin, außerdem noch bei einem Leutnant und bei einem Tierarzt Vorträge höre, so kannst Du ich ermessen. wie schlimm daran bin. Abends ist der Leib schlaff und müde und sucht zeitig sein Bett. Und so geht es ohne Rast und Ruh aus einem Tag in den andern. Wo bleibt da für wissenschaftliche Ausarbeitungen nötige Sammlung und Kontemplation!" Resigniert fügt sich der später zum Gefreiten avancierte Nietzsche in das von Zwang und Drill erfüllte Leben, freilich, um oft verzweifelt nach der Ruhe der Studierstube zu rufen. Er findet Vergnügen am Reiten, aber eines Tages wird ihm dies zum Verhängnis. Er erlitt beim Reiten eine Verletzung an der Brust, die operativ behandelt werden mußte und Nietzsche lange Jahre zu schaffen machte. Am 8. August 1868 teilte er Gersdorff mit, daß er wegen seines Leidens frühzeitig den Dienst beim Militär verlassen werde: ..Es versteht sich, daß ich jetzt meinen Militärdienst nicht fortsetzen kann; zunächst werde ich für zeitig unbrauchmit mehr Ingrimm bar" erklärt. Da ich wünsche nachgerade, nachdem es mir doch nun einmal unmöglich geworden ist, Landwehroffizier zu werden, langsam aus den Listen der Wehrfähigen zu verschwinden." Noch einmal jedoch gerät Nietzsche in nähere Beziehung mit dem Militärischen. Diesmal allerdings in einer mehr platonischen Form. Es war im Kriegsihr 1870 als er als Sanitäter Dienst machte. Ludwig.
Der junge Gelehrte beklagt sich ständig, aus seinem gewohnten Milieu, den Büchern und seiner Arbeit so jäh entrissen worden zu sein. Seinem Freund Gersdorff berichtete Nietzsche am 42. November 1867: Wie überraschend dieser Umschwung war, wie gewaltsam ich meinem gewöhnlichen Treiben und bequemen Dahinleben entfremdet
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Deutschland ein dampfender Götzentempel
Wir lesen in der Herforder Zeitung":
..Hat sich da seit einigen Tagen der Jugend im alten Herford und dem Minden - Ravensberger Land eine eigenartige Unruhe bemächtigt. Man sah sie allenthalben eifrig mit hochroten Gesichtern Meinungen austauschen. Und wer sich einmal nach dem Grund dieser sonderbaren Aufregung erkundigte, wurde mit einem mitleidsvollen Blick von der Seite angesehen, ob dieser katastrophalen Unwissenheit..
Also, was war denn los? Jeder Leser wird sicher aufs äußerste gespannt sein. Ist ein neuer Planet entdeckt worden? Sind die Preise plötzlich gefallen? Wurde für einen Tag Redefreiheit gewährt? Nein, aber- Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach wollte Westfalen . besuchen".
Und dann kam der große Tag. Ein würdiger Empfang" wurde vorbereitet, Spalier wurde gebildet, die Fahnen und Wimpel aus der ganzen Umgegend wurden herzugeschleppt, und dann... und dann...
,, Die Wagen des Reichsjugendführers nahen. Aufrecht teht Baldur von Schirach und dankt der Her forder Jugend für ihren Empfang. Der Wagen schnurrt schnell durch die Straßen der Stadt und ist bald entschwunden. Die Gruppen marschieren ab, stolz über ein schönes Erlebnis."
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Und Baldur, das schöne Erlebnis, fährt eilends weiter. Er kommt nach Bielefeld , und veranlaßt den dortigen Generalanzeiger zu folgendem Geröchel:
..Im Westen wird es schwarz und schwärzer, sorgenvolle Blicke gehen zum Himmel. Jede Straßenbahn bringt neue Menschen, jetzt nähert sich die lange
Es ist so einfach, liebevoll zu sein,
Und doch sind es die meisten Menschen nicht Ich seh' sie morden und ich hör' sie schrein Und denk': Die Liebe ist doch sehr allein Und hat ein schmales, trauriges Gesicht. sicht.
Es ist so einfach, wahr und klar zu sein, Und doch sind es die meisten Menschen nicht. Sie hüllen sich in tausend Lügen ein Und schließen ihre Seelen vor dem Schein Der Wahrheit wie vor allzu grellem Licht.
Es ist so einfach, voller Mut zu sein, Und doch' sind es die meisten Menschen nicht. Wie Urangst einst befiel den Mörder Kain, So schleicht sie sich noch heute in sie ein Und drückt sie nieder wie ein Bleigewicht
Es ist so einfach, voller Glück zu sein,
Und doch sind es die meisten Menschen nicht. Das Glück kommt nie durchs Tor der Gier herein, Es lächelt dem Begnadeten allein,
Der edel bleibt, auch wenn die Not ihn bricht.
Arische Juden
Besonders in gewissen Redaktionsstuben
Horatio.
