Frauenstimme
Nr.12+ 43.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
10. Juni 1926
Die Frauen im Kampf.
Frau Corbet Ashby hatte als Präsidentin des„ Internationalen Frauenweltbundes" auf die ersten Junitage einen internationalen Frauenfongreß nach Paris einberufen; er hatte einen ungeheuren Erfolg. Aus den fernsten Gegenden war man zusammengekommen, aus Australien , Südamerika und Afrika , aus Indien , China und sonst allen größeren Ländern. Nachmittag für Nachmittag verbreitete ein extra her gerichteter Radioposten am Eiffelturm in ganz Frankreich die Reden auf dem Kongreß; fast täglich gab es neben dem Kongreß überfüllte öffentliche Versammlungen in Paris , in denen die Rednerinnen der verschiedenen Nationen das Wort er griffen. Alle verliefen ausgezeichnet. Auf dem Kongreß selbst herrschte so strenger Ordnungsdrang, daß die vorgeschriebene furze Redezeit für die Debatten auf die Sekunde eingehalten wurde. Ja, die Rednerinnen unterbrachen sich manchmal mitten im Sag, sobald das Klingelzeichen der Präsidentin ertönte. Man wollte den Männern zeigen, daß die Frauen besser erzogen sind als sie.
Der Rongreß beschäftigte sich vor allem mit den Fragen der Frauenarbeit, der Sittenpolizei und des Frauen st immrechts. So verlieren zum Beispiel, von den Lehrerinnen abgesehen, in Holland die Beamtinnen mit ihrer Heirat sofort ihren Posten. Desgleichen geschieht noch heute in Südafrika und Australien . Der Kongreß stimmte ein mütig gegen dieses Unrecht. Er stimmte ferner für die Auflösung der Sittenpolizei und gegen die Reglementierung der Prostitution, da diese Maßnahmen moralisch unmöglich zu verteidigen, medizinisch sinnlos und sozial verderblich" feien. Es war dies das erstemal, daß ein derartiger Kongreß in Frankreich abgehalten wurde. Und das hat seinen besonderen Grund darin, daß Frankreich rückständig genug ist, feinen Frauen noch nicht das Stimmrecht gegeben zu haben, bas schon 150 Millionen Frauen in der Welt ausüben. Der Kongreß tagte in der Sorbonne. Aber wenn auch die fran zösische Regierung dieses alte Universitätsinstitut bem Frauenfongreß als Tagungslokal zur Verfügung stellte, so ist doch ein baldiges Durchlommen des Frauenstimmrechts in Frankreich nicht zu erwarten. Die Kammer hat zwar schon seit 1919 öfter dafür gestimmt, sogar mit einer großen Mehrheit, aber der Senat läßt sich nicht umbiegen, obwohl Frankreich einst die erste Nation war, die die Menschenrechte ( nicht nur die Männerrechte!) proklamierte. Frankreich gehört zu den 17 Nationen, die das Stimmrecht den Frauen noch vorenthalten. Eingeführt wurde das Frauenstimmrecht
bereits in 30 Ländern.
„ Erst macht euren Militärdienst, dann werden wir von der Gleichheit der Geschlechter sprechen!" sagen die Konser vativen, und dann kommen all die anderen bekannten Behauptungen:
1. Man darf nicht 10 Millionen französischer Frauen das Stimmrecht verleihen, weil der kirchliche Einfluß darunter leiden könnte.
2. Das Stimmrecht bringt Uneinigkeit in die Familie. 3. Die Frauen wollenja garnicht das Stimmrecht. Die Frauen machen zwar keinen Militärdienst, aber den Mutter dienst, den die konservativen Senatoren zu leisten nicht imstande sein dürften. Daß die Frauen das Stimmrecht gar nicht wollen, kann nach diesem Kongreß, gegen den katholische Gegenagitation nichts vermochte, nicht mehr behauptet
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werden, und der Glaube an eine fünftige Uneinigkeit in der Familie entspringt reiner Angstphantasie aus Furcht vor dem Sprung ins ungewisse. Und dabei hat das Frauenstimmrecht dort, wo es besteht, den Kirchenparteien kaum besonders geschadet.
Das Internationale Arbeitsamt war auf dem Kongreß durch einen weiblichen Delegierten vertreten, und der Völkerbund hatte drei weibliche Delegierte gesandt: denn es handelt fich hierbei auch um eine Friedens-, also eine Herzenssache, gerade da die Frauen nicht die Waffen tragen müssen. Niemand mehr als sie ist dazu geeignet, sich dem Krieg von Mann gegen Mann entgegenzuwerfen und dem Büten des organisierten Massenmordes das höhere Recht der Mutter, und das heißt des Friedens, entgegenzuhalten. Kurt Lenz Paris .
Die Frau in der Betriebsvertretung.
Es wäre nicht so uninteressant, einmal an einer genauen Aufstellung zu prüfen, wie groß die Zahl der erwerbstätigen Frauen ist, die in den Betriebsvertretungen eine Funktion befleiden. Sicherlich würde man zu dem Ergebnis gelangen, daß ihre Sahl im Mißverhältnis steht zu der Zahl der im Erwerbs. leben stehenden Frauen.
Ein ungefähres Bild der Verhältnisse geben die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten. Wie sich aus den Berichten der preußischen Gewerbeaufsichtsbeamten feststellen läßt, haben die Frauen an der Vertretung im Betriebsrat nur geringen Anteil. In keinem Betriebe sind die Frauen dem Berhältnis ihrer Beschäftigung nach im Betriebsrat vertreten. Auch in Betrieben, wo mehr Frauen als Männer beschäftigt find, hat die Frau nur geringen Anteil an der Bemit insgesamt 10 243 weiblichen und 2763 männlichen Beschäftigten triebsvertretung. So waren 1923 in Berlin in 20 Warenhäusern im Arbeiterrat 43 Männer und nur 3 Frauen, und im Angestelltenrat faßen 44 Männer und 77 Frauen. In weiteren 374 Betrieben mit 165 634 männlichen und 116 554 weiblichen Beschäftigten gehörten dem Arbeiterrat an 1756 Männer und nur 189 Frauen und dem Angestelltenrat 525 Männer und 211 Frauen.
Aus dem Regierungsbezirk Merseburg wird berichtet, daß in 88 Betrieben mit mehr als 50 Arbeiterinnen nur 43 Frauen in der Betriebsvertretung eine Funktion befleiden. In den Arbeiterräten diefer Betriebe find 408 Männer und 61 Frauen, in den Angestellten. räten 165 Männer und 19 Frauen.
Für Stettin fonnte in 28 Betrieben ein ähnliches Verhältnis festgestellt werden. Es waren in der Betriebsvertretung vorhanden 131 Männer und 32 Frauen. In 306 Betrieben in Breslau , wo 63 Prozent der Beschäftigten Frauen waren, hatten 204 Betriebe Frauen im Betriebsrat. Im oberschlesischen Industries gebiet gab es 1924 nur eine( 1) Frau, die dem Betriebsrat angehörte. Im Krefelder Tertilgebiet wurden in 44 Betrieben 121 Frauen und 114 Männer in der Betriebsvertretung ermittelt. In diesen Betrieben waren 2900 Frauen und 1300 Männer beschäftigt. In 23 Tertilbetrieben der Stadt 2 a chen mit 2395 Frauen und 1654 Männer gehörten 50 Frauen und 78 Männer den Betriebsräten an.
Man sieht an diesen Ziffern, daß die Frau nicht entsprechend dem Maß ihrer Beschäftigung an der Betriebsvertrteung Anteil hat. Zurückzuführen ist dies in erster Linie darauf, daß viele Arbeiterinnen nicht das vorgeschriebene Alter von 24 Jahren haben, um als Betriebsrat gewählt werden zu können, aber wohl auch darauf, daß die innere Anteilnahme, die Beteiligung an den Bor bereitungen zur Wahl wie auch die notwendige Schulung der Arbeiterinnen noch sehr viel zu wünschen übrig laffen.