,, Gewiß, es ist richtig, nicht alle Deutschen waren vor der Machtübernahme Nationalsozialisten, viele konnten es aus mancherlei Gründen nicht sein und heute braucht der neue Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben, seiner großen umfassenden These der Volksgemeinschaft folgend, alle guten Deutschen schlechthin. Diese natürliche Tatsache benützen jene Männer, die noch vor kurzer Zeit ihre ganze Kraft
gegen uns einsetzten, um mit einer staunenswerten Geschäftigkeit sich als Nationalsozialisten von echtem Schrot und Korn aufzuspielen. Es sind dies Menschen, die mit dem geschäftstüchtigen Juden eines gemeinsam haben: Wirft sie der ehrliche brave Deutsche, der alte Nationalsozialist zur einen Tür hinaus, so kommen sie katbuckelnd, mit süffisantestem Lächeln zur anderen Türe wieder herein. Sie spekulieren dabei auf die Gutmütigkeit und Vergeßlichkeit der Menschen und, das sei offen zugegeben, haben oft Erfolg damit... Wenn es sich um einfache, sogenannte ungebildete Menschen handelt, so sind diese Typen nicht gefährlich, sie fallen rücksichtslos der Verachtung ihrer Arbeitskameraden im Büro, Werkstatt oder Fabrik anheim. Es soll sogar hin und wieder einen Mann aus der Alten Garde geben, der einen solchen Burschen links und rechts ein paar hinter die Ohren haut. Das überzeugt, hilft gründlich und wird auch meist nicht weiter nachgetragen. Gefährlich aber wird diese Gattung charakterloser Gesellen, wenn sie in der Reihe der sogenannten geistigen Menschen, zum Beispiel am Schreibtisch eines Redaktionszimmers ,, Fränkische Tagesztg."( 3. Nov.) sitzen."
Patience mit Schiebung Aber sie kommt von Herzen
Die Einleitung zu einem Heft ,, Die schönsten Patiencen", erschienen bei Ullstein als genaue Anleitung zum Legen von Patiencen, mit vielen Abbildungen", beginnt mit dem Sat: Patiencelegen hat nichts mit Kartenlegen im Sinne des Weissagens aus Karten zu tun. Gewiß wird hier und da eine Patience gelegt, um zu fragen, ob ein Herzenswunsch in Erfüllung geht; aber wenn die Patience dann nicht auf. geht, so wird das nicht als endgültiger Entscheid angesehen, sondern in den meisten Fällen wird dann solange weiter. elegt, bis die Patience doch aufgeht..."
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Darum ist Patience jetzt ein beliebtes Gesellschaftsspiel im ,, dritten Reich".
Schlange der Hitlerjugend , Musikzug und Spielmannszug Selma Lagerlöf als Deamatikerin
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kommen im Laufschritt... bis dann plötzlich ein Wagen in schneller Fahrt von Frehen herunterrollt. ,, Achtung Stillgestanden Augen rrrechts!" Baldur von Schirach schreitet die Fronten ab... Schon steht er wieder in seinem Wagen. Schon ist er um die Ecke verschwunden. Die Jungen marschieren heimwärts:
Ja, es war leider kurz, aber: Wir haben ihn gesehen!" Und so gehts weiter durch ganz Westfalen. Der gefeierte Pascha ist noch nicht dreißig, sein Lebenslauf weist weder besondere Leistungen noch große Taten auf, sein Bauch indessen rundet sich ganz beträchtlich.
Inzwischen verzichten auch die anderen Götter nicht auf ihren Tribut. Eine neue Art von Feiertagen wurde entdeckt, die„ Bayrische Ostmark" weiß Näheres zu berichten:
,, Mit heiligen Runenzeichen ist der 22. Oktober 1933 in die Geschichte der Stadt Kehlheim eingezeichnet Denn der Führer und Reichskanzler
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war an diesem Tage erschienen! Die Bevölkerung er. innerte sich am Tage der Wiederkehr dankbaren Herzens an diesen großen, ereignisreichen Tag. Sie schmückte ihre Häuser mit Fahnen und folgte am Abend dem Kreisleiter, der sie zur Teilnahme an der feierlichen Dankeskundgebung vor dem Rathaus aufgefordert
hatte."
Wo ist die Grenze des deutschen Byzantismus? Er scheint keine Grenzen zu kennen. Aber es ist eine alte Weisheit: wenn die Götzen stürzen, rächen sich ihre Anbeter für jeden Kniefall, den sie ihnen darbrachten. Je übertriebener der Gögendienst, desto furchtbarer die Reche.
Wie unser Münchener Korrespondent uns mitteilt, bereitet das bayerische Staatsschauspiel für Ende November das vieraktige Lustspiel„ Onkel Theodor" von Selma Lager löf vor. Das Stück ist eines der sehr wenigen dramatischen Werke der Dichterin, die bisher in Deutschland ja fast ausschließlich als Epikerin bekannt ist. Es ist eine Dramatisierung der Lagerlöfschen Novelle..Flaumvögelchen" ( Dunungen“).
Anekdoten
Heinrich Laube leitete einst in Leipzig die Zeitschrift„ Die elegante Welt". Da er mit anderen Arbeiten überlastet war, übergab er seinen Posten dem Schriftsteller Kühne. Als Befürchtungen laut wurden, die Tendenz dieses Blattes werde sich nun ändern: äußerte sich der bekannte Schauspieler und Dramaturg Eduard Devrient folgendermaßen: Es wird alles beim alten bleiben denn das, wessen sich Laube nicht erkühnt hat, wird sich Kühne nicht erlauben."
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Der Komponist Goldn. ark wurde auf einer Reise von einer geschwägigen Coupégenossin belästigt, der es schließlich gelang, den sonst sehr schweigsamen Komponisten in ein Gespräch zu verwickeln. Endlich stellte sich der Musiker der zudringlichen Reisegefährtin mit den Worten vor: ,, Mein Name ist Goldmark; ich bin der Komponist der Königin vor Saba." Ach," meinte die Dame, das muß wohl ein sehe einträglicher Posten sein